Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 I 98



Urteilskopf

133 I 98

  10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
und Y. gegen Z. AG sowie Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  1A.10/2006 vom 14. Dezember 2006

Regeste

  Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Anspruch auf rechtliches Gehör.

  Anspruch, sich gegenüber dem Gericht zu Eingaben der übrigen
Verfahrensparteien, unteren Instanzen und weiteren Stellen zu äussern
(Replikrecht): Verhältnis von Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK (E.
2.1). Verfahrensrechtliche Möglichkeiten zur Umsetzung des Replikrechts in
Gerichtsverfahren (E. 2.2 und 2.3).

Sachverhalt ab Seite 98

  Der Gemeinderat Freienbach erteilte der Z. AG am 8. Januar 2004 die
Baubewilligung für eine Grossanlage zur Behandlung mineralischer Bauabfälle
und wies die Einsprachen von mehreren Anwohnern ab. Letztere wehrten sich
beim Regierungsrat des Kantons Schwyz erfolglos gegen die Bewilligung. X.
und Y. zogen den regierungsrätlichen Entscheid an das Verwaltungsgericht des
Kantons Schwyz weiter; dieses trat am 17. November 2005 auf ihre Beschwerde
nicht ein. Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
den Nichteintretensentscheid des kantonalen Gerichts ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  In der Beschwerde wird der Verfahrensantrag gestellt, es seien den
Beschwerdeführern allfällige Vernehmlassungen der Beschwerdegegner zur
Stellungnahme, jedenfalls aber zur Kenntnisnahme zuzustellen.

  2.1  Der Anspruch einer Partei, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu
replizieren, bildet einen Teilgehalt des verfassungsmässigen Anspruchs auf
rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Im Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff.
1 EMRK ist es den Gerichten nicht gestattet, einer Partei das
Äusserungsrecht zu eingegangenen Stellungnahmen bzw. Vernehmlassungen der
übrigen Verfahrensparteien, unteren Instanzen und weiteren Stellen
abzuschneiden. Die Partei ist vom Gericht nicht nur über den Eingang dieser
Eingaben zu orientieren; sie muss ausserdem die Möglichkeit zur Replik haben
(BGE 132 I 42 E. 3.3.3 S. 47 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte). Art. 29 Abs. 2 BV gebietet,
dass die Gerichte diesen Grundsatz auch ausserhalb von Art. 6 Ziff. 1 EMRK
beachten. In diesem Sinne ist festzustellen, dass Art. 29 Abs. 2 BV und Art.
6 Ziff. 1 EMRK im Hinblick auf das Replikrecht in gerichtlichen Verfahren
dieselbe Tragweite zukommt. Inwiefern Art. 29 Abs. 2 BV ein Replikrecht auch
in Verwaltungsverfahren verleiht, kann hier offenbleiben.

  2.2  Gehen in einem Gerichtsverfahren Vernehmlassungen und Stellungnahmen
von Parteien und Behörden ein, so werden diese den übrigen
Verfahrensbeteiligten im Allgemeinen zur Kenntnisnahme zugestellt. Diese
Zustellung kann verbunden werden mit der Anordnung eines zweiten
Schriftenwechsels. Ein solcher wird jedoch nur ausnahmsweise eröffnet (vgl.
Art. 93 Abs. 3, Art. 110 Abs. 4 OG, neu: Art. 102 Abs. 3 BGG [SR 173.110]).
Ferner kann das Gericht zur Wahrung des rechtlichen Gehörs Eingaben den
Verfahrensbeteiligten mit förmlicher Fristansetzung zur freigestellten
Vernehmlassung zukommen lassen, was im Bereich des Haftrechts regelmässig
der Fall ist. Schliesslich wird eine neu eingegangene Eingabe den Parteien
häufig ohne ausdrücklichen Hinweis auf allfällige weitere
Äusserungsmöglichkeiten zur (blossen) Kenntnisnahme übermittelt. Kommen
Verfahrensbeteiligte, welche eine solche Eingabe ohne Fristansetzung
erhalten haben, zum Schluss, sie möchten nochmals zur Sache Stellung nehmen,
so sollen sie dies aus Gründen des Zeitgewinns

tun, ohne vorher darum nachzusuchen. Nach Treu und Glauben hat dies jedoch
umgehend zu erfolgen. Das Bundesgericht wartet bei der letztgenannten
Vorgehensweise mit der Entscheidfällung zu, bis es annehmen darf, der
Adressat habe auf eine weitere Eingabe verzichtet.

  2.3  Diese Grundsätze sind auch anwendbar auf Fälle, in denen - wie hier -
bereits in der Beschwerdeschrift eine Replikmöglichkeit beantragt wird.
Insbesondere kann eine neue Eingabe den Verfahrensbeteiligten auch bei
dieser Konstellation ohne Fristansetzung zur Kenntnisnahme zugestellt
werden.

  Im vorliegenden Fall wurden den Beschwerdeführern vom Bundesgericht die
Stellungnahmen der Beschwerdegegnerin, des Regierungsrates und des
Verwaltungsgerichts sowie die Bemerkungen des Bundesamts für Umwelt am 14.
September 2006 zur Kenntnisnahme zugestellt. Damit wurde das Hauptanliegen
des Verfahrensantrags erfüllt. Auf diese Zustellung hin haben die
Beschwerdeführer nicht reagiert. Unter diesen Umständen ist anzunehmen, sie
hätten auf weitere Äusserungen verzichtet; es besteht - nicht zuletzt mit
Blick auf das Beschleunigungsgebot - keine Veranlassung, ihnen jetzt noch
eine Replikmöglichkeit einzuräumen.