Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 V 607



Urteilskopf

133 V 607

  78. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. W.
gegen Pensionskasse Y. sowie Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  B 5/07 vom 19. September 2007

Regeste

  Art. 23 Abs. 1 FZG (in der bis 31. Dezember 2004 in Kraft gewesenen
Fassung); Anspruch auf freie Stiftungsmittel bei unfreiwilliger Auflösung
des Arbeitsvertrages.

  Die bei der Verteilung der freien Stiftungsmittel nach BGE 128 II 394 zu
beachtenden Grundsätze gelten nicht nur bei Teil- oder Gesamtliquidationen,
sondern allgemein bei Ausschüttungen (E. 4.2.3).

  Anwendung dieses Grundsatzes auf den Fall von während einer Übergangsfrist
ausgeschütteten transition benefits (E. 4.3).

Sachverhalt

  A.- Der 1957 geborene W. war seit 1. März 1978 bei der Bank X. angestellt
und bei der Pensionskasse Y. (nachfolgend: PK Y.) berufsvorsorgeversichert.
Am 26. August 2002 kündigte ihm die Bank X. das Arbeitsverhältnis "as a
result of organisation changes" auf den 28. Februar 2003. Der Stiftungsrat
der PK Y. genehmigte am 23. Mai 2002 ein neues Reglement, mit welchem deren
Leistungen auf das Beitragsprimat umgestellt wurden. Ab dem Zeitpunkt des
Inkrafttretens des neuen Reglementes (1. Oktober 2002) wurden den
Versicherten während einer Übergangsfrist von zwei Jahren monatliche, aus
den freien Stiftungsmitteln finanzierte sog. "transition benefits" auf ihrem
Alterskonto gutgeschrieben. Die persönlichen Übergangsgutschriften (im
Folgenden: transition benefits) von W. wurden auf monatlich Fr. 15'510.-
festgesetzt. Die PK Y. schrieb in der Folge bis und mit Februar 2003 fünf
monatliche transition benefits à Fr. 15'510.- auf dem Alterskonto von W. gut
und stellte ihm am 17. Februar 2003 die Abrechnung seiner Austrittsleistung
per 28. Februar 2003 zu, welche keine weiteren transition benefits mehr
umfasste. Nachdem W. bereits am 24. Dezember 2002 um Auszahlung der nach der
Auflösung des Arbeitsverhältnisses fällig werdenden transition benefits
ersucht hatte, beschloss der Stiftungsrat am 23. Mai 2003 einen Anhang zum
Reglement vom 23. Mai 2002, der u.a. folgende Übergangsregelung enthielt:

   "2. Dem Alterskonto eines berechtigten Versicherten wird monatlich
    nachschüssig während der Übergangsdauer, bei Beendigung des
    Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber jedoch längstens bis zum Ende
    der

    Kündigungsfrist eine Übergangsgutschrift gutgeschrieben. Die
    Übergangsdauer entspricht der Anzahl Monate zwischen 1. Oktober 2002 und
    der Erfüllung der Bedingungen für eine vorzeitige Pensionierung gemäss
    vorherigem Reglement, höchstens jedoch 24 Monaten."

  Das Amt für berufliche Vorsorge und Stiftungen genehmigte diese
Übergangsregelung am 4. August 2003 vorbehaltlos. Gestützt darauf und auf
ein entsprechendes Memorandum des Stiftungsrates vom 26. Juni 2003 teilte
die PK Y. W. am 6. Oktober 2003 mit, dass ihm für die Zeit nach Auflösung
seines Arbeitsverhältnisses ab 1. März 2003 keine transition benefits mehr
zustünden. Daran hielt sie in ihrer Antwort vom 15. Januar 2004 auf eine
Intervention des Rechtsvertreters von W. vom 4. Dezember 2003 hin fest.

  B.- Am 4. Februar 2004 liess W. Klage erheben mit dem Rechtsbegehren, die
PK Y. sei zu verpflichten, ihm zusätzlich zur bereits ausgerichteten
Austrittsleistung Fr. 294'690.- nebst Zins von 5 % ab 1. März 2003 auf sein
Freizügigkeitskonto zu überweisen. Das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich führte einen dreifachen Schriftenwechsel durch und hiess die
Klage mit Entscheid vom 30. November 2006 teilweise gut, indem es die PK Y.
verpflichtete, dem Kläger eine Zusatzgutschrift von Fr. 46'530.- zuzüglich
Zins von 3,5 % seit 1. März 2003, 2,5 % seit 1. Januar 2004 und 3,5 % seit
1. Januar 2005 auszurichten.

  C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt W. sein Klagebegehren auf
Zusprechung einer Zusatzgutschrift von Fr. 294'690.- erneuern und beantragt
deren Verzinsung mit 3,5 % ab 1. März 2003, 2,5 % ab 1. Januar 2004 und 3,5
% ab 1. Januar 2005.

  Die PK Y. schliesst auf Abweisung der Klage, eventuell der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung verzichtet.

  D.- Am 19. September 2007 hat das Bundesgericht eine parteiöffentliche
Beratung durchgeführt.

  Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.

  4.1  Das Reglement vom 23. Mai 2002 enthält keine Regelung der
übergangsrechtlichen Frage, welchem rechtlichen Schicksal die transition
benefits jener Versicherten unterliegen, die während der Übergangsfrist von
zwei Jahren (1. Oktober 2002 bis 30. September 2004)

aus dem Arbeitsverhältnis mit der Bank X. und damit aus deren
Vorsorgeeinrichtung ausscheiden. Es liegt diesbezüglich eine Reglementslücke
vor. Die Lückenfüllung erfolgt bei reglementarisch vorformulierten
Vorsorgeverträgen in analoger Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen von
Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB, welche für die richterliche Schliessung von
Gesetzeslücken gelten (BGE 129 V 145 E. 3.1 S. 148). Damit wird namentlich
die analoge Anwendung von gesetzlichen Regelungen ermöglicht, welche eine
Normierung der im konkreten Vorsorgevertrag offengelassenen, aber
notwendigerweise zu beantwortenden Fragen enthalten (HANS MICHAEL RIEMER,
Vorsorge-, Fürsorge- und Sparverträge der beruflichen Vorsorge, in:
Innominatverträge, Festgabe zum 60. Geburtstag von Walter René Schluep,
Zürich 1988, S. 239; RIEMER/RIEMER- KAFKA, Das Recht der beruflichen
Vorsorge in der Schweiz, 2. Aufl., Bern 2006, § 4 Rz. 19 S. 94).

  4.2  Die im vorliegenden Fall im Zuge der Umstellung vom Leistungs- auf
das Beitragsprimat den Versicherten ausgerichteten transition benefits
wurden aus den freien Stiftungsmitteln finanziert. Eine gesetzliche Regelung
der freien Stiftungsmittel wurde erst mit dem am 1. Januar 1995 in Kraft
getretenen Bundesgesetz vom 17. Dezember 1993 über die Freizügigkeit in der
beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge
(Freizügigkeitsgesetz, FZG; SR 831.42) getroffen. Nach Art. 23 Abs. 1 FZG
(in der bis 31. Dezember 2004 in Kraft gewesenen Fassung) besteht bei einer
Teil- oder Gesamtliquidation neben dem Anspruch auf die Austrittsleistung
ein individueller oder kollektiver Anspruch auf freie Mittel (Satz 1). Die
Aufsichtsbehörde entscheidet darüber, ob die Voraussetzungen für eine Teil-
oder Gesamtliquidation erfüllt sind (Satz 2). Sie genehmigt den
Verteilungsplan (Satz 3).

  4.2.1  Diese für den Fall der Teil- oder Gesamtliquidation einer
Vorsorgeeinrichtung seit 1. Januar 1995 geltende gesetzliche Regelung beruht
auf den beiden schon vorher von der Rechtsprechung aus dem Grundsatz von
Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB) und der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1
BV/Art. 4 aBV) abgeleiteten stiftungsrechtlichen Grundsätzen, dass das
Personalvorsorgevermögen - bei grösseren Personalabgängen - den bisherigen
Destinatären folgt und die Vorsorgeeinrichtungen zur Gleichbehandlung
verschiedener Destinatärsgruppen verpflichtet sind. Namentlich entspricht es
dem stiftungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, dass die geäufneten
freien Mittel - soweit wie möglich und

nötig - unabhängig von der Organisationsform der Vorsorgeeinrichtung
periodisch umgesetzt, d.h. für jene Versicherten (aktive und passive)
verwendet werden, die an deren Äufnung beteiligt waren. Auf diese Weise
lässt sich eine Überkapitalisierung der Vorsorgeeinrichtung vermeiden, die
unter dem Gesichtswinkel des Gleichbehandlungsgrundsatzes problematisch
erscheint, weil jene Versicherten, welche vor Eintritt des
Versicherungsfalles aus der Vorsorgeeinrichtung ausscheiden, lediglich die
Freizügigkeitsleistung ausbezahlt erhalten, ohne am Überschuss zu
partizipieren, der auch mit ihren Beiträgen erwirtschaftet worden ist (BGE
128 II 394 E. 3.2 S. 397 mit Hinweisen auf Urteile 2A.539/1997 vom 30. April
1998 und 2A.101/2000 vom 26. November 2001; 119 Ib 46 E. 4c S. 54; 110 II
436 E. 4 S. 434; SZS 1985 S. 200, E. 6, A.519/1984).

  4.2.2  Zugleich hat aber die Rechtsprechung im Zusammenhang mit Teil- oder
Gesamtliquidationen wiederholt entschieden, dass es den Grundsatz der
Gleichbehandlung der Destinatäre nicht verletzt, wenn bei der Verteilung der
freien Stiftungsmittel die freiwillig aus einer Vorsorgeeinrichtung
Ausgeschiedenen nicht berücksichtigt werden. Andernfalls hätte es der
Mitarbeiter, der freiwillig mehrfach den Arbeitgeber wechselt, in der Hand,
jedes Mal beim Ausscheiden aus der jeweiligen Personalvorsorgestiftung
Anspruch auf einen Anteil an den freien Mitteln zu erheben, womit die
gesetzlichen Bestimmungen über die Freizügigkeit und die entsprechenden
reglementarischen Bestimmungen ihren Sinn verlören (BGE 128 II 394 E. 5.6 S.
403 mit Hinweis auf Urteil 2A.92/1993 vom 22. März 1995).

  4.2.3  Diese Grundsätze über die Verteilung freier Stiftungsmittel gelten,
weil sie auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen beruhen, nicht nur im Falle einer
Teil- oder Gesamtliquidation einer Vorsorgeeinrichtung, sondern allgemein
bei Ausschüttungen, und zwar gerade auch dann, wenn es um
Ermessensleistungen aus allein vom Arbeitgeber geäufnetem Vermögen einer
Vorsorgeeinrichtung geht und die Destinatäre auf die Leistungen keinen
individuellen oder kollektiven Rechtsanspruch, sondern bloss Anwartschaften
haben (Urteil 2A.606/2006 vom 18. April 2007, E. 2.1).

  4.3  Nach Massgabe dieser die Verteilung freier Stiftungsmittel auch
ausserhalb einer Teil- oder Gesamtliquidation beherrschenden
Rechtsgrundsätze kann es nicht zweifelhaft sein, dass eine
Übergangsregelung, mit welcher - wie im vorliegenden Fall - freie

Stiftungsmittel während einer zweijährigen Übergangsfrist und in Form von 24
monatlichen transition benefits zeitlich und quantitativ gestaffelt verteilt
werden, die stiftungsrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung der
bisherigen Destinatäre und der Personalvorsorgevermögensnachfolge verletzt,
wenn von der Arbeitgeberfirma während der Übergangsfrist entlassene
Mitarbeiter von der späteren Verteilung pro rata temporis ausgeschlossen
werden. Es fehlt jedenfalls bei so langjährigen Mitarbeitern wie dem
Beschwerdeführer jeder sachliche Grund, der es rechtfertigen könnte, ihnen
die während ihrer Zugehörigkeit zur Vorsorgeeinrichtung geäufneten freien
Stiftungsmittel anteilsmässig wieder zu entziehen, wenn sie kurz nach
Inkrafttreten des auf zwei Jahre gestaffelten Verteilungsplanes - hier vom
1. Oktober 2002 bis 30. September 2004 - unfreiwillig zufolge Entlassung aus
der Vorsorgeeinrichtung ausscheiden müssen. Hätte der Stiftungsrat die
Notwendigkeit einer Übergangsregelung für die während der zweijährigen
Übergangsfrist aus der Vorsorgeeinrichtung ausscheidenden Versicherten
bereits im Mai 2002 bei Erlass des neuen Reglementes erkannt, hätte es
seinem hypothetischen Parteiwillen entsprochen, zwischen freiwillig und
unfreiwillig ausscheidenden Versicherten zu unterscheiden und nur ersteren
die ab Beendigung des Arbeits- und Vorsorgeverhältnisses fällig werdenden
transition benefits zu verweigern. Damit hätte er eine Unterscheidung
getroffen, welche der Stiftungsrat im Rahmen des ihm bei der Verteilung
freier Stiftungsmittel zustehenden Ermessens notwendigerweise zu treffen
hat. Denn die dargelegten, die Verteilung von freien Stiftungsmitteln
beherrschenden Rechtsgrundsätze haben gerade den Schutz der unfreiwillig aus
der Vorsorgeeinrichtung ausscheidenden Versicherten zum Zweck. Dies
erfordert, dass der Stiftungsrat sie im Rahmen einer nach seinem Ermessen zu
treffenden Übergangsregelung nicht gleich behandelt wie die freiwillig
Ausgeschiedenen.

  4.4  Zusammenfassend hat demgemäss die richterliche Füllung der im
Reglement vom 23. Mai 2002 vorhandenen übergangsrechtlichen Regelungslücke
betreffend die während der zweijährigen Übergangsfrist fällig gewordenen
transition benefits dahingehend zu erfolgen, dass den in der Zeit vom 1.
Oktober 2002 bis 30. September 2004 unfreiwillig aus der PK Y.
ausgeschiedenen Versicherten die nach der Beendigung des
Vorsorgeverhältnisses fällig gewordenen monatlichen transition benefits
zustehen, den freiwillig Ausgeschiedenen dagegen nicht. Der Beschwerdeführer
hat daher Anspruch

auf alle in der Zeit vom 1. März 2003 bis 30. September 2004 fällig
gewordenen transition benefits. Das sind 19 Monatsbetreffnisse à Fr.
15'510.- oder gesamthaft Fr. 294'690.-.