Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 294



Urteilskopf

134 III 294

50. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Bank
X. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_411/2007 vom 29. Januar 2008

Regeste

Stillstand der Verjährung, solange eine Forderung vor einem schweizerischen
Gericht nicht geltend gemacht werden kann (Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR). Die
abstrakte Möglichkeit, sich in der Schweiz einen Gerichtsstand zu verschaffen,
schliesst einen Stillstand der Verjährung nach Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR nicht
aus (E. 2). Der Gläubiger ist nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte
nach in der Schweiz liegenden Arrestgegenständen zu suchen (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 295

BGE 134 III 294 S. 295
A. In einer Betreibung auf Grundpfandverwertung der Bank X.
(Beschwerdegegnerin) gegen A. (Beschwerdeführer), damals unbekannten
Aufenthalts, stellte das zuständige Betreibungsamt am 17. September 1993 einen
Pfandausfallschein über Fr. 8'648'304.- aus (vgl. Art. 158 SchKG). Mit Begehren
vom 16. Januar 2006 setzte die Beschwerdegegnerin die Ausfallforderung in
Betreibung. Der Beschwerdeführer erhob Rechtsvorschlag. Im darauf folgenden
Rechtsöffnungsverfahren erwirkte die Beschwerdegegnerin provisorische
Rechtsöffnung für die genannte Forderung.

B. Der Beschwerdeführer leitete am 10. Juli 2006 fristgerecht Aberkennungsklage
ein, im Wesentlichen mit der Begründung, die mit der Ausstellung des
Pfandausfallscheins ausgelöste zehnjährige Verjährungsfrist (Art. 127 OR) habe
am 17. September 2003 geendet und sei somit am 16. Januar 2006, als die
Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer erneut betrieben habe, bereits
abgelaufen gewesen. Diese Betreibung habe somit keine Unterbrechung der
Verjährung nach Art. 135 Ziff. 2 OR bewirken können. Die Beschwerdegegnerin
wandte demgegenüber ein, der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Ausstellung
des Pfandausfallscheins unbekannten Aufenthalts gewesen. Er sei erst am 24.
Juni 2005 von Venezuela nach Zürich gezogen, wie sie in Erfahrung gebracht
habe. Bis dahin habe die Forderung nicht vor einem schweizerischen Gericht
geltend gemacht werden können, weshalb die Verjährung erst nach diesem Datum zu
laufen begonnen habe (Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR). Das mit der Sache befasste
Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 31. August 2007 ab und
erklärte die der Beschwerdegegnerin erteilte provisorische Rechtsöffnung für
definitiv.

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem
Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben und die Forderung von
Fr. 8'648'304.- nebst Zins und Kosten, für welche die Beschwerdegegnerin
provisorische Rechtsöffnung erlangt hatte, abzuerkennen. Eventuell sei die
Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die
Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde, nachdem das
Bundesgericht ihr Gesuch um Sicherstellung einer allfälligen
Parteientschädigung mit Verfügung vom 6. Dezember 2007 abgewiesen hat.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 134 III 294 S. 296

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1. Der Beschwerdeführer anerkennt vor Bundesgericht ausdrücklich, dass er im
kantonalen Verfahren in der Replik darauf verzichtet habe, seine
Auslandsabwesenheit substantiiert zu bestreiten. Daher beanstandet er
(zumindest im Ergebnis) nicht, dass die Vorinstanz für den Zeitraum ab
Ausstellung des Pfandausfallscheines bis zum 1. März 1997 einen
Wohnsitzgerichtsstand in der Schweiz verneint hat. Hingegen kritisiert er den
Schluss der Vorinstanz, die Verjährung habe erst an diesem Datum zu laufen
begonnen. Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR ist nach seiner Auffassung nicht
anwendbar, da die Beschwerdegegnerin in der Zeit seiner Landesabwesenheit
verschiedene ihm gehörende, in der Schweiz befindliche Vermögenswerte,
namentlich Oldtimer und andere Automobile, mit Arrest hätte belegen und so am
Arrestort hätte klagen können.

1.1 Die Verjährung beginnt nicht oder steht stille, falls sie begonnen hat,
solange eine Forderung vor einem schweizerischen Gericht nicht geltend gemacht
werden kann (Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR). Nach der Rechtsprechung kann sich auf
diese Bestimmung nur berufen, wer aus objektiven, von seinen persönlichen
Verhältnissen unabhängigen Gründen daran gehindert ist, in der Schweiz zu
klagen, namentlich wenn ihm kein Gerichtsstand in der Schweiz zur Verfügung
steht (BGE 124 III 449 E. 4a S. 452 f.; BGE 90 II 428 E. 6-9 S. 435 ff.; vgl.
auch BGE 88 II 283 E. 3a S. 290; DÄPPEN, Basler Kommentar, 4. Aufl., N. 7 zu
Art. 134 OR; BERTI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl., N. 16 zu Art. 134 OR;
PICHONNAZ, Commentaire romand, N. 9 zu Art. 134 OR). Jedenfalls dann, wenn der
Gläubiger sichere Kenntnis vom Vorhandensein von Arrestgegenständen hat, ist
ihm nach der Rechtsprechung zuzumuten, diese verarrestieren zu lassen und am
Arrestort eine Prosequierungsklage anzuhaben. In derartigen Fällen kann also
die Forderung vor einem schweizerischen Gericht geltend gemacht werden, weshalb
der Hinderungsgrund des Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR nicht zum Zuge kommt. Das
Bundesgericht liess ausdrücklich offen, wie es sich verhält, wenn der Gläubiger
nichts über das Vorhandensein von Vermögenswerten des Schuldners in der Schweiz
weiss oder wenn er diesbezüglich einen blossen Verdacht hegt (BGE 124 III 449
E. 4b/bb S. 455; ungenau daher DÄPPEN, a.a.O., N. 7 zu Art. 134 OR).

1.2 Nach dem angefochtenen Urteil wäre zwar die Schaffung eines Gerichtsstandes
am Arrestort in der Schweiz im Hinblick darauf,
BGE 134 III 294 S. 297
dass die beiden Staaten Monaco und Venezuela, in denen sich der
Beschwerdeführer aufgehalten haben soll, dem Lugano-Übereinkommen nicht
beigetreten sind, nicht ausgeschlossen (Art. 4 IPRG; Art. 3 LugÜ [SR
0.275.11]). Gestützt auf jene Lehrmeinungen, welche für die Annahme einer
Unterbrechung des Verjährungsstillstandes ein Wissen oder Wissenmüssen des
Gläubigers um die Möglichkeit der Arrestlegung voraussetzen (BECKER, Berner
Kommentar, N. 10 zu Art. 134 OR; SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch
Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I, S. 159 inkl. Anm. 44),
verneinte die Vorinstanz aber eine Erkundigungspflicht des Gläubigers für
Fälle, in denen dieser über keinerlei Anhaltspunkte für das Vorhandensein
verarrestierbarer Vermögenswerte verfügt.

2. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, der Rechtsstillstand nach Art. 134
Abs. 1 Ziff. 6 OR verlange objektive, von den persönlichen Verhältnissen des
Gläubigers unabhängige Umstände. Demgegenüber liege das Nichtwissen um die
Möglichkeit der Arrestlegung in den subjektiven Verhältnissen des Gläubigers.
Wenn schon bei unverschuldeter Unkenntnis einer Forderung die Verjährung laufe,
könne sie nicht gehemmt sein, wenn der Gläubiger nicht um das Vorhandensein
arresttauglichen Vermögens wisse und mangels konkreter Anhaltspunkte auch
nichts wissen könne.

2.1 Das Rechtsinstitut der Verjährung beruht nicht zuletzt auch auf dem
Gedanken des Vertrauensschutzes des Schuldners. Der Schuldner soll nicht
dauernd im Ungewissen darüber gelassen werden, "ob eine Forderung, die längere
Zeit nicht geltend gemacht wurde und mit der er natürlicherweise immer weniger
rechnet, schliesslich doch noch eingeklagt werde" (BGE 90 II 428 E. 8 S. 438).
In bestimmten, im Gesetz abschliessend aufgeführten Sonderfällen, deren
Vorhandensein der Schuldner leicht erkennen kann, ist aber die Verjährung
gehemmt. Art. 134 OR umschreibt in den Ziffern 1-5 Fallkonstellationen, in
denen die Geltendmachung der Forderung durch persönliche Beziehungen stark
erschwert und daher unzumutbar oder tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist.
Diesen gesetzlichen Gründen für die Hemmung der Verjährung liegt die Erwägung
zu Grunde, dass es unbillig wäre, den Gläubiger auch für jene Zeitspannen die
Folgen einer laufenden Verjährung spüren zu lassen, in denen seine Scheu, eine
Forderung zwangsweise durchzusetzen, angesichts der Natur des zwischen
Gläubiger und Schuldner bestehenden Rechtsverhältnisses nachvollziehbar ist.
Eine ähnliche Wertung liegt auch Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR zugrunde, der einen
Stillstandsgrund bezeichnet,
BGE 134 III 294 S. 298
bei dessen Vorliegen dem Gläubiger die Durchsetzung der Forderung aus von ihm
nicht zu vertretenden Gründen unmöglich ist (BERTI, a.a.O., N. 1 zu Art. 134
OR). Subjektive, in den persönlichen Verhältnissen des Gläubigers liegende
Umstände, die einer an sich möglichen Klage in der Schweiz entgegenstehen,
fallen dagegen schon deshalb nicht unter diese Bestimmung, weil sie für den
Schuldner oft nicht erkennbar sind (BGE 90 II 428 E. 9 S. 440). Daraus ist e
contrario zu folgern, dass ein Schuldner, der nach Treu und Glauben aus der
Nichtverfolgung des Anspruchs des Gläubigers nicht schliessen darf, dieser
verzichte auf die Durchsetzung seines Anspruchs, nicht in gleichem Masse auf
den Verjährungsschutz angewiesen ist. Beispielsweise wird ein im Ausland
lebender Schuldner, der dem Gläubiger nicht bekanntgibt, wo und welche seiner
Vermögenswerte sich in der Schweiz befinden, und der auch sonst keinen
Anhaltspunkt dafür hat, der Gläubiger habe entsprechende Kenntnis, in aller
Regel darauf zählen, dass ihm in der Schweiz keine Klage droht. Der vom
Gläubiger unbehelligte Schuldner kann daher nicht in guten Treuen annehmen, der
Gläubiger habe sein Interesse an der Durchsetzung seines Anspruchs verloren,
diesen gewissermassen "derelinquiert" (vgl. BERTI, a.a.O., N. 13 Vorbemerkungen
zu Art. 127-142 OR).

2.2 Die abstrakte Möglichkeit, sich in der Schweiz einen Gerichtsstand zu
verschaffen, stellt nicht grundsätzlich einen Ausschlussgrund für die Anrufung
von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR dar (BGE 124 III 449 E. 4a S. 453). Andernfalls
hätte es der Schuldner, der sich ins Ausland abgesetzt hat, in der Hand, durch
heimliche Hinterlegung eines Vermögenswertes in der Schweiz die Fortsetzung des
Verjährungslaufs herbeizuführen. Das liegt nicht in der Regelungsabsicht des
Gesetzgebers. Ob dem Gläubiger unter Umständen bei hinreichend gesicherten
Anhaltspunkten zuzumuten ist, weitere Abklärungen über allenfalls in der
Schweiz befindliche Vermögenswerte des Schuldners zu treffen, braucht nach wie
vor nicht entschieden zu werden. Der Gläubiger kann nämlich keinenfalls im
Sinne einer Obliegenheit gehalten sein, sich um das Auffinden von
Anhaltspunkten zu bemühen oder Vorkehrungen zur Erlangung eines schweizerischen
Gerichtsstandes zu treffen, wenn deren Erfolg höchst ungewiss ist. Eine
derartige Anforderung an den Gläubiger scheitert an der Zumutbarkeit (vgl.
Urteil des Bundesgerichts 5C.116/ 2003 vom 5. Februar 2004, E. 2.2.2 nicht
publ. in BGE 130 III 547, aber publ. in: Pra 94/2005 Nr. 105 S. 752). Der
Gläubiger darf sich
BGE 134 III 294 S. 299
in solchen Situationen darauf verlassen, dass die Verjährung mangels
Belangbarkeit des Schuldners gehemmt ist oder nicht zu laufen beginnt. Nach
PICHONNAZ, a.a.O., N. 10 zu Art. 134 OR, soll das blosse Vorhandensein von
Arrestgegenständen in der Schweiz nur dann zur Aufhebung des
Verjährungsstillstandes genügen, wenn der Gläubiger hinreichende Kenntnis davon
hat und in der Lage ist, einen gültigen Arrest zu erlangen. Bei blossem
Sucharrest ist dies nicht der Fall (vgl. schon ZR 51/1952 S. 97, wo ein
Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. Mai 1951 wiedergegeben
wird).

3.

3.1 Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer im kantonalen
Verfahren vorgebracht, die in Betreibung gesetzte Forderung beruhe auf einem
Kredit der mittlerweile von der Beschwerdegegnerin übernommenen Bank Y. Die
Beschwerdegegnerin sei mit deren damaligem Direktor in persönlichem Kontakt
gestanden. Sie hätte durch dessen Befragung sowie durch Einsicht in die Akten
des ursprünglichen Finanzierungsgeschäfts ohne Weiteres in Erfahrung bringen
können, dass der Beschwerdeführer enge Geschäftsbeziehungen und ein
Vertrauensverhältnis zu B. unterhalten habe. Dieser sei als Treuhänder und
Geschäftspartner des Beschwerdeführers aufgetreten und hätte über dessen
verarrestierbare Vermögenswerte in der Schweiz Auskunft geben können. Nach
Auffassung der Vorinstanz muss der Gläubiger indessen keine derartigen
Nachforschungen auf sich nehmen. Eine Befragung des Treuhänders musste zudem
von vornherein als nutzlos erscheinen, da dieser nicht zur Auskunfterteilung
verpflichtet war, als Freund und Geschäftspartner des Beschwerdeführers aus
moralischen Gründen kaum Auskunft erteilt hätte und als Treuhänder zufolge
seiner vertraglichen Treuepflicht (Art. 398 Abs. 2 OR) in Wahrung der
Interessen des Beschwerdeführers ohnehin keine Angaben über dessen Vermögen
hätte machen dürfen.

3.2 Diese Subsumtion ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Einem Gläubiger
ist nicht zuzumuten, in jedem Fall von Auslandabwesenheit des Schuldners,
welche einen Arrestgrund darstellt, aufs Geratewohl, gewissermassen ins Blaue
hinaus, Aktivitäten zur Suche nach Arrestgegenständen in der Schweiz zu
entfalten, um den Stillstand der Verjährung zu erhalten. Erst recht erscheint
unter vertrauenstheoretischen Gesichtspunkten unzulässig, Suchbemühungen zu
fordern, die von Beginn an kaum Aussicht auf Erfolg versprechen. Die
Beschwerdegegnerin hätte über den Treuhänder erst vom
BGE 134 III 294 S. 300
Vorhandensein der Wertgegenstände ins Bild gesetzt werden müssen. Dass der
Treuhänder diese Auskunft korrekterweise hätte verweigern müssen, hat die
Vorinstanz zutreffend erkannt. Soweit der Beschwerdeführer vor Bundesgericht
anführt, die Beschwerdegegnerin bzw. eine von ihr beauftragte Inkassofirma
hätte sich beim Treuhänder nur als Kaufinteressentin ausgeben müssen, und sie
hätte "die verarrestierbaren Vermögenswerte des Beschwerdeführers auf dem
Silbertablett präsentiert" erhalten, verkennt er, dass es den Grundwerten des
Obligationenrechts zuwiderläuft, ein täuschendes Verhalten als Obliegenheit zur
Rechtserhaltung zu fordern.