Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 267



Urteilskopf

134 III 267

46. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen
Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_234/2007 vom 5. Februar 2008

Regeste

Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG; Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Hat das
Bundesgericht eine Frage bislang nicht entschieden, bestehen diesbezüglich
unterschiedliche kantonale Praxen und ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese
Frage dem Bundesgericht je unterbreitet werden kann, infolge der
Streitwertgrenze äusserst gering, so liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher
Bedeutung vor (E. 1.2.3).

Regeste

Art. 264 Abs. 2 OR, Art. 82 SchKG; Mietvertrag als Rechtsöffnungstitel bei
vorzeitiger Rückgabe des Mietobjekts. Der Mietvertrag bleibt bei vorzeitiger
Rückgabe des Mietobjekts ohne Nennung eines zumutbaren Nachmieters
provisorischer Rechtsöffnungstitel (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 268

BGE 134 III 267 S. 268
A. Mit Zahlungsbefehl vom 26. Oktober 2006 betrieb die X. AG (nachfolgend:
Beschwerdeführerin) die Y. AG (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) auf Verwertung
eines Faustpfandes für eine Forderung von Fr. 11'208.50 zuzüglich Zins von 5 %
seit 1. Oktober 2006 und Kosten. Gegen die Betreibung erhob die
Beschwerdegegnerin Rechtsvorschlag.

B. Mit Eingabe vom 17. November 2006 verlangte die Beschwerdeführerin in dieser
Betreibung beim Bezirksgericht Zürich provisorische Rechtsöffnung, welche mit
Verfügung der Einzelrichterin des Bezirksgerichts Zürich vom 5. Februar 2007
teilweise erteilt wurde.

C. Am 21. Februar 2007 erhob die Beschwerdeführerin beim Obergericht des
Kantons Zürich Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Rechtsöffnungsentscheid, welche
mit Beschluss des Obergerichts vom 30. März 2007 abgewiesen wurde.
Die Beschwerdeführerin hat beim Bundesgericht am 16. Mai 2007 Beschwerde in
Zivilsachen eingereicht. Die Beschwerdegegnerin schliesst in ihrer
Vernehmlassung vom 15. Januar 2008 auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 134 III 267 S. 269

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 75 Abs. 1
BGG). Soweit die Beschwerdeführerin Rügen vorbringt, welche das Obergericht
nicht oder mit engerer Kognition als das Bundesgericht geprüft hat, ficht sie
in ihren Rechtsbegehren sowie in der Beschwerdebegründung zu Recht den
erstinstanzlichen Entscheid mit an (sog. Dorénaz-Praxis, vgl. BGE 134 III 141
E. 2 S. 144 mit Hinweisen).
Der notwendige Streitwert von Fr. 30'000.- gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG ist
offensichtlich nicht erreicht. Daher sind die sich insbesondere gegen den
mitangefochtenen erstinstanzlichen Entscheid richtenden materiellrechtlichen
Rügen nur umfassend zu prüfen, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher
Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 95 und 106 Abs. 1 BGG).

1.2 Der Begriff der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist restriktiv
auszulegen (BGE 133 III 493 E. 1.1 S. 495). Insbesondere ist erforderlich, dass
die zu beurteilende Frage von allgemeiner Tragweite ist (Urteil 5A_125/2007 vom
20. September 2007, E. 2.2.2; vgl. auch BGE 133 III 493 E. 1.2 S. 495 f.).
Dabei hat die Beschwerdeführerin darzulegen, inwiefern sich eine Rechtsfrage
von grundsätzlicher Bedeutung stellt (BGE 133 III 645 E. 2.4 S. 648).
Gemäss den für das Bundesgericht verbindlichen (Art. 105 Abs. 1 BGG)
Sachverhaltsfeststellungen des Obergerichts haben die Parteien für die Dauer
bis zum 31. März 2009 einen Mietvertrag abgeschlossen und hat die
Beschwerdegegnerin (als die Mieterin) das Mietobjekt Ende November 2006
verlassen sowie der Beschwerdeführerin die Schlüssel zukommen lassen. Der von
der Beschwerdeführerin geltend gemachte Betrag betrifft die Restforderung eines
Mietzinses.
Gibt der Mieter die Sache zurück, ohne Kündigungsfrist oder -termin
einzuhalten, so ist er von seinen Verpflichtungen gegenüber dem Vermieter nur
befreit, wenn er einen für den Vermieter zumutbaren neuen Mieter vorschlägt;
dieser muss zahlungsfähig und bereit sein, den Mietvertrag zu den gleichen
Bedingungen zu übernehmen (Art. 264 Abs. 1 OR). Andernfalls muss er den
Mietzins bis zu dem Zeitpunkt leisten, in dem das Mietverhältnis gemäss Vertrag
oder Gesetz endet oder beendet werden kann (Art. 264 Abs. 2 OR). Der Vermieter
muss
BGE 134 III 267 S. 270
sich anrechnen lassen, was er an Auslagen erspart und durch anderweitige
Verwendung der Sache gewinnt oder absichtlich zu gewinnen unterlassen hat (Art.
264 Abs. 3 OR).
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist nicht grundsätzlich zu
entscheiden, ob der Anspruch nach Art. 264 Abs. 2 OR als vertraglicher
Erfüllungsanspruch oder als gesetzliche Ersatzpflicht zu qualifizieren ist.
Vielmehr stellt sich die Frage, ob der Mietvertrag im Falle der Rückgabe des
Mietobjekts ohne Nennung eines zumutbaren Nachmieters einen Rechtsöffnungstitel
darstellt (s. unten, E. 3).

1.2.1 Gemäss den Ausführungen der Beschwerdeführerin stellt diese Frage eine
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Es komme in der Praxis häufig
vor, dass Mieter das Mietobjekt ausserterminlich kündigten. Diese Frage sei
insbesondere im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht von erheblicher praktischer
Bedeutung, da die Auslegung von Art. 264 OR durch das Bezirksgericht zu
zahlreichen Prozessen führte.

1.2.2 Die Beschwerdegegnerin wendet in ihrer Vernehmlassung dagegen ein, es
bestehe kein Anlass, die Beschwerde zu behandeln, da es aller Voraussicht nach
gleichartige Sachverhalte geben werde, bei denen die Streitwertgrenze erreicht
werde.

1.2.3 Die Frage, ob im Falle der vorzeitigen Rückgabe des Mietobjekts der
Mietvertrag ohne Nennung eines zumutbaren Nachmieters einen Rechtsöffnungstitel
darstellt oder nicht, hat das Bundesgericht bislang nicht entschieden; sie ist
somit neu. Betreffend die Qualifikation des Mietvertrags als
Rechtsöffnungstitel bei vorzeitiger Rückgabe des Mietobjekts bestehen
unterschiedliche kantonale Praxen (wie die Vorinstanzen bereits der Entscheid
des Bezirksgerichts Zürich vom 10. Juni 2003, in: mp 2004 S. 31 f.; abweichend
der Entscheid des Präsidenten der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St.
Gallen vom 4. Juli 2007, VZ.2007.13, E. III.2a; Urteil des
Kantonsgerichtsausschusses Graubünden vom 18. Mai 1993, in: Die Praxis des
Kantonsgerichtes von Graubünden [PKG] 1993 S. 76 f.; vgl. auch POLIVKA,
Kommentar zum Urteil 4C.36/2005 vom 24. Juni 2005, in: MietRecht Aktuell [MRA]
2005 Rz. 3.1.4 S. 219).
Grundsätzlich besteht ein allgemeines Interesse, dass diese sich in der Praxis
immer wieder stellende Frage vom Bundesgericht mit freier Kognition geklärt und
damit im Interesse der Rechtssicherheit eine einheitliche Anwendung und
Auslegung des Bundesrechts herbeigeführt wird (vgl. dazu BGE 133 III 645 E. 2.4
S. 649), zumal
BGE 134 III 267 S. 271
die Wahrscheinlichkeit, dass diese Frage dem Bundesgericht je unterbreitet
werden kann, infolge der Streitwertgrenze äusserst gering ist, da der
Streitwert vorliegend selbst bei einem vertraglich vereinbarten Mietzins von
jährlich Fr. 60'480.- nicht erreicht wird.
Es ist somit von einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auszugehen.
Demgemäss erweist sich die Beschwerde in Zivilsachen als zulässig und ist auf
sie einzutreten.

2. Das Obergericht erwog, dass sich die erste Instanz auf eine Lehrmeinung
gestützt habe - es wird auf HIGI, Zürcher Kommentar, N. 71 zu Art. 264 OR,
Bezug genommen -, wonach der Mieter, welcher die Mietsache dem Vermieter gemäss
Art. 264 Abs. 1 OR zurückgegeben hat, ohne einen tauglichen Ersatzmieter zu
stellen, in Annahmeverzug gerate, mit der Rechtswirkung, dass kein
Mietverhältnis mehr bestehe und eine gesetzliche Ersatzpflicht des Mieters an
die Stelle der vertraglichen Erfüllungspflicht trete. Diese Auffassung stimme
insofern mit derjenigen der Beschwerdeführerin überein, als auch diese davon
ausgehe, dass die Beschwerdegegnerin für ausstehende Mietzinsleistungen bis zum
Ablauf der befristeten Mietzeit hafte. Das Bezirksgericht habe vorfrageweise
geprüft, ob die in Betreibung gesetzte Forderung als vertragliche
Leistungspflicht oder gesetzliche Ersatzpflicht zu qualifizieren sei, sich
dabei auf die erwähnte Lehrmeinung gestützt und aufgrund der Annahme, dass ab
dem 1. Dezember 2006 kein Mietverhältnis mehr bestanden habe, dem Mietvertrag
ab diesem Zeitpunkt die Qualität eines Rechtsöffnungstitels nach Art. 82 SchKG
abgesprochen. Es handle sich dabei nicht um eine Verletzung klaren materiellen
Rechts, wie sie für die Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Ziff. 3 ZPO/ZH
erforderlich sei, da die Auslegung von Art. 264 OR durch die Vorinstanz nicht
als klar unrichtig, sondern als nachvollziehbar begründet zu betrachten sei.
Sie stütze sich auf einen für das Mietrecht bedeutenden Kommentar des
Obligationenrechts. Ausserdem ergebe sich aus dem Umstand, dass in dieser Frage
unterschiedliche Lehrmeinungen bestünden, dass nicht von klarem materiellen
Recht gesprochen werden könne. Ferner resultiere aus der Lehrmeinung von
Stücheli (Die Rechtsöffnung, Diss. Zürich 2000, S. 363), dass nach Beendigung
des Mietverhältnisses für Schadenersatzanspruch keine Rechtsöffnung mehr
erteilt werden könne, selbst wenn dieser dem bisherigen Mietzins entspreche.
Die Beschwerdeführerin habe nicht dargelegt, weshalb der von der
Beschwerdegegnerin unterzeichneten Verpflichtung zur Mietzinszahlung entgegen
dieser vollstreckungsrechtlichen
BGE 134 III 267 S. 272
Lehrmeinung auch für die Zeit nach der Rückgabe des Mietobjekts zwingend die
Qualität eines Rechtsöffnungstitels zuerkannt werden müsse.

3. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, bildet der Mietvertrag auch
bei vorzeitiger Rückgabe der Mietsache Grundlage für die Leistungspflichten des
Mieters und anerkennt der Mieter mit dessen Unterzeichnung seine entsprechende
Verpflichtung.
Entgegen den vorinstanzlichen Ausführungen vertritt HIGI nicht die Auffassung,
dass der Mietvertrag im Falle von Art. 264 Abs. 2 OR dahinfalle. Vielmehr
ergibt sich seiner Ansicht nach aus Art. 264 OR nur dann ein besonderer
Beendigungsgrund des Mietverhältnisses, wenn die entsprechenden Voraussetzungen
- Rückgabe der Mietsache und Stellung eines zumutbaren Nachmieters - erfüllt
sind, ansonsten das Mietverhältnis ordentlicherweise ende (HIGI, a.a.O., N. 5
zu Art. 264 OR). Daraus folgt auch, dass Higi nicht - wie das Obergericht
ausführt - von einer gesetzlichen, sondern von einer vertraglichen
Ersatzpflicht auszugehen scheint (HIGI, a.a.O., N. 71 zu Art. 264 OR; vgl. auch
Huber, Die vorzeitige Rückgabe der Mietwohnung, Diss. St. Gallen 2000, S. 128,
mit Hinweisen). Unbehelflich sind ebenfalls die weiteren Verweise in der
Verfügung des Bezirksgerichts auf BGE 63 II 368 E. 3 S. 372 f. sowie auf HIGI,
a.a.O., N. 58 und 71 zu Art. 267 OR. In den zitierten Stellen geht es nicht um
den Fall der vorzeitigen Rückgabe des Mietobjekts, sondern um die Frage der
Mietzinsforderung nach Vertragsablauf bei verspäteter Rückgabe des Mietobjekts.
Im Übrigen äussert sich HIGI nicht zur Frage, ob der Mietvertrag in den Fällen
von Art. 264 Abs. 2 OR als Rechtsöffnungstitel zu qualifizieren ist.
Ob der Anspruch nach Art. 264 Abs. 2 OR als Erfüllungsanspruch oder als
Ersatzpflicht zu qualifizieren ist, kann vorliegend offenbleiben. Selbst wenn
der Anspruch des Vermieters als Ersatzanspruch betrachtet würde, liesse sich
daraus für die Frage der Qualifikation des Mietvertrags als Rechtsöffnungstitel
nichts ableiten: Mit der Unterzeichnung des Mietvertrags anerkennt der Mieter
die Pflicht zur Mietzinszahlung nicht nur für die Dauer des Besitzes der
Mietsache. Vielmehr bezieht sich die Anerkennung auf die gesamte Vertragsdauer.
Daran ändert auch die Regelung in Art. 264 Abs. 3 OR nichts; die entsprechenden
Umstände, welche zu einer Reduktion der Leistungspflicht führen, sind
gegebenenfalls vom Mieter als Einwendungen im Rechtsöffnungsverfahren (Art. 82
Abs. 2 SchKG) geltend zu machen.
BGE 134 III 267 S. 273
Wie die Beschwerdeführerin ferner zutreffend ausführt, hält auch der
vorinstanzliche Hinweis auf die Auffassung von STÜCHELI nicht Stich: Dieser
führt an anderer Stelle aus, der Mieter könne die vorzeitige Entlassung aus
seiner Leistungspflicht im Rechtsöffnungsverfahren einredeweise nur geltend
machen, wenn er glaubhaft mache, dass er das Mietobjekt zurückgegeben sowie
einen zumutbaren Nachmieter gestellt habe (STÜCHELI, a.a.O., S. 368). Gelingt
dies dem Mieter nicht, so ist auch nach Auffassung von STÜCHELI die
provisorische Rechtsöffnung für die bis zum nächstmöglichen ordentlichen
Kündigungstermin geschuldeten Mietzinsen zu gewähren (STÜCHELI, a.a.O., S.
368). Die vom Obergericht zitierte Stelle bezieht sich auf den Fall, dass der
Mietvertrag beendigt ist, was im Falle der blossen vorzeitigen Rückgabe der
Mietsache gerade nicht zutrifft.
Insgesamt ergibt sich somit, dass ein Mietvertrag im Falle der Rückgabe des
Mietobjekts ohne Nennung eines zumutbaren Nachmieters seine Eigenschaft als
provisorischer Rechtsöffnungstitel nicht verliert und die Vorinstanzen insofern
Bundesrecht verletzt haben.