Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 I 1



Urteilskopf

133 I 1

  1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Bezirksrichterin A., Y., Obergericht und Kassationsgericht des Kantons
Zürich (Staatsrechtliche Beschwerde)
  1P.471/2006 vom 7. Dezember 2006

Regeste

  Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, § 3 Abs. 2 Ziff. 3 GVG/ZH;
Ablehnung eines Richters.

  Unbefangenheit des Richters in einem Prozess, in dem das Mitglied einer
Rechtsmittelinstanz als Parteivertreter auftritt. Der Umstand, dass der
Anwalt ein derartiges richterliches Nebenamt ausübt, tangiert im
vorliegenden Fall das Gebot der Waffengleichheit der Parteien nicht (E.
5.3).

  Akzessorische Überprüfung der Zürcher Gerichtsorganisation, die den
Mitgliedern des kantonalen Kassationsgerichts die berufsmässige
Parteivertretung vor unteren Gerichten erlaubt (E. 6).

Sachverhalt

  X. hat am 3. Januar 2005 beim Bezirksgericht Zürich eine Klage gegen seine
geschiedene Frau Y. auf Abänderung des Scheidungsurteils vom 6. Juli 1989
eingereicht. In diesem Verfahren sind beide Parteien anwaltlich vertreten.
Mit Eingabe vom 24. November 2005 lehnte X. die für den Zivilprozess
zuständige Einzelrichterin am Bezirksgericht ab. Er begründete das
Ausstandsbegehren damit, der Rechtsvertreter der Beklagten sei gleichzeitig
Vizepräsident des Kassationsgerichts des Kantons Zürich; daher erwecke die
Richterin den Anschein der Befangenheit.

  Das Obergericht des Kantons Zürich, Verwaltungskommission, wies das
Ausstandsbegehren am 6. Januar 2006 ab. Gegen den Entscheid des Obergerichts
gelangte X. mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Dieses
überwies die Beschwerde mit Urteil vom 27. März 2006 an das
Kassationsgericht des Kantons Zürich zur Behandlung (BGE 132 I 92). Das
Kassationsgericht wies die Beschwerde in der Folge mit Entscheid vom 23.
Juni 2006 ab.

  Gegen den Entscheid des Kassationsgerichts erhebt X. erneut
staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab,
soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

  5.  Zur Hauptsache bringt der Beschwerdeführer vor, die Offenheit seines
Zivilprozesses werde durch den Umstand in Frage gestellt, dass der
Rechtsvertreter der Gegenpartei gleichzeitig Vizepräsident des
Kassationsgerichts - und damit einer allfälligen Rechtsmittelinstanz - sei.
Eine derartige Konstellation missachte den Anspruch des Beschwerdeführers
auf einen unbefangenen Richter (Art. 30 Abs. 1 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK)
und das Fairnessgebot (Art. 29 BV). Gleichzeitig sei auch das
Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 BV) im Hinblick auf die Nebenbeschäftigungen
von Richtern im Kanton Zürich verletzt. Die berufsmässige Vertretung vor
einem unteren Gericht werde in § 3 Abs. 2 des kantonalen
Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976 (GVG/ZH; LS 211.1) einzig den
Mitgliedern des Kassationsgerichts gestattet. Es trifft zu, dass § 3 Abs. 2
Ziff. 3 GVG/ZH den Mitgliedern des Kassationsgerichts die berufsmässige
Vertretung von Parteien nur vor dem Gericht untersagt, dem sie angehören.
Der Beschwerdeführer verlangt, die Norm sei vorfrageweise auf ihre
Verfassungsmässigkeit zu überprüfen.

  5.1  Mit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen Einzelakt kann die
Verfassungswidrigkeit der zur Anwendung gelangten kantonalen Norm gerügt
werden (sog. akzessorische Normenkontrolle). Das Bundesgericht prüft dabei
die Verfassungsmässigkeit der beanstandeten Norm nicht generell auf alle
möglichen Konstellationen hin, sondern nur unter dem Gesichtswinkel der
Anwendung auf den konkreten Fall. Wenn sich die Verfassungsrüge als
begründet erweist, hebt das Bundesgericht nicht die beanstandete Norm als
solche, sondern lediglich den gestützt auf sie ergangenen Anwendungsakt auf
(BGE 132 I 49 E. 4 S. 54; 131 I 272 E. 3.1 S. 274, je mit Hinweisen).

  5.2  Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, die in dieser
Hinsicht dieselbe Tragweite besitzen, hat der Einzelne Anspruch darauf, dass
seine Sache von einem durch Gesetz geschaffenen, zuständigen, unabhängigen
und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden
wird. Ob diese Garantie verletzt ist, prüft das Bundesgericht frei (BGE 131
I 31 E. 2.1.2.1 S. 34 f., 113 E. 3.2 S. 115, je mit Hinweisen).

  Unter dem Gesichtswinkel von Art. 30 Abs. 1 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK
wird meist die Frage aufgeworfen, ob besondere Umstände betreffend das
Verhältnis zwischen einem Richter und einer Partei

bei objektiver Betrachtung geeignet seien, den Anschein der Befangenheit des
Richters zu erwecken. Indessen ist es denkbar und von der Rechtsprechung
ebenso anerkannt, dass - wie hier - besondere Gegebenheiten hinsichtlich des
Verhältnisses zwischen einem Richter und einem Parteivertreter die
Voreingenommenheit des Ersteren begründen können (BGE 92 I 271 E. 5 S. 276;
Urteil 1P.711/2004 vom 17. März 2005, E. 3.2, publ. in: Pra 94/2005 Nr. 112
S. 791 mit weiteren Hinweisen).

  5.3  Vorliegend steht die Konstellation zur Diskussion, dass ein
Parteivertreter gleichzeitig - in Drittverfahren - ein Richteramt bekleidet.
Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall darüber hinaus der
Anspruch auf Waffengleichheit tangiert wird.

  5.3.1  Die Rechtsprechung leitet aus Art. 29 Abs. 1 BV und aus Art. 6
Ziff. 1 EMRK das Gebot eines fairen Verfahrens ab (BGE 131 I 272 E. 3.2.1 S.
274; 131 II 169 E. 2.2.3 S. 173, je mit Hinweis). Das Gebot der
Waffengleichheit bildet daraus einen Teilgehalt, der auch im Zivilprozess
gilt (vgl. Urteil des EGMR i.S. Ankerl gegen Schweiz vom 23. Oktober 1996,
Recueil CourEDH 1996-V S. 1553, Ziff. 38; BGE 122 I 253 E. 6c S. 255; 120 Ia
217 E. 1 S. 219). Der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess
bedeutet namentlich, dass jeder Partei angemessene Gelegenheit geboten
werden muss, ihren Fall mit Einschluss der einschlägigen Beweise zu
präsentieren, und zwar zu Bedingungen, die keinen wesentlichen Nachteil
gegenüber der Gegenpartei darstellen.

  5.3.2  Ausgehend von diesen Grundsätzen regt REGINA KIENER an, die
Problematik des allfälligen Übergewichts einer Partei wegen der besonderen
Stellung ihres Parteivertreters als nebenamtlicher Richter unter dem Aspekt
der Waffengleichheit zu prüfen (Richterliche Unabhängigkeit [im Folgenden:
Unabhängigkeit], Bern 2001, S. 134; dieselbe, Anwalt oder Richter? [im
Folgenden: Anwalt] in: Festschrift 100 Jahre Aargauischer Anwaltsverband,
Zürich 2005, S. 3 ff., 20). Im vorliegenden Fall haben beide Parteien ihren
Rechtsvertreter selbst ausgewählt. Es steht ihnen frei, unter den
zugelassenen Rechtsanwälten denjenigen zu mandatieren, der ihnen am besten
geeignet erscheint, um ihre Interessen wirksam zu verfolgen. Im kantonalen
Verfahren hat der Beschwerdeführer in allgemeiner Weise auf die Gefahr der
Einschüchterung hingewiesen, die bei einem Anwalt aufkommen könnte, wenn er
einem als Parteivertreter auftretenden nebenamtlichen Kassationsrichter
gegenüber steht. Der Beschwerdeführer

hat aber nicht behauptet, diese Gefahr sei auch in seinem konkreten Fall
gegeben. Im Gegenteil hat sein Anwalt das vorliegende Ausstandsbegehren
durchaus selbstbewusst vorgetragen. Vor diesem Hintergrund besteht hier kein
Anlass, die Ausstandsfrage verfassungsrechtlich zusätzlich unter dem
Gesichtswinkel der Waffengleichheit zu überprüfen.

  5.4  Weiter rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 8 BV. Dabei
geht es ihm nicht um die Chancengleichheit der Parteien in seinem
Zivilprozess; vielmehr wendet er sich gegen eine angebliche Privilegierung
der Kassationsrichter gegenüber anderen Richtern durch die Regelung der
anwaltlichen Nebentätigkeit in § 3 Abs. 2 GVG/ZH. Die Frage der
rechtsgleichen Behandlung verschiedener Richterkategorien in diesem Punkt
berührt den Beschwerdeführer jedoch nicht in eigenen rechtlich geschützten
Interessen (Art. 88 OG). Er macht bloss allgemeine öffentliche Interessen
geltend; dies steht ihm im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde nicht zu.

  5.5  Inwiefern es gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) verstossen soll,
dass dem Ausstandsbegehren nicht stattgegeben wurde, führt der
Beschwerdeführer nicht im Einzelnen aus. Auf die Willkürrüge ist somit nicht
einzutreten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).

  5.6  Zusammengefasst: Ob die vom Beschwerdeführer abgelehnte,
erstinstanzliche Richterin wegen des Auftretens des Gegenanwalts in dem bei
ihr hängigen Zivilprozess als befangen erscheint, ist vorliegend lediglich
im Licht von Art. 30 Abs. 1 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu beurteilen. Dabei
ist vorfrageweise § 3 Abs. 2 Ziff. 3 GVG/ZH auf die Vereinbarkeit mit dieser
Verfassungs- bzw. Konventionsgarantie zu untersuchen. Die Vorfrage
beschränkt sich aber auf die konkret beanstandete Anwaltstätigkeit von
Mitgliedern des Kassationsgerichts vor einem unteren Gericht. Nicht
überprüft werden kann hier die Zulässigkeit der anwaltlichen Nebentätigkeit
von anderen Richterkategorien.

Erwägung 6

  6.

  6.1  Der angefochtene Entscheid enthält Hinweise auf die Materialien zu §
3 Abs. 2 GVG/ZH. Daraus lässt sich entnehmen, dass der kantonale Gesetzgeber
den Mitgliedern des Kassationsgerichts bewusst erlauben wollte, als Anwälte
vor unteren Gerichten im gleichen Sachgebiet - Obergericht und
Bezirksgerichte - aufzutreten. Diese gesetzgeberische Absicht kann freilich
für sich allein keine

Rolle spielen im Hinblick auf die Verfassungsmässigkeit von § 3 Abs. 2 Ziff.
3 GVG/ZH. Ergibt sich ein Ausstandsgrund nicht aus der besonderen
Konstellation im Einzelfall, sondern aus der vom Kanton gewählten
Gerichtsorganisation, so erweist sich diese als verfassungswidrig (BGE 125 I
119 E. 3a S. 122 mit Hinweis). Der fraglichen Norm kann die Anwendbarkeit
aber nur dann versagt werden, wenn sie sich jeglicher verfassungs- und
völkerrechtskonformen Auslegung entzieht (Urteil des Bundesgerichts
1P.254/2002 vom 6. November 2002, E. 1.2 nicht publ. in BGE 129 I 1).

  6.2  Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sind verletzt, wenn bei
einem Richter - objektiv betrachtet - Gegebenheiten vorliegen, die den
Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen
vermögen (BGE 131 I 113 E. 3.4 S. 116 mit Hinweisen). Solche Umstände können
entweder in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in
gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur
begründet sein. Für den Ausstand wird nicht verlangt, dass der Richter
tatsächlich befangen ist. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei
objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit
erwecken (BGE 131 I 24 E. 1.1 S. 25 mit Hinweisen). Mit anderen Worten muss
gewährleistet sein, dass der Prozess aus Sicht aller Beteiligten als offen
erscheint.

  6.3  Vorliegend steht zur Diskussion, ob die abgelehnte Richterin wegen
der kantonalen Gerichtsorganisation den Anschein der Parteilichkeit erwecke.
Es geht um die Befürchtung, diese Richterin lasse sich übermässig vom
Rechtsvertreter der Gegenpartei - aufgrund seines Prestiges als ranghoher
kantonaler Richter - beeinflussen. Nach dem Beschwerdeführer ist zu
bedenken, dass der Gegenanwalt als Kassationsrichter in Drittverfahren über
Entscheide der abgelehnten Richterin urteile.

  Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, das bisherige Verhalten der
Richterin lasse an ihrer Neutralität zweifeln. Auch ist deren Unabhängigkeit
in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit gesetzlich gewährleistet (§ 104 GVG/ZH).
Insbesondere übt das Kassationsgericht keine administrative
Aufsichtstätigkeit über Obergericht und Bezirksgerichte aus; ebenso wenig
besitzt es Kompetenzen hinsichtlich der Besoldung oder Beförderung von Ober-
und Bezirksrichtern. Die diesbezüglichen Erwägungen im angefochtenen
Entscheid werden vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

  6.4
  6.4.1  Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Urteil
i.S. Steck-Risch u.a. gegen Liechtenstein vom 19. Mai 2005 (Nr. 63151/00)
überprüft, ob ein nebenamtlicher Richter deswegen als parteilich erscheine,
weil er gleichzeitig als Anwalt zusammen mit einem vorinstanzlichen Richter
eine Bürogemeinschaft betreibt. Der Gerichtshof verneinte die Frage. Für ihn
war einerseits wesentlich, dass der Richter im Verhältnis zu den Parteien
keine Doppelfunktion ausübte (Urteil Steck-Risch, a.a.O., Ziff. 44);
anderseits bestand im Rahmen der betreffenden Anwaltsgemeinschaft weder eine
finanzielle Abhängigkeit noch eine enge Freundschaft (a.a.O., Ziff. 46 ff.).
Auch in anderen Entscheiden zur Parteilichkeit nebenamtlicher Richter
stellte der EGMR die Frage einer Rollenvermischung im Einzelfall (dualité de
fonctions, dual role) in den Vordergrund seiner Überlegungen (vgl. Urteile
i.S. Wettstein gegen Schweiz vom 21. Dezember 2000, Recueil CourEDH 2000-XII
S. 403, Ziff. 44 ff.; Pescador Valero gegen Spanien vom 17. Juni 2003,
Recueil CourEDH 2003-VII S. 103, Ziff. 23 ff.; Puolitaival u.a. gegen
Finnland vom 23. November 2004 [Nr. 54857/00], Ziff. 44 ff.; Me?naric gegen
Kroatien vom 15. Juli 2005 [Nr. 71615/01], Ziff. 31 ff.).

  6.4.2  Das Bundesgericht hat die Gefahr der Befangenheit bei
hauptberuflich als Anwalt tätigen Richtern bis zu einem gewissen Grad als
systemimmanent bezeichnet (BGE 124 I 121 E. 3b S. 124). In seiner bisherigen
Rechtsprechung hat es aber den Umstand, dass das Mitglied eines Gerichts
gleichzeitig als Anwalt tätig ist und in anderen Verfahren vor demselben
Gericht als Anwalt auftritt, nicht in allgemeiner Weise als hinreichenden
Ausstandsgrund anerkannt (BGE 128 V 82 E. 2a S. 85). Immerhin hat das
Bundesgericht es in einem jüngeren, den Kanton Aargau betreffenden Fall -
aus Sicht der Wirtschaftsfreiheit - als verhältnismässig erachtet, dass
einer teilzeitlich beschäftigten Gerichtsschreiberin an einem Bezirksgericht
die Anwaltstätigkeit nur ausserhalb des Zuständigkeitsbereichs dieses
Gerichts gestattet wird (Urteil 2P.301/2005 vom 23. Juni 2006, E. 5.6, publ.
in: ZBl 107/2006 S. 586).

  6.4.3  Eine Ausstandspflicht kann gegeben sein, wenn das Richteramt -
ausserhalb paritätisch besetzter Spezialgerichte (vgl. BGE 126 I 235 E. 2b
S. 237 f.) - von eigentlichen Interessen- bzw. Branchenvertretern ausgeübt
wird (vgl. Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 326/05 vom 26.
Mai 2006, E. 1.6 mit Hinweisen,

und Urteil des Bundesgerichts 4P.261/2000 vom 26. Februar 2001, E. 3b/bb).
Die Ausstandsfrage stellt sich ferner, wenn ein Richter in einem parallelen
Verfahren ohne Bezug zu den Parteien eine Drittperson vertritt, welche die
gleichen Interessen wie die Gegenpartei des Beschwerdeführers verfolgt. Es
soll vermieden werden, dass der Richter in einer Weise über eine Streitfrage
entscheidet, die seine anwaltliche Stellung im Parallelverfahren verbessern
kann (vgl. BGE 128 V 82 E. 3d S. 87 f.; 124 I 121 E. 3c S. 126). Nach den
beiden soeben genannten Urteilen muss der Richter in derartigen Fällen in
den Ausstand treten, wenn er Streitfragen zu beurteilen hätte, die noch
nicht präjudiziell entschieden sind. Das Bundesgericht erwog, es sei
realitätsfremd anzunehmen, ein Anwalt vermöge, sobald er als Richter
fungiere, von den Konsequenzen zu abstrahieren, die beispielsweise die
Auslegung einer prozessualen Vorschrift für seine Arbeit als beruflicher
Prozessvertreter und für die Position seiner Klienten (in parallel laufenden
Verfahren) haben könnte (BGE 124 I 121 E. 3b S. 124 f.).

  6.4.4  Die vorstehend dargelegten Grundsätze betreffen die
Ausstandspflicht von nebenamtlichen Richtern wegen ihrer eigenen
Anwaltstätigkeit. Zur Frage, ob ein hauptberuflicher Richter gegenüber einem
Anwalt, der am gleichen Gericht nebenamtlich als Richter wirkt, befangen
ist, bestehen nur vereinzelte Entscheide. Das Bundesgericht hat eine
Parteilichkeit des Berufsrichters gegenüber einem derartigen Anwalt einzig
wegen ihrer anderweitigen Zusammenarbeit am Gericht in Drittverfahren
verneint (Urteil 1P.76/1998 vom 17. März 1998, E. 2, publ. in: ZBl 100/1999
S. 136). Die Möglichkeit kollegialer Gefühle erweckt in der Regel noch nicht
den Anschein der Befangenheit (vgl. BGE 105 Ib 301 E. 1d S. 304). Die
vorliegende Konstellation hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den
letztgenannten Entscheiden. Hinzu kommt hier der Umstand, dass der Anwalt in
Drittverfahren nicht am gleichen Gericht, sondern in einer
Rechtsmittelinstanz richterlich tätig ist.

  6.5
  6.5.1  Im Zivilprozess des Beschwerdeführers hat der Gegenanwalt einzig
eine Parteirolle inne und kann keine richterlichen Funktionen ausüben.
Insbesondere ist er bei einem Weiterzug der Sache an das Kassationsgericht
als Richter ausgeschlossen (§ 95 Abs. 1 Ziff. 3 GVG/ZH; ROBERT HAUSER/ERHARD
SCHWERI, Kommentar zum zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, Zürich 2002,
Rz. 37 zu § 95 GVG/ZH). Ebenso muss er in seiner Eigenschaft als
Kassationsrichter

in Drittverfahren im gleichen Rechtsgebiet in den Ausstand treten, falls er
dort an einem Präjudiz über sachverwandte Streitfragen mitwirken würde (vgl.
E. 6.4.3). Aus diesen Gründen lässt sich annehmen, dass die
unterinstanzlichen Zürcher Gerichte im einzelnen Prozess klar zwischen der
Stellung des vor ihnen auftretenden Anwalts als einseitiger Parteivertreter
und dessen richterlicher Tätigkeit am Kassationsgericht in Drittverfahren
trennen können.

  6.5.2  Nach dem Beschwerdeführer besitzt der umstrittene Gegenanwalt bei
der abgelehnten Richterin unabhängig davon eine besondere Autorität, weil er
in seinem Nebenamt als Kassationsrichter - in anderen Drittverfahren -
Entscheide von ihr überprüft. Im Richteramt des letzteren ist jedoch eine
ausstandsrelevante Rollenvermischung mit seiner Anwaltstätigkeit
ausgeschlossen (vgl. E. 6.4.3). Bei dieser Sachlage sind die Bedenken, dass
ein unterinstanzlicher Richter gegenüber einem Anwalt wegen dessen
oberinstanzlichen Richteramts innerlich nicht mehr frei sei (so KIENER,
Anwalt, S. 17), nicht angebracht. Einerseits zieht der unterinstanzliche
Richter keinen persönlichen Vorteil daraus, dass seine Entscheide von der
Rechtsmittelinstanz geschützt werden. Anderseits wird seine Stellung ebenso
wenig dadurch erschüttert, dass ein Rechtsmittelentscheid anders ausfällt
als sein eigener Entscheid (vgl. Urteil Steck-Risch, a.a.O., Ziff. 47).

  6.6  Damit geht die Beziehung eines unterinstanzlichen Richters zu einem
Anwalt, der gleichzeitig Mitglied einer Rechtsmittelinstanz ist, im
Allgemeinen nicht wesentlich über die Kollegialität unter Mitgliedern
desselben Gerichts hinaus.

  6.6.1  Verschiedene Autoren betrachten freilich die Unparteilichkeit von
Richtern in Verfahren, in denen nebenamtliche Mitglieder desselben Gerichts
als Anwälte beteiligt sind, ebenfalls kritisch. Die berufliche Beziehung
zwischen dem als Anwalt auftretenden Richter und seinen mit der Sache
befassten Richterkollegen gehe über die üblichen sozialen Bindungen hinaus
(KIENER, Anwalt, S. 17; vgl. auch dieselbe, Unabhängigkeit, S. 133; PATRICK
SUTTER, Der Anwalt als Richter, die Richterin als Anwältin, in: AJP 2006 S.
30 ff., 37; JÖRG PAUL MÜLLER/MARKUS SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 3.
Aufl. mit Ergänzungsband, Bern 1999/2005, S. 577 f.; ALFRED KÖLZ, in:
Kommentar aBV, Rz. 20 zu Art. 58 aBV).

  6.6.2  Dieser Kritik kann nicht jede Berechtigung abgesprochen werden. Für
Rechtsuchende, die nur punktuell an ein Gericht gelangen,

ist es schwierig abzuschätzen, ob aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit
der Gerichtsmitglieder die Gefahr einer sachfremden Solidarisierung besteht.
Eine derartige Befürchtung kann selbst durch eine Regelung nicht gänzlich
ausgeräumt werden, wonach ein nebenamtlicher Richter das Anwaltsmandat - wie
nach § 3 Abs. 2 GVG/ZH - nicht vor "seinem" Gericht, sondern nur vor unteren
Instanzen ausüben darf. Seine persönliche Verknüpfung mit dem Fall bleibt
aus den Akten ersichtlich. Wenn er berechtigt ist, einen Fall - wie im
Kanton Zürich - über zwei untere Instanzen hinweg zu vertreten, kann er in
dieser Funktion einen prägenden Einfluss im Prozess ausüben.

  6.6.3  Die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung hat eine
Ausstandspflicht in derartigen Fällen verneint (vgl. E. 6.4.4). Sie gründet
auf der Überlegung, dass die Mitglieder eines Kollegialgerichts in ihrer
Stellung voneinander unabhängig sind (vgl. zu diesem Argument in etwas
anderem Zusammenhang auch BGE 131 I 31 E. 2.1.2.2 S. 35 f.). Der pauschale
Vorwurf, ein als Anwalt auftretendes Gerichtsmitglied besitze bei seinen
Kollegen regelmässig erhöhte Autorität bzw. einen "Insider"-Vorteil, vermag
die genannte Praxis nicht umzustossen. Die Gerichtsmitglieder sind
persönlich - und nicht etwa als Team - dem Recht verpflichtet. Die
individualistische Grundstruktur der Kollegialgerichte findet ihren
sichtbaren Ausdruck in der öffentlichen Urteilsberatung. Eine solche ist in
§ 135 Abs. 1 GVG/ZH auch am Zürcher Kassationsgericht vorgesehen; in der
Praxis kommt sie aber nur in beschränktem Umfang zum Tragen (vgl.
HAUSER/SCHWERI, a.a.O., Rz. 14 zu § 135 GVG/ZH; RICHARD FRANK/HANS
STREULI/GEORG MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.
Aufl., Zürich 1997, Anhang II, Rz. 7 zu § 135 GVG/ZH). Auf den Anteil der
Gerichtsentscheide, die einstimmig bzw. nicht erkennbar als
Mehrheitsentscheid gefällt werden, kann es indessen im vorliegenden
Zusammenhang nicht ankommen. Wesentlich ist die grosszügige Veröffentlichung
der Rechtsprechungsgrundsätze - nicht zuletzt im Internet -, wie sie gerade
beim Zürcher Kassationsgericht gehandhabt wird. Diese Publikationen
vermitteln allen fachkundigen Interessierten eine rasche und differenzierte
Orientierung über die Gerichtspraxis. Eine derartige Transparenz wirkt
einerseits der grundsätzlichen Gefahr eines verpönten Insiderwissens
bezüglich der Rechtsfindung an einem Kollegialgericht entgegen; sie verwehrt
es anderseits gleichzeitig dem Gericht, zugunsten eines Einzelnen von den
bekannt gemachten Grundsätzen

abzuweichen. Im Übrigen lässt sich auch aus der bei E. 6.4.1 dargelegten,
neueren Rechtsprechung des EGMR keine generelle Ausstandspflicht für
Gerichtsmitglieder ableiten, wenn ein Richterkollege vor ihren Schranken
oder vor Vorinstanzen berufsmässig Dritte vertritt. Vor diesem Hintergrund
ist an der bisherigen Praxis festzuhalten, wonach die blosse Kollegialität
unter Gerichtsmitgliedern keine Ausstandspflicht gebietet.

  6.7  Im Ergebnis erscheint die Neutralität unterinstanzlicher Richter
objektiv nicht dadurch gefährdet, dass ein Parteivertreter gleichzeitig im
Nebenamt Mitglied einer Rechtsmittelinstanz ist. Eine Ausstandspflicht kann
jedoch gegeben sein, wenn konkrete Umstände auf mangelnde
Unvoreingenommenheit des unterinstanzlichen Richters schliessen lassen.
Demzufolge erweist sich § 3 Abs. 2 Ziff. 3 GVG/ZH dahingehend als
verfassungs- bzw. konventionskonform, dass Bezirks- und Oberrichter nicht
den Anschein der Parteilichkeit gegenüber einem Anwalt erwecken, der
nebenamtlich Mitglied des Kassationsgerichts ist.

  6.8  Allerdings ist daran zu erinnern, dass die Zulässigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit vor den unteren Instanzen gleichzeitig die Ausübung
des Nebenamts als Kassationsrichter einschränkt. Das latente Risiko von
Interessenkollisionen erschwert die Vereinbarkeit von Anwaltsberuf und
kantonal höchstrichterlichem Amt. Dieses Spannungsfeld tritt umso stärker
beim Präsidenten und beim Vizepräsidenten des Kassationsgerichts zutage. Die
beiden Amtsträger werden vom Kantonsrat aus den Mitgliedern des
Kassationsgerichts jeweils für eine sechsjährige Amtsperiode gewählt (§ 66
GVG/ZH i.V.m. § 32 des kantonalen Gesetzes über die politischen Rechte vom
1. September 2003 [LS 161]). Aus Sicht der Wahlbehörde sollen Präsident und
Vizepräsident für die nötige Kontinuität in der Rechtsprechung des
Kassationsgerichts sorgen (HAUSER/SCHWERI, a.a.O., Rz. 2 zu § 66 GVG/ZH). Ob
diese die ihnen zugedachte Rolle tatsächlich erfüllen können, wenn sie
wiederholt wegen Interessenkollisionen zu ihren Anwaltsmandaten in den
Ausstand treten müssen, erscheint als fraglich, muss hier aber nicht näher
erörtert werden. Bei dieser Sachlage wird es immerhin nachvollziehbar, dass
der Vizepräsident des Kassationsgerichts im angefochtenen Entscheid mit
einem Ersatzrichter an einer oberen Instanz verglichen wird, der nur
gelegentlich zum Einsatz kommt.

  6.9  Ausserhalb der vorfrageweisen Überprüfung von § 3 Abs. 2 GVG/ZH macht
der Beschwerdeführer nicht geltend, der Zivilprozess

vor der abgelehnten erstinstanzlichen Richterin sei wegen des Auftretens des
Rechtsvertreters der Gegenpartei nicht mehr offen (vgl. E. 6.3).