Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 354



Urteilskopf

134 III 354

60. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen A.
und Y. Arbeitslosenkasse (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_47/2008 vom 29. April 2008

Regeste

Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung; Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG. Die
grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage ist zu bejahen, wenn sie vom
Bundesgericht unterschiedlich beantwortet wurde und unklar ist, welche
Rechtsprechung massgebend ist (E. 1.3-1.5).

Regeste

Arbeitsvertrag; Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bei Schwangerschaft nach
der Kündigung; Berechnung der Kündigungsfrist nach Art. 336c Abs. 2 OR.
Bestätigung der Rechtsprechung, wonach die Kündigungsfrist gemäss Art. 336c
Abs. 2 OR durch Rückrechnung vom Endtermin aus zu bestimmen ist (E. 2 und 3).

Sachverhalt ab Seite 354

BGE 134 III 354 S. 354
A. A. (Arbeitnehmerin) war seit dem 5. Oktober 1992 bei der X. (Arbeitgeberin)
als Verkäuferin angestellt. Seit dem 1. Januar 2006 betrug ihr Monatslohn,
ausgehend von 16 Arbeitsstunden pro Woche, Fr. 1'645.- netto. Mit Schreiben vom
2. August 2006 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis aus
wirtschaftlichen Gründen auf den 31. Dezember 2006. Mitte Dezember 2006 erfuhr
die
BGE 134 III 354 S. 355
Arbeitnehmerin, dass sie schwanger war, und teilte dies der Arbeitgeberin
umgehend mit. Zur Klärung der Sach- und Rechtslage wurde das Arbeitsverhältnis
vorsorglich fortgesetzt. Die Arbeitnehmerin unterzeichnete einen Vertrag als
Ferienaushilfe und wurde vom 1. Januar 2007 bis 24. Januar 2007 weiterhin
beschäftigt, wofür sie Fr. 1'323.70 erhielt. Gemäss Arztzeugnis vom 12. Januar
2007 war ihre Schwangerschaft bereits vor Ende November 2006 eingetreten.
Am 23. Januar 2007 teilte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin mündlich mit,
das Arbeitsverhältnis werde nicht weitergeführt. Nach dem 24. Januar 2007
arbeitete die Arbeitnehmerin nicht mehr für die Arbeitgeberin. Mit Schreiben
vom 25. Januar 2007 gab die Arbeitgeberin gegenüber der Arbeitnehmerin an, der
Beginn der Schwangerschaft könne auf den 10. November 2006 festgelegt werden.
Die dreimonatige Kündigungsfrist sei somit bereits vor dem Beginn der
Sperrfrist abgelaufen gewesen, weshalb am Kündigungstermin festgehalten werde.
Die bis zum 24. Januar 2007 erbrachten Arbeitsstunden würden als Ferienaushilfe
vergütet. Mit Schreiben vom 26. Januar 2007 gab die Arbeitnehmerin - vertreten
durch die Y. Arbeitslosenkasse - an, die Kündigungsfrist sei in die Sperrfrist
gefallen, welche noch bis 16 Wochen nach der Geburt laufe. Das
Arbeitsverhältnis dauere somit noch an, weshalb die Arbeitnehmerin ihre
Arbeitskraft weiter anbiete. Auf dieses Schreiben reagierte die Arbeitgeberin
nicht. Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. März 2007 machte die Arbeitnehmerin
erneut geltend, die Kündigungsfrist habe nach der Methode der Rückwärtsrechnung
in der Sperrfrist gelegen, weshalb die Arbeitnehmerin bei der Arbeitgeberin
weiter beschäftigt werden solle. Am 2. August 2007 gebar die Arbeitnehmerin ein
Mädchen.

B. Mit Klage vom 29. Mai 2007 belangte die Arbeitnehmerin (Klägerin 1) die
Arbeitgeberin (Beklagte) beim Arbeitsgericht St. Gallen auf Zahlung von Fr.
6'992.30 brutto samt 5 % Zins seit dem 29. Mai 2007. Zur Begründung führte die
Klägerin 1 aus, die Kündigung sei zur Unzeit erfolgt, weshalb sich das
Arbeitsverhältnis bis Ende Mai 2007 verlängere. Für diese Zeit verlangte sie
Lohn abzüglich des für den Januar 2007 erhaltenen Bruttolohns von Fr. 1'232.70.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2007 beantragte die Y. Arbeitslosenkasse (Klägerin
2), im Prozess zwischen der Klägerin 1 und der Beklagten als Nebenklägerin
zugelassen zu werden. In der Folge verlangte die Klägerin 2 von der Beklagten
aus gesetzlicher Subrogation
BGE 134 III 354 S. 356
für an die Klägerin 1 ausbezahlte Arbeitslosentaggelder für die Monate Januar
bis Mai 2007 Fr. 5'312.25 netto.
Mit Entscheid vom 27. September 2007 stellte das Arbeitsgericht St. Gallen
fest, die Beklagte schulde aus dem Arbeitsverhältnis mit der Klägerin 1 Fr.
6'992.30 brutto nebst Zins zu 5 % seit dem 29. Mai 2007 und verpflichtete die
Beklagte, vom sich daraus ergebenden Nettolohn Fr. 5'312.25 an die Klägerin 2
und den Rest an die Klägerin 1 zu bezahlen.
Zur Begründung führte das Arbeitsgericht zusammengefasst aus, bei der Hemmung
der Kündigungsfrist gemäss Art. 336c Abs. 2 OR sei gemäss der Rechtsprechung
von der Methode der Rückrechnung auszugehen. Dass das Bundesgericht mit dem
abweichenden BGE 131 III 467 eine Praxisänderung gewollt habe, sei nicht
anzunehmen, da eine solche nicht begründet worden und auch nicht gerechtfertigt
sei. Demnach dauere die Kündigungsfrist vom 1. Oktober 2006 bis zum 31.
Dezember 2006. Der Beginn der Schwangerschaft am 10. November 2006 falle somit
in die Kündigungsfrist und hemme diese gemäss Art. 336c Abs. 2 OR bis zum
Ablauf der Sperrfrist gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. c OR. Die Kündigungsfrist
habe damit ab dem 10. November 2006 bis 16 Wochen nach der Geburt am 2. August
2006, d.h. bis zum 22. November 2007, stillgestanden. Die fehlenden 52 Tage der
Kündigungsfrist bis zum 31. Dezember 2006 seien daran anzuhängen, so dass sich
das Datum vom 13. Januar 2008 ergebe. Da gemäss Ziff. 15.1 lit. b des
Landes-Gesamtarbeitsvertrages (L-GAV) für die X.-Gruppe die Kündigungsfrist
jeweils auf das Ende eines Monats falle, ende das Arbeitsverhältnis gemäss Art.
336c Abs. 3 OR am 31. Januar 2008.

C. Die Beklagte (Beschwerdeführerin) erhebt Beschwerde in Zivilsachen mit den
Anträgen, der Entscheid des Arbeitsgerichts vom 27. September 2007 sei
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin 1 (Beschwerdegegnerin 1) schliesst auf Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf einzutreten sei. Die Klägerin 2 (Beschwerdegegnerin 2) und das
Arbeitsgericht liessen sich nicht vernehmen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1.

1.3 Die Beschwerde in Zivilsachen ist bei vermögensrechtlichen Angelegenheiten
in arbeitsrechtlichen Fällen grundsätzlich nur
BGE 134 III 354 S. 357
zulässig, wenn der Streitwert mindestens Fr. 15'000.- beträgt (Art. 74 Abs. 1
lit. a BGG). Wird dieser Streitwert nicht erreicht, ist die Beschwerde
ausnahmsweise dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher
Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Das ist der Fall, wenn ein
allgemeines Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich
geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts
herbeizuführen und damit Rechtssicherheit herzustellen (vgl. BGE 133 III 645 E.
2.4). Eine vom Bundesgericht bereits entschiedene Rechtsfrage kann von
grundsätzlicher Bedeutung sein, wenn sich die erneute Überprüfung aufdrängt.
Dies kann zutreffen, wenn die Rechtsprechung nicht einheitlich oder in der
massgebenden Lehre auf erhebliche Kritik gestossen ist (vgl. Urteil 4A_216/2007
vom 13. September 2007, E. 1.3; BEAT RUDIN, Basler Kommentar, N. 51 zu Art. 74
BGG; KARIN MÜLLER, Einige Gedanken zum Begriff der "Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung" bei der Beschwerde in Zivilsachen nach dem neuen
Bundesgerichtsgesetz, in: Isaak Meier et al. [Hrsg.], Wege zum Bundesgericht in
Zivilsachen nach dem Bundesgerichtsgesetz, Zürich/St. Gallen 2007, S. 113 ff.,
126). Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sich eine
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, so ist in der
Beschwerdeschrift auszuführen, warum diese Voraussetzung erfüllt ist (Art. 42
Abs. 2 BGG).

1.4 Die Beschwerdeführerin bringt vor, es stelle sich die Frage, wie die
Kündigungsfrist gemäss Art. 336c Abs. 2 OR zu bestimmen sei. In BGE 131 III 467
E. 2.1 habe das Bundesgericht entgegen seiner früheren Praxis angenommen, die
Kündigungsfrist beginne mit der Zustellung der Kündigung zu laufen, ohne von
einer Praxisänderung zu sprechen. Im Entscheid 4C.230/2005 vom 1. September
2005, E. 1 kehre das Bundesgericht zu seiner bisherigen Praxis zurück, ohne auf
den davon abweichenden BGE 131 III 467 einzugehen. Im Rechtsalltag werde daher
darüber spekuliert, welcher dieser Entscheide der "Ausreisser" sei. Es sei
wünschbar, dass das Bundesgericht diese Frage beantworte, zumal die
uneinheitliche Praxis auf kantonaler Ebene zu unterschiedlichen Entscheiden
geführt habe. Die Beschwerdegegnerin stellt die grundsätzliche Bedeutung der
zur Diskussion stehenden materiellen Rechtsfrage nicht in Abrede.

1.5 In der Lehre wird BGE 131 III 467 kritisiert und die Meinung vertreten, das
Bundesgericht habe damit wohl keine Änderung der Rechtsprechung vornehmen
wollen (GABRIEL AUBERT, Calcul du
BGE 134 III 354 S. 358
délai de congé: revirement de jurisprudence?, in: Zeitschrift für Arbeitsrecht
und Arbeitslosenversicherung [ARV] 2005 S. 173 ff., 175; PORTMANN, Basler
Kommentar, 4. Aufl. 2007, N. 12 zu Art. 336c OR). Das Bundesgericht ging im
Urteil 4C.230/2005, E. 1 nicht auf den abweichenden BGE 131 III 467 ein,
weshalb nicht geklärt ist, ob mit diesem Entscheid eine Praxisänderung gewollt
war. Damit besteht insoweit eine Rechtsunsicherheit, deren Beseitigung im
allgemeinen Interesse liegt (JEAN-PHILIPPE DUNAND, Entre flexibilisation et
protection: le droit du travail en évolution [2005-2007], in: Aktuelle
Anwaltspraxis 2007 S. 315 ff., 324; vgl. auch WOLFGANG PORTMANN/JEAN-FRITZ
STÖCKLI, Schweizerisches Arbeitsrecht, 2. Aufl., Zürich/Basel/Bern 2007, S. 202
Rz. 718, die angeben, die zukünftige Entwicklung sei ungewiss). Demnach ist
eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu bejahen und auf die form- und
fristgerecht eingereichte Beschwerde in Zivilsachen einzutreten.

2.

2.1 Art. 336c OR mit der Marginalie "Kündigung zur Unzeit durch den
Arbeitgeber" bestimmt:
"^1 Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht
kündigen:
a. während die andere Partei schweizerischen obligatorischen Militär- oder
Schutzdienst oder schweizerischen Zivildienst leistet, sowie, sofern die
Dienstleistung mehr als elf Tage dauert, während vier Wochen vorher und
nachher;
b. während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch
Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im
ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr
während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen;
c. während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft einer
Arbeitnehmerin;
d. während der Arbeitnehmer mit Zustimmung des Arbeitgebers an einer von der
zuständigen Bundesbehörde angeordneten Dienstleistung für eine Hilfsaktion im
Ausland teilnimmt.
^2 Die Kündigung, die während einer der in Absatz 1 festgesetzten Sperrfristen
erklärt wird, ist nichtig; ist dagegen die Kündigung vor Beginn einer solchen
Frist erfolgt, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so
wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist
fortgesetzt.
^3 Gilt für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Endtermin, wie das Ende
eines Monats oder einer Arbeitswoche, und fällt dieser nicht mit dem Ende der
fortgesetzten Kündigungsfrist zusammen, so verlängert sich diese bis zum
nächstfolgenden Endtermin."
BGE 134 III 354 S. 359

2.2 In einem Entscheid aus dem Jahr 1989 ging das Eidgenössische
Versicherungsgericht davon aus, der Beginn der Kündigungsfrist gemäss Art. 336c
Abs. 2 OR sei durch Rückrechnung vom Endtermin aus zu bestimmen. Zur Begründung
wurde ausgeführt, der Zweck von Art. 336c Abs. 2 OR bestehe darin, dem
gekündigten Arbeitnehmer trotz zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit eine ungekürzte
Kündigungsfrist zu garantieren, damit er in der Lage ist, sich nach einer neuen
Stelle umzusehen. Der Arbeitnehmer sei aber gerade gegen Ende seines
gekündigten Arbeitsverhältnisses darauf angewiesen, dass eine allfällige
Krankheit ihn beim Suchen einer Stelle möglichst nicht behindert. Dies treffe
insbesondere dann zu, wenn Stellen in seiner Branche regelmässig kurzfristig
besetzt werden. Der Zweck von Art. 336c Abs. 2 OR lasse sich demzufolge in
befriedigender Weise nur verwirklichen, wenn die Möglichkeit der Stellensuche
während der Schlussphase des bisherigen Arbeitsverhältnisses gewährleistet
werde (BGE 115 V 437 E. 3b S. 441). Das Bundesgericht hat diesen Entscheid
später in konstanter Rechtsprechung bestätigt (Urteil 4C.383/1991 vom 23.
Oktober 1992, E. 2, publ. in: SJ 1993 S. 366; BGE 119 II 449 E. 2a; Urteil
4C.66/1994 vom 20. Juli 1994, E. 3a, publ. in: SJ 1995 S. 801; BGE 121 III 107
E. 2a; Urteil 4C.331/2001 vom 12. Februar 2002, E. 3d). Davon abweichend nahm
das Bundesgericht in einem publizierten Entscheid vom 14. April 2005 an, beim
zeitlichen Kündigungsschutz beginne die Kündigungsfrist stets mit der
Zustellung der Kündigung bzw. am darauf folgenden Tag zu laufen (BGE 131 III
467 E. 2.1). Mit diesem Entscheid wurde jedoch keine Änderung der bisherigen
Rechtsprechung beabsichtigt, da nicht darauf Bezug genommen und die Abweichung
nicht begründet wurde. Dies wird dadurch bestätigt, dass das Bundesgericht in
einem Urteil vom 1. September 2005 wieder gemäss früherer Praxis entschied
(Urteil 4C.230/2005, E. 1). Demnach ist klarzustellen, dass diese
Rechtsprechung nach wie vor massgebend ist.

3.

3.1 Die Beschwerdeführerin rügt, entgegen der Meinung des Arbeitsgerichts sei
die vom Bundesgericht in BGE 131 III 467 vorgesehene Lösung richtig. Art. 336c
Abs. 2 OR bezwecke, dem Arbeitnehmer zur Suche nach einer neuen Stelle die
volle Kündigungsfrist zu gewährleisten. Habe aber diese Frist zur Verfügung
gestanden, gebe es gemäss BGE 124 III 474 keinen Grund für eine nochmalige
Verlängerung der Kündigungsfrist. Zudem sei verfehlt anzunehmen, der
Arbeitnehmer brauche besonders gegen Ende des
BGE 134 III 354 S. 360
Arbeitsverhältnisses mehr Schutz. Nicht selten würden Arbeitnehmer nach der
Mitteilung der Kündigung, z.B. aus Schock oder Verzweiflung darüber,
vorübergehend arbeitsunfähig. In diesen Konstellationen verdiene der
Arbeitnehmer ebenso Schutz wie in jenen, in denen er gegen Ende des
Arbeitsverhältnisses krank werde. Dazu komme, dass die Bemühungen, eine neue
Stelle zu finden, im Regelfall sofort nach Erhalt der Kündigung an die Hand
genommen werden. Finde der Arbeitnehmer bald eine neue Stelle, so werde er sich
im Regelfall auch nicht auf Art. 336c Abs. 2 und 3 OR berufen, wenn er gegen
Ende des alten Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig werde. Habe indessen der
Arbeitnehmer auch kurz vor Ende des Arbeitsverhältnisses noch keine neue Stelle
gefunden, werde die nahtlose Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ungeachtet
einer möglichen Arbeitsunfähigkeit immer unwahrscheinlicher. Daher sei die
Beeinträchtigung bei der Stellensuche durch eine Krankheit in der Endphase des
Arbeitsverhältnisses nicht mehr so belastend.

3.2 Mit diesen Vorbringen verlangt die Beschwerdeführerin eine Änderung der
Rechtsprechung. Eine solche ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Gerichten
ist es nicht verwehrt, eine bisher geübte Praxis zu ändern, wenn sie zur
Einsicht gelangen, dass eine andere Rechtsanwendung dem Sinn des Gesetzes oder
veränderten Verhältnissen besser entspricht. Eine Praxisänderung muss sich
jedoch auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die umso gewichtiger
sein müssen, je länger die als nicht mehr richtig erkannte bisherige Praxis
befolgt wurde (BGE 133 III 335 E. 2.3 mit Hinweisen). Ob die Voraussetzungen
für eine Änderung der Rechtsprechung gegeben sind, ist im Folgenden zu prüfen.

3.3 Soweit sich die Beschwerdeführerin auf BGE 124 III 474 beruft, lässt sie
ausser Acht, dass dieser Entscheid bloss die Frage betrifft, ob eine
Arbeitsunfähigkeit während der Fristverlängerung gemäss Art. 366c Abs. 3 OR
ebenfalls zu einer Hemmung der Kündigung führe. Dies hat das Bundesgericht
verneint, da diese Fristverlängerung nur bezwecke, beiden Parteien den Übergang
des Arbeitsverhältnisses und den Ersatz des entlassenen Arbeitnehmers zu
erleichtern (BGE 124 III 474 E. 2b/aa S. 477). Die Annahme des Bundesgerichts,
dass der Arbeitnehmer in der Regel speziell gegen Ende des Arbeitsverhältnisses
darauf angewiesen ist, während der vollen Kündigungsfrist eine neue Stelle
suchen zu können, vermag die Beschwerdeführerin nicht zu widerlegen. Sie
bestreitet nicht, dass es Stellen gibt, welche kurzfristig besetzt werden.
BGE 134 III 354 S. 361
Zudem wird nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Stellensuche - wenn sie
nicht bereits vorher zum Erfolg geführt hat - gegen das Ende des
Arbeitsverhältnisses intensiviert. Weiter kann entgegen der Annahme der
Beschwerdeführerin nicht gesagt werden, dass nach der Wahrnehmung eines
"Durchschnittsmenschen" die Kündigung den Lauf der Kündigungsfrist auslöse.
Vielmehr ist diese Frist ausgehend vom Ende des Arbeitsverhältnisses zu
bestimmen, wobei die Kündigung - anders als bei einer Rechtsmittelfrist - nicht
innerhalb, sondern vor Beginn der Kündigungsfrist auszusprechen ist. Zudem
trifft es nicht zu, dass bei der Anwendung der Methode der Rückwärtsrechnung
die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers im Zeitpunkt der Kündigung
unbeachtlich wäre, wenn er während der Kündigungsfrist wieder arbeitsfähig ist.
Damit vermag die Beschwerdeführerin für eine Praxisänderung keine hinreichenden
Gründe anzuführen. Solche sind auch nicht ersichtlich, zumal die neuere Lehre
der bisherigen Rechtsprechung zustimmt (PORTMANN, a.a.O., N. 12 zu Art. 336c
OR; PORTMANN/STÖCKLI, a.a.O., S. 202 Rz. 718; STREIFF/VON KAENEL,
Arbeitsvertrag, 6. Aufl., Zürich 2006, N. 3 zu Art. 336c OR; BRUNNER/BÜHLER/
WAEBER/BRUCHEZ, Kommentar zum Arbeitsvertragsrecht, 3. Aufl., Basel 2005, N. 12
zu Art. 336c OR; AUBERT, Commentaire romand, N. 3 zu Art. 336c-d OR; HANS-PETER
EGLI, in: Kren Kostkiewicz/Bertschinger/Breitschmied/Schwander [Hrsg.],
Handkommentar OR, Zürich 2002, N. 14 zu Art. 336c in Verbindung mit N. 1 zu
Art. 335a OR; offengelassen: AUBERT, Calcul du délai de congé, a.a.O., ARV 2005
S. 175 f.). An dieser Rechtsprechung ist daher festzuhalten.