Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 V 297



Urteilskopf

133 V 297

  39. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A.
gegen Ausgleichskasse sowie Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  H 151/05 vom 2. Mai 2007

Regeste

  Art. 6 Abs. 2 lit. g AHVV; Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 5 zweiter Satz sowie
Art. 10 Abs. 1, 2 und 3 AHVG: Beitragsrechtliche Qualifikation von
Zuwendungen des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der
wissenschaftlichen Forschung.

  Die den Forschern ausgerichteten Zuwendungen des Nationalfonds stellen, ob
sie nun als Stipendien oder Forschungsbeiträge bezeichnet werden und darin
ein persönlicher Beitrag an den Lebensunterhalt mitenthalten ist oder nicht,
kein beitragspflichtiges Erwerbseinkommen dar (E. 2-4).

Sachverhalt

  A.- Der 1937 geborene Sprachwissenschafter Prof. Dr. phil. A. war seit
vielen Jahren teilzeitlich als Privatdozent an der Universität X. tätig, wo
er für das Fach Q. allein zuständig war und in Form von
Lehrauftragsentschädigungen entlöhnt wurde. Mit Beschluss vom 25. August
1995 sprach ihm der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der
wissenschaftlichen Forschung (SNF) für das Projekt "Y." für die Dauer von 24
Monaten ab 1. Oktober 1995 einen Forschungsbeitrag von insgesamt Fr.
216'583.- zu. Davon wurden Fr. 160'000.- als "Salär" bzw. "persönlicher
Beitrag an den Lebensunterhalt des Gesuchstellers" bezeichnet. Mit
Beschlüssen vom 25. August 1997 und 24. August 1998 verlängerte der SNF
seine Projektförderung um jeweils ein zusätzliches Jahr bis zum 30.
September 1999, indem er A. weitere Forschungsbeiträge von Fr. 101'055.- und
Fr. 117'054.- zusprach, wovon Fr. 65'000.- bzw. Fr. 60'000.- als Beitrag an
den Lebensunterhalt ausgeschieden waren. Für die seit jeher ausgeübte
Tätigkeit als Lehrbeauftragter entrichtete die Universität X. als
Arbeitgeberin paritätische Sozialversicherungsbeiträge. Demgegenüber
qualifizierte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich A. hinsichtlich seiner
Forschungstätigkeit im Rahmen des genannten Nationalfonds-Projekts als
Selbstständigerwerbenden und verpflichtete ihn u.a. mit Nachtragsverfügungen
vom 10. Mai 2001 zur Bezahlung persönlicher Beiträge auf den für

den Lebensunterhalt bestimmten Bezügen von Seiten des SNF für die Jahre 1996
bis 1999.

  Während der Rechtshängigkeit der dagegen erhobenen Beschwerde beim
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (d.h. pendente lite) kam die
Ausgleichskasse auf ihre Verfügungen vom 10. Mai 2001 zurück und ersetzte
diese durch neue Nachtragsverfügungen vom 6. Juni 2001, in welchen die
Beitragsforderung gegenüber A. gestützt auf eine Steuermeldung vom 31. Mai
2001 reduziert wurde.

  B.- Das Sozialversicherungsgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom
18. August 2005 ab (recte: hiess es sie teilweise gut) und stellte fest,
dass A. aus selbstständiger Erwerbstätigkeit Beiträge in der am 6. Juni 2001
pendente lite verfügten Höhe schulde.

  C.- A. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Antrag auf
Berücksichtigung abzugsfähiger Unkosten. Überdies beantragt er eine
Parteientschädigung.

  Ausgleichskasse, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) und die als
Mitinteressierte beigeladene Universität X. verzichten auf eine
Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Nach Art. 4 Abs. 1 AHVG werden die Beiträge der erwerbstätigen
Versicherten in Prozenten des Einkommens aus unselbstständiger und
selbstständiger Erwerbstätigkeit festgesetzt. Nicht zum
(beitragspflichtigen) Erwerbseinkommen gehören gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. g
AHVV u.a. Stipendien und ähnliche Zuwendungen für den Besuch von Schulen und
Kursen, die Aus- und Weiterbildung, das kulturelle Schaffen, die
wissenschaftliche Forschung oder andere hervorragende Leistungen, wenn sie
nicht auf einem Arbeitsverhältnis beruhen und der Geldgeber nicht über das
Arbeitsergebnis verfügen kann.

  Für eine Ausnahme vom Erwerbseinkommen müssen beide dieser letztgenannten
(negativen) Tatbestandsmerkmale gegeben sein. Fehlt auch nur eines, drängt
sich der Schluss auf, dass das Stipendium oder die ähnliche Zuwendung nicht
mehr rein altruistischen Charakter habe, sondern im Hinblick auf ein
bestehendes oder künftiges Arbeitsverhältnis ausgerichtet werde (EVGE 1964
S. 17 E. 2; ZAK 1989 S. 153 E. 4, H 190/87; 1988 S. 31 E. 3c, H 216/86;
HANSPETER

KÄSER, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl.
1996, Rz. 3.101 in fine und 3.105).

Erwägung 3

  3.  Ausgleichskasse und Vorinstanz stützen ihre Qualifikation der dem
Beschwerdeführer vom Schweizerischen Nationalfonds ausgerichteten Beiträge
an den Lebensunterhalt als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit
auf die einschlägigen Verwaltungsweisungen des BSV:
  In ihrer am 14. Juli 1988 erfolgten AHV-Mitteilung Nr. 158 zuhanden der
Ausgleichskassen (Rz. 363) führte die Aufsichtsbehörde aus, dass der
Nationalfonds abgesehen von Publikationsbeiträgen und der Finanzierung von
sog. Forschungsprofessuren die wissenschaftliche Forschung einerseits mit
(in der Regel der Weiterbildung im Ausland dienenden) Stipendien an junge
Forscher (bis zum Alter 35) und andererseits mit projektbezogenen
Forschungsbeiträgen an Einzelforscher oder Forschergruppen fördert. Während
die Stipendien beitragsrechtlich unter die hievor zitierte
Verordnungsbestimmung von Art. 6 Abs. 2 lit. g AHVV fallen, sind
Forschungsbeiträge insoweit als Einkommen aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit zu betrachten, als mit solchen Beiträgen - abgesehen von
der Entlöhnung von Mitarbeitern des Forschers und der Anschaffung von
Material und Einrichtungen - ausdrücklich auch der Lebensaufwand des
Forschers mitfinanziert werden soll. Wie diese AHV-Mitteilung sieht auch die
im hier relevanten Zeitraum gültig gewesene Fassung von Rz. 2012 (vgl. heute
Rz. 2016-2018) der Wegleitung des BSV über die Beiträge der
Selbstständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen in der AHV, IV und EO (WSN)
vor, dass Forscher, denen der Schweizerische Nationalfonds einen Beitrag an
ihren Lebensunterhalt gewährt, als Selbstständigerwerbende gelten.
Demgegenüber sind Stipendiatinnen und Stipendiaten des Nationalfonds als
Studierende zu betrachten, ausser wenn der Beitrag primär für
Forschungszwecke und nicht für die berufliche Weiterausbildung ausgerichtet
wird.

Erwägung 4

  4.

  4.1  Die in den Verwaltungsweisungen des BSV (und in diversen
Merkblättern) vorgenommene Differenzierung zwischen Zuwendungen des
Nationalfonds, welche der beruflichen Weiterbildung dienen, und solchen, die
in erster Linie mit Blick auf die wissenschaftliche Forschung gewährt
werden, ist verordnungswidrig. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 6 Abs. 2
lit. g AHVV (die französische

und die italienische Sprachfassung stimmen insofern mit der deutschen
überein) verbietet sich eine solche Unterscheidung, wird doch hinsichtlich
der Ausnahme von der Beitragspflicht auf entsprechenden Zuwendungen gerade
die "Aus- und Weiterbildung" mit der "wissenschaftlichen Forschung und
anderen hervorragenden Leistungen" gleichgestellt. Die Verordnungsbestimmung
ihrerseits ist gesetzmässig. Sie stützt sich auf die (Vollzugs-)Kompetenz
des Bundesrates (Art. 154 Abs. 2 AHVG), den Begriff des Erwerbseinkommens im
Sinne von Art. 4 Abs. 1 AHVG zu definieren, auf die in Art. 10 Abs. 3 AHVG
erteilte Befugnis, nähere Vorschriften über den Kreis der Personen zu
erlassen, die als Nichterwerbstätige gelten, sowie auf Art. 5 Abs. 5 zweiter
Satz AHVG, wonach der Bundesrat Stipendien und ähnliche Leistungen vom
Einbezug in den massgebenden Lohn (Art. 5 Abs. 2 AHVG) ausnehmen kann.

  4.2  Soweit in Rz. 2012 (heute Rz. 2016) WSN die erwähnte Differenzierung
in SNF-Stipendien, die der beruflichen Weiterbildung dienen, und in solche,
die primär für Forschungszwecke eingesetzt werden, unter Hinweis auf das
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 76/92 vom 30. November 1993, publ.
in: AHI 1994 S. 84, vorgenommen wird, gilt es Folgendes festzuhalten: In
jenem Fall ging es nicht um den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 lit. g
AHVV; vielmehr hatte das Eidgenössische Versicherungsgericht die Frage zu
entscheiden, ob der damalige Beschwerdeführer, Bezüger eines Stipendiums des
Schweizerischen Nationalfonds, als nichterwerbstätiger Student im Sinne von
Art. 10 Abs. 2 AHVG zu qualifizieren sei (und damit bloss den Mindestbeitrag
schulde) oder aber als Nichterwerbstätiger nach Art. 10 Abs. 1 AHVG Beiträge
aufgrund seiner sozialen Verhältnisse (sog. Renteneinkommen und Vermögen) zu
entrichten habe. Weil das SNF-Stipendium im konkret geprüften Fall
überwiegend für die berufliche Weiterausbildung des Bezügers ausgerichtet
wurde, anerkannte das letztinstanzliche im Gegensatz zum kantonalen Gericht
den Beschwerdeführer als nichterwerbstätigen Studenten im Sinne von Art. 10
Abs. 2 AHVG. Implizit bestätigte das Eidgenössische Versicherungsgericht mit
dem seinerzeitigen Urteil aber auch die Auffassung der damaligen Vorinstanz,
wonach auf jeden Fall keine Erwerbstätigkeit (mithin kein Erwerbseinkommen)
vorliegt und demzufolge unter der Voraussetzung, dass der Ausbildungszweck
nicht überwiegt, die Zuwendungen des Nationalfonds im Rahmen der Ermittlung
der

Beiträge von nichterwerbstätigen Versicherten im Sinne von Art. 10 Abs. 1
AHVG als Renteneinkommen gemäss Art. 28 AHVV Berücksichtigung finden.

  4.3  Nach dem Gesagten stellen die den jeweils gesuchstellenden Forschern
ausgerichteten Zuwendungen des Schweizerischen Nationalfonds, ob sie nun als
Stipendien oder Forschungsbeiträge bezeichnet werden und darin ein
persönlicher Beitrag an den Lebensunterhalt des Bezügers mitenthalten ist
oder nicht, kein beitragspflichtiges Erwerbseinkommen dar. Denn weder
beruhen diese Zuwendungen auf einem Arbeitsverhältnis zwischen dem Forscher
und dem Nationalfonds noch kann Letzterer über das Forschungsergebnis
verfügen, womit beide negativen Erfordernisse von Art. 6 Abs. 2 lit. g AHVV
erfüllt werden (vgl. E. 2 hievor in fine). Immerhin werden SNF-Beiträge an
den Lebensunterhalt im Rahmen der Ermittlung der Sozialversicherungsbeiträge
von Nichterwerbstätigen berücksichtigt, wenn eine versicherte Person neben
der geförderten Forschungstätigkeit gänzlich auf eine Erwerbstätigkeit
verzichtet (was eher selten der Fall sein dürfte und auch im hier zu
beurteilenden Fall nicht zutrifft). Damit wird die in der nicht
veröffentlichten E. 2 des Urteils H 102/92 vom 24. Februar 1994 (teilweise
publiziert in: SVR 1994 AHV Nr. 11 S. 25) vom Eidgenössischen
Versicherungsgericht noch offen gelassene Frage nach der beitragsrechtlichen
Qualifikation von SNF-Forschungsbeiträgen in einer Weise beantwortet, die
sachgerecht erscheint: Die vom Nationalfonds gewährten persönlichen Beiträge
an den Lebensunterhalt liegen im Falle qualifizierter Forscher normalerweise
deutlich unter dem Erwerbseinkommen, welches die betreffenden Personen bei
Ausübung einer anderweitigen Tätigkeit in ihrem Fachgebiet verdienen
könnten. Der SNF-Beitrag bildet unter diesem Blickwinkel eher die
Honorierung der (im öffentlichen Interesse liegenden) Bereitschaft des
Wissenschafters, der Forschungstätigkeit zuliebe auf ein üblicherweise
höheres Einkommen zu verzichten.

Dispo

                    Demnach erkennt das Bundesgericht:

  Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. August 2005 und die
Nachtragsverfügungen der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 10. Mai
sowie 6. Juni 2001 für die Beitragsjahre 1996 bis 1999 werden aufgehoben. Es
wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer für die im genannten Zeitraum
bezogenen

Beiträge an den Lebensunterhalt nicht als Erwerbstätiger beitragspflichtig
ist.