Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 V 587



Urteilskopf

133 V 587

  75. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Kanton
X. gegen Staatssekretariat für Wirtschaft sowie Rekurskommission des
Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  C 263/06 vom 3. September 2007

Regeste

  Art. 92 Abs. 7 AVIG (in der vom 1. Juli 2003 bis 31. März 2006 geltenden
Fassung); Art. 122a AVIV (in der ab 1. Juli 2003 geltenden Fassung); Art. 1
ff. der Verordnung vom 29. Juni 2001 über die Entschädigung der Kantone für
den Vollzug des Arbeitslosenversicherungsgesetzes: Entschädigung der Kantone
für Verwaltungs- und Vollzugskosten durch den Ausgleichsfonds der
Arbeitslosenversicherung.

  Ausserordentliche Aufwendungen (Honorar für Beratung durch Dritte,
Genugtuungssumme) zur Bewältigung eines Konfliktes (Freistellung von
Kaderangehörigen) stellen keine anrechenbaren Kosten im Sinne des Gesetzes
dar und sind demnach vom Ausgleichsfonds nicht zu entschädigen (E. 4 und 5).

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.

  4.1  Gemäss Art. 92 Abs. 7 AVIG vergütet der Ausgleichsfonds den Kantonen
die anrechenbaren Kosten, die ihnen bei der Durchführung der ihnen
übertragenen Aufgaben anfallen. Was unter die anrechenbaren Kosten fällt,
wird durch das Gesetz nicht näher umschrieben. Auch Art. 122a AVIV
konkretisiert diesen Begriff nicht detailliert. Nach Abs. 1 dieser
Bestimmung sind "Betriebs- und Investitionskosten" anrechenbar. Es ist
indessen nicht näher definiert, was darunter zu verstehen ist. Dasselbe gilt
für Art. 2 Satz 1 der Verordnung vom 29. Juni 2001 über die Entschädigung
der Kantone für den Vollzug des Arbeitslosenversicherungsgesetzes
(nachstehend: AVIG-Vollzugskostenentschädigungsverordnung; SR 837.023.3), wo
ebenfalls nicht näher ausgeführt wird, welche Auslagen anrechenbare
Betriebs- und Investitionskosten sind. Art. 4 und 5 dieser Verordnung
beschreiben lediglich die Berechnung der maximalen Entschädigung. Dabei
werden die anrechenbaren Kosten anhand der in Art. 3 Abs. 1 festgehaltenen
Bezugsgrösse (Jahresdurchschnitt der gemeldeten Stellensuchenden pro Kanton)
ermittelt,

wobei nach dem jeweiligen Abs. 3 nur die effektiv angefallenen,
anrechenbaren Kosten vergütet werden.

  4.2  Der Umstand, dass das Gesetz von "anrechenbaren Kosten" spricht (Art.
92 Abs. 7 Satz 1 AVIG), deutet darauf hin, dass nicht sämtliche irgendwie
anfallenden Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Vollzug der dem Kanton
übertragenen Aufgaben übernommen werden. Vielmehr will der Gesetzgeber
dadurch eine Beschränkung der Kosten erreichen. Zu erstatten ist demnach der
übliche Vollzugsaufwand. Darunter muss das verstanden werden, was
normalerweise beim Vollzug der übertragenen Aufgaben anfällt. Die
Konkretisierung wird dem Rechtsanwender überlassen.

  4.3  Dass nicht alle dem Kanton anfallenden Kosten zu übernehmen sind,
ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des heutigen Art. 92 Abs. 7
AVIG.

  Das AVIG kannte in seiner ursprünglichen Fassung keine Entschädigung für
die Vollzugskosten der Kantone (BBl 1980 III 489, S. 630 und 678; AS 1982 S.
2184, 2214). Erst mit Änderung vom 6. Oktober 1989 (im Rahmen des
Bundesgesetzes über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih [SR
823.11]) erhielten die Kantone für die Durchführung der den öffentlichen
Arbeitsvermittlungsstellen übertragenen Aufgaben Kostenersatz (Art. 92 Abs.
6 AVIG; BBl 1985 III 556, S. 585 und 656; AS 1991 S. 392, 406). Bereits
damals wurde der Begriff "anrechenbare Kosten" verwendet, dessen genauere
Bestimmung jedoch dem Bundesrat überlassen. Abs. 7 von Art. 92 AVIG wurde
mit Änderung vom 23. Juni 1995 geschaffen (BBl 1994 I 340, S. 365 und 382;
AS 1995 S. 273, 290). Dabei ging es gemäss Botschaft um die Erstattung der
Mehrkosten infolge andauernder erheblicher Arbeitslosigkeit; das Gesetz
regelte hingegen die Entschädigung der Kosten im Rahmen der neu zu
schaffenden Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) generell, ohne die
kantonalen Amtsstellen (KIGA, AWA) zu erwähnen. Mit Änderung vom 23. Juni
2000 (BBl 2000 S. 1673, 1686 und 1692; AS 2000 S. 3093, 3095) wurden die
bisherigen Abs. 6 und 7 in einem neuen Abs. 7 zusammengefasst, wie er im
Wesentlichen bis heute gilt.

  4.4  Eine Beschränkung des Kostenbeitrages ist denn auch mit Blick auf die
Gleichbehandlung der Kantone als Beitragsempfänger notwendig; andernfalls
würden Kantone, die sich beim Vollzug der ihnen übertragenen Aufgaben nicht
um Effizienz bemühen, gegenüber

solchen, die sich auf den effektiv nötigen Aufwand beschränken, bevorteilt.

  4.5  Art. 122a Abs. 4 bis 8 AVIV umschreibt das Verfahren zur Bestimmung
der anrechenbaren Kosten. Die Kantone haben eine Abrechnung vorzulegen. Es
findet eine Überprüfung der von den Kantonen geltend gemachten Aufwendungen
durch die Ausgleichsstelle statt. Der Umstand, dass dieses Verfahren
zwingend vorgeschrieben ist, lässt ebenfalls darauf schliessen, dass nicht
sämtliche den Kantonen anfallende Kosten vom Ausgleichsfonds übernommen
werden. Andernfalls wäre ein derartiges Verfahren nicht nötig.

Erwägung 5

  5.

  5.1  Die vom Kanton geltend gemachten Aufwendungen sind nach den
übereinstimmenden Darlegungen der Parteien im Zusammenhang mit personellen
Unstimmigkeiten entstanden. Sie sind im weitesten Sinne als Personalaufwand
und damit als Betriebskosten zu betrachten.

  5.2  Nach den massgeblichen Weisungen des Staatssekretariats für
Wirtschaft (seco; Finanzweisung betreffend die Kantone [RAV/LAM/KAST]
1/2004 und 5/2004 [nachstehend: Finanzweisung RAV/LAM/KAST]) vergütet das
seco den Kantonen die Lohnkosten sowie die Sozialleistungen für die
(abschliessend) aufgezählten Personalkategorien. Darunter fallen neben den
eigentlichen Sachbearbeitern auch die Mitarbeiter für das Personal- und
Finanzwesen (vgl. Finanzweisung RAV/LAM/KAST 1/2004 Ziff. 2 a1 Nr. 80).

  Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, können die geltend gemachten Kosten
nicht als Gehälter und Löhne im Sinne der genannten Finanzweisung betrachtet
werden, da darunter nur Personal zu verstehen ist, welches amtsspezifische
Aufgaben wahrnimmt (vgl. Finanzweisung RAV/LAM/KAST 1/2004 Ziff. 2 a1). Bei
der strittigen Administrativuntersuchung handelt sich denn auch nicht um
ordentliche Ausgaben, die beim üblichen Vollzug der dem Kanton übertragenen
Aufgaben anfallen. Vielmehr geht es um einen ausserordentlichen Aufwand, der
- wie der Kanton selber einräumt - als Folge einer ausserordentlichen
personellen Situation notwendig wurde und offenbar mit dem eigenen,
vergütungsberechtigten Personaldienst nicht bewältigt werden konnte. Es mag
zwar richtig sein, dass jede Amtsstelle zu irgendeinem Zeitpunkt mit
derartigen aussergewöhnlichen Situationen konfrontiert sein kann und ihr
daraus ein - ausserordentlicher - Aufwand erwächst. Daraus kann indessen

nicht abgeleitet werden, dass solche Ausgaben auch anrechenbar im Sinne von
Art. 92 Abs. 7 AVIG sein müssen. Solches träfe nur dann zu, wenn der
Gesetzgeber den Ausgleichsfonds verpflichtete, für sämtliche Aufwendungen im
Zusammenhang mit dem Vollzug der Aufgaben aufzukommen. Dies trifft aber
gerade nicht zu (vgl. E. 4).

  5.3  Die geltend gemachten Aufwendungen können auch nicht unter die Rubrik
"Honorare" im Sinne der genannten Finanzweisungen fallen. Denn dabei handelt
es sich durchwegs um Entgelte für Beratungen sowie Dienstleistungen zu
Gunsten der versicherten Personen und nicht der Durchführungsorgane (vgl.
Finanzweisung  RAV/LAM/KAST 1/2004 Ziff. 2 R2).

  5.4  Schliesslich handelt es sich bei den strittigen Auslagen auch nicht
um Kosten im Sinne von Art. 7 AVIG-Vollzugskostenentschädigungsverordnung;
denn zu den Kosten gemäss Satz 1 dieser Bestimmung zählen nur jene Ausgaben,
welche zu den anrechenbaren Betriebs- oder Investitionskosten gehören,
infolge einer besonderen Situation aber über den maximal anrechenbaren
Kosten liegen. Die geltend gemachten Aufwendungen werden vom seco jedoch
nicht entschädigt, weil sie keine anrechenbaren Kosten darstellen und nicht
weil sie über dem Höchstbetrag gemäss Art. 4 und 5
AVIG-Vollzugskostenentschädigungsverordnung liegen.

Erwägung 6

  6.

  6.1  Verwaltungsweisungen richten sich an die Durchführungsstellen und
sind für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich. Dieses soll sie
bei seiner Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall
angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen
Bestimmungen zulassen. Das Gericht weicht also nicht ohne triftigen Grund
von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung
der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der
Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu
gewährleisten, Rechnung getragen (BGE 132 V 121 E. 4.4 S. 125, 321 E. 3.3 S.
324).

  6.2  Entgegen der Ansicht des Kantons kann nicht gesagt werden, die
genannten Finanzweisungen seien gesetzwidrig, da das AVIG eine Beschränkung
des Aufwandes nicht zulasse. Vielmehr entspricht es sowohl dem Wortlaut als
auch dem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der
Gesetzesbestimmung, dass näher

umschrieben wird, was das Gesetz unter anrechenbaren Kosten versteht (vgl.
E. 4). Dass dabei den Kantonen überhaupt kein ungedeckter Aufwand mehr
verbleibt, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.