Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 V 263



Urteilskopf

133 V 263

  35. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Kantonale IV-Stelle Wallis gegen C. sowie Kantonales Versicherungsgericht
des Wallis (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  I 489/05 vom 4. April 2007

Regeste

  Art. 87 Abs. 3 (in der seit 1. März 2004 in Kraft stehenden Fassung) in
Verbindung mit Abs. 4 IVV: Neuanmeldung nach rückwirkend befristeter
Zusprechung einer Invalidenrente.

  Im Rahmen der Neuanmeldung nach rückwirkend befristeter Zusprechung einer
Invalidenrente sind die Voraussetzungen gemäss Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV zu
berücksichtigen (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 6).

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 263

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

  6.

  6.1  Im hier zu beurteilenden Fall verhält es sich insofern anders als in
BGE 125 V 410, als die - unangefochten gebliebene - Verfügung vom 27. April
2004 keine über das Verfügungsdatum hinausgehende, in der Zukunft befristete
Leistung zum Gegenstand hat. Vielmehr hat die IV-Stelle rückwirkend für die
Zeit vom 1. März bis 31. Oktober 2001 eine Viertelsrente und für die Dauer
vom 1. November 2001 bis 31. Mai 2003 eine ganze Rente zugesprochen. Bei
rückwirkender Zusprechung einer abgestuften und/oder befristeten
Invalidenrente sind die für die Rentenrevision geltenden Bestimmungen analog
anzuwenden (BGE 131 V 164 E. 2.2 S. 165 und Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts I 82/01 vom 27. November 2001, E. 1, publ. in: AHI
2002 S. 64, je mit Hinweisen). Gegenstand der Verwaltungsverfügung vom 27.
April 2004 bildet denn auch nicht bloss die Zusprechung einer Viertelsrente
(für die Zeit vom 1. März bis 31. Oktober 2001), deren Heraufsetzung auf
eine

ganze Rente (für die Zeit vom 1. November 2001 bis 31. Mai 2003), sondern
auch deren anschliessende, nach den Grundsätzen der Rentenrevision
vorgenommene Aufhebung (zum Anfechtungs- und Streitgegenstand: BGE 131 V 164
mit Hinweisen). Indem die IV-Stelle mit Verfügung vom 27. April 2004 für die
dem Verfügungserlass unmittelbar vorangehende Periode von Juni 2003 bis
April 2004 einen Rentenanspruch verneinte, kommen im Falle einer
Neuanmeldung die Eintretensvoraussetzungen gemäss Art. 87 Abs. 3 in
Verbindung mit Art. 87 Abs. 4 IVV zur Anwendung. Ob die Verwaltung auf -
erstmalige - Anmeldung zum Leistungsbezug hin einen Rentenanspruch integral
verneint oder aber, wie im hier zu beurteilenden Fall, rückwirkend befristet
eine Rente zuspricht, ändert nichts daran, dass in beiden Konstellationen
für die Zeit unmittelbar vor Verfügungserlass eine Rentenleistung abgelehnt
wird. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, im Rahmen der
Neuanmeldung nach befristeter Rentenzusprechung die Voraussetzungen von Art.
87 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 87 Abs. 4 IVV ausser Acht zu lassen, mithin
auf eine Neuanmeldung nach befristeter Rentenzusprechung gleichsam
voraussetzungslos und stets einzutreten (so URS MÜLLER, Die materiellen
Voraussetzungen der Rentenrevision in der Invalidenversicherung, Diss.
Freiburg 2003, S. 212 f. unter Hinweis auf BGE 125 V 412 E. 2a und das
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 81/99 vom 15. Februar 2000).

  6.2  In BGE 125 V 410 E. 2b S. 412 wurde ausdrücklich erwogen, dass die
Judikatur zu Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV sich auf Fälle mit vorausgegangener
Leistungsverweigerung bezieht. Unter Verweis auf den Normzweck wurde
ausgeführt, dass kein Anlass besteht, die Rechtsprechung zu Art. 87 Abs. 3
und 4 IVV auch dann analog anzuwenden, wenn eine Leistung zwar zugesprochen,
aber befristet worden ist. Dass damit ausschliesslich die ausnahmsweise
zulässige Befristung einer Leistung in der Zukunft gemeint ist, nicht aber
die in der Praxis häufigere rückwirkend befristete Zusprechung einer
Invalidenrente, kommt insbesondere im Regest zu BGE 125 V 410 bloss
unzureichend zum Ausdruck. Dort wird in allgemeiner Weise - unter dem Titel
"Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV: Neuanmeldung nach befristeter Leistungsgewährung"
- gesagt, dass sich die Rechtsprechung zu den genannten
Verordnungsbestimmungen stets auf Fälle mit vorausgegangener
Leistungsverweigerung bezieht und nicht anwendbar ist, wenn zuvor eine
Leistung zugesprochen, aber befristet wurde. Soweit aus BGE 125 V 410 E. 2b
S. 412

und insbesondere dem Regest zu BGE 125 V 410 geschlossen werden könnte, dass
die Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV nicht zum Zuge kommen, wenn vorgängig der
Neuanmeldung rückwirkend und befristet eine Rente zugesprochen wurde (in
diesem Sinne: Urteil I 81/99 vom 15. Februar 2000; anders und zutreffend:
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 149/01 vom 3. Dezember 2001), kann
daran nach dem Gesagten nicht festgehalten werden.

Erwägung 7

  7.  Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass es der
Beschwerdegegner im Verwaltungsverfahren unterliess, eine rechtserhebliche
Tatsachenänderung gemäss Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 87 Abs. 4 IVV
glaubhaft zu machen. Insbesondere vermögen weder der Bericht des Dr. med. S.
vom 21. September 2004 (samt Beilagen) noch dessen Kurzzeugnis vom 20.
Oktober 2004 den entsprechenden, herabgesetzten Beweis zu erbringen. Die
Verwaltung, welche einen Bericht ihres ärztlichen Dienstes einholte
(Stellungnahme vom 31. Oktober 2004), ist deshalb zu Recht nicht auf die
Neuanmeldung eingetreten und der kantonale Gerichtsentscheid ist als
bundesrechtswidrig aufzuheben.