Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 I 206



Urteilskopf

133 I 206

  24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Halter-Durrer und Mitb. gegen Kanton Obwalden (Staatsrechtliche Beschwerde)
  2P.43/2006 vom 1. Juni 2007

Regeste

  Art. 8 Abs. 1, 49 Abs. 1, 127 Abs. 2 BV; Art. 88 OG; Verfassungsmässigkeit
der degressiven Obwaldner Steuertarife; Eintretensfragen; Folgen
festgestellter Verfassungswidrigkeit.

  Legitimation zur Anfechtung von Steuertarifen mit staatsrechtlicher
Beschwerde (E. 2).

  Unzulässigkeit der Beschränkung der Anfechtung auf einzelne
Tarifpositionen oder Teile des Tarifs (E. 3).

  Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV; E. 4).

  Tarifautonomie der Kantone (E. 5). Besteuerungsgrundsätze gemäss Art. 127
Abs. 2 BV und deren Bedeutung für die Kantone (E. 6).

  Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als
allgemeines Konzept, welches der Konkretisierung bedarf (E. 7.1 und 7.2);
das Leistungsfähigkeitsprinzip aus finanzwissenschaftlicher Sicht (E. 7.3);
Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips anhand der rechtlichen
Grundordnung (E. 7.4).

  Progressive, proportionale und degressive Steuertarife (E. 8.1).
Anforderungen, die das Leistungsfähigkeitsprinzip an die Tarifgestaltung
stellt, und Kognition des Bundesgerichts bei der Überprüfung von
Steuertarifen (E. 8.2). Degressive Tarife im Besonderen (E. 8.3).

  Der neue Obwaldner Einkommenssteuertarif widerspricht dem allgemeinen
Rechtsgleichheitsgebot und dem Grundsatz der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (E. 9). Weder Gründe des
Steuerwettbewerbs (E. 10) noch andere fiskalische oder ausserfiskalische
Zielsetzungen (E. 11) vermögen den verfassungsrechtlichen Mangel zu beheben.

  Gleiche Beurteilung bezüglich des neuen Obwaldner Vermögenssteuertarifs
(E. 12).

  Folgen der festgestellten Verfassungsverletzung (E. 13).

Sachverhalt

  A.- Am 14. Oktober 2005 erliess der Kantonsrat Obwalden einen Nachtrag zum
Steuergesetz vom 30. Oktober 1994 (StG/OW), der für Einkommen ab Fr.
300'000.- und Vermögen ab Fr. 5'000'000.- degressive Steuertarife vorsieht.
Gleichzeitig wurden die Einkommen im unteren Bereich deutlich entlastet.
Art. 38 Abs. 1 und 55 Abs. 1 des Nachtrags zum Steuergesetz lauten:

    Art. 38 Abs. 1

    1 Die einfache Steuer vom steuerbaren Einkommen für ein Steuerjahr
    beträgt:

                                                   Fr.

    0,0    Prozent für die ersten                5'000.-

    0,9    Prozent für die weiteren              6'000.-

    1,3    Prozent für die weiteren              5'000.-

    1,6    Prozent für die weiteren              7'000.-

    2,2    Prozent für die weiteren             15'000.-

    2,3    Prozent für die weiteren             32'000.-

    2,35   Prozent für die weiteren            230'000.-

    2,0    Prozent für die weiteren             40'000.-

    1,5    Prozent für die weiteren             40'000.-

    1,2    Prozent für die weiteren             40'000.-

    1,0    Prozent für die weiteren            130'000.-

    1,2    Prozent für die weiteren             50'000.-

    1,6    Prozent für die weiteren            400'000.-

    1,65   Prozent für Einkommensteile über  1'000'000.-

    Art. 55 Abs. 1

    1 Die einfache Steuer vom steuerbaren Vermögen für ein Steuerjahr
    beträgt:

                                                   Fr.

    0,35    Promille für die ersten          5'000'000.-

    0,2     Promille für Vermögensteile über 5'000'000.-

  Zudem wurde die Gewinnsteuer für juristische Personen auf 6,6 Prozent und
die Kapitalsteuer auf 2 Promille festgesetzt und vom Gemeindesteuerfuss
entkoppelt. Diese Änderungen bei den juristischen Personen sind nicht
Verfahrensgegenstand.

  Die Steuervorlage wurde in der kantonalen Volksabstimmung vom 11. Dezember
2005 mit 8'623 Ja gegen 1'368 Nein angenommen. Das Ergebnis der Abstimmung
wurde im Amtsblatt des Kantons Obwalden vom 15. Dezember 2005 publiziert.
Der Nachtrag zum Steuergesetz kam gültig zustande und trat am 1. Januar 2006
in Kraft (Amtsblatt vom 22. Dezember 2005).

  B.- Mit gemeinsamer Eingabe vom 31. Januar 2006 erhoben Theres
Halter-Durrer, Hans Rohrer, Daniel Eigensatz (Beschwerdeführer 1-3) und
Josif Zisyadis (Beschwerdeführer 4) staatsrechtliche Beschwerde gegen den
Nachtrag zum Steuergesetz des Kantons Obwalden vom 14. Oktober 2005. Sie
beantragen, die Steuertarife gemäss Art. 38 Abs. 1 und Art. 55 Abs. 1 StG/OW
seien im degressiven Teil, also für Einkommensteile über Fr. 300'000.- und
für Vermögensteile über Fr. 5'000'000.-, aufzuheben. Eventualiter sei
festzustellen, dass die beiden Steuertarife im degressiven Teil
verfassungswidrig seien.

  Die Beschwerdeführer berufen sich auf das Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8
Abs. 1 BV) sowie den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit (Art. 127 Abs. 2 BV) und machen geltend, die Verfassung
schreibe einen progressiven Tarifverlauf für die Einkommens- und die
Vermögenssteuer vor.

  Die Beschwerdeführer rügen ferner eine Verletzung des Grundsatzes des
Vorrangs des Bundesrechts gemäss Art. 49 Abs. 1 BV in Verbindung mit Art.
129 BV und Art. 5 und 9 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der
direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14. Dezember 1990
(Steuerharmonisierungsgesetz, StHG; SR 642.14). Sie machen geltend, die
Steuerharmonisierung habe die zum Zweck der Wirtschaftsförderung zulässigen
Massnahmen abschliessend geregelt; degressive Steuertarife fielen nicht
darunter.

  C.- Der Regierungsrat des Kantons Obwalden beantragt, auf die
staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen.

  Im zweiten Schriftenwechsel hielten die Parteien an ihren Anträgen fest.

Auszug aus den Erwägungen:

                               Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Da das vorliegende
Normenkontrollverfahren vor diesem Datum eingeleitet

wurde, findet in prozessualer Hinsicht noch das Bundesgesetz über die
Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG; BS 3 S. 531)
Anwendung (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG).

Erwägung 2

  2.  Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen
und mit freier Kognition (vgl. BGE 131 I 57 E. 1 S. 59, 153 E. 1 S. 156).

  2.1  Nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG ist zur staatsrechtlichen
Beschwerde gegen einen kantonalen Erlass legitimiert, wer durch die
angefochtenen Bestimmungen zumindest virtuell (d.h. mit einer minimalen
Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal unmittelbar) in seinen
rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (BGE 131 I 198 E. 2.1 S. 200,
291 E. 1.3 S. 296; 130 I 26 E. 1.2.1 S. 29, 306 E. 1 S. 309). Für die
Anfechtung eines Erlasses genügt somit bereits eine virtuelle Betroffenheit
in einer rechtlich geschützten Position.

  2.2  Die Kantonsregierung beantragt, auf die staatsrechtliche Beschwerde
nicht einzutreten. Sie beruft sich auf das Urteil des Bundesgerichts
1P.668/2003 vom 26. Januar 2004 im Falle einer Schaffhauser
Stimmrechtsbeschwerde, die sich gegen eine Teilrevision des Gesetzes über
die direkten Steuern des Kantons Schaffhausen vom 15. September 2003
richtete. In diesem Urteil trat die I. öffentlich-rechtliche Abteilung auf
die Rüge, der neue, ebenfalls degressiv ausgestaltete Steuertarif des
Kantons Schaffhausen verletze das Gebot der rechtsgleichen Behandlung, nicht
ein. Sie begründete den Nichteintretensentscheid in Anwendung der sog.
AVLOCA-Praxis (BGE 109 Ia 252 i.S. AVLOCA; ferner BGE 131 I 198 E. 2.6 S.
203) damit, dass der Beschwerdeführer sich nicht in der gleichen Situation
(Einkommensklasse) befinde wie die von der Abflachung des Tarifs im oberen
Segment begünstigten Steuerpflichtigen und dass die Verbesserung der
steuerlichen Attraktivität des Kantons durch den Zuzug vermögender Personen
sich zudem zu seinem Vorteil auswirke.

  2.3  Es fragt sich jedoch, ob die Kriterien der AVLOCA-Praxis den
Besonderheiten genügend Rechnung tragen, die mit der Anfechtung von
Steuertarifen durch davon betroffene Steuerpflichtige verbunden sind. Die
Beschwerdeführer machen geltend, die degressiv ausgestalteten Steuertarife
würden das Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) sowie den Grundsatz der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Art. 127 Abs. 2
BV) verletzen. Die Beschwerdeführer 1-3 wohnen im Kanton Obwalden und sind
dort (unbeschränkt) steuerpflichtig. Sie sind damit von den angefochtenen

Steuertarifen zumindest virtuell betroffen und können verlangen, dass die
direkten Steuern auf Einkommen und Vermögen auf einer Tarifgestaltung
beruhen, die in allen Bereichen dem Gebot der rechtsgleichen Behandlung
sowie der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
entspricht. Dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer gegenwärtigen
Einkommens- und Vermögensverhältnisse von der Steuerentlastung der unteren
Einkommen im angefochtenen Tarif profitieren, ändert daran nichts, da sich
ihre wirtschaftliche Situation einmal ändern kann und sie dannzumal durch
den degressiven Tarifverlauf auch benachteiligt sein können. Der Steuertarif
bildet ein unteilbares Ganzes und muss den erwähnten verfassungsrechtlichen
Anforderungen genügen. Die Missachtung dieser Grundsätze muss daher jeder
Steuerpflichtige im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle rügen können,
zumal hierfür nach Art. 88 OG eine virtuelle Betroffenheit ausreicht.

  2.4  Auf die staatsrechtliche Beschwerde der Beschwerdeführer 1-3 ist
daher einzutreten, ohne dass die AVLOCA-Praxis heranzuziehen wäre. Dieser
Auffassung hat sich auch die I. öffentlich-rechtliche Abteilung
angeschlossen, wie sich aus deren Stellungnahme zuhanden der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung ergibt. Wie die I. öffentlich-rechtliche
Abteilung darin ausführt, wurde auf die staatsrechtliche Beschwerde im
Schaffhauser Fall deshalb nicht eingetreten, weil die Beschwerdebegründung
nicht genügte (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) resp. weil die Voraussetzungen nach
der AVLOCA-Praxis nicht erfüllt gewesen seien. Sofern jedoch die
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde direkt aus dem Gleichheitssatz
(Art. 8 BV) bzw. aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip abgeleitet werde,
ergäben sich keine Divergenzen zum Urteil 1P.668/2003 vom 26. Januar 2004.
Ohnehin könne diesem im vereinfachten Verfahren (Art. 36a OG) ergangenen
Urteil keine praxisbildende Bedeutung beigemessen werden (Stellungnahme der
I. öffentlich-rechtlichen Abteilung vom 27. März 2007).

  2.5  Der Beschwerdeführer 4 hat Wohnsitz in Lausanne. Er bezeichnet sich
als "Berufspolitiker" und war Staatsrat des Kantons Waadt. Er meldete sich
am 27. Januar 2006, kurz vor Ablauf der Beschwerdefrist, in der Gemeinde
Sachseln an, wo er bei der Beschwerdeführerin 1 in deren Einfamilienhaus ein
"Zimmer im Parterre, mit Kaffeemaschine, Kochgelegenheit und
Badezimmermitbenützung" mietete. Seine Ehefrau und der jüngste Sohn, geb.
2005, blieben in Lausanne wohnhaft. Anfangs Mai 2006 deponierte der
Beschwerdeführer

4 seine Schriften wieder in Lausanne. Gemäss seinen Ausführungen gegenüber
den Medien hätte sich ohne seinen Umzug niemand gefunden, der in Obwalden
gegen das Nachtragsgesetz staatsrechtliche Beschwerde geführt hätte ("qui
reprenne le flambeau de la résistance"). Dass der Beschwerdeführer seinen
Beruf, der offenbar mit seiner politischen Tätigkeit zusammenfällt, von
Obwalden aus ausgeübt hätte oder dort bezahlte Funktionen in einem Verband,
einer Gewerkschaft o.ä. übernommen hätte, ist nicht nachgewiesen. Er geht
davon aus, dass er dereinst wieder als Nationalrat gewählt werden könnte,
was aber für die Legitimation klar unerheblich ist. Aufgrund der heutigen,
bekannten Umstände ist nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer 4 im
Kanton Obwalden unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist oder werden
könnte. Für die Besteuerung in der Steuerperiode 2006 ist ohnehin der Kanton
zuständig, wo der Beschwerdeführer am 31. Dezember 2006 seinen Wohnsitz
hatte (vgl. Art. 68 Abs. 1 StHG). Der Beschwerdeführer 4 ist durch das
Änderungsgesetz weder tatsächlich noch virtuell betroffen und daher zur
staatsrechtlichen Beschwerde nach Art. 88 OG nicht legitimiert. Soweit die
staatsrechtliche Beschwerde in seinem Namen erhoben wurde, ist darauf nicht
einzutreten.

Erwägung 3

  3.  Die Beschwerdeführer verlangen nicht die vollumfängliche Aufhebung der
Steuertarife nach Art. 38 Abs. 1 und 55 Abs. 1 StG/OW, sondern lediglich die
Kassierung des degressiven Teils derselben, d.h. für Einkommensteile über
Fr. 300'000.- und Vermögensteile über Fr. 5'000'000.-.

  3.1  Die im Antrag enthaltene Einschränkung ist unzulässig. Der
Steuertarif ist ein unteilbares Ganzes. Dieser wird vom Gesetzgeber so
festgesetzt, dass er (zusammen mit einem variablen Steuerfuss) ein
bestimmtes Steueraufkommen generiert, das den Finanzbedarf des Gemeinwesens
abzudecken vermag. Das Steueraufkommen kann in Frage gestellt sein und der
Finanzhaushalt des Gemeinwesens aus dem Gleichgewicht geraten, wenn nur
Teile eines Tarifs aufgehoben bzw. geändert werden. Die Aufhebung nur eines
Teils eines Steuertarifs geht schon deshalb nicht an, weil unter dem
Gesichtswinkel der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen der Tarif
ganzheitlich betrachtet werden muss. Es können daher nicht einzelne
Tarifpositionen herausgenommen und isoliert beurteilt werden (s. auch BGE
104 Ia 284 E. 4d S. 294). Mit der Aufhebung des degressiven Teils

des Steuertarifs entstünde zudem eine Regelungslücke, durch die der Rest des
Tarifs unanwendbar würde.

  3.2  Das Bundesgericht darf grundsätzlich nicht über die in der
staatsrechtlichen Beschwerde gestellten Anträge hinausgehen. Dieser
Grundsatz erleidet bei der abstrakten Normenkontrolle aber insoweit eine
Einschränkung, als das Bundesgericht ausnahmsweise auch den ganzen Erlass
aufheben kann, wenn er ohne den angefochtenen und als verfassungswidrig
erachteten Teil sinn- und zwecklos wird (vgl. WALTER KÄLIN, Das Verfahren
der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. 1994, S. 398, mit Hinweisen;
PHILIPPE GERBER, La nature cassatoire du recours de droit public, Diss. Genf
1997, S. 153 f.; BGE 110 Ia 7 E. 1e S. 13; 118 Ia 64 E. 2c S. 72). Insofern
besteht die Möglichkeit, das Beschwerdebegehren im Interesse eines
vernünftigen Verfahrensergebnisses dahingehend zu interpretieren, dass die
Tarife auch als Ganzes zu kassieren sind. Zwar haben die Beschwerdeführer
insbesondere den Einkommenssteuertarif bewusst nur teilweise angefochten,
weil sie sich vom unangefochten gebliebenen Teil des Tarifs für die
betreffende Bevölkerungsgruppe einen Vorteil versprechen. Dieses Motiv kann
jedoch im Rahmen des Normenkontrollverfahrens nicht berücksichtigt werden.

  3.3  Dem von den Beschwerdeführern gestellten Eventualbegehren (Antrag auf
Feststellung der Verfassungswidrigkeit) kommt neben dem Antrag auf Kassation
(Aufhebung der Art. 38 Abs. 1 und 55 Abs. 1 StG/OW) nur subsidiäre Bedeutung
zu. Die Aufhebung der Steuertarife geht einem allfälligen
Feststellungsurteil grundsätzlich vor (s. auch BGE 110 Ia 7 E. 6 S. 26; 124
I 193 E. 5a-c S. 201 f.).

Erwägung 4

  4.  Die Beschwerdeführer fechten den kantonalen Erlass wegen Verletzung
des Gebots der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV) sowie des
Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
(Art. 127 Abs. 2 BV) an. Ferner berufen sie sich auf den Grundsatz des
Vorrangs des Bundesrechts gemäss Art. 49 Abs. 1 BV in Verbindung mit Art. 5
und 9 StHG.

  In Bezug auf den zuletzt genannten Grundsatz machen die Beschwerdeführer
geltend, das Steuerharmonisierungsgesetz regle die zum Zwecke der
Wirtschaftsförderung zulässigen steuerlichen Massnahmen abschliessend. So
erlaube Art. 5 StHG Steuervergünstigungen für die Neuansiedlung von
Unternehmen; Art. 9 StHG liste die allgemeinen Abzüge mit Förderungswirkung
(Energiesparen, Denkmalpflege, Altersvorsorge etc.) abschliessend auf. Es
gehe daher nicht

an, dass der Kanton mit dem erklärten Zweck der Wirtschaftsförderung im
Rahmen der neuen Steuertarife Steuervergünstigungen gewähre.

  Die Rüge ist unbegründet. Die Tarifhoheit, das heisst die Kompetenz, die
Steuertarife zu erlassen, ist den Kantonen ausdrücklich vorbehalten (Art.
129 Abs. 2 BV, Art. 1 Abs. 3 StHG). Sie haben dabei allerdings die
Grundrechte zu beachten. Es kann aber keine Rede davon sein, es handle sich
um Steuervergünstigungen im Sinne von Art. 5 StHG oder um allgemeine Abzüge
nach Art. 9 StHG, wenn bei der Ausgestaltung des kantonalen Steuertarifs
Förderungsmotive einfliessen. Auf den Grundsatz des Vorrangs des
Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) können sich die Beschwerdeführer im
vorliegenden Zusammenhang daher nicht berufen.

  Zu prüfen bleibt, ob die angefochtenen Tarife in Art. 38 Abs. 1 und 55
Abs. 1 StG/OW gegen das Rechtsgleichheitsgebot und namentlich den Grundsatz
der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verstossen.

Erwägung 5

  5.  Gemäss Art. 3 BV sind die Kantone souverän, soweit ihre Souveränität
nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus,
die nicht dem Bund übertragen sind. Die Kantone bestimmen, welche Aufgaben
sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen (Art. 43 BV). Zur Durchführung
der kantonalen Aufgaben (wie auch zur Umsetzung des Bundesrechts, Art. 46
Abs. 3 BV) sind die Kantone auf die Mittelbeschaffung angewiesen. Das
bedingt, dass sie über Finanzautonomie verfügen. Diese ist in Art. 46 Abs. 3
BV noch speziell erwähnt. Sie umschliesst namentlich die Befugnis zur
Steuererhebung und zur Bestimmung von Art und Umfang der kantonalen Abgaben
in den Schranken von Art. 129 und 134 BV (vgl. SCHWEIZER/KÜPFER, in: Die
schweizerische Bundesverfassung [St. Galler Kommentar], Zürich 2002, N. 12
zu Art. 52 BV; KLAUS A. VALLENDER, Verfassungsmässiger Rahmen und allgemeine
Bestimmungen, in: Sonderheft "Steuerharmonisierung", ASA 61 S. 265).

  Die Kantone sind grundsätzlich frei, ihre Steuerordnung zu gestalten. Sie
sind aber verpflichtet, das übergeordnete Bundesrecht zu beachten. Im
Bereich der direkten Steuern vom Einkommen und Vermögen hat namentlich das
Steuerharmonisierungsgesetz die Steuererhebung in den Kantonen
vereinheitlicht. Die Harmonisierung erstreckt sich u.a. auf die subjektive
Steuerpflicht, den Steuergegenstand und die zeitliche Bemessung der direkten
Steuern. Sache der Kantone

bleibt "insbesondere die Bestimmung der Steuertarife, Steuersätze und
Steuerfreibeträge" (Art. 129 Abs. 2 BV, Art. 1 Abs. 3 StHG). Den Kantonen
soll damit eine gewisse Autonomie erhalten bleiben, wenn sie ihre
Einnahmequellen bestimmen (vgl. VALLENDER, a.a.O., S. 273 f.).

  Im Rahmen des ihnen zustehenden Gestaltungsspielraums sind die Kantone
aber nicht völlig frei. Sie müssen ebenfalls die verfassungsmässigen
Grundrechte, insbesondere das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8
Abs. 1 BV) und die daraus abzuleitenden steuerrechtlichen Prinzipien, wozu
auch das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
gehört, beachten.

Erwägung 6

  6.

  6.1  Im Bereich der Steuern wird Art. 8 Abs. 1 BV insbesondere durch die
Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie den
Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
konkretisiert (Art. 127 Abs. 2 BV). Es geht um Besteuerungsgrundsätze
finanz-, sozial- und steuerpolitischer Natur, die sich nach Rechtsprechung
und Lehre bereits unter der alten Bundesverfassung (aBV) aus dem Artikel 4
herausgebildet haben und die im Rahmen des Nachführungsauftrags nunmehr
explizit in der Verfassung verankert worden sind (vgl. VALLENDER/WIEDERKEHR
in: Die schweizerische Bundesverfassung [St. Galler Kommentar], Zürich 2002,
N. 3 zu Art. 127 BV).

  Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung verlangt, dass alle
Personen oder Personengruppen nach denselben gesetzlichen Regeln erfasst
werden; Ausnahmen, für die kein sachlicher Grund besteht, sind unzulässig
(BGE 114 Ia 221 E. 2c S. 224, 321 E. 3b S. 323; HÖHN/WALDBURGER,
Steuerrecht, Bd. I, 9. Aufl. 2001, § 4 Rz. 71 S. 108; VALLENDER/WIEDERKEHR,
a.a.O., N. 8 zu Art. 127 BV). Andererseits verbietet der Grundsatz, einer
kleinen Gruppe von Steuerpflichtigen im Verhältnis zu ihrer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit erheblich grössere Lasten aufzuerlegen. Er statuiert in
dieser Hinsicht einen verfassungsmässigen Minderheitenschutz (BGE 99 Ia 638
E. 9 S. 653).

  Nach dem Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung sind Personen, die
sich in gleichen Verhältnissen befinden, in derselben Weise mit Steuern zu
belasten und müssen wesentliche Ungleichheiten in den tatsächlichen
Verhältnissen zu entsprechend unterschiedlichen Steuerbelastungen führen
(BGE 114 Ia 221 E. 2c S. 224 f., 321 E. 3b

S. 323). In dieser Formulierung konkretisiert das Prinzip im Wesentlichen
den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 8 Abs. 1 BV (DANIELLE YERSIN,
L'égalité de traitement en droit fiscal, ZSR 111/1992 II S. 166). Nach
anderer Lehrmeinung bezieht sich der Grundsatz auf die objektive Seite des
Steuerrechtsverhältnisses, indem er verlangt, dass die Steuerobjekte
lückenlos und gleichmässig ausgewählt werden (BLUMENSTEIN/LOCHER, System des
schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl. 2002, S. 161; HÖHN/WALDBURGER,
a.a.O., § 4 Rz. 74 S. 109 f.).

  Der Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung hat allerdings im
Bereich der direkten Steuern mit dem Aufkommen und der Verfestigung des
Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an
Inhalt zunehmend eingebüsst (vgl. MARKUS REICH, Von der normativen
Leistungsfähigkeit der verfassungsrechtlichen Steuererhebungsprinzipien, in:
Steuerrecht im Rechtsstaat, Festschrift für Francis Cagianut, Bern/Stuttgart
1990, S. 103; SANDRA MORANDI, Die Begrenzung der Steuerlast durch
verfassungsrechtliche Bindungen des schweizerischen Steuergesetzgebers,
Diss. St. Gallen 1997, S. 131 ff.). Das genannte Prinzip besagt, dass die
Steuerpflichtigen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit an die Steuerlasten
beizutragen haben.

  6.2  Diese Besteuerungsgrundsätze sind auch durch die Kantone zu beachten,
wenn sie Steuern erheben. Art. 127 BV ist zwar nicht im Grundrechtsteil der
Bundesverfassung (Art. 7-36 BV) enthalten, sondern im Kapitel über die
Finanzordnung des Bundes. Die Verfassungsnorm betrifft daher in erster Linie
die Steuern, die der Bund erhebt. Die Besteuerungsgrundsätze konkretisieren
jedoch das allgemeine Gleichbehandlungsgebot für den Bereich der Steuern und
enthalten Prinzipien von grundrechtlichem Gehalt. Art. 127 BV verpflichtet
daher in Verbindung mit Art. 8 BV - und wie bereits Art. 4 aBV und dessen
Teilgehalte - auch die Kantone. Es war in der parlamentarischen Debatte
unbestritten, dass es sich bei den Besteuerungsgrundsätzen des Art. 127 BV
um Ableitungen der Doktrin und Praxis aus dem Gleichheitssatz der alten
Bundesverfassung (Art. 4 aBV) handelt und ihnen in Verbindung mit dem
allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 8 Abs. 1 BV) Grundrechtsqualität zukommt
(vgl. AB 1998 S 187, Votum Rhinow). Der kantonale Steuergesetzgeber hat
daher bei der Ausgestaltung seiner Steuerordnung die Grundsätze des Art. 127
BV ebenfalls zu beachten. Das gilt jedenfalls für die direkten Steuern. Für
indirekte Steuern und Objektsteuern ist im Einzelfall zu prüfen, inwiefern
sich die Besteuerungsprinzipien

sachgerecht anwenden lassen. Die Grundsätze nach Art. 127 Abs. 2 BV gelten
denn auch nur, "soweit es die Art der Steuer zulässt" (s. auch BGE 128 I 102
E. 6d S. 112).

Erwägung 7

  7.

  7.1  Nach dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit soll jede Person entsprechend der ihr zur Verfügung
stehenden Mittel an die Finanzaufwendungen des Staates beitragen (BGE 122 I
101 E. 2b/aa S. 103; 114 Ia 221 E. 2c S. 225; 99 Ia 638 E. 9 S. 652 f.).
Seine verfassungsrechtliche Fundierung fand das Leistungsfähigkeitsprinzip
bereits in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von
1789 und in einigen Staatsverfassungen (KLAUS TIPKE, Die
Steuerrechtsordnung, Bd. I, Köln 1993, S. 485 ff.). Es ist zudem in
zahlreichen Kantonsverfassungen enthalten, wiewohl es in der alten
Bundesverfassung noch nicht erwähnt wurde. Das Bundesgericht leitete den
Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
erstmals im Jahre 1973 im Reichtumssteuer-Fall des Kantons Basel-Landschaft
explizit aus Art. 4 aBV ab (BGE 99 Ia 638 E. 9 S. 652 f.; KATHRIN KLETT, Der
Gleichheitssatz im Steuerrecht, ZSR 111/1992 II S. 92 f.). Es bejahte jedoch
in einer älteren Rechtsprechung ein entsprechendes verfassungsmässiges
Individualrecht gestützt auf kantonale Verfassungsbestimmungen (MARKUS
REICH, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommenssteuerrecht, ASA 53 S. 16
f.; s. auch Urteil 2P.78/1995 vom 24. Mai 1996, StR 51/1996 S. 436 E.
2c/aa).

  In der Doktrin ist heute weitgehend anerkannt, dass der Grundsatz der
Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ein sachgerechtes, grundlegendes
Prinzip der direkten Steuern darstellt und einem allgemeinen
Rechtsbewusstsein entspricht (HÖHN/WALDBURGER, a.a.O., § 4 Rz. 76 f. S. 111
f.; TIPKE, a.a.O., S. 481; ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH,
Steuerharmonisierung, Bern 1984, S. 4 f.; MORANDI, a.a.O., S. 133; SILVIA
MARIA SENN, Die verfassungsrechtliche Verankerung von anerkannten
Besteuerungsgrundsätzen, Diss. Zürich 1999, S. 191 ff.; DIETER GRÜNBLATT,
Nichtfiskalische Zielsetzungen bei Fiskalsteuern, Diss. Basel 1994, S. 169
f.). Danach sind die staatlichen Lasten gleichmässig entsprechend der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf die Bürger zu verteilen. Eine andere
generelle Lastenverteilungsregel, etwa im Sinne einer absolut gleichen
Verteilung der Steuerlast oder nach dem Äquivalenzprinzip entsprechend der
Inanspruchnahme staatlicher Leistungen, "wäre nach heutiger

Rechtsüberzeugung unvorstellbar" (so bereits 1984 REICH,
Leistungsfähigkeitsprinzip, a.a.O., S. 10).

  7.2  Für den Bereich der Steuer vom Einkommen lässt sich dem
Leistungsfähigkeitsprinzip unmittelbar entnehmen, dass Personen und
Personengruppen gleicher Einkommensschicht gleich viel Steuern zu bezahlen
haben (sog. horizontale Steuergerechtigkeit). Personen mit verschieden hohen
Einkommen sind unterschiedlich zu belasten. Es darf somit nicht sein, dass
jemand mit niedrigem Einkommen gleich viel Steuern zahlen muss wie jemand
mit hohem Einkommen. Erst recht kann nicht verlangt werden, dass jemand
Steuern zahlt, obschon er dazu nicht in der Lage ist. Das Prinzip ist
bereits mit diesen drei Grundregeln geeignet, zur Steuergerechtigkeit
beizutragen, und zwar sowohl in horizontaler wie auch in vertikaler
Richtung.

  Im Übrigen handelt es sich beim Leistungsfähigkeitsprinzip aber - wie beim
Begriff der Steuergerechtigkeit überhaupt - um ein unbestimmtes Konzept. In
Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Steuerbelastung
lassen sich die Sachverhalte in horizontaler Richtung, d.h. zwischen
Steuerpflichtigen in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen, relativ leicht
vergleichen. Aus dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit
geht hingegen nicht direkt hervor, um wie viel die Steuer zunehmen muss,
wenn das Einkommen um einen bestimmten Betrag steigt, um unter dem
Gesichtswinkel der Leistungsfähigkeit gleichwertige Verhältnisse
herzustellen. Die Vergleichbarkeit ist daher in vertikaler Richtung
erheblich geringer, und dem Gesetzgeber steht ein grosser
Gestaltungsspielraum zu. In dieser Hinsicht kann nicht viel mehr verlangt
werden, als dass Steuertarif und Belastungskurve regelmässig verlaufen ("on
ne saurait exiger beaucoup plus qu'une évolution régulière du barème ou de
la courbe de la charge fiscale", BGE 118 Ia 1 E. 3a S. 3).

  Wie das Bundesgericht im Urteil Hegetschweiler (BGE 110 Ia 7) feststellte,
hängt die Ausgestaltung des Steuertarifs, jedenfalls was den Verlauf der
Progression anbetrifft, in besonderem Mass von politischen Wertungen ab. Ob
ein Steuergesetz den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge, könne
nicht aufgrund formaler Kriterien entschieden werden, sondern falle
letztlich mit der Frage zusammen, ob das Gesetz gerecht sei. Gerechtigkeit
sei jedoch ein relativer Begriff, der sich mit politischen, sozialen und
wirtschaftlichen

Verhältnissen wandle (BGE 110 Ia 7 E. 2b S. 14; so bereits BGE 96 I 560 E.
2a S. 567; 99 Ia 638 E. 9 S. 654; ferner BGE 114 Ia 321 E. 3b S. 323 f.).

  7.3  In der Finanzwissenschaft fehlte es zwar nicht an Versuchen, aus dem
Leistungsfähigkeitsprinzip Regeln für die Steuerbelastung zu gewinnen. Das
erfolgte auf der Basis der sog. Opfertheorien. Nach dem opfertheoretischen
Verständnis soll die Besteuerung in der Weise erfolgen, dass jeder aufgrund
der individuellen Leistungsfähigkeit das gleiche (relative, absolute oder
marginale) Opfer erbringen muss. Die Frage lautet, welcher Steuersatz bei
einem bestimmten Einkommen eine gleich schwere Beeinträchtigung des
Bedürfnisbefriedigungspotentials bewirkt. Gemeinsam liegt diesen Theorien
der Gedanke zugrunde, dass bei zunehmendem Einkommen der individuelle
Nutzungszuwachs aus dem Mehreinkommen abnimmt, die Grenznutzenkurve also
einen sinkenden Verlauf anzeigt. Erst mit grenznutzentheoretischen
Überlegungen war es möglich, aus den Opfertheorien Ableitungen für das
Einkommen und dessen Belastung zu gewinnen (ausführlich DIETER BIRK, Das
Leistungsfähigkeitsprinzip als Massstab der Steuernormen, Köln 1983, S. 23
ff., bes. 25, 32 ff., 37 ff.; s. auch FELIX RICHNER, Degressive
Einkommenssteuertarife in verfassungsrechtlicher Sicht, ZStP 2006 S. 209
ff.; mathematische Darstellung der Opfertheorien bei UELI SIEGENTHALER, Vom
Leistungsfähigkeitsprinzip zum Aequivalenzprinzip, Diss. Freiburg 1977, S.
58 ff.).

  Die Finanzwissenschaft hat indessen auch aufgezeigt, dass sich aus der
Grenznutzentheorie letztlich keine definitive Antwort auf die Frage nach der
vertikalen Gleichbehandlung und damit nach dem Mass der Steuerbelastung
entsprechend der Leistungsfähigkeit entnehmen lässt. Es besteht weitgehend
Einigkeit darüber, dass Einkommen ein geeigneter Indikator für
Leistungsfähigkeit darstellt. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, die
Steuer so zu bemessen, dass jede Person ein ihren individuellen
Verhältnissen entsprechendes Steueropfer zu tragen hat (Opfersymmetrie).
Solange namentlich der Verlauf der Grenznutzenkurve nicht messbar ist, lässt
sich nicht ziffernmässig feststellen, um wie viel die Steuerbelastung bei
einem Einkommenszuwachs steigen muss, um ein gleichwertiges "Opfer"
abzufordern. Darauf wurde bereits in einem Gutachten zuhanden des
österreichischen Juristentages hingewiesen (vgl. WOLFGANG GASSNER/MICHAEL
LANG, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommen- und
Körperschaftsteuerrecht, in: Verhandlungen des 14. Österreichischen

Juristentages, Wien 2000, Bd. III/1, S. 8 f.; zur finanzwissenschaftlichen
Kritik des Leistungsfähigkeitsprinzips, vgl. BIRK, a.a.O., S. 39 ff., bes.
40, 42; s. auch RENÉ MATTEOTTI, Gerechtigkeitsüberlegungen zur Flat Tax, ASA
73 S. 703 f.; RICHNER, a.a.O., S. 214 ff.).

  7.4  In der Rechtslehre wird das Leistungsfähigkeitsprinzip verstanden als
ein Besteuerungsprinzip, das den Gleichheitssatz in einer bestimmten, von
sozialen Grundwerten der Verfassung vorgegebenen Weise konkretisiert. Bei
der Suche nach dem normativen Inhalt des Leistungsfähigkeitsprinzips wird
zudem auf den engen Zusammenhang zwischen dem Gleichheitspostulat und der
Steuergerechtigkeit hingewiesen. Gerechtigkeit im Steuerrecht ist vor allem
eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit im Sinne der aristotelischen
iustitia distributiva. Es geht um die gerechte Zuteilung der Lasten und
Ansprüche unter die Mitglieder der Gemeinschaft (vgl. TIPKE, a.a.O., S. 262
f., 285 f.; MARKUS FRANK HUBER, Rechtsgleichheit und Progression, Diss.
Zürich 1988, S. 77 f., 95 ff., bes. 99 ff.; RICHNER, a.a.O., S. 206; SENN,
a.a.O., S. 152 ff. mit weiteren Hinweisen). Was gerecht ist, ist aber, wie
erwähnt, ein variabler Massstab, der von den gesellschaftlichen und
sozialpolitischen Verhältnissen abhängig ist.

  Seine Konkretisierung gewinnt das Leistungsfähigkeitsprinzip deshalb aus
der rechtlichen Grundordnung. Die Bundesverfassung konstituiert einen
demokratischen Rechtsstaat mit freiheitlicher, sozialer Wirtschaftsordnung.
In der Förderung der gemeinsamen Wohlfahrt gemäss Art. 2 Abs. 2 BV kommt der
Sozialstaatsgedanke und die soziale Verantwortung des Gemeinwesens zum
Ausdruck (BERNHARD EHRENZELLER, in: Die schweizerische Bundesverfassung [St.
Galler Kommentar], Zürich 2002, N. 17 zu Art. 2 BV; PETER UEBERSAX, Stand
und Entwicklung der Sozialverfassung der Schweiz, AJP 1998 S. 4, mit
Hinweisen). Grundvoraussetzung für die persönliche und wirtschaftliche
Entfaltung des Individuums ist Solidarität zwischen den verschiedenen
Bevölkerungsschichten, Altersgruppen usw. (s. auch MARGRITH
BIGLER-EGGENBERGER, in: Die schweizerische Bundesverfassung [St. Galler
Kommentar], Zürich 2002, N. 10 f. zu Art. 41 BV). Aus der Chancengleichheit
als Staatsziel in Art. 2 Abs. 3 BV, obschon in der Bundesversammlung bei der
Beratung umstritten, lässt sich mindestens entnehmen, dass der Staat durch
sein Handeln keine ungleichen Chancen bewirken soll und ohnehin bestehende
Ungleichheiten nicht verschärfen darf (EHRENZELLER, a.a.O., N. 20 zu Art. 2
BV, mit Hinweis auf BEATRICE WEBER-DÜRLER, Chancengleichheit und
Rechtsgleichheit, in: Festschrift Ulrich Häfelin, Zürich 1989, S. 205 ff.,
221).

  Diese Ziele sind dem Begriff der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in
Art. 127 Abs. 2 BV inhärent. Daher muss sich die Ausgestaltung des
Tarifverlaufs nicht nur an die Grundrechte wie die Eigentumsgarantie und
Wirtschaftsfreiheit halten, sondern sie muss im Sinne der Verteilungslehre
(iustitia distributiva) auch sozialverträglich sein. Das steht im Einklang
mit der herrschenden Rechtsauffassung, wonach der Grundsatz der Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf eine bestimmte Rechts-,
Sozial- und Wirtschaftsordnung bezogen ist (HUBER, a.a.O., S. 125, 137;
ausführlich SENN, a.a.O., S. 162 ff., mit Hinweisen; kritisch: YERSIN,
a.a.O., S. 198; RAOUL OBERSON, Le principe de la capacité contributive dans
la jurisprudence fédérale, in: Steuerrecht im Rechtsstaat, Festschrift
Francis Cagianut, Bern 1990, S. 125 ff., 135).

Erwägung 8

  8.

  8.1  Das Leistungsfähigkeitsprinzip verlangt eine adäquate
Bemessungsgrundlage, ein bestimmter Tarifverlauf lässt sich ihm indessen
nicht entnehmen. Es besteht dennoch in der Steuerrechtslehre ein breiter
Konsens darüber, dass ein progressiver Tarifverlauf bei der Einkommenssteuer
dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
angemessen ist. Das wird damit begründet, dass die subjektive Fähigkeit,
Steuern zu zahlen, mit wachsendem Einkommen nicht linear, sondern
überproportional anwächst. Zusätzliche Einkommensteile werden für die
Bedürfnisbefriedigung weniger wichtig, der sog. Grenznutzen sinkt.
Wissenschaftlich lässt sich die Aussage zwar weder beweisen noch widerlegen
(vgl. RICHNER, a.a.O., S. 214-216, 226-232, mit Berechnungen; ferner
JOHANNES WALTER HENSEL, Die Verfassung als Schranke des Steuerrechts, Diss.
St. Gallen 1972, S. 53 f.; MORANDI, a.a.O., S. 21). Trotzdem hat sie
aufgrund der aus der Finanzwissenschaft bekannten Grenznutzenkurve, die mit
höherem Einkommen abnimmt, eine gewisse Plausibilität für sich. Sie wird
denn auch in der schweizerischen Steuerrechtslehre weitgehend akzeptiert
(vgl. BLUMENSTEIN/LOCHER, a.a.O., S. 297; CAGIANUT/CAVELTI, Degressive
Steuersätze, in: IFF Forum für Steuerrecht, 2006, S. 152; HÖHN/WALDBURGER,
a.a.O., § 4 Rz. 76 S. 112; HUBER, a.a.O., S. 159 ff.; KLETT, a.a.O., S. 139
f.; MORANDI, a.a.O., S. 22; REICH, Leistungsfähigkeitsprinzip, a.a.O., S. 14
f.; RYSER/ROLLI, Précis de droit fiscal suisse, 4. Aufl. 2002, S. 60;
YERSIN, a.a.O., S. 169 f.). Als weiterer Grund für die Einführung einer
Progression bei der Steuer vom Reineinkommen und Reinvermögen wird geltend
gemacht, dass diese als Ausgleich zu den regressiv wirkenden

indirekten Steuern, insbesondere zur Umsatzsteuer, dienen soll (PETER
LOCHER, Degressive Tarife bei den direkten Steuern natürlicher Personen,
recht 24/2006 S. 121; SENN, a.a.O., S. 181 f. mit Hinweisen; s. auch FRITZ
NEUMARK, Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik,
Tübingen 1970, S. 174, 179).

  Schliesslich werden progressive Steuern auch als Mittel zur Erreichung
einer ausgeglicheneren Einkommens- und Vermögensverteilung bezeichnet. Diese
sekundäre Einkommensumverteilung mit Hilfe des Steuerrechts tritt zu der am
Arbeits-, Dienstleistungs- und Gütermarkt bewirkten primären
Einkommensverteilung hinzu und ergänzt diese (GYGI/RICHLI,
Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Aufl., Bern 1997, S. 43; HENSEL, a.a.O., S.
31; REICH, Leistungsfähigkeitsprinzip, a.a.O., S. 9 f.). Das Postulat stammt
aus der Finanzwissenschaft (NEUMARK, a.a.O., S. 186 ff.). Die herrschende
schweizerische Lehre betrachtet den progressiven Steuertarif indessen in
erster Linie als Folge des Gleichheitssatzes und des Grundsatzes der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (REICH,
Steuererhebungsprinzipien, a.a.O., S. 104, GRÜNBLATT, a.a.O., S. 201).

  In jüngerer Zeit mehren sich allerdings die Stimmen, welche auch einen
proportionalen Tarif im Sinne einer Flat Rate Tax - etwa verstanden als eine
Steuer mit einem Grundfreibetrag, konstantem Steuersatz und breiter
Bemessungsgrundlage - nicht ausschliessen (CLEMENS FUEST, Flat Rate Tax -
Vor- und Nachteile eines Systems mit einheitlichem Steuersatz, Die
Volkswirtschaft 78/2005 S. 15 ff.; CHRISTOPH A. SCHALTEGGER, Überlegungen zu
einem Einheitssteuersatz [flat rate tax] auf Einkommen in der Schweiz,
Eidgenössische Steuerverwaltung, Bern 2004; s. auch LOCHER, a.a.O., S. 121
ff.). Auch degressive Tarife werden befürwortet (PASCAL HINNY, Fragen zum
Steuertarifverlauf bei der Einkommens- und Vermögenssteuer, IFF Forum für
Steuerrecht 2006, S. 76 ff., bes. 79; MARKUS REICH, Verfassungsrechtliche
Beurteilung der partiellen Steuerdegression, ASA 74 S. 724 ff., bes. S.
731).

  8.2  Das Bundesgericht hat sich nie prinzipiell auf eine bestimmte Methode
der Besteuerung festgelegt, weil sich eine solche aus Art. 8 Abs. 1 BV (Art.
4 aBV) nicht ableiten lässt (BGE 96 I 560 E. 3a S. 567). Es hat jedoch
wiederholt betont, dass der Gesetzgeber im System der direkten Steuern durch
einen progressiven Tarif der Leistungsfähigkeit Rechnung tragen darf (BGE
114 Ia 221 E. 2c S. 225; 99 Ia 638 E. 9 S. 653; ferner 104 Ia 284 E. 3b S.
289; 120 Ia 329 E. 4e S. 337 f.; ASA 51 S. 552, E. 5a in fine).

  Mit der Einführung einer Steuer auf dem Gesamtreineinkommen hat der
Gesetzgeber die Entscheidung getroffen, die Besteuerung an einem
individuellen Massstab auszurichten, dessen Grundlage die Höhe des
Einkommens bilden soll. Indem jede Person nach Massgabe ihres Einkommens
besteuert wird, wird sie formal gleich behandelt. Zugleich werden
einkommens- und vermögensstarke Schichten zugunsten sozial schwächerer
Personen stärker belastet. Durch Befreiung eines Grundbetrages von der
Steuer werden Gesichtspunkte der Existenzsicherung berücksichtigt. Mit der
Einführung eines progressiven Steuersatzes entlastet der Gesetzgeber die
untern und mittleren Einkommen über die Steuerfreibeträge hinaus
entsprechend deren Leistungsfähigkeit. Durch Verschärfung der Progression
über das vom Leistungsfähigkeitsprinzip geforderte Mass hinaus trägt er
allenfalls Redistributionsgesichtspunkten (vgl. E. 8.1 hiervor) Rechnung. Im
vorliegenden Fall spielen solche allerdings keine Rolle, wird doch keine zu
hohe, sondern eine zu niedrige Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen
gerügt.

  Zusätzlich sind die Anforderungen, die das Leistungsfähigkeitsprinzip an
den Tarifverlauf stellt, zu beachten. Dieses schützt davor, dass niemand
durch eine staatliche Abgabeforderung effektiv in seinem Recht auf
Existenzsicherung verletzt wird, weil die Fähigkeit, Steuern zu bezahlen,
erst jenseits dieser Grenze beginnt. Wie der Gesetzgeber das durchsetzt,
bestimmt er selbst; Steuerfreibeträge in Kombination mit einer bestimmten
Ausgestaltung des Steuertarifs sind ein mögliches Mittel (s. auch BGE 122 I
101 E. 3b S. 105). Das Leistungsfähigkeitsprinzip verlangt zudem, dass die
Bemessungsgrundlage adäquat gewählt wird. Die steuerbestimmenden Faktoren
(Einkommen, Vermögen) sind so zu wählen, dass sie die steuerliche
Leistungsfähigkeit angemessen zum Ausdruck bringen (KLETT, a.a.O., S. 110
ff., 129 ff.).

  Das Leistungsfähigkeitsprinzip setzt dem Tarifverlauf aber auch Grenzen.
Die maximale Grenzsteuerbelastung beträgt 100 Prozent, weil sonst dem
Empfänger mehr als sein Mehreinkommen entzogen wird (vgl. BGE 99 Ia 638 E.
9b S. 656). Das Verbot der konfiskatorischen Besteuerung greift freilich
schon vor dem Erreichen des theoretisch möglichen Grenzsteuersatzes ein
(vgl. ASA 56 S. 439 E. 2). Noch früher setzt regelmässig das
Leistungsfähigkeitsprinzip der Besteuerung Grenzen, nämlich dort, wo die
Belastung in keinem Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen
steht. Unter dem Gesichtswinkel der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit

muss zudem die maximale Belastung einer jeden Einkommensstufe auch innerhalb
des Systems und im Vergleich mit den übrigen Stufen gerecht, d.h. rational
(sachlich begründet) erscheinen und in einem vernünftigen Verhältnis stehen,
d.h. massvoll sein.

  Bei der Überprüfung kantonaler Steuertarife auferlegt sich das
Bundesgericht allerdings regelmässig Zurückhaltung. Es kann insbesondere
nicht einzelne Tarifpositionen oder den Aufbau des Steuertarifs im Einzelnen
überprüfen (BGE 114 Ia 321 E. 3b S. 324; 104 Ia 284 E. 4d S. 294). Das ist
schon deshalb nicht der Fall, weil Art. 8 Abs. 1 und 127 Abs. 2 BV keine
bestimmte Art der Besteuerung oder des Tarifverlaufs vorschreiben.
Entscheidet sich der Gesetzgeber für die progressive Besteuerung, hat er der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen angemessen
Rechnung zu tragen. Doch ist ihm dabei grosse Gestaltungsfreiheit
vorbehalten (BGE 99 Ia 638 E. 9 S. 653), zumal "die Ausgestaltung des
Steuertarifs, jedenfalls der Verlauf der Progression, (...) in besonderem
Mass von politischen Wertungen" abhängt (BGE 110 Ia 7 E. 2b S. 14) und
"unterschiedliche sozial- und finanzpolitische Ansichten möglich und
zulässig sind" (BGE 122 I 101 E. 3a S. 105). Was vom Verfassungsrichter
verlangt werden kann, ist im Wesentlichen nur, dass er den Tarif
gesamtheitlich beurteilt und auf Grundrechtsverletzungen hin untersucht.
Starke Verformungen oder Ausformungen der Steuerbelastungskurve erscheinen
als ungewöhnlich. Sie sind daraufhin zu prüfen, ob sie sich
diskriminatorisch auswirken und den Gleichheitssatz verletzen.

  8.3  In diesem Lichte sind auch degressive Tarife zu prüfen. Ein
Steuertarif ist (partiell) degressiv, wenn ab einem bestimmten Einkommen
oder Vermögen die durchschnittliche Steuerbelastung
(Durchschnittssteuersatz) abnimmt. Da die Leistungsfähigkeit mit wachsendem
Einkommen oder Vermögen zunimmt, bewirken degressive Steuertarife per
definitionem eine Besteuerung entgegen der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit. Die Ungleichbehandlung kommt formal in der Kurve der
durchschnittlichen Steuerbelastung, die im degressiven Teil rückläufig ist,
zum Ausdruck und ist auch messbar. Der Tarifverlauf verstösst gegen die
Steuergerechtigkeit, weil Gleichheit Regelhaftigkeit erfordert, welche im
degressiven Teil des Steuertarifs verlassen wird. Die degressive Besteuerung
führt zudem zu Wertungswidersprüchen, weil der Gesetzgeber im degressiven
Teil des Steuertarifs den Grundsatz der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zugunsten anderer (fiskalischer oder
nichtfiskalischer)

Handlungsmotive aufgibt. Auch die Befürworter degressiver Tarife begründen
ihre Auffassung, soweit ersichtlich, nicht damit, das
Leistungsfähigkeitsprinzip erfordere eine degressive Besteuerung hoher
Einkommen und Vermögen. Im Vordergrund stehen vielmehr andere Zielsetzungen,
welche mit solchen Tarifen erreicht werden sollen (vgl. HINNY, a.a.O., S. 76
ff.; REICH, Steuerdegression, a.a.O., S. 717 f., 724 ff.).

Erwägung 9

  9.

  9.1  Beim neuen Obwaldner Einkommenssteuertarif handelt es sich um einen
Teilmengentarif, wie er auch etwa bei der direkten Bundessteuer Anwendung
findet. Bei diesem Tarif wird die Höhe der Steuer für jede Teilmenge des
Einkommens durch einen Steuersatz festgelegt. Der Betrag der einfachen
Steuer ergibt sich durch Addition der Steuerbeträge für jede
Einkommensstufe. Während der Grenzsteuersatz direkt aus dem Steuertarif
abgelesen werden kann, muss die durchschnittliche Belastung des Einkommens
(Durchschnittssteuersatz) für jede Einkommenshöhe separat berechnet werden.
Darin unterscheidet sich der Teilmengen- vom Gesamtmengentarif, bei dem der
jeweilige Steuersatz für das ganze Einkommen gilt (vgl. BLUMENSTEIN/LOCHER,
a.a.O., S. 300; HUBER, a.a.O., S. 30).

  9.2  Gemäss Art. 38 Abs. 1 StG/OW setzt die Steuer nach einer Nullzone von
Fr. 5'000.- ein. Der Steuersatz nimmt stufenweise zu und beträgt ab Fr.
70'000.- für die weiteren Fr. 230'000.- 2,35 Prozent (vgl. vorn, Sachverhalt
lit. A). Der Durchschnittssteuersatz verläuft in diesem Einkommensbereich
progressiv und erreicht bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 300'000.-
seinen höchsten Wert (2,2340 Prozent). Im Einkommensbereich von Fr.
300'000.- bis Fr. 550'000.- ist der Tarif aufgrund der in diesem Bereich
rückläufigen Grenzsteuersätze (2,0, 1,5, 1,2 und 1,0 Prozent) degressiv. Der
Durchschnittssteuersatz sinkt stetig und beträgt bei einem Einkommen von Fr.
550'000.- noch 1,7967 Prozent. Die Grenzsteuersätze steigen zwar im weiteren
Tarifverlauf für Einkommensteile ab Fr. 550'000.- in Stufen von 1,2, 1,6 und
1,65 Prozent nochmals leicht an. Doch nimmt deswegen der
Durchschnittssteuersatz in keinem Moment mehr zu, sondern nähert sich
innerhalb der Bandbreite von rund 1,79 bis 1,65 Prozent asymptotisch dem
Wert des letzten Grenzsteuersatzes von 1,65 Prozent an.

  Anders als etwa bei der direkten Bundessteuer, die gelegentlich ebenfalls
als "degressiv" bezeichnet wird, nimmt beim neuen Obwaldner

Einkommenssteuertarif die durchschnittliche Steuerbelastung ab einem
bestimmten Einkommen (Fr. 300'000.-) tatsächlich ab. Bei der direkten
Bundessteuer wird lediglich der maximale (höchste) Durchschnittssteuersatz
(praktisch 11,5 Prozent) von einem gleich hohen Grenzsteuersatz übernommen
und fortgeführt, ohne dass dabei jedoch der Durchschnittssteuersatz je
rückläufig wäre. - Hingegen ist es nicht so, dass Steuerpflichtige im Kanton
Obwalden trotz Zunahme ihrer Einkünfte weniger Steuern bezahlen müssten.
Degressiv verläuft lediglich die durchschnittliche Steuerbelastung, nicht
die effektiv zu bezahlende Steuer. Die folgende Tabelle verdeutlicht diese
Zusammenhänge (s. auch die Grafik zum neuen Obwaldner Einkommenssteuertarif
bei MARKUS F. HUBER/PETRA KLAUS, Rechtsgleichheit und degressive
Steuertarife, IFF Forum für Steuerrecht, 2007, S. 70):

      Einkommen   einfache Steuer   Steuerbelastung

          Fr.         Fr.           in Prozenten

          5'000          0            0,0

         10'000         45            0,4500

         20'000        183            0,9150

         30'000        385            1,2833

         50'000        837            1,6740

        100'000      2'002            2,0020

        200'000      4'352            2,1760

        300'000      6'702            2,2340

        400'000      8'342            2,0855

        550'000      9'882            1,7967

      1'000'000     16'882            1,6882

      2'000'000     33'382            1,6691

  Es handelt sich um die einfache Steuer. Die effektive Steuerbelastung
(Kantons-, Gemeinde-, Bezirks- und Armensteuer) beträgt am Kantonshauptort
für das Steuerjahr 2006 das 6,91-fache der einfachen Steuer.

  9.3  Der neue Obwaldner Steuertarif verläuft zwar erst ab einem
steuerbaren Einkommen von Fr. 300'000.- degressiv. Dennoch bewirkt er in
Teilabschnitten Belastungsunterschiede, welche nicht mehr als unerheblich
bezeichnet werden können. So beträgt die durchschnittliche Steuerbelastung
bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 300'000.- (2,2340) 32,33 Prozent
mehr als die durchschnittliche Steuerbelastung bei einem Einkommen von Fr.
1'000'000.- (1,6882).

Bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 200'000.- (2,1760) ergibt sich ein
um 28,89 Prozent höherer Durchschnittssteuersatz als bei einem steuerbaren
Einkommen von Fr. 1'000'000.-. Selbst bei einem Einkommen von Fr. 100'000.-
(2,0020) liegt die durchschnittliche Steuerbelastung noch immer um 18,58
Prozent höher als beim Einkommen von Fr. 1'000'000.-. Effektiv beträgt die
durchschnittliche Steuerbelastung bei einem Einkommen von Fr. 1'000'000.-
(1,6882) praktisch gleich viel wie bei einem Einkommen von Fr. 51'200.-
(1,6887).

  Die aufgezeigten Belastungsunterschiede halten vor dem Grundsatz der
rechtsgleichen Besteuerung und dem Grundsatz der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht stand. Diese verlangen, dass die
Belastung jeder Einkommensstufe innerhalb des Systems und im Vergleich mit
den übrigen Einkommensstufen nach den gleichen Regeln erfolgt, sachlich
begründet erscheint und in einem vernünftigen Verhältnis steht (vgl. E. 8.2
hiervor). Der Anspruch ist zentral, zumal die Vergleichbarkeit in vertikaler
Richtung erschwert ist und auf andere Weise sich die Rechtsgleichheit und
Steuergerechtigkeit nicht herstellen lassen.

  Es wird seitens des Kantons im Übrigen nicht geltend gemacht, die
Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erfordere einen degressiven
Tarifverlauf. Anlass für diese Tarifgestaltung waren vielmehr andere
(fiskalische oder nichtfiskalische) Motive, wie auch aus dem vom
Regierungsrat eingereichten Rechtsgutachten von Prof. Reich zur Frage der
Verfassungsmässigkeit des Obwaldner Einkommens- und Vermögenssteuertarifs
vom 18. April 2006 hervorgeht (s. auch REICH, Steuerdegression, a.a.O., S.
717 f., 724 ff.). Mit dem Hinweis, die degressive Tarifgestaltung
kompensiere lediglich die Progression bei der direkten Bundessteuer, lässt
sich die Verfassungswidrigkeit nicht rechtfertigen, zumal auch die kantonale
Steuer dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen muss.

  Der angefochtene Einkommenssteuertarif verstösst daher, soweit er für
höhere Einkommen einen niedrigeren Durchschnittssteuersatz vorsieht als für
tiefere Einkommen, gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit (Art. 127 Abs. 2 BV) wie auch gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz (Art. 8 Abs. 1 BV).

Erwägung 10

  10.  Die seitens des Kantons angestellten Überlegungen und hervorgehobenen
besonderen Umstände vermögen diesen verfassungsrechtlichen

Mangel des angefochtenen Einkommenssteuertarifs nicht zu rechtfertigen.

  10.1  Gemäss Abstimmungsbroschüre zur Kantonalen Volksabstimmung soll die
Steuergesetzrevision vom 14. Oktober 2005 für sehr hohe Einkommen (und
Vermögen) konkurrenzfähige Bedingungen schaffen. Mit der Korrektur des
Steuertarifs für die natürlichen Personen will der Regierungsrat
insbesondere erreichen, dass sich vermehrt finanzstarke Steuerpflichtige im
Kanton niederlassen (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Obwalden zur
Teilrevision des Steuergesetzes vom 5. Juli 2005, S. 8). Die Tarifkorrektur
geht einher mit einer Entlastung der Unternehmen im Rahmen der
Unternehmensbesteuerung. Der Kanton will damit aktiv am Steuerwettbewerb
teilnehmen (ebenda S. 9, 21 f.).

  Diese Steuerstrategie ist gemäss Botschaft des Regierungsrats Teil einer
Gesamtstrategie zur Verbesserung der wirtschaftlichen Prosperität und
Standortattraktivität des Kantons. Ein neues Raumordnungskonzept soll die
Verfügbarkeit von Wohnbauland verbessern und in Verbindung mit Massnahmen
auf dem Gebiet des Kantonsmarketings bewirken, dass der Kanton auch von
aussen als attraktive Wohn- und dynamische Wirtschaftsregion mit guten
steuerlichen Rahmenbedingungen wahrgenommen wird (Botschaft, a.a.O., S. 6).

  10.2  Die Verbesserung der Standortattraktivität und der Wohn- und
Lebensqualität, wie der Regierungsrat sie mit der Gesetzesnovelle verfolgt,
ist klarerweise eine Aufgabe, die sich im Rahmen der Zuständigkeit der
Kantone (Art. 3 BV) hält und sich auch aus dem eigenen (kantonalen)
Verfassungsauftrag zur Förderung des Gemeinwohls und der Wirtschaft ergibt.
Im Falle des Kantons Obwalden nehmen verschiedene Verfassungsbestimmungen
darauf Bezug, wie der Auftrag zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur
Förderung des Unterrichtswesens oder des Gesundheitswesens (vgl. Art. 24 ff.
KV/OW). Zu diesen Aufgaben zählt namentlich auch die Wirtschaftsförderung
(Art. 35 KV/OW).

  Dabei betreibt der Kanton auch Steuerpolitik und Steuerwettbewerb, dem er
unausweichlich ausgesetzt ist. Das ist nicht zu beanstanden. Der
Steuerwettbewerb ist nicht (steuer)systemwidrig, sondern darauf
zurückzuführen, dass die Steuerharmonisierung den Kantonen die
Tarifautonomie belassen hat (Art. 129 Abs. 2 BV, Art. 1 Abs. 2 StHG).

  Daran hat auch die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben
zwischen Bund und Kantonen (NFA) nichts geändert. Durch die Beseitigung
gewisser Wettbewerbsverzerrungen sollen für die Akteure möglichst
gleichartige Startbedingungen geschaffen und die Unterschiede der Kantone in
vertretbaren Grenzen gehalten werden. Im Übrigen soll aber das Grundprinzip
des föderalen Steuerwettbewerbs weiterhin gelten. Der künftige
Finanzausgleich beruht daher auch in Zukunft auf dem Prinzip des
Steuerwettbewerbs (Botschaft zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der
Aufgaben zwischen Bund und Kantonen vom 14. November 2001, BBl 2002 S. 2308,
2310).

  Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsrichters, allgemeine Regeln zu
formulieren, denen der Steuerwettbewerb zu genügen hat. Dies ist vielmehr
Sache des Gesetzgebers bzw. der hierfür zuständigen politischen Organe, etwa
über den Finanzausgleich. So hat denn auch die Finanzdirektorenkonferenz am
20. Januar 2006 eine Grundsatzdebatte über den Steuerwettbewerb geführt und
beschlossen, einen Ausschuss einzusetzen, der gewisse Leitsätze für die
inhaltliche Gestaltung kantonaler Steuerordnungen entwerfen soll. Die
Tatsache, dass zwischen den Kantonen Wettbewerb herrscht und
unterschiedliche Verhältnisse bestehen, hebt jedoch den
verfassungsrechtlichen Individualanspruch auf Gleichbehandlung (Art. 8 Abs.
1 BV) nicht auf. Es ist Aufgabe des Verfassungsrichters, dafür zu sorgen,
dass diese Garantie unter dem Titel "Steuerwettbewerb" oder "Wirtschafts-
und Standortförderung" nicht verletzt wird.

Erwägung 11

  11.

  11.1  Dem Gesetzgeber ist es nicht grundsätzlich verwehrt, sich der
Einkommens- und Vermögenssteuer als Instrument der Wirtschaftslenkung, zur
Förderung sozialpolitischer Zwecke u. dgl. zu bedienen. Das
Steuerharmonisierungsgesetz selbst sieht solche Massnahmen vor, so z.B. in
Art. 9 Abs. 2 lit. e StHG (Abzug von Beiträgen zum Erwerb vertraglicher
Ansprüche aus anerkannten Formen der Selbstvorsorge), Art. 23 Abs. 1 lit. d
StHG (Steuerbefreiung von Einrichtungen der beruflichen Vorsorge) oder Art.
9 Abs. 3 StHG (Abzüge für Umweltschutz, Energiesparen und Denkmalpflege bei
privaten Grundstücken). Auch die Steuererleichterung für neu eröffnete
Unternehmen nach Art. 5 und 23 Abs. 3 StHG ist eine wirtschaftliche
Förderungsmassnahme.

  Die steuerliche Förderung solcher Anliegen wird zwar in der
Steuerrechtsdoktrin kritisiert, weil sie das Leistungsfähigkeitsprinzip
verfälscht

und damit der Steuergerechtigkeit zuwiderläuft. Soll das Einkommen als
Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit dienen, ist es nach dem
Totalitätsprinzip lückenlos zu erfassen (ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH,
a.a.O., S. 5 f.). Zudem gibt es häufig andere und bessere Möglichkeiten,
Anliegen dieser Art zu verwirklichen, worauf die genannten Autoren mit Recht
hinweisen. Deshalb werden enge Schranken postuliert, innerhalb welcher der
Steuergesetzgeber solche Ziele berücksichtigen darf. Verlangt wird eine
klare gesetzliche oder sogar verfassungsmässige Grundlage (PAUL RICHLI,
Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der Verbesserung der steuerlichen
Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, ASA 54 S. 105 f.; DANIELLE YERSIN, Les
buts extra-fiscaux assignés aux impôts directs, au regard de quelques
principes constitutionnels, in: Steuerrecht im Rechtsstaat, Festschrift
Francis Cagianut, Bern 1990, S. 53 f., 59). Auch muss die Steuergesetzgebung
zur Erreichung des mit der Massnahme anvisierten Zwecks geeignet sein
(REICH, Leistungsfähigkeitsprinzip, a.a.O., S. 24; RICHLI, a.a.O., S. 115;
vgl. Botschaft zum Steuerharmonisierungsgesetz, BBl 1983 III 44 ff. Ziff.
145). Das öffentliche Interesse scheint umso legitimer, je mehr Bestimmtheit
der Auftrag an den Gesetzgeber aufweist (vgl. auch YERSIN, ebenda, S. 59).

  11.2  Die Steuerrechtsprechung des Bundesgerichts nimmt auf diese
Problematik nicht ausdrücklich Bezug, doch kommen die genannten Grundsätze
in den bisherigen Entscheiden zumindest implizit zum Ausdruck: Je mehr das
Leistungsfähigkeitsprinzip durch steuerliche Förderungsmassnahmen
beeinträchtigt wird, desto höhere Anforderungen stellt das Bundesgericht an
das öffentliche Interesse. In jüngerer Zeit haben vor allem die Fälle zur
Eigenmietwertbesteuerung die Rechtsprechung geprägt. So liess das
Bundesgericht es zu, die Eigentumsbildung fiskalisch zu fördern, indem der
Eigenmietwert tiefer festgesetzt wird als der Marktwert. Die sich daraus
ergebende Bevorzugung von Wohnungseigentümern gegenüber Mietern wurde unter
anderem damit gerechtfertigt, dass die Nutzung von Wohneigentum weniger
disponibel ist, sowie damit, dass die Selbstnutzung anderer Vermögenswerte
auch nicht besteuert wird. Zulässig ist auch das Anliegen, die
Selbstvorsorge durch Eigentumsbildung fiskalisch zu fördern (BGE 125 I 65 E.
3c S. 68).

  Hingegen würde die vollständige und undifferenzierte Abschaffung der
Besteuerung des Eigenmietwerts ohne ausgleichende Massnahmen die
Wohnungseigentümer gegenüber anderen Steuerpflichtigen,

die einen "Mietkostenabzug" nicht geltend machen können, in einer Art und
Weise begünstigen, die vor Art. 8 Abs. 1 BV nicht stand hielte (BGE 124 I
193 E. 3a S. 194 f. mit zahlreichen Hinweisen). Selbst der
verfassungsmässige Auftrag, Wohneigentum zu fördern (Art. 108 BV, früher
Art. 34sexies aBV), vermochte keine derartige kantonalrechtliche Massnahmen
zu rechtfertigen (BGE 112 Ia 240 E. 6 S. 247). Es ist aber unter dem
Gesichtswinkel der Wohneigentumsförderung zulässig, die massvolle
Besteuerung des Eigenmietwerts auf Erstwohnungen zu beschränken, d.h. das
Einkommen aus Eigennutzung von Zweitwohnungen zum Marktmietwert zu erfassen
(BGE 132 I 157 E. 5.3).

  11.3  Bei den Fällen, in denen es als verfassungsrechtlich zulässig
erachtet wird, bestimmten Personengruppen aus besonderen sachlichen Gründen
auf Kosten des steuerlichen Gleichbehandlungsgebots Vorteile einzuräumen,
handelt es sich um punktuelle Bereiche. Sie lassen sich mit der hier zu
beurteilenden Sachlage nicht vergleichen. Ein allgemeiner Steuertarif,
welcher die Steuerlast für die Gesamtheit der Steuerpflichtigen regelt,
bleibt daher den aus dem Gleichbehandlungsgebot folgenden Schranken
unterworfen. Diese belassen, wie dargelegt, dem Gesetzgeber bei der
Ausgestaltung des Tarifverlaufs wohl einen weiten Spielraum, schliessen aber
degressive Durchschnittssteuersätze aus.

Erwägung 12

  12.  In Bezug auf den Vermögenssteuertarif ergibt sich keine grundsätzlich
abweichende Beurteilung. Art. 55 Abs. 1 StG/OW sieht für die Vermögenssteuer
zwei Steuersätze vor, und zwar 0,35 Promille für die ersten Fr. 5'000'000.-
und 0,2 Promille für Vermögensteile über Fr. 5'000'000.-. Das ergibt einen
degressiven Verlauf der Steuerbelastung ab einem Schwellenwert von Fr.
5'000'000.- wie folgt:

      Steuerbares Vermögen   einfache Steuer   Steuerbelastung

          Fr.                     Fr.           in Promille

       5'000'000                 1'750            0,3500

      10'000'000                 2'750            0,2750

      20'000'000                 4'750            0,2375

      50'000'000                10'750            0,2150

  Der Vermögenssteuertarif begünstigt damit die sehr hohen Vermögen und ist
in noch grösserem Mass degressiv als der Einkommenssteuertarif. Das Vermögen
kann ähnlich wie Einkommen die Steuerfähigkeit des Individuums begründen
oder erhöhen (vgl. NEUMARK, a.a.O., S. 137 f.; THOMAS HERZOG, Funktion und
Verfassungsmässigkeit

der Vermögenssteuer, Basel 1985, S. 83 ff.; KLETT, a.a.O., S. 111 f.). Wenn
daher das Vermögen als Berechnungsgrundlage für die Steuer herangezogen
wird, ist es auch unter dem Gesichtswinkel des Leistungsfähigkeitsprinzips
naheliegend, dieses gleichmässig zu besteuern. Was zum Einkommenssteuertarif
ausgeführt worden ist, gilt entsprechend für den Vermögenssteuertarif. Auch
bei diesem werden Gleichbehandlungsgebot und Leistungsfähigkeitsprinzip
missachtet, wenn eine Gruppe von Steuerpflichtigen durch degressive Sätze
begünstigt wird.

  Der Regierungsrat rechtfertigt den neuen Vermögenssteuertarif vor allem
damit, dass der Kanton Obwalden das Vermögen mindestens doppelt so hoch
belastet wie der Kanton Nidwalden. Ein Abschlag von 32 Prozent (bei Fr.
20'000'000.-) und mehr bei der allgemeinen Vermögenssteuer auf den sehr
hohen Vermögen, wie er hier in Frage steht, lässt sich jedoch mit sachlichen
Gründen nicht rechtfertigen. Kleine und mittlere Vermögen werden dadurch in
einer Weise anteilsmässig höher belastet, die sich mit der
Steuergerechtigkeit nicht vereinbaren lässt. Zu Recht wird von keiner Seite
geltend gemacht, die steuerliche Werthaltigkeit kleiner und mittlerer
Vermögen sei höher. Das Gegenteil ist der Fall, weil der Anteil an
Sparkapitalien (namentlich für Altersvorsorge) bei kleineren Vermögen
regelmässig hoch ist. Solche Vermögen sind zudem als Reserven im Hinblick
auf die Wechselfälle des Lebens weit weniger disponibel als grosse Vermögen.
Der angefochtene Vermögenssteuertarif verletzt daher das
Leistungsfähigkeitsprinzip.

Erwägung 13

  13.  Es stellt sich die Frage, was als Folge der festgestellten
Verfassungsverletzung resultiert.

  13.1  Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich kassatorischer
Natur. Erweist sich die angefochtene Norm als verfassungswidrig, hebt das
Bundesgericht bei Gutheissung der Beschwerde die angefochtene Norm
regelmässig auf. Andere Folgen der Verfassungsverletzung werden nur
festgelegt, wenn sich der verfassungsmässige Zustand durch Aufhebung des
verfassungswidrigen Erlasses nicht herstellen lässt oder andere Gründe einer
Kassation entgegenstehen (BGE 110 Ia 7 E. 6 S. 26; 124 I 127 E. 6a S. 137;
BERNHARD RÜTSCHE, Rechtsfolgen von Normenkontrollen. Entwicklungen in Praxis
und Lehre seit dem Fall Hegetschweiler vor zwei Jahrzehnten, ZBl 106/2005 S.
284 ff.).

  13.2  In der Regel hebt das Bundesgericht die angefochtene kantonale Norm
auf, ohne etwas über die zeitliche Wirkung des Urteils auszusagen (s. auch
BGE 124 I 127 E. 6a S. 137; Übersicht bei GERBER, a.a.O. [vgl. E. 3.2], S.
179 ff.; KÄLIN, a.a.O. [vgl. E. 3.2], S. 398). Es ist dann Sache der
kantonalen Behörde, die durch die Aufhebung des Erlasses entstandene neue
Rechtslage festzustellen und die gebotenen, allenfalls legislatorischen
(Sofort-)Massnahmen anzuordnen. In einem den Kanton Zürich betreffenden
Fall, wo das Bundesgericht die revidierten Bestimmungen eines Steuergesetzes
wegen Mängel des Abstimmungsverfahrens aufheben musste, sah es sich
veranlasst, durch eine entsprechende Fassung des Dispositivs die
angefochtene Regelung "im Sinne einer vorläufigen Massnahme" bis zum
Inkrafttreten neuer Vorschriften bzw. bis zum Ende der nächsten
Steuerperiode in Kraft zu lassen (BGE 113 Ia 46 E. 7b S. 60 ff.). Die
damalige Situation unterschied sich jedoch vom heute zu beurteilenden Fall
vor allem darin, dass nicht bloss administrative Gründe für eine
einstweilige Beibehaltung der angefochtenen Regelung sprachen, sondern bei
deren Wegfall eine frühere, vom Bundesgericht bereits als verfassungswidrig
erkannte Steuerordnung aufrecht geblieben wäre (BGE 113 Ia 46 E. 7b S.
60/61). Im Kanton Obwalden liegen die Dinge wesentlich anders, indem die
allenfalls wieder Platz greifende frühere Ordnung zwar für die meisten
Steuerpflichtigen ungünstiger, aber - im Gegensatz zur aufgehobenen Regelung
- gerade nicht verfassungswidrig ist. Es besteht daher kein Anlass,
vorliegend vom Grundsatz der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen
Beschwerde abzuweichen. Es ist Sache der kantonalen Behörden zu bestimmen,
wie nach der Aufhebung der angefochtenen Tarifvorschriften weiter vorzugehen
ist; die kantonalen Behörden mussten mit der Möglichkeit einer Gutheissung
der staatsrechtlichen Beschwerde rechnen und konnten sich frühzeitig auf
diesen Eventualfall einstellen.

  In diesem Sinne ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen, soweit
darauf einzutreten ist (s. vorne E. 2.4), und sind die angefochtenen
Bestimmungen aufzuheben.