Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 IV 93



Urteilskopf

133 IV 93

  10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Schweizerische
Bundesanwaltschaft gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
  6S.150/2006 vom 21. Dezember 2006

Regeste

  Art. 126 BStP; Verfahren bei Anklagemängeln.

  Beurteilt die Strafkammer des Bundesstrafgerichts eine Anklage als
mangelhaft, so hat sie diese an die Bundesanwaltschaft zur Verbesserung
zurückzuweisen (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 93

  A.- X. erteilte als stellvertretender Honorarkonsul in Maskat (Oman) im
Zeitraum von September 1999 bis Oktober 2003 134 bangladeschischen
Staatsangehörigen ein Visum für die Einreise in die Schweiz. Dabei täuschte
er durch Anfertigung fiktiver Anträge und weiterer Dokumente vor, die Visa
seien für 134 omanische Staatsbürger, für die keine Visumsbeschränkungen
bestanden, ausgestellt worden. Die echten Visaanträge der 134
bangladeschischen Staatsangehörigen sowie allfällige Beilagen vernichtete
er, nachdem er von der erfolgten Einreise der fraglichen Personen in die
Schweiz erfahren hatte. Für die Erteilung der Visa nahm er insgesamt 60'300
omanische Rial (entspricht 211'050 Schweizer Franken) entgegen.

  B.- Im Wesentlichen gestützt auf diesen Sachverhalt sprach das
Bundesstrafgericht X. am 28. November 2005 der mehrfachen Urkundenfälschung
im Amt und der Vorteilsannahme schuldig und bestrafte ihn mit neun Monaten
Gefängnis unter Gewährung des

bedingten Strafvollzugs. Von der Anklage der mehrfachen Urkundenfälschung im
Amt hinsichtlich der Einträge in das Visumsregister in 134 Fällen, der
mehrfachen Unterdrückung von Urkunden, des mehrfachen Sich-Bestechen-Lassens
hinsichtlich zweier 1998 erteilter Visa sowie 27 weiterer Visa und der
mehrfachen Widerhandlung gegen das ANAG sprach es ihn frei. Auf die Anklage
des mehrfachen Sich-Bestechen-Lassens hinsichtlich der Erteilung von 134
Visa trat es nicht ein.

  C.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft erhebt gegen das Urteil des
Bundesstrafgerichts Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie
beantragt, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

  Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Die Vorinstanz tritt auf die Anklage des Sich-Bestechen-Lassens im
Zusammenhang mit der Erteilung von 134 Visa an bangladeschische
Staatsangehörige nicht ein, weil in der Anklageschrift die Amtshandlung, auf
die sich der Vorteil beziehen müsse, nicht genügend umschrieben werde. Die
Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, diese Auffassung beruhe
auf einer unzutreffenden Anwendung von Art. 126 BStP, insbesondere von Abs.
1 Ziff. 2.

  2.1  Die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichtes
kann sich nur gegen letztinstanzliche Urteile richten (Art. 33 Abs. 3 lit. b
des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 2002 über das Bundesstrafgericht
[Strafgerichtsgesetz, SGG; SR 173.71] i.V.m. Art. 268 BStP). Mit dem
Nichteintreten ist über den Vorwurf der passiven Bestechung in 134 Fällen
für das vorliegende Verfahren endgültig entschieden. Entgegen der
vorinstanzlichen Vernehmlassung liegt ein Endentscheid im Sinne von Art. 268
BStP vor, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.

  2.2
  2.2.1  Die Anklageschrift bezeichnet das strafbare Verhalten, dessen der
Angeklagte beschuldigt wird, nach seinen tatsächlichen und gesetzlichen
Merkmalen (Art. 126 Abs. 1 Ziff. 2 BStP). Im Zuge des Erlasses des
Strafgerichtsgesetzes wurden Art. 126 BStP zum notwendigen Anklageinhalt und
Art. 127 BStP zur Zustellung der Anklage angepasst beibehalten, die übrigen
Bestimmungen zum

Anklagezulassungsverfahren indessen gestrichen (Art. 128-134 BStP; vgl.
Anhang Ziff. 9 SGG). Begründet wurde diese Streichung mit der
Umständlichkeit des zweistufigen Verfahrens. Zudem stelle der Entscheid der
Anklagekammer über die Anklagezulassung eine Art "Vor-Urteil" dar
(Botschaft, BBl 2001 S. 4255). Unter altem Recht hatte die Anklagekammer im
Rahmen der ihr obliegenden formellen Prüfung insbesondere darüber zu
befinden, ob die Anklageschrift den aufgrund des Akkusationsprinzips an sie
zu stellenden Anforderungen entsprach (BGE 120 IV 348 E. 1 b). Gemäss diesem
Entscheid kam der Anklagekammer ferner die Kompetenz zu, eine fehlerhafte
Anklageschrift an den Bundesanwalt zurückzuweisen (BGE 120 IV 348 E. 1c/dd).
Auch der Entwurf zu einer vereinheitlichten eidgenössischen
Strafprozessordnung sieht vor, dass die Verfahrensleitung die Anklageschrift
überprüft. Ergibt sich auf Grund dieser Prüfung oder später im Verfahren,
dass ein Urteil einstweilen nicht ergehen kann, so sistiert das Gericht das
Verfahren. Falls erforderlich, weist es die Anklage zur Ergänzung oder
Berichtigung an die Staatsanwaltschaft zurück (Art. 330 E-StPO, BBl 2006 S.
1389, 1491; dazu Botschaft, BBl 2006 S. 1275 ff.).

  2.2.2  Es stellt sich die Frage, wie unter geltendem Recht bis zum
Inkrafttreten der vereinheitlichten Strafprozessordnung bei mangelhaften
Anklagen zu verfahren ist. Aus dem Umstand, dass nach dem Wegfall des
Anklagezulassungsverfahrens keine separate Behörde mehr über die
Anklagezulassung befindet, folgt nicht, dass bei mangelhaften Anklagen
lediglich die Möglichkeit bleibt, im Endentscheid nicht darauf einzutreten.
Vielmehr sind Anklagemängel wie bisher während des Verfahrens zu beheben.
Nach ARMAND MEYER (Die Bindung des Strafrichters an die eingeklagte Tat,
Diss. Zürich 1972, S. 165 f.) verliert der Ankläger ab einem gewissen
Zeitpunkt die Herrschaft über die Anklage. Das Gericht hat dann nur noch die
Möglichkeit entweder zu verurteilen oder freizusprechen (Art. 168 Abs. 2
BStP). Genügt die Anklage nicht, so muss grundsätzlich freigesprochen
werden. Ein solcher Freispruch ist sehr unbefriedigend, wenn sich der
Angeklagte nach dem Untersuchungsergebnis eindeutig schuldig gemacht hat. Um
dem Dilemma zwischen Verletzung des Anklageprinzips und ungerechtfertigtem
Freispruch zu entgehen, bietet sich - zumindest dort wo ein
Anklagezulassungsverfahren fehlt - die Rückweisung der Anklageschrift zur
Berichtigung an (vgl. auch EDGAR FREY, Die Anklage im schweizerischen
Strafprozessrecht, Diss. Zürich 1946, S. 76 ff.; M. GULDENER, Klage- und
Anklageänderung im zürcherischen Recht, in:

Festschrift Pfenninger, Zürich 1956, S. 84 ff.; NIKLAUS SCHMID, in: Andreas
Donatsch/Niklaus Schmid [Hrsg.], Kommentar zur Strafprozessordnung des
Kantons Zürich, Zürich 1996, § 182 N. 18). Auch der Bundesanwalt hat
Möglichkeiten zur Anklageberichtigung während des Verfahrens (Art. 166
BStP). Mangelhafte Anklagen sind deshalb an die Bundesanwaltschaft zur
Verbesserung zurückzuweisen.

  2.2.3  Die Vorinstanz gelangt zum Schluss, die Anklageschrift sei
hinsichtlich der Amtshandlung, auf die sich der Vorteil beziehen müsse,
ungenügend, was eine materielle Beurteilung des Vorwurfs ausschliesse. Im
Endurteil tritt sie deshalb in diesem Punkt nicht auf die Anklage ein und
verweist in ihrer Vernehmlassung auf die Möglichkeit der Wiedereinbringung.
Dieses Vorgehen erweist sich als nicht bundesrechtskonform. Beinhaltet die
Anklage nicht alle objektiven Tatbestandsmerkmale des angeklagten Delikts,
so ist die Anklageschrift nach dem Gesagten zur Ergänzung an die
Bundesanwaltschaft zurückzuweisen. Es geht nicht an, im Endentscheid auf die
Anklage nicht einzutreten unter Hinweis auf die Möglichkeit der
Wiedereinbringung, da der Angeklagte für den Fall, dass keine erneute
Anklage erhoben wird, über die mit der ursprünglichen Anklage öffentlich
gegen ihn erhobenen Anschuldigungen im Ungewissen gelassen würde. Wie
erwähnt hat er jedoch einen grundsätzlichen Anspruch darauf, vom Gericht
freigesprochen oder verurteilt zu werden (Art. 168 Abs. 2 BStP; s. auch
ARTHUR BAUHOFER, Wer vor Gericht gestellt wird, muss freigesprochen oder
verurteilt werden, in: Festschrift Pfenninger, a.a.O., S. 15 ff.; ROBERT
HAUSER/ERHARD SCHWERI/KARL HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6.
Aufl., § 50 N. 8a; SCHMID, a.a.O., § 182 N. 1). Ferner gebieten auch der
Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung (Art. 146 Abs. 2 BStP; s. auch
Obergericht Zürich, I. Strafkammer, Urteil vom 10. Mai 1984, ZR 84/1985 Nr.
22 S. 66), das Prinzip der Verfahrenseinheit sowie die Prozessökonomie, den
Anklagesachverhalt nach Möglichkeit in einem Verfahren zu beurteilen.
Anklagemängel sind darum umgehend zu beheben, um über die berichtigte
Anklage im selben Verfahren definitiv entscheiden zu können. Aus diesen
Gründen ist der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid aufzuheben. Vor der
neuerlichen Beurteilung wird die Vorinstanz der Beschwerdeführerin
Gelegenheit zur Anklageergänzung einzuräumen haben. Es braucht an dieser
Stelle deshalb auch nicht entschieden zu werden, ob die Anklage im
vorliegenden Fall den Anforderungen von Art. 126 BStP entsprach.