Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 433



Urteilskopf

134 III 433

71. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B.
und Mitb. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_512/2007 vom 17. April 2008

Regeste

Art. 21 Abs. 1 BGBB; Anspruch auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen
Grundstücks zum doppelten Ertragswert. Voraussetzungen, unter denen ein Erbe
die Zuweisung verlangen kann, der gestützt auf einen Ehevertrag gemeinsam mit
seinem Ehepartner Gesamteigentümer eines landwirtschaftlichen Gewerbes ist (E.
2.4).

Sachverhalt ab Seite 434

BGE 134 III 433 S. 434
E. (Erblasserin) verstarb am 1. Juni 2004 und hinterliess als ihre gesetzlichen
Erben ihre vier Kinder A., B., C. und D. Mit eigenhändiger letztwilliger
Verfügung vom 20. Oktober 1986 setzte die Erblasserin ihre Tochter A. zu
Gunsten ihrer drei Söhne auf den Pflichtteil. Der Nachlass bestand im
Wesentlichen aus den drei landwirtschaftlichen Grundstücken Nrn. 47, 56 und
131, allesamt auf dem Gebiete der Gemeinde G. gelegen, sowie aus diversen
Bankguthaben.
F., der Ehegatte von A., hatte bereits am 27. Oktober 1980 vom Ehegatten der
Erblasserin, d.h. von seinem Schwiegervater, das landwirtschaftliche Gewerbe
"W." gekauft. Am 13. Januar 1999 unterzeichneten die Ehegatten F. und A. einen
öffentlich beurkundeten Ehevertrag. In diesem hoben die Ehegatten ihren
bisherigen Güterstand (der Errungenschaftsbeteiligung) auf und begründeten neu
den Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft. Des Weiteren vereinbarten die
Ehegatten in Ziffer VI des Ehevertrages, dass bei Auflösung des vertraglich
begründeten Gesamteigentums am Landwirtschaftsbetrieb "W." in Abänderung zu
Art. 36 BGBB zuerst der Gesamteigentümer F. (Ehemann) verlangen dürfe, dass ihm
das landwirtschaftliche Gewerbe zugewiesen werde.
Am 10. Juni 2005 klagte A. (Beschwerdeführerin) gegen ihre drei Miterben
(Beschwerdegegner) auf Feststellung des Nachlasses und der erbrechtlichen
Quoten sowie auf Zuweisung der drei landwirtschaftlichen Grundstücke und
Festsetzung des Ertragswertes. In zweiter kantonaler Instanz wurde ihr Anspruch
auf Zuweisung der drei landwirtschaftlichen Grundstücke verneint. Vor
Bundesgericht erneuert die Beschwerdeführerin ihren Antrag, ihr die
landwirtschaftlichen Grundstücke zum doppelten Ertragswert zuzuweisen. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2.

2.4

2.4.1 Gemäss Art. 21 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über das
bäuerliche Bodenrecht (BGBB; SR 211.412.11) kann eine Erbin die Zuweisung eines
oder mehrerer in einer Erbschaft befindlicher landwirtschaftlicher Grundstücke,
die nicht zu einem landwirtschaftlichen Gewerbe gehören, zum doppelten
Ertragswert verlangen, wenn sie entweder Eigentümerin eines
landwirtschaftlichen Gewerbes ist oder wirtschaftlich über ein solches verfügt
(dazu: BGE 134 III 1 E. 3.4.1 S. 7; BENNO STUDER, in: Das bäuerliche
Bodenrecht:
BGE 134 III 433 S. 435
Kommentar zum Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht vom 4. Oktober 1991,
1995, N. 5 zu Art. 21 BGBB). Des Weiteren müssen die Grundstücke im
ortsüblichen Bewirtschaftungsbereich dieses Gewerbes liegen.
Gemäss BGE 134 III 1 E. 3.4.2 S. 7 kann das in Art. 21 Abs. 1 BGBB vorgesehene
Zugrecht nur ausgeübt werden, wenn der Ansprecher bereits Eigentümer eines
landwirtschaftlichen Gewerbes ist, nicht hingegen, wenn ein Teil desselben
dazugepachtet wird. Ob unter diesen strengen sachenrechtlichen Eigentumsbegriff
auch das Gesamteigentum als Erscheinungsform des (gemeinschaftlichen) Eigentums
subsumiert werden kann, hatte das Bundesgericht bis anhin noch nicht zu
entscheiden.

2.4.2 Dem Eigentum an einem landwirtschaftlichen Gewerbe ist von Gesetzes wegen
die wirtschaftliche Verfügungsmacht über ein solches gleichgestellt. Darunter
sind Fälle zu subsumieren, in welchen ein Verfügungsberechtigter aufgrund von
(einfachen oder qualifizierten) Mehrheitsbeteiligungen an juristischen
Personen, deren Aktiven zur Hauptsache aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe
bestehen (Art. 4 Abs. 2 BGBB), oder aufgrund von vertraglichen oder
gesetzlichen Zusicherungen ohne fremde Hilfe Alleineigentum an einem
landwirtschaftlichen Gewerbe erwerben kann (vgl. BGE 134 III 1 E. 3.4.3 S. 8;
BRUNO BEELER, Bäuerliches Erbrecht gemäss dem Bundesgesetz über das bäuerliche
Bodenrecht [BGBB] vom 4. Oktober 1991, Diss. Zürich 1998, S. 325). Auch wenn
der Gesetzgeber ausschliesslich den Ansprecher, der es selber in den Händen
hat, ob er zum Eigentum an einem landwirtschaftlichen Gewerbe gelangt, als
zuweisungsberechtigt erachtet (vgl. Botschaft zum BGBB, BBl BGE 1988 III 1000
f.), kann daraus nicht gefolgert werden, dass die Formen des gemeinschaftlichen
Eigentums (Gesamt- oder Miteigentum) nicht unter den Eigentumsbegriff des Art.
21 Abs. 1 BGBB fallen können. Entscheidend ist nämlich alleine, ob die
Rechtsstellung des gemeinschaftlichen Eigentümers von dauerhafter Natur und
damit vergleichbar mit jener eines Alleineigentümers ist. Entgegen der
Auffassung der Beschwerdegegner soll mit den Alternativtatbeständen (Eigentum
und wirtschaftliche Verfügungsmacht) ausschliesslich die Pacht eines
landwirtschaftlichen Gewerbes ausgeschlossen werden (vgl. Botschaft, a.a.O., S.
1001).

2.4.3

2.4.3.1 Sodann muss geprüft werden, ob die Beschwerdeführerin wirtschaftlich
über ein landwirtschaftliches Gewerbe verfügt.
BGE 134 III 433 S. 436
Verfügungsmacht bedeutet, dass die Ansprecherin über ihre wirtschaftliche
Position früher oder später und ohne das Zutun von Dritten Eigentum an einem
landwirtschaftlichen Gewerbe zu erwerben vermag.

2.4.3.2 Gesamteigentum entsteht ausschliesslich aufgrund von gesetzlich
geregelten Tatbeständen (vgl. Art. 652 ZGB). Gemäss Ziffer VII des Ehevertrages
vom 13. Januar 1999 wurde die Beschwerdeführerin durch Abschluss desselben
Gesamteigentümerin der Parzellen Nrn. 17, 102 und 112, ausmachend das
landwirtschaftliche Gewerbe "W." und allesamt gelegen auf dem Gebiete der
Gemeinde G., mit einer Gesamtfläche von 6,718 ha. Bis zu diesem Zeitpunkt war
der Ehemann der Beschwerdeführerin alleiniger Eigentümer dieses
landwirtschaftlichen Gewerbes. Laut Ziffer VI des Ehevertrages hätte der
Gesamteigentümer und Ehegatte der Beschwerdeführerin, F., verlangen dürfen,
dass ihm bei Auflösung des vertraglich begründeten Gesamteigentums am
Landwirtschaftsbetrieb "W." in Abänderung zu Art. 36 BGBB das
landwirtschaftliche Gewerbe zugewiesen werde. Solch eine Auflösung ist jedoch -
im Unterschied zum Miteigentum - nur denkbar, falls die das Gesamteigentum
begründende Gütergemeinschaft aufgelöst würde, was ausschliesslich durch den
Tod eines Ehegatten, ehevertragliche Vereinbarung eines neuen Güterstandes,
Scheidung, Trennung und Ungültigerklärung der Ehe sowie durch Eintritt der
gesetzlichen oder gerichtlichen Gütertrennung (vgl. Art. 236 Abs. 1 und 2 ZGB)
möglich ist. In jedem dieser obgenannten Fälle könnte der Ehegatte der
Beschwerdeführerin von sich aus und in Abweichung zur gesetzlichen Regelung
(Art. 36 Abs. 1 BGBB) zum Alleineigentum am landwirtschaftlichen Gewerbe "W."
gelangen.

2.4.3.3 Gemäss BGE 134 III 1 E. 3.4.3 S. 8 kann nur dann von wirtschaftlicher
Verfügungsmacht gesprochen werden, wenn die ansprechende Erbin vertraglich oder
gesetzlich zum Alleineigentum gelangen kann. Die Beschwerdeführerin könnte im
Falle der Auflösung des Güterstandes der allgemeinen Gütergemeinschaft zum
Alleineigentum am landwirtschaftlichen Gewerbe "W." gelangen, wenn die
entsprechende Klausel im Ehevertrag zu ihren Gunsten formuliert worden wäre. Es
läge somit in ihrer alleinigen Entscheidungsbefugnis, ob sie anlässlich der
Auflösung des Gesamteigentums am landwirtschaftlichen Gewerbe dessen Zuweisung
verlangte oder nicht. Im vorliegenden Fall wird der Beschwerdeführerin jedoch
gar keine Entscheidungsbefugnis eingeräumt, weshalb sie auch nicht über eine
wirtschaftliche Verfügungsmacht verfügt, die Voraussetzung zur
BGE 134 III 433 S. 437
Geltendmachung eines Zugrechtes wäre. Somit muss auch gefolgert werden, dass
bei Nichtbestehen einer ehevertraglichen Regelung zugunsten eines Ehegatten
ebenfalls nicht davon gesprochen werden kann, dass der Ansprecher von sich aus
zum Alleineigentum gelangen könnte, weshalb auch diesfalls kein Zugrecht
bestünde, zumal die Gütergemeinschaft in der Regel auch gegen den Willen eines
Gesamteigentümers aufgelöst werden kann (Art. 236 ZGB; vgl. dazu: GEISER,
Ehegüterrecht und bäuerliches Bodenrecht, in: Güter- und erbrechtliche Fragen
zur einfachen Gesellschaft und zum bäuerlichen Bodenrecht, 2005, S. 103).
Gemeinschaftliches Eigentum von zwei Personen mit gleichen Anteilen genügt nach
dem Gesagten für die Ausübung des Zugrechts dann nicht, wenn der die
Integralzuweisung beanspruchende Gesamteigentümer im Falle der Auflösung des
dem Gesamteigentum zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses sein Gesamteigentum
verliert.