Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 V 105



Urteilskopf

133 V 105

  15. Auszug aus dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts i.S.
E. gegen Ausgleichskasse und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  H 162/05 vom 28. Dezember 2006

Regeste

  Art. 9 Abs. 2 lit. c AHVG; Art. 18 Abs. 1 AHVV: Beitragspflichtiges
Erwerbseinkommen.

  An der Rechtsprechung, wonach die periodenübergreifende Verlustverrechnung
unzulässig ist, ist nach dem Wechsel von der zwei- zur einjährigen
Beitragsperiode auf den 1. Januar 2001 nicht mehr festzuhalten (E. 4).

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.

  4.1  Mit Urteil H 46/05 vom 8. Mai 2006 bestätigte das Eidgenössische
Versicherungsgericht die bisherige Rechtsprechung, wonach
periodenübergreifende Verlustverrechnungen nicht zulässig sind (EVGE 1960 S.
29; vgl. auch ZAK 1951 S. 461 und 1988 S. 452 sowie Urteil H 222/96 vom 27.
Januar 1997 und Urteil H 174/04 vom 2. Dezember 2004 [publ. in: SVR 2005 AHV
Nr. 16 S. 53]; vgl. zudem PETER BINSWANGER, Kommentar zum Bundesgesetz über
die Alters- und Hinterlassenenversicherung, Zürich 1950, S. 70 f.). Es
stellt sich die Frage, ob an dieser Rechtsprechung, welche zu einem Fall mit
Beitragserhebung im Rahmen der Vergangenheitsbemessung (zweijährige
Beitrags- und Bemessungsperiode) erging, unter dem seit 1. Januar 2001
geltenden System der Gegenwartsbemessung (einjährige Beitrags- und
Bemessungsperiode) noch festgehalten werden kann.

  4.2  Anlässlich seiner Sitzung vom 12. Dezember 2006 hat das Gesamtgericht
entschieden, dass an der bisherigen Rechtsprechung nach dem Wechsel von der
zwei- zur einjährigen Periode aus folgenden Gründen nicht festzuhalten ist.
Gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. c AHVG können zur Ermittlung des Einkommens aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit die eingetretenen und verbuchten
Geschäftsverluste vom rohen Einkommen abgezogen werden. Der Bundesrat hat
die Kompetenz, über diese Abzüge nähere Bestimmungen zu erlassen (Art. 182
BV; Art. 154 Abs. 2 AHVG). Nach Art. 18 Abs. 1 AHVV sind für die
Ausscheidung und das Ausmass der

nach Art. 9 Abs. 2 lit. a-e AHVG zulässigen Abzüge die Vorschriften der
direkten Bundessteuer massgebend. Von diesem Verweis werden auch die Art. 31
bzw. 211 DBG (SR 642.11) erfasst. Der Verordnungsgeber hat Art. 18 Abs. 1
AHVV anlässlich des Wechsels von der zwei- zur einjährigen Periode durch
Revision der Art. 22 ff. AHVV (Änderung vom 1. März 2000, in Kraft seit 1.
Januar 2001 [AS 2000 S. 1441]) unverändert belassen. Während unter dem bis
31. Dezember 2000 geltenden System die Verrechnung innerhalb der
zweijährigen Periode zulässig war, verliert Art. 9 Abs. 2 lit. c AHVG bei
Weiterführung der bisherigen Rechtsprechung im Rahmen der seit 1. Januar
2001 geltenden einjährigen Beitrags- und Bemessungsperiode sein
Anwendungsgebiet, kann doch von Verlustverrechnung mit Gewinnen
sinnvollerweise nur bei Vorliegen mehr als eines Geschäftsabschlusses
gesprochen werden, was in einem Kalenderjahr nur ausnahmsweise der Fall ist.
Der Systemwechsel von der zwei- zur einjährigen Periode ist deshalb zum
Anlass zu nehmen, diese Rechtsprechung zu ändern (ablehnend KIESER, Alters-
und Hinterlassenenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht
[SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, Rz. 119). Auf Grund der
unterschiedlichen Zweckbestimmung von AHV- und Steuerrecht ist es zwar nicht
zwingend, sämtliche Fragen im Kontext des beitragspflichtigen Einkommens aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit in beiden Rechtsgebieten gleich zu
behandeln. Vielmehr ist der Bundesrat als Verordnungsgeber befugt, im Rahmen
des Gesetzes bei den Abzügen vom beitragspflichtigen Einkommen eine vom
Steuerrecht abweichende Regelung vorzusehen. Solange er dies jedoch nicht
tut, bleibt es bei der durch Art. 18 Abs. 1 AHVV klar angeordneten
Parallelität mit dem Steuerrecht, auch bezüglich der Verlustverrechnung. Es
sind keine durchschlagenden Auslegungselemente ersichtlich, welche eine vom
Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 AHVV abweichende Ausnahme von der
Massgeblichkeit des Steuerrechts gebieten würden.