Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 332



Urteilskopf

134 III 332

56. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen B.
und D. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_207/2007 / 5A_224/2007 / 5A_225/2007 vom 20. März 2008

Regeste

Art. 42 BGG; Zulässigkeit einer bedingten Beschwerde. Die Erhebung der
Beschwerde unter der Bedingung, dass auch die Gegenpartei Beschwerde einreicht,
ist unzulässig (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 332

BGE 134 III 332 S. 332
Am 30. Januar 1996 verkaufte E. seinem Sohn B. die Grundstücke GB x, GB y und
GB z. Die Vertragsparteien begründeten ein Vorkaufsrecht, das im Grundbuch
vorgemerkt wurde. E. starb am 18. April 2003. Erben sind sein Sohn B. und seine
Tochter K. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 erklärte K. gegenüber B.
"Ausübung des Vorkaufsrechts gestützt auf den von Ihnen mit D. geschlossenen
Kaufvertrag vom 19.9.2003". Am 15. Januar 2004 teilte das Grundbuchamt mit,
dass die Eigentumsübertragung an D. im Grundbuch eingetragen wurde. K.
(Klägerin) leitete am 23. März 2004 gegen ihren Bruder B. (Beklagten) und gegen
D. (Beklagte) den Prozess um das Eigentum am Grundstück GB x ein. Die Klage
wurde kantonal teilweise gutgeheissen. Beide Beklagten haben gegen das
kantonsgerichtliche Urteil je Beschwerde eingelegt und beantragen dem
Bundesgericht, die Klage abzuweisen (5A_225/2007 und 5A_207/2007). Mit ihrer
Beschwerde an das Bundesgericht begehrt die Klägerin die Gutheissung der Klage
(5A_224/2007). Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde des
vorkaufsverpflichteten Beklagten nicht ein.
BGE 134 III 332 S. 333

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Der Beklagte als Vorkaufsverpflichteter erhebt vorsorglich Beschwerde. Er
begehrt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage nur
für den Fall, dass die Klägerin ebenfalls Beschwerde führen und Verrechnung
geltend machen sollte.

2.1 Die II. zivilrechtliche Abteilung hat das Verfahren am 27. November 2007
zwecks Durchführung eines Meinungsaustausches gemäss Art. 23 BGG ausgesetzt. An
ihrer Sitzung vom 3. März 2008 hat die Vereinigung aller Abteilungen des
Bundesgerichts beschlossen, dass die Erhebung der Beschwerde unter der
Bedingung, dass auch die Gegenpartei Beschwerde einreicht, unzulässig ist. Der
Beschluss ist bei der Beurteilung des Streitfalles verbindlich (Art. 23 Abs. 3
BGG).

2.2 Prozesshandlungen der Parteien sind im Allgemeinen bedingungsfeindlich. Das
Gericht muss notwendigerweise klaren verfahrensrechtlichen Verhältnissen
gegenübergestellt werden. Da der Prozess beförderlich zu Ende geführt werden
soll, darf er keinen Unterbruch erleiden, bis über Eintritt oder Ausfall
allfälliger Bedingungen entschieden ist. Eine Ausnahme besteht nur insoweit,
als Tatsachen zu Bedingungen erhoben werden, deren Eintritt oder Nichteintritt
sich im Verlauf des Verfahrens ohne weiteres ergibt, so dass durch die
Bedingung keine Unklarheit entsteht. So können Eventualbegehren gestellt werden
für den Fall, dass ein Hauptbegehren nicht geschützt wird. In der Lehre ist
umstritten, ob im Anwendungsbereich des Bundesrechtspflegegesetzes von 1943
(OG; BS 3 S. 531) ein Rechtsmittel eingelegt werden kann für den Fall, dass der
Gegner seinerseits ein solches einlegt. Einerseits wird angenommen, die
bedingte Einlegung eines Rechtsmittels für den Fall, dass der kantonale
Entscheid von anderer Seite angefochten werde, sei zulässig (vgl. MESSMER/
IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, S. 65 N.
44; für die generelle Zulässigkeit: GULDENER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 262; KÖLZ/BOSSHART/RÖHL, Kommentar
zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, §
23 N. 8 f.). Andererseits wird ein praktisches Bedürfnis für die nur bedingte
oder eventuelle Anfechtung eines kantonalen Entscheids verneint. Denn nichts
hindere eine Partei, ihr Rechtsmittel unbedingt einzulegen und wieder
zurückzuziehen, wenn die Bedingung, dass die Gegenpartei ihrerseits ein
Rechtsmittel erhebt, nicht eintreten sollte (vgl.
BGE 134 III 332 S. 334
BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, Zürich 1950, N. 2 zu Art. 55 OG, S. 197/ 198,
und POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation
judiciaire, Bd. II, Bern 1990, N. 1.4.1.1 zu Art. 55 OG).

2.3 Das Bundesgericht hat sich in seiner Rechtsprechung zu den beiden Lösungen
- bedingte Einlegung eines Rechtsmittels oder unbedingte Einlegung eines
Rechtsmittels mit dem Vorbehalt nachträglichen Rückzugs - nicht abschliessend
geäussert, am Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen aber
regelmässig festgehalten (vgl. BGE 127 II 306 E. 6c S. 312 f.) und Ausnahmen
davon nur beschränkt zugelassen. In diesem Sinn erträgt der Rückzug eines
Rechtsmittels keinerlei Bedingungen oder Vorbehalte (Art. 73 BZP; BGE 74 I 280
S. 282 f.; BGE 119 V 36 E. 1b S. 38). Zulässige Bedingungen betreffen die bloss
vorsorgliche Einreichung eines Rechtsmittels für den Fall, dass eine andere
Instanz auf ein gleichzeitig eingereichtes Rechtsmittel oder einen zusätzlichen
Rechtsbehelf (z.B. ein Wiedererwägungsgesuch) nicht eintritt (BGE 100 Ib 351 E.
1 S. 353). Eine echte Ausnahme hat die Rechtsprechung mit Rücksicht auf die
Ausgestaltung der Rechtsmittel in Zivilsachen gemäss dem
Bundesrechtspflegegesetz anerkannt. Weil im Verfahren der eidgenössischen
Berufung die Verletzung verfassungsmässiger Rechte nicht geltend gemacht werden
kann, ist die im kantonalen Verfahren obsiegende Partei zur vorsorglichen
Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde berechtigt, um einem Erfolg der von
der Gegenpartei eingelegten Berufung an das Bundesgericht vorzubeugen (BGE 86 I
224; BGE 122 I 253 E. 6d S. 256). Dieses Problem stellt sich seit Inkrafttreten
des Bundesgerichtsgesetzes nicht mehr, da die obsiegende Partei alle
Beschwerdegründe in ihrer Antwort auf die Beschwerde geltend machen kann, um
allfällige Fehler der kantonalen Entscheidung zu rügen, die ihr im Falle einer
abweichenden Beurteilung der Sache durch das Bundesgericht nachteilig sein
könnten (vgl. LÜCHINGER, Zur Schliessung einer Lücke im Rechtsmittelsystem: Die
Zulassung eines Rechtsmittels der siegreichen Partei für den Fall, dass die
andere Partei an das Bundesgericht gelangt, in: Festschrift von Castelberg,
Zürich 1997, S. 187 ff., 197). Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts lässt
sich zu Gunsten der Zulässigkeit der vorsorglichen Erhebung einer Beschwerde
unter der Bedingung, dass auch die Gegenpartei Beschwerde einreicht, somit
nichts ableiten.

2.4 Für die Zulassung der hier bedingten Erhebung der Beschwerde lassen sich
prozessökonomische Gründe anführen. Die Lösung kommt dem Rechtsuchenden
entgegen, der sich mit dem
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kantonalen Urteil abzufinden bereit ist und lediglich Vorkehren treffen will
für den Fall, dass sich die Gegenpartei mit dem bisherigen Ergebnis nicht
zufriedengeben sollte. Die Unsicherheit, ob ein Beschwerdeverfahren tatsächlich
eröffnet wird, beschränkt sich auf eine kurze Zeitspanne, zumal sich der
Eintritt der Bedingung innert der Beschwerdefrist klärt. Das Gericht
seinerseits kann mit der Behandlung der Eingabe und der Instruktion bis zum
Eintritt der Bedingung grundsätzlich zuwarten und bei deren Ausbleiben das
Verfahren ohne weitere Formalitäten mit geringem Aufwand erledigen. In diesem
Sinn gestattet die Zulassung der bedingten Beschwerde einen effektiven
Rechtsschutz des Bürgers und die rasche und einfache Erledigung des Verfahrens.

2.5 Gegen die Zulassung einer bloss vorsorglichen bedingten Erhebung der
Beschwerde spricht die bisherige Rechtsprechung, die am Grundsatz der
Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen regelmässig festgehalten und
Ausnahmen nur bei Vorliegen eines ausgewiesenen praktischen Bedürfnisses bejaht
hat. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Erhebung einer Beschwerde unter der
Bedingung, dass auch die Gegenpartei eine Beschwerde einlegt, als Druckmittel
verwendet werden kann, die Gegenpartei von der Erhebung einer Beschwerde
abzuhalten. Daher könnte die Zulassung einer bedingten Beschwerde die
Lauterkeit des Prozesses beeinträchtigen. Weiter können sich aus der Zulassung
der genannten Bedingung zum Beispiel im Zusammenhang mit vorsorglichen
Massnahmen Folgeprobleme ergeben. Es kann auch nicht als unzumutbar bezeichnet
werden, von einer Partei zu fordern, dass sie ihren unbedingten
Anfechtungswillen erklärt allenfalls verbunden mit dem Vorbehalt, ihre
Beschwerde unter selbst gestellten Bedingungen wieder zurückzuziehen.
Entscheidend kommt schliesslich hinzu, dass die vorsorgliche Erhebung einer
Beschwerde für den Fall, dass die Gegenpartei eine Beschwerde einreicht, in
umgekehrter zeitlicher Abfolge die gleiche Wirkung äussert wie eine
Anschlussbeschwerde. Die Einführung der Anschlussbeschwerde hat der Bundesrat
aber entgegen dem Antrag seiner Expertenkommission abgelehnt und ausdrücklich
festgehalten, jede am Verfahren vor einer Vorinstanz beteiligte Partei werde
folglich innerhalb der ordentlichen Beschwerdefrist zu entscheiden haben, ob
sie das Bundesgericht anrufen wolle. Verzichte eine Partei darauf, habe sie
sich damit zu begnügen, gegebenenfalls zur Beschwerde der Gegenpartei Stellung
zu nehmen (Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S.
4202, 4342 zu Art. 96).
BGE 134 III 332 S. 336
Der bundesrätliche Vorschlag wurde Gesetz. Dieser Entstehungsgeschichte ist bei
der Auslegung des erst kürzlich in Kraft getretenen Bundesgerichtsgesetzes zu
folgen (vgl. BGE 133 III 497 E. 4.1 S. 499), so dass die bedingte Erhebung
einer Beschwerde, die in ihrer Wirkung einer Anschlussbeschwerde gleichkommt,
nicht zugelassen werden darf.

2.6 Insgesamt überwiegen die Gründe gegen die Zulassung einer Beschwerde, die
vorsorglich für den Fall erhoben wird, dass auch die Gegenpartei Beschwerde
einreicht. Die Beschwerde des Beklagten erweist sich als unzulässig. An diesem
Verfahrensausgang ändert auch der Grundsatz von Treu und Glauben nichts, weil
im vorliegenden Zusammenhang weder das Bundesgericht noch das Gesetz Vertrauen
aufgebaut haben, das geschützt werden müsste (vgl. zu den Voraussetzungen: BGE
133 I 270 E. 1.2.3 S. 274/275).

2.7 Auf die Beschwerde des Beklagten (5A_225/2007) kann nach dem Gesagten nicht
eingetreten werden.