Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 I 33



Urteilskopf

133 I 33

  5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Oberstaatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
  6S.59/2006 vom 2. November 2006

Regeste

  Art. 249 BStP; freie Beweiswürdigung; anonymisierter Zeuge.

  Die Annahme, die Aussage des gefährdeten Belastungszeugen sei
unverwertbar, wenn neben dem Angeschuldigten auch sein Verteidiger nur unter
audio-visueller Abschirmung Ergänzungsfragen stellen kann, schliesst die
anonyme Zeugenbefragung als Beweismittel in allgemeiner Weise aus und
verletzt den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (E. 2.5).

  Art. 6 Ziff. 1 und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK; anonymisierter Zeuge;
Wahrung der Verteidigungsrechte.

  Die Verwertung der Aussage eines anonymisierten Belastungszeugen verletzt
die Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK nicht, wenn sie als Mosaikstein ein
anderweitig gewonnenes Beweisergebnis, welches allein für den Schuldspruch
zwar nicht ausreicht, aber einen schwerwiegenden Tatverdacht begründet, ins
Stadium des rechtsgenügenden Beweises zu überführen vermag (E. 3 und 4).

Sachverhalt

  A.- X. wird vorgeworfen, er habe am 15. Oktober 2001, kurz nach
Mitternacht, auf dem Vorplatz einer Poststelle in Zürich-Schwamendingen
seinen Landsmann A. aus nächster Nähe durch einen Genickschuss aus einer
Faustfeuerwaffe getötet. Daneben werden ihm Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt.

  B.

  B.a Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach X. mit Urteil vom 6.
Februar 2004 schuldig der vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB
sowie der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz im Sinne der Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 in
Verbindung mit Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG und verurteilte ihn zu 14 Jahren
und 9 Monaten Zuchthaus, als Zusatzstrafe zu einem Strafbefehl der
Bezirksanwaltschaft Zürich vom 18. Januar 2002. Ferner verwies es ihn für
die Dauer von 15 Jahren des Landes.

  B.b X. erhob gegen dieses Urteil kantonale Nichtigkeitsbeschwerde beim
Kassationsgericht des Kantons Zürich, welches das Urteil des
Geschworenengerichts mit Beschluss vom 19. Dezember 2005 aufhob und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückwies. Das
Kassationsgericht befand, der Schuldspruch wegen des Tötungsdelikts beruhe
massgebend auf den Aussagen eines anonymisierten Zeugen, deren Verwertung
mit Art. 6 EMRK unvereinbar sei.

  C.- Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt mit Eingabe vom 3.
Februar 2006 eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der
Beschluss des Kassationsgerichts vom 19. Dezember 2005 sei aufzuheben und
die Sache zur neuen Entscheidung an das Kassationsgericht zurückzuweisen.

  D.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen
verzichtet. X. beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.

  1.1  Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass die
angefochtene Entscheidung eidgenössisches Recht verletze

(Art. 269 Abs. 1 BStP). Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte bleibt vorbehalten (Art. 269 Abs. 2 BStP). Gemäss
Art. 88 OG steht das Recht zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde
Bürgern (Privaten) und Korporationen zu. Die Beschränkung auf persönliche
Interessen des Beschwerdeführers schliesst die "Popularbeschwerde" oder die
Geltendmachung allgemeiner öffentlicher Interessen grundsätzlich aus (vgl.
BGE 119 Ia 445 E. 1a). Der öffentliche Ankläger in Strafsachen ist aus
diesem Grund von der Ergreifung dieses Rechtsmittels ausgeschlossen (vgl.
BGE 48 I 106). Der Beschwerdeführerin steht somit keine Möglichkeit offen,
den Beschluss des Kassationsgerichts mit der Rüge anzufechten, dieses habe
in unzutreffender Auslegung und Anwendung von Art. 6 EMRK die Verwertbarkeit
der anonymisierten Zeugenaussage verneint. Die Beschwerdeführerin macht denn
auch allein geltend, der angefochtene Beschluss verletze den Grundsatz der
freien Beweiswürdigung gemäss Art. 249 BStP, welcher zum eidgenössischen
Recht im Sinne von Art. 269 Abs. 1 BStP gehört (BGE 127 IV 172 E. 3; 121 IV
64 E. 3; 115 IV 267 E. 1).

  1.2  Die Nichtigkeitsbeschwerde ist zulässig gegen Urteile der Gerichte,
die nicht durch ein kantonales Rechtsmittel wegen Verletzung eidgenössischen
Rechts angefochten werden können (Art. 268 Ziff. 1 BStP).

  Das Kassationsgericht hob das Urteil des Geschworenengerichts auf und wies
die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurück. Rückweisungsentscheide gelten
als Urteile im Sinne von Art. 268 Ziff. 1 BStP und sind mit eidgenössischer
Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbar, wenn sie eine für den Ausgang der Sache
präjudizielle Frage des Bundesrechts endgültig entscheiden und darauf später
nicht mehr zurückgekommen werden kann, nicht aber, wenn es sich um eine
blosse Verfügung über den Gang des Verfahrens (prozessleitende Verfügung)
handelt (BGE 128 IV 34 E. 1a; 123 IV 252; 111 IV 189 E. 2; 103 IV 59; 102 IV
35 E. 1; 84 IV 84 E. 2, mit Hinweisen).

  Das Kassationsgericht hat im angefochtenen Beschluss erkannt, dass die
Aussage eines anonymisierten Zeugen unverwertbar sei. Daran ist das
Geschworenengericht gebunden, weshalb der Entscheid eine für den Ausgang der
Sache präjudizielle Frage betrifft. Für die Zulässigkeit der
Nichtigkeitsbeschwerde ist ohne Bedeutung, auf welche Rechtsgrundlage sich
der angefochtene Beschluss stützt. Massgebend ist vielmehr, dass die
Beschwerdeführerin mit

ihrer Nichtigkeitsbeschwerde geltend macht, der angefochtene Entscheid sei
mit dem bundesrechtlichen Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäss Art.
249 BStP unvereinbar. Die Rüge, eine Entscheidung verletze diesen Grundsatz,
zählt zu den zulässigen Beschwerdegründen der Nichtigkeitsbeschwerde (vgl.
BERNARD CORBOZ, Le pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal
fédéral, SJ 1991 S. 81 N. 162), weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.

Erwägung 2

  2.

  2.1  Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäss Art. 249 BStP besagt,
dass die Organe der Strafrechtspflege frei von Beweisregeln und nur nach
ihrer persönlichen Ansicht aufgrund gewissenhafter Prüfung darüber
entscheiden, ob sie eine Tatsache für bewiesen halten (BGE 127 IV 172 E. 3a;
115 IV 267 E. 1; 103 IV 299 E. 1a; 84 IV 171 E. 2). Der Grundsatz will
sicherstellen, dass der Richter nicht verpflichtet ist, etwas als erwiesen
zu erachten, wenn es nach seiner Überzeugung nicht ist, oder umgekehrt etwas
als nicht erwiesen anzusehen, worüber für ihn kein Zweifel besteht
(HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel
2005, § 54 Rz. 3 S. 245). Der Grundsatz bezieht sich zunächst auf die
Würdigung der erhobenen Beweise, deren Überzeugungskraft der Richter von
Fall zu Fall anhand der konkreten Umstände zu prüfen und bewerten hat, ohne
dabei an gesetzliche Regeln gebunden zu sein oder sich von schematischen
Betrachtungsweisen leiten zu lassen. Unvereinbar mit dem Grundsatz der
freien Beweiswürdigung sind darüber hinaus aber auch Vorschriften, wonach
bestimmte Beweise überhaupt nicht durchzuführen sind. Denn es ist einerlei,
ob der Gesetzgeber der urteilenden Behörde vorschreibt, dass sie auf gewisse
Beweise nicht abstellen darf, oder ob er diese Beweismittel zum Voraus -
wegen ihrer präsumtiven Wertlosigkeit - vom Verfahren ausschliesst (BGE 84
IV 171 E. 2a).

  Eine Verletzung von Art. 249 BStP liegt demnach sowohl vor, wenn
bestimmten Beweismitteln im Voraus in allgemeiner Weise die Beweiseignung
abgesprochen wird, wie auch wenn der Richter bei der Würdigung der Beweise
im Ergebnis nicht seiner eigenen Überzeugung folgt (BGE 127 IV 46 E. 1c; 115
IV 267 E. 1 S. 269).

  Dagegen steht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht
Beweisbeschränkungen entgegen, die sich daraus ergeben, dass das kantonale
Recht oder übergeordnetes Verfassungs- oder Staatsvertragsrecht aus anderen
Gründen als der Beweiseignung, namentlich

zur Wahrung schutzwürdiger öffentlicher oder privater Interessen, gewisse
Beweismittel nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt (BGE
115 IV 267 E. 1 S. 269; 97 IV 229 E. b S. 232; 84 IV 171 E. 2 S. 175). Dies
gilt etwa, wenn der Beweiserhebung durch Zeugnisverweigerungsrechte zur
Vermeidung von Gewissenskonflikten (BGE 84 IV 171 E. 2 S. 175) oder durch
Beschränkung von Überwachungsmassnahmen zum Schutz der Privatsphäre (BGE 115
IV 267 E. 2 S. 269 f.) Grenzen gesetzt werden.

  Die freie Beweiswürdigung entbindet auch nicht von der Beachtung
prozessualer Formen (HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, a.a.O., § 54 Rz. 8 S. 246),
deren Zweck es ist, die Rechte des Beschuldigten zu wahren und einer
Verfälschung der Wahrheit vorzubeugen. Denn Gegenstand der freien
Beweiswürdigung können grundsätzlich nur diejenigen Beweismittel bilden,
deren Verwertung nach den Regeln des Strafprozessrechts zulässig ist (WALTER
GOLLWITZER, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das
Gerichtsverfassungsgesetz, Grosskommentar, 25. Aufl. 2001, § 261 N. 43).
Unzulässig unter dem Gesichtspunkt der freien Beweiswürdigung ist es mithin
nur, wenn bestimmten Beweismitteln in allgemeiner Weise, nicht nur mit Blick
auf die Art und Weise der Erhebung im konkreten Einzelfall, die
Beweiseignung abgesprochen wird (JÖRG REHBERG, Zur Tragweite von BStrP Art.
249, ZStrR 108/1991 S. 239). Darf zwar die Erhebung eines Beweises
bestimmter Art nicht verunmöglicht werden, bleibt doch ausreichend, wenn das
kantonale Recht dafür eine zulässige Form vorsieht (REHBERG, a.a.O., S.
237).

  2.2  Das Strafprozessrecht des Kantons Zürich bestimmt für den
Zeugenbeweis, dass der Zeuge nicht nur über die Sache selbst, sondern auch
über seinen Namen, Wohnort, Beruf und Alter sowie über seine persönlichen
Beziehungen zum Angeschuldigten und zum Geschädigten sowie über andere
Umstände, welche auf seine Glaubwürdigkeit Einfluss ausüben können, befragt
wird (§ 142 StPO/ZH). Dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger ist
Gelegenheit zu geben, den Einvernahmen von Zeugen beizuwohnen und an sie
Fragen zu richten (§ 14 Abs. 1 StPO/ZH). Das Recht, Fragen an die
Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen, wird auch von der
Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert (Art. 6 Ziff. 3 lit. d
EMRK). Der Beschuldigte muss in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer
Aussage zu prüfen und ihren Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die
Probe und in Frage zu stellen (BGE 131 I 476 E. 2.2 S. 481; 129 I 151 E. 4.2
S. 157, je mit Hinweisen).

Grundsätzlich muss es dem Angeschuldigten auch möglich sein, die Identität
des Zeugen zu erfahren, um dessen persönliche Glaubwürdigkeit überprüfen
sowie allfällige Zeugenausschluss- und Ablehnungsgründe überprüfen zu können
(BGE 125 I 127 E. 6c/ff S. 137; 118 Ia 457 E. 3c S. 461).

  Die Strafprozessordnung des Kantons Zürich erlaubt allerdings
ausnahmsweise, zum Schutze der einzuvernehmenden Person geeignete Massnahmen
zu treffen, wenn eine erhebliche oder ernstliche Gefahr glaubhaft ist.
Namentlich können deren Personalien vertraulich behandelt, die direkte
Konfrontation der einzuvernehmenden Person mit dem Angeschuldigten und
Dritten ausgeschlossen sowie das Aussehen und die Stimme der
einzuvernehmenden Person durch technische Mittel unkenntlich gemacht werden
(§ 131a StPO/ZH).

  2.3  Das Kassationsgericht stellt im angefochtenen Entscheid unter Hinweis
auf die Ausführungen des Geschworenengerichts fest, dass im zu beurteilenden
Fall die Voraussetzungen für eine Anonymisierung des Zeugen erfüllt seien.
Der Beschwerdegegner bewege sich in einem äusserst gewaltbereiten Umfeld, in
welchem aus völlig nichtigem Grund massive Waffengewalt eingesetzt werde und
bei Auseinandersetzungen ernsterer Art missliebige Personen gegebenenfalls
schlicht mittels Exekution eliminiert würden. Es bestünden zudem
überzeugende Hinweise, wonach Aussagepersonen für den Fall belastender
Angaben in dem durch das Geschworenengericht beurteilten Verfahren mit dem
Tod bedroht worden seien. Aus diesem Grund ist der Zeuge in Untersuchung und
Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht unter optischer und akustischer
Abschirmung (Stimmverzerrung) für den Beschwerdegegner und den Verteidiger
befragt worden, während für das Gericht selber die unmittelbare Wahrnehmung
möglich war. Der Beschwerdegegner und sein Verteidiger konnten
Ergänzungsfragen an den Zeugen richten. Es war ihnen lediglich verwehrt,
Fragen zu stellen, welche geeignet gewesen wären, Rückschlüsse auf die
Person des Zeugen zu ziehen. Die Identität des Zeugen sowie sein Leumund
wurden von den Untersuchungsbehörden umfassend erhoben und - soweit unter
Wahrung der Anonymität möglich - in den Prozess eingeführt sowie vom
Präsidenten des Geschworenengerichts durch Einsichtnahme in die
Leumundsakten verifiziert. Das Kassationsgericht bestätigt in seinem
Beschluss, dass es unter dem Gesichtspunkt des § 131a StPO/ZH zulässig war,
optisch und akustisch den gefährdeten

Zeugen nicht nur gegenüber dem Beschwerdegegner selber, sondern auch
gegenüber seinem Verteidiger abzuschirmen, da dieser andernfalls einem
unzumutbaren Spannungsverhältnis zu seinem Mandanten ausgesetzt gewesen
wäre, zumal es keine Rechtsgrundlage gebe, welche den Verteidiger zur
Verschwiegenheit gegenüber seinem Mandanten verpflichten oder ihn nur schon
berechtigen würde, sich entsprechenden Fragen ohne Verletzung der
Treuepflicht zu widersetzen.

  Aus diesen Gründen gelangte das Kassationsgericht zum Ergebnis, die
anonymisierte Zeugeneinvernahme sei mit dem kantonalen Strafprozessrecht
vereinbar gewesen, doch verstosse sie im konkreten Fall gegen Art. 6 Ziff. 1
und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK. Dass nämlich nicht nur der Beschwerdegegner,
sondern auch die Verteidigung an der Befragung lediglich akustisch, nicht
aber audio-visuell habe teilnehmen können, stelle eine konventionswidrige
Einschränkung der Verteidigungsrechte (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK) dar.
Darüberhinaus verletze das konventionsrechtliche Fairnessgebot (Art. 6 Ziff.
1 EMRK), dass sich das Geschworenengericht für den Schuldspruch massgeblich
auf den anonymisierten Zeugen habe stützen müssen.

  2.4  Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die
Rechtsauffassung des Kassationsgerichts verletze den Grundsatz der freien
Beweiswürdigung, weil damit einem anonymisierten Zeugen in genereller Weise
die Beweiseignung abgesprochen werde. Wenn nämlich dem Verteidiger des
Angeschuldigten in jedem Fall zwingend das Recht zustehe, an der Befragung
eines anonymisierten Zeugen teilzunehmen und diesen zu sehen, werde das
Institut der anonymisierten Zeugenaussage als Beweismittel von vornherein
und grundsätzlich ausgeschlossen. Der Grundsatz der freien richterlichen
Beweiswürdigung werde aber auch dadurch verletzt, dass das Kassationsgericht
allein dem direkten - hier anonymisierten - Tatzeugen die Qualität eines
massgebenden Beweismittels zuerkenne, während es indirekten Beweismitteln
von vornherein lediglich einen (unmassgeblichen) Stellenwert einräume.

  2.5  Es trifft zu, dass der Entscheid des Kassationsgerichts zu einem
Ausschluss der anonymisierten Zeugenaussage im Kanton Zürich führt. Es gibt
keine rechtliche Grundlage, auf welcher der Verteidiger, dem gegenüber die
Identität des Zeugen nach Meinung des Kassationsgerichts offenzulegen wäre,
daran gehindert werden könnte, seine Erkenntnisse über die Person des Zeugen
an

den Angeklagten weiterzuleiten. Und selbst wenn es eine solche gäbe, wäre
das Risiko, dass sich der Verteidiger nicht an das Verschwiegenheitsgebot
hielte (oder sich vom Angeklagten aus Unachtsamkeit einen Hinweis entlocken
liesse), angesichts einer unter Umständen massiven Gefährdung des Zeugen -
wie sie hier gegeben ist - unannehmbar hoch.

  In Frage steht allerdings nicht die Würdigung der Beweise als solche.
Vielmehr formuliert das Kassationsgericht, abgeleitet aus Art. 6 EMRK,
prozessuale Anforderungen an die Erhebung des Zeugenbeweises und knüpft an
deren Nichtbeachtung die Nichtverwertbarkeit. Mit dem Grundsatz der freien
Beweiswürdigung unvereinbar ist es jedoch auch, wenn einem bestimmten
Beweismittel in allgemeiner Weise die Beweiseignung abgesprochen wird. Dies
ist hier bezogen auf die anonymisierte Zeugenaussage der Fall. Denn die
Anonymisierung eines Zeugen liesse sich nicht mehr konsequent durchführen,
wenn dessen Identität gegenüber dem Verteidiger offengelegt werden müsste.
Das Beweismittel der Zeugenaussage als solche bleibt zwar möglich, so dass
insoweit dieses Beweismittel nicht in genereller Weise ausgeschlossen wird.
Im Falle des gefährdeten Zeugen wäre dies jedoch eine gänzlich theoretische
Betrachtungsweise, die jede Rücksicht auf die realen Verhältnisse vermissen
liesse. Den Zeugen, der - sofern ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht
- zur Aussage verpflichtet ist, unter Lebensgefahr zu Aussagen zu verhalten,
kann nicht eine realistische Form der Abnahme des Zeugenbeweises sein.
Deshalb schliesst die Auffassung des Kassationsgerichts, der Zeugenbeweis
sei im Falle des gefährdeten Zeugen unverwertbar, wenn auch der Verteidiger
nur indirekt, ohne Sichtkontakt, die Ergänzungsfragen stellen könne, dieses
Beweismittel von vornherein und in allgemeiner Weise aus. Dies ist mit dem
Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht vereinbar.

  2.6  Eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ergibt
sich überdies aus der weiteren vom Kassationsgericht erhobenen prozessualen
Anforderung, dass anonymisierte Zeugenaussagen lediglich dann verwertet
werden dürfen, wenn ihnen kein massgebender Beweiswert zukommt. Zwar wird
auch hier die anonymisierte Zeugenaussage nicht von vornherein und in
allgemeiner Weise ausgeschlossen. Doch ist sie nach der Auffassung des
Kassationsgerichts nur zulässig, wenn ihr für die Beweiswürdigung keine
massgebende Bedeutung mehr zukommt. Damit wird das Institut der
anonymisierten Aussage letztlich seines Sinnes entleert.

Denn wenn eine Zeugenaussage nur verwertet werden darf, wenn sie keine
massgebende Bedeutung hat, kann auf sie geradeso gut verzichtet werden. Mit
dem Beschluss des Kassationsgerichts wird folglich die anonymisierte
Zeugenaussage formal zwar für zulässig erachtet, praktisch aber
ausgeschlossen.

Erwägung 3

  3.  Bei diesem Zwischenergebnis ist weiter zu prüfen, ob die Europäische
Menschenrechtskonvention die Unverwertbarkeit der anonymisierten
Zeugenaussage verlangt. Sollte dies zutreffen, so hätte der im Gesetzesrecht
des Bundes verankerte Grundsatz der freien Beweiswürdigung dem Vorrang der
völkerrechtlichen Verpflichtung zu weichen.

  3.1  Nach den Verfahrensgarantien von Art. 6 Ziff. 1 i.V.m. Art. 6 Ziff. 3
lit. d EMRK hat der Beschuldigte ein Recht darauf, den Belastungszeugen zu
befragen. Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, in denen eine
Konfrontation aus objektiven, von den Strafverfolgungsbehörden nicht zu
vertretenden Gründen nicht möglich war, ist eine belastende Zeugenaussage
grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte den Belastungszeugen
wenigstens einmal während des Verfahrens in direkter Konfrontation befragen
konnte. Um sein Fragerecht wirksam ausüben zu können, muss der Beschuldigte
in die Lage versetzt werden, die persönliche Glaubwürdigkeit des Zeugen zu
prüfen und den Beweiswert seiner Aussagen zu hinterfragen. Ersteres kann der
Beschuldigte nur, wenn er die Identität des Zeugen kennt; diese ist ihm
daher grundsätzlich offenzulegen (BGE 132 I 127 E. 2 S. 129; 125 I 127 E. 8c
S. 148).

  Dies schliesst allerdings nicht aus, die Identität des Zeugen
ausnahmsweise geheim zu halten und von einer direkten Konfrontation des
Zeugen mit dem Beschuldigten abzusehen, wenn dies zur Wahrung schutzwürdiger
Interessen erforderlich ist. Als solche anerkannt sind namentlich die
Gewährleistung der persönlichen Sicherheit des Zeugen und, im Falle von
verdeckten Ermittlern, die Wahrung ihrer beruflichen Integrität, um ihnen
die Fortführung ihrer Tätigkeit im Dienst der Polizei zu ermöglichen. Lässt
das Gericht zu, dass ein Zeuge anonym bleibt und bei seiner Befragung
sichergestellt wird, dass er weder optisch noch an seiner Stimme erkannt
werden kann (indirekte Konfrontation), muss es die dadurch bewirkte
Einschränkung der Verteidigungsrechte möglichst kompensieren (Urteil i.S.
Kok gegen Niederlande vom 4. Juli 2000, Recueil CourEDH 2000- VI S. 629). Es
hat sich namentlich davon zu überzeugen, dass die

Identität des Zeugen feststeht und ausgeschlossen werden kann, dass ein
anderer an seiner Stelle Zeugnis ablegt (BGE 132 I 127 E. 2; 125 I 127 E.
6c/ff und d S. 137 ff.; 121 I 306 E. 2b S. 309).

  3.2  Das Kassationsgericht stützt sich in seinem Beschluss auf das Urteil
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte i.S. van Mechelen gegen
Niederlande vom 30. Oktober 1997 (Recueil Cour EDH 1997-VII S. 2426) und
leitet aus diesem ab, der Verteidiger müsse zur Wahrung der
Verteidigungsrechte an der Befragung unmittelbar teilnehmen oder ihr
mindestens mittelbar, d.h. durch audio-visuelle Übertragung folgen und dabei
Fragen stellen können, ansonsten das Beweismittel unverwertbar sei. Eine
bloss akustische Übertragung in einen Nebenraum genüge nicht.

  Dieser Schluss lässt sich aus dem Urteil van Mechelen indessen nicht
ziehen. In diesem Entscheid wird vielmehr dargelegt, es fehle an einer
hinreichenden Erklärung dafür, inwiefern im konkreten Fall die Notwendigkeit
für eine derart einschneidende Beschränkung der Verteidigungsrechte des
Betroffenen, nämlich die optische Abschirmung der beiden anonym als Zeugen
befragten Polizeibeamten, bestanden habe (Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff.
60). Ausserdem erachtete es der Gerichtshof nicht für erstellt, dass die
befragten Polizeibeamten tatsächlich einer relevanten Bedrohungssituation
ausgesetzt waren (a.a.O., Ziff. 61). Das verhält sich im vorliegenden Fall
gänzlich anders, wäre hier der anonymisierte Zeuge doch ohne jeden Zweifel
ernsthaft in seinem Leben bedroht, wenn seine Identität bekannt würde. Es
war hier auch zwingend notwendig zu verhindern, dass neben dem
Beschwerdegegner auch sein Verteidiger den Zeugen zu Gesicht bekam, da nach
den Feststellungen des Geschworenengerichts der Beschwerdegegner dem Zeugen
vom Sehen her bekannt war und es für jenen folglich ein Leichtes gewesen
wäre, auf Beschreibung durch seinen Verteidiger den Zeugen zu
identifizieren. Erweist es sich hier aufgrund dieser Umstände als notwendig,
die Anonymität des Zeugen auch dadurch zu wahren, dass ihn der Verteidiger
nicht zu Gesicht bekommt, kann diese Massnahme nicht zur Unverwertbarkeit
der Zeugenaussage führen, wenn - wie dies geschehen ist - der Zeuge
unmittelbar in Anwesenheit des gesamten Gerichts einvernommen wurde und die
Verteidigung die Möglichkeit hatte, Ergänzungsfragen zu stellen. Zu Recht
wird in der Literatur im Übrigen darauf hingewiesen, dass es dem Gericht
obliegt, die Beweiswürdigung vorzunehmen und mithin die Verlässlichkeit von
Zeugenaussagen zu beurteilen,

weshalb es in erster Linie für dieses wichtig ist, den Zeugen unmittelbar
optisch wahrzunehmen, während diesem Aspekt für die Verteidigung nicht die
gleiche Bedeutung zukommt (vgl. STEFAN TRECHSEL, Human rights in criminal
proceedings, Oxford 2005, S. 319 f.).

Erwägung 4

  4.

  4.1  Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte ist nicht ausgeschlossen, eine Verurteilung auf anonymisierte
Zeugenaussagen zu stützen (Urteile i.S. Doorson gegen Niederlande vom 26.
März 1996, Recueil CourEDH 1996-II S. 446, Ziff. 69; van Mechelen, a.a.O.,
Ziff. 52; zuletzt Krasniki gegen Tschechische Republik vom 28. Februar 2006,
Ziff. 76). Dies gilt namentlich, wenn der Zeuge bei Aufdeckung seiner
Identität Repressalien ausgesetzt wäre (Urteile Doorson, a.a.O., Ziff. 70;
van Mechelen, a.a.O., Ziff. 53). In solchen Fällen sind die
Verteidigungsrechte anderweitig sicherzustellen, was durch indirekte
Konfrontation mit dem Zeugen unter optischer und akustischer Abschirmung
sowie dadurch geschehen kann, dass die Identität und der Leumund des Zeugen
durch den Richter einer umfassenden Prüfung unterzogen werden. Der
Gerichtshof nennt allerdings als weitere Voraussetzung, dass die
Verurteilung nicht ausschliesslich oder entscheidend ("solely or to a
decisive extent") auf anonymisierte Aussagen gestützt werden dürfe (Urteile
Doorson, a.a.O., Ziff. 76; van Mechelen, a.a.O., Ziff. 55; Kok, a.a.O.,
Ziff., 76; zuletzt Krasniki, a.a.O., Ziff. 76). Dem streitigen Zeugnis darf
mit anderen Worten nicht ausschlaggebende Bedeutung zukommen bzw. es darf
nicht den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellen (BGE 132 I 127
E. 2 S. 129 f.).

  4.2  Das Kassationsgericht weist mit Fug auf die inneren Widersprüche
dieses vom Europäischen Gerichtshof vertretenen Massstabs für die Verwertung
anonymisierter Zeugenaussagen hin. Einerseits wird damit ein anonymisierter
Zeuge ausdrücklich als (unter bestimmten Voraussetzungen) zulässiges
Beweismittel anerkannt bzw. die damit verbundenen Einschränkungen des
Konfrontations- und Fragerechts als noch mit dem Fairnessgebot vereinbar
erachtet, anderseits wird die Möglichkeit der Heranziehung solcher Aussagen
zur Begründung eines Schuldspruchs praktisch auf Null reduziert. Denn
entweder tragen schon die anderen Beweise das Urteil, womit auf die (auch
nur ergänzende) Verwertung anonymisierter Aussagen verzichtet werden kann,
oder sie tragen den Schuldspruch

für sich gesehen nicht, dann handelt es sich bei den Aussagen des
anonymisierten Zeugen zwingend um ein zumindest mitentscheidendes Element.
Auch das Bundesgericht hat in seiner neuesten Rechtsprechung festgehalten,
dass der Massstab des Gerichtshofs dazu führe, anonyme Zeugen nur in
Verfahren zuzulassen, in denen sie für die Beweisführung letztlich
überflüssig seien. Entscheidend für die Zulassung anonymisierter Zeugen
könne aber nicht das formale Kriterium sein, ob dem dadurch erlangten Beweis
eine ausschlaggebende Bedeutung zukomme oder nicht. Vielmehr sei im Lichte
der konventions- und verfassungsmässigen Verfahrensgarantien in einer
Gesamtwürdigung zu prüfen, ob die durch die Zulassung eines anonymisierten
Zeugen bewirkte Beschneidung der Verteidigungsrechte durch schutzwürdige
Interessen gedeckt sei und, wenn ja, ob sich der Beschuldigte trotzdem
wirksam verteidigen konnte, er mithin einen fairen Prozess hatte (BGE 132 I
127 E. 2 S. 130).

  Das Kassationsgericht hat im angefochtenen Beschluss die Praxis des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dahin interpretiert, dass
Aussagen anonymer Zeugen zwar nicht die Funktion eines ausschliesslichen
oder schwergewichtigen Beweismittels für die Begründung eines Schuldspruchs
zukommen dürfe, sie aber doch insofern herangezogen werden dürften, als sie
gewissermassen als Mosaiksteinchen ein bereits anderweitig gewonnenes
Beweisergebnis, welches für sich allein betrachtet einen schweren
Tatverdacht begründet, ins Stadium des rechtsgenügenden Beweises zu
überführen vermöchten. Allerdings ist das Kassationsgericht schliesslich in
Würdigung der vom Geschworenengericht erhobenen Beweise abschliessend zum
Schluss gelangt, der Aussage des anonymisierten einzigen direkten Tatzeugen
komme mehr als nur eine untergeordnete, "abrundende" Bedeutung zu, so dass
diese vielmehr ein massgebliches Beweismittel darstelle, dessen Heranziehung
zur Begründung des Schuldspruchs durch die Rechtsprechung ausgeschlossen
werde.

  4.3  Der zutreffende Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte ist der, dass ein Schuldspruch auf eine
anonymisierte Zeugenaussage nur abgestützt werden kann, wenn der
Zufallszeuge konkret schweren Repressalien aus dem Umfeld des Angeklagten
ausgesetzt wäre, sofern diesem seine Identität bekannt würde. In einem
solchen Fall rechtfertigt sich eine Einschränkung der Verteidigungsrechte
insofern, als dem

Angeklagten die Identität des Zeugen nicht offengelegt zu werden braucht,
nötigenfalls auch nicht seinem Verteidiger, wenn eine nicht nur
theoretische, sondern praktische Gefahr besteht, dass dem Angeklagten die
Identität des Zeugen bekannt würde und dieser folglich in gleicher Weise der
Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre, wie wenn von einer Anonymisierung
überhaupt abgesehen würde. Eine anonymisierte Aussage ist auch in einem
solchen Fall nur statthaft, wenn der Zeuge durch das Gericht selber befragt
wird, seine Identität und allgemeine Glaubwürdigkeit durch das Gericht einer
Überprüfung unterzogen wird und der Verteidiger sowie der Angeklagte unter
optischer und akustischer Abschirmung dem Zeugen Fragen stellen können.
Alsdann ist aber kein Grund erkennbar, welcher der Verwertung einer so
erhobenen Aussage entgegenstehen könnte. Denn die Einschränkung der
Verteidigungsrechte ist dem Angeklagten selbst zuzurechnen, von dem selber
oder von dessen Umfeld die Drohung mit Repressalien ausgeht. Die
Einschränkung der Verteidigungsrechte erscheint dabei als durchaus massvoll,
ermöglicht sie doch noch immer eine Zeugenbefragung mit den Vorteilen der
unmittelbaren Beweisabnahme (BGE 125 I 127 E. 8d S. 149 f.). Massvoll ist
sie aber auch aufgrund einer veränderten Einschätzung dessen, was den
Beweiswert einer Zeugenaussage ausmacht. Hat nämlich die Strafjustiz früher
bei der Würdigung von Zeugenaussagen Gewicht auf die allgemeine
Glaubwürdigkeit eines Zeugen im Sinne einer dauerhaften personalen
Eigenschaft gelegt, so kommt diesem Gesichtspunkt nach neueren Erkenntnissen
kaum mehr relevante Bedeutung zu (BENDER/NACK, Tatsachenfeststellung vor
Gericht, Bd. I, Glaubwürdigkeits- und Beweislehre, 2. Aufl., München 1995,
S. 69 ff.). Weitaus bedeutender für die Wahrheitsfindung als die allgemeine
Glaubwürdigkeit ist die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage, welche durch
methodische Analyse ihres Inhalts darauf überprüft wird, ob die auf ein
bestimmtes Geschehen bezogenen Angaben einem tatsächlichen Erleben des
Zeugen entspringen. Damit eine Aussage als zuverlässig gewürdigt werden
kann, ist sie insbesondere auf das Vorhandensein von Realitätskriterien
(BENDER/NACK, a.a.O., S. 105 ff.) und umgekehrt auf das Fehlen von
Phantasiesignalen (BENDER/NACK, a.a.O., S. 150 ff.) zu überprüfen. Dabei
wird zunächst davon ausgegangen, dass die Aussage gerade nicht
realitätsbegründet ist, und erst wenn sich diese Annahme (Nullhypothese)
aufgrund der festgestellten Realitätskriterien nicht mehr halten lässt, wird
geschlossen, dass die Aussage einem wirklichen Erleben entspricht und wahr
ist (vgl. BGE 129 I

49 E. 5 S. 58; 128 I 81 E. 2 S. 85 f.). Ist dieses aber die Methode, mit
welcher Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden, so liegt in der
optischen und akustischen Abschirmung des Zeugen gegenüber dem Angeklagten
und dem Verteidiger keine das Fairnessgebot verletzende Einschränkung der
Verteidigung.

  4.4
  4.4.1  Der zu beurteilende Fall gibt freilich keinen Anlass zur
Entscheidung der Frage, ob die Aussage eines anonymisierten Zeugen unter den
genannten Voraussetzungen auch einen Schuldspruch zu tragen vermag, wenn
keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen. Selbst wenn man nämlich
davon ausgeht, dass die Verfahrensgarantien der EMRK es verbieten, einen
Schuldspruch ausschliesslich oder entscheidend auf eine anonymisierte
Aussage zu stützen, würde dies im vorliegenden Fall einem Schuldspruch nicht
entgegenstehen. Das Kassationsgericht geht zutreffend davon aus, dass die
anonymisierte Aussage jedenfalls insoweit herangezogen werden darf, als sie
als Mosaikstein ein anderweitig gewonnenes Beweisergebnis, welches allein
betrachtet für den Schuldspruch nicht ausreicht, aber einen schwerwiegenden
Tatverdacht begründet, ins Stadium des rechtsgenügenden Beweises zu
überführen vermag. Das Kassationsgericht begnügt sich aber mit der
Feststellung, der anonymisierte Zeuge stelle den einzigen direkten Tatzeugen
dar, welcher die Begehung des Delikts unmittelbar mitverfolgt habe. Bei den
anderen Beweismitteln handle es sich um indirekte Beweise oder um Zeugen vom
Hörensagen, woraus das Kassationsgericht schliesst, dass die Aussage des
anonymisierten Zeugen jedenfalls ein massgebendes Beweismittel gewesen sei.
Ob die fragliche Aussage ein massgebliches Beweismittel war, ist indessen
nicht die entscheidende Frage. Denn es ist bei Geltung des Grundsatzes der
freien Beweiswürdigung denkbar, dass ein Schuldspruch auch erfolgt, ohne
dass ein direkter Tatzeuge einvernommen werden kann oder es einen solchen
überhaupt gibt. Es wäre mithin zu prüfen gewesen, wie weit die anderen
Beweismittel für sich einen Schuldspruch zu tragen vermöchten. Begründen sie
einen schweren Tatverdacht, so kann die Berücksichtigung der Aussage des
anonymisierten Zeugen als zusätzlicher Mosaikstein zum Schuldspruch führen,
ohne dass die Verteidigungsrechte dadurch verletzt wären.

  4.4.2  Die Gesamtwürdigung des vorhandenen Beweismaterials ergibt,
zunächst ohne Berücksichtigung der anonymisierten Zeugenaussage, Folgendes:

  Das Geschworenengericht gelangt gestützt auf die Aussagen mehrerer (nicht
anonymisierter) Zeugen und Auskunftspersonen, die es in vorbildlicher Weise
auf methodischer Grundlage der modernen Aussageanalyse auf ihren
Wahrheitsgehalt überprüft, zur Überzeugung, dass sich der Beschwerdegegner
entgegen seiner Behauptung spätestens seit August 2001 im Raum Zürich
aufhielt, in seinem Bekanntenkreis "Xx." genannt wurde und dass er mit B.
bekannt war. Ebenso steht fest, dass der Beschwerdegegner und das Opfer
(genannt "Aa.") einander gut kannten, kollegial miteinander verkehrten und
zumindest im Zeitraum Mai/Juni 1999 zusammen Drogenhandel betrieben.
Unbestritten ist, dass das Opfer am Montag, 15. Oktober 2001, unmittelbar
nach Mitternacht, auf dem Vorplatz einer Poststelle in
Zürich-Schwamendingen, hinter dem dortigen Restaurant Hirzenbach und der
Classic-Bar an den Folgen einer Schusswunde an seinem Hinterkopf im Bereich
des Genicks verstarb. Die naturwissenschaftlichen Beweismittel ergaben, dass
Todesursache ein Genickschuss aus einer Distanz zwischen 10 und 30 cm war,
welche das Rückenmark durchtrennte, was zum sofortigen Zusammensacken des
stehenden oder sitzenden Körpers führte. Der Beschwerdegegner leugnete, zum
Tatzeitpunkt in der Schweiz gewesen zu sein und das Opfer gekannt zu haben.
Das beharrliche Leugnen einer Anwesenheit in der Schweiz vor Januar 2002
wertete das Geschworenengericht als Indiz, dass er ein gewichtiges Interesse
an der Annahme seiner Landesabwesenheit hatte. Für die eigentliche Tat
schwer belastet wird der Beschwerdegegner durch den Zeugen B., der mit
seinen Aussagen gegenüber der Polizei glaubhaft und überzeugend ausführte,
"Xx." - also der Beschwerdegegner - habe das Opfer alias "Aa." mit der
Pistole erschossen, bevor dieses den Beschwerdegegner habe umbringen können.
Nicht geklärt ist dabei nur, ob der Zeuge bei der Tat selbst vor Ort war
oder ob er den Sachverhalt direkt vom Beschwerdegegner hörte, wie er geltend
machte. Dass der Beschwerdegegner das Opfer erschoss, wird bestätigt durch
die korrespondierenden Ausführungen der Zeuginnen C. und D., welche
übereinstimmend darlegten, E. habe ihnen erzählt, deren Freund (Aussage C.)
bzw. deren Freund "Xx." (Aussage D.) habe "Aa." umgebracht, wobei C. den
Beschwerdegegner auch als den betreffenden Freund "Xx." identifizierte. E.
ihrerseits bestritt zwar wenig glaubhaft, diese Aussage gemacht zu haben,
bestätigte aber, in der fraglichen Zeit ein intimes Verhältnis mit dem
Beschwerdegegner gehabt zu haben. Hinzu kommen weitere indirekte Indizien.

  Es kann nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden, dass bereits diese
Beweise zumindest für einen schweren Tatverdacht genügen, wenn sie nicht gar
geeignet wären, den Schuldspruch zu tragen, namentlich auch angesichts der
sorgfältigen Erhebung der Beweise und der vom Geschworenengericht
detailliert vorgenommenen Analyse der Aussagen.

  Zu diesen Beweisen tritt nun die Aussage des in der Untersuchung und an
der Hauptverhandlung befragten anonymisierten Zeugen hinzu, welcher die
Erschiessung des Opfers durch den Beschwerdegegner aus eigener Wahrnehmung
schildern konnte. Diese Aussage hat das Geschworenengericht nach den
Grundsätzen der Aussageanalyse einlässlich und überzeugend auf ihre
Glaubhaftigkeit überprüft und für wahr befunden. Die detailgenaue
Schilderung der Tatausführung durch den anonymen Zeugen findet schliesslich
wiederum insofern eine Stütze, als dass sie sich genau mit den Erkenntnissen
aus den naturwissenschaftlichen Beweismitteln deckt, wonach das Opfer aus
kurzer Distanz von hinten einen Genickschuss erhielt, worauf der Körper
sofort gelähmt zusammengesackt sein musste.

  4.4.3  Bei dieser Sachlage ist zu folgern, dass selbst unter der Annahme,
dass die anonymisierte Zeugenaussage nur dazu dienen darf, als weiterer
Mosaikstein die Erkenntnisse aus den übrigen Beweisen zu festigen, eine
Verletzung der Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK nicht zu erkennen ist.
Das führt zu dem Ergebnis, dass das Kassationsgericht keinen Anlass hatte,
den Grundsatz der freien Beweiswürdigung unter Berufung auf ein aus der EMRK
fliessendes Verwertungsverbot einzuschränken. Die Nichtigkeitsbeschwerde
erweist sich daher als begründet.