Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 V 33



Urteilskopf

133 V 33

  5. Auszug aus dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts i.S. X.
gegen Eidgenössisches Departement des Innern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  K 163/03 vom 27. März 2006

Regeste

  Art. 35 Abs. 2 lit. f und Art. 38 KVG; Art. 54 Abs. 3 und 4 KVV; Art. 42
Abs. 3 und 4 KLV; Bundesgesetz betreffend die Freizügigkeit des
Medizinalpersonals in der Schweizerischen Eidgenossenschaft (FMPG; Fassung
gemäss Ziff. I 3 des Bundesgesetzes vom 8. Oktober 1999 zum FZA; in Kraft
seit 1. Juni 2002); Art. 2 und 9 FZA; Art. 1 von Anhang III zum FZA;
Abschnitt A Bst. C Anhang III zum FZA (in der bis 29. April 2004 gültig
gewesenen Fassung); Richtlinien 89/48/EWG, 92/51/EWG und 93/16/EWG;
Reglement und Weiterbildungsprogramm zum Spezialisten für labormedizinische
Analytik gemäss Schweizerischem Verband der Leiter medizinisch-analytischer
Laboratorien (Foederatio Analyticorum Medicinalium Helveticorum [FAMH]; ab
1. März 2001 gültige Fassung): Anerkennung von ausländischen Diplomen,
Zeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen.

  Prüfungskriterien für die Beurteilung der Gleichwertigkeit einer in
Deutschland absolvierten Weiterbildung eines Arztes zum "Laborarzt" mit
anschliessender praktischer Tätigkeit als Leiter eines
medizinisch-analytischen Labors in Deutschland im Rahmen der Zulassung als
Leistungserbringer unter dem Titel Laborleiter zu Lasten der obligatorischen
Krankenversicherung in der Schweiz.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Streitig ist, ob der Beschwerdeführer über eine den Regelungen des
Schweizerischen Verbandes der Leiter medizinisch-analytischer Laboratorien
(Foederatio Analyticorum Medicinalium Helveticorum; nachfolgend: FAMH)
gleichwertige Weiterbildung im Sinne von Art. 42 Abs. 3 Satz 2 KLV verfügt.
Das Eidgenössische Departement des Innern hat dies verneint, da weder mit
Bezug auf eine monodisziplinäre FAMH-Weiterbildung in einem der vom
Gesuchsteller gewünschten Bereiche (Hämatologie, klinische Chemie, klinische
Immunologie und medizinische Mikrobiologie) noch mit einer
pluridisziplinären FAMH-Weiterbildung die zeitlichen und inhaltlichen
Voraussetzungen erfüllt seien.

  2.2  Der Beschwerdeführer rügt eine unrichtige Auslegung des Begriffs der
gleichwertigen Aus- und Weiterbildung im Sinne von

Art. 54 Abs. 3 KVV in Verbindung mit Art. 42 Abs. 3 KLV und Art. 9 FZA.
Zudem gelte nach Art. 2 FZA ein Diskriminierungsverbot für Staatsangehörige
einer Vertragspartei. Der private FAMH- Weiterbildungstitel sei zwar in
Anhang III des Freizügigkeitsabkommens nicht formell geregelt, doch müsse
das Landesrecht in dessen Sinn und Geist ausgelegt werden. Gerügt wird
weiter, dass eine gleichwertige und nicht eine identische Aus- und
Weiterbildung von Leitern medizinisch-analytischer Laboratorien
vorausgesetzt werde. Dabei sei die Prüfung der Gleichwertigkeit nach
materiellen und inhaltlichen Kriterien und nicht nach einem zahlenmässigen
System durchzuführen. Seit 1992 führe er den Titel eines Laborarztes mit
Gültigkeit für ganz Deutschland und alle EU-Länder. Zudem sei er von 1993
bis 2001 Mitinhaber einer Gemeinschaftspraxis für Labormedizin in Nürnberg
gewesen und habe somit während mehr als acht Jahren ein Labor im Sinne von
Art. 54 Abs. 3 KVV geführt. Ausserdem habe die Vorinstanz das rechtliche
Gehör verletzt, indem sie nicht geprüft habe, ob seine Aus- und
Weiterbildung trotz formaler Unterschiede und unter Mitberücksichtigung
seiner praktischen Erfahrung inhaltlich der FAMH-Qualifikation gleichwertig
sei.
  (...)

Erwägung 9

  9.  (...)

  9.4  Bei diesen Gegebenheiten erscheint die Frage berechtigt, ob nicht ein
Teil der effektiv ausgeübten Tätigkeit als Laborleiter angerechnet oder
zumindest mitberücksichtigt werden kann. Nach den Übergangsbestimmungen des
Reglements-FAMH wird innerhalb bestimmter Grenzen eine praktische Tätigkeit
als Weiterbildung angerechnet. Dabei wird unter praktischer Erfahrung eine
hauptamtliche Tätigkeit verstanden, welche dem Inhalt des Lernzielkatalogs
entspricht (vgl. Ziff. 8.1 Abs. 1). Es betrifft dies insbesondere den
monodisziplinären Titel "Spezialist für medizinisch- genetische Analytik
FAMH" (Ziff. 8.1 Abs. 2) und den monodisziplinären Titel "Spezialist für
hämatologische Analytik FAMH" gemäss Ziff. 8.2 Abs. 2 sowie den
pluridisziplinären Titel (inkl. medizinisch-genetische Analytik; Ziff. 8.3).
Ohne dass das Reglement-FAMH eine abschliessende Übergangsordnung enthält,
können in diesen Fällen unter bestimmten Voraussetzungen jeweils zwei Jahre
praktischer Haupttätigkeit als ein Jahr Weiterbildung angerechnet werden.
Dies zeigt, dass nach dem System der Regelungen der FAMH in Bezug auf den
Ausbildungsstand und die

Fachkenntnisse eine Weiterbildungszeit durch eine Zeit praktischer Tätigkeit
kompensiert werden kann. In diesem Rahmen wird somit Gleichwertigkeit
angenommen. Auch Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung vom 17. Oktober 2001
über die Weiterbildung und die Anerkennung der Diplome und
Weiterbildungstitel der medizinischen Berufe (SR 811.113) sieht die
Anrechenbarkeit einer selbstständigen Praxistätigkeit an die geforderte
Weiterbildung vor. Die Übergangsbestimmungen kommen Personen zugute, die
während ihrer Weiterbildung oder Praxistätigkeit in zeitlicher Hinsicht noch
nicht den zur Diskussion stehenden Vorschriften unterstanden. Eine in die
Schweiz einwandernde Person befindet sich in einer vergleichbaren Situation,
indem sie während ihrer Weiterbildung oder Praxistätigkeit in räumlicher
Hinsicht noch nicht den zur Diskussion stehenden Vorschriften unterstand.
Die Richtlinien der FAMH sind so auszulegen, dass sie sich für Laborleiter
aus dem EU-Raum nicht ungünstiger auswirken als auf Personen mit einer in
der Schweiz abgeschlossenen Aus- und Weiterbildung. Daher kann die
praktische Tätigkeit bei der Prüfung der Gleichwertigkeit nicht gänzlich
ausser Acht gelassen werden. Vielmehr ist sie angemessen zu berücksichtigen.
Im Zusammenhang mit der Gleichwertigkeit ausländischer Aus- oder
Weiterbildung in durch keine Richtlinie geregelten Sachverhalten hat der
EuGH übrigens erwogen, die mit einem Antrag auf Zulassung zu einem Beruf
befasste Behörde, dessen Aufnahme nach nationalem Recht
vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von
Zeiten praktischer Erfahrung abhänge, habe sämtliche Diplome,
Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige
Erfahrung der betroffenen Person in der Weise zu berücksichtigen, dass sie
die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit
den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten
vergleiche. Führe diese vergleichende Prüfung der Diplome und der
entsprechenden Berufserfahrung zu der Feststellung, dass die durch das im
Ausland ausgestellte Diplom bescheinigten Kenntnisse und Fähigkeiten
einander nur teilweise entsprechen, so könne die zuständige Behörde vom
Betroffenen den Nachweis verlangen, dass er die nicht belegten Kenntnisse
und Fähigkeiten tatsächlich erworben habe (Urteile des EuGH vom 14.
September 2000 in der Rechtssache C-238/98, Hocsman, Slg. 2000, I-6623; vom
7. Mai 1991 in der Rechtssache C-340/89, Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357 und

vom 22. Januar 2002 in der Rechtssache C-31/00, Conseil national de l'ordre
des architectes/Nicolas Dreessen, Slg. 2002, I-663; vgl. auch JACQUES
PERTEK, L'Europe des professionnels de la santé, in: Nihoul/Simon [Hrsg.],
L'Europe et les soins de santé, Brüssel 2005, S. 231 ff.). Aufgrund der
Akten ist allerdings nicht ersichtlich, ob die Tätigkeit des
Beschwerdeführers als Laborleiter in Deutschland von ihrem Inhalt her als
dem Lernzielkatalog der FAMH entsprechend bewertet werden kann.

  9.5  (Rückweisung zu ergänzender Sachverhaltsabklärung und neuem
Entscheid)