Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 IV 76



Urteilskopf

133 IV 76

  9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Bundesamt für Justiz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  1A.181/2006 / 1A.211/2006 vom 23. Januar 2007

Regeste

  Art. 51 Ziff. 4 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen; Art. 2
Ziff. 1, Art. 10, 12 Ziff. 2 lit. b und Art. 14 Ziff. 1 EAUe; Art. 7 und 10
Ziff. 1 UNO-Pakt II; Art. 3 EMRK; Art. 10 Abs. 3 und Art. 25 Abs. 3 BV; Art.
24 und 111 StGB. Auslieferung; Verfolgung eines mutmasslichen
Führungsmitglieds der PKK durch die Türkei.

  Anforderungen an das Auslieferungsersuchen; Vorwürfe gegen den Verfolgten
laut Ersuchen; beidseitige Strafbarkeit bejaht im Hinblick auf die
untersuchte Teilnahme an der Tötung eines sogenannten "Dorfwächters" (E. 2).

  Einrede des politischen Deliktes. Mitberücksichtigung der
bürgerkriegsähnlichen Situation im Zeitpunkt der verfolgten Straftat.
Problematische Abgrenzung zwischen Terrorismus und legitimem
Widerstandskampf gegen ethnische Verfolgung und Unterdrückung.
Terroristischer Charakter namentlich von schweren Gewalttaten, die
unterschiedslos auch Unbeteiligte bzw. Zivilisten treffen (E. 3.8 und 3.9).

  Anforderungen an ausreichende Menschenrechtsgarantien des ersuchenden
Staates in Auslieferungsfällen wie dem vorliegenden (E. 4).

Sachverhalt

  Am 22. August 2000 ersuchte Interpol Ankara die Schweiz um Verhaftung des
türkischen Staatsangehörigen X. (geb. 1. Januar 1966). Das
Verhaftungsersuchen stützte sich auf einen gerichtlichen Haftbefehl vom 21.
Januar 2000, in welchem dem Verfolgten diverse Tötungsdelikte, die
Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und weitere Straftaten
vorgeworfen werden. Am 20. Dezember 2005 wurde der Verfolgte bei seiner
Einreise in die Schweiz am Flughafen Zürich-Kloten verhaftet und in
provisorische Auslieferungshaft versetzt.

  Bei seinen Befragungen vom 22. Dezember 2005 und 6. Februar 2006
widersetzte sich der Verfolgte einer Auslieferung an die Türkei.
Insbesondere machte er geltend, er sei kurdischer Abstammung und werde in
der Türkei politisch verfolgt. Zudem reichte er ein Asylgesuch ein, welches
vom Bundesamt für Migration (BFM) mit Entscheid vom 14. November 2006
abgewiesen wurde.

  Mit Noten vom 26. und 30. Januar 2006 ersuchte die türkische Botschaft in
Bern das Bundesamt für Justiz (BJ) formell um Auslieferung des Verfolgten.
Mit Entscheid vom 29. August 2006 bewilligte das BJ die Auslieferung an die
Türkei zur Verfolgung der Teilnahme an einem Tötungsdelikt, das laut
Ersuchen am 30. April 1994 verübt worden sei. Für eine Verfolgung der
übrigen Vorwürfe wies das BJ das Rechtshilfegesuch ab.

  Gegen den Auslieferungsentscheid des BJ gelangte X. mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt im
Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, die Abweisung
des Auslieferungsersuchens und die Entlassung aus der Auslieferungshaft. Mit
separater Eingabe an das Bundesgericht beantragte das BJ, die Einrede des
politischen Delikts sei abzulehnen.

  Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde und die Einrede
des politischen Delikts ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Der Verfolgte macht zunächst geltend, das Ersuchen bzw. dessen
Ergänzungen und Beilagen enthielten eine chronologisch völlig chaotische
Darstellung des Sachverhaltes. Das Mass der Substantiierung der Vorwürfe sei
ungenügend. Die Sachdarstellung enthalte verschiedene Widersprüche und
Unklarheiten, was grösste Zweifel an den Vorwürfen der ersuchenden Behörde
begründe. Angesichts seiner langjährigen (im Mai 1989 begonnenen)
"politischen Arbeit" für die PKK (ab 1995 unter anderem "als Mitglied des
Zentralkomitees") würden die Vorwürfe nur vorgeschoben. Er habe mit den im
Ersuchen dargelegten Sachverhalten nichts zu tun. Belastende Aussagen eines
Mitangeklagten seien ausserdem (laut Einvernahmeprotokoll) unter Zwang
erfolgt. Die Mängel des Ersuchens seien selbst nach mehreren Jahren und nach
mehreren Gelegenheiten zur Substantiierung nicht behoben worden. Da sich die
Vorwürfe nicht unter Art. 260ter StGB subsumieren liessen, fehle es überdies
am Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit.

  2.1  Nach Massgabe des Europäischen Auslieferungsüberkeinkommens vom 13.
Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) sind die Vertragsparteien grundsätzlich
verpflichtet, einander Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des
ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur
Vollstreckung einer Strafe oder einer sichernden Massnahme gesucht werden
(Art. 1 EAUe). Auszuliefern ist wegen Handlungen, die sowohl nach dem Recht
des ersuchenden als auch nach demjenigen des ersuchten Staates mit einer
Freiheitsstrafe (oder die Freiheit beschränkenden sichernden Massnahme) im
Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe
bedroht sind (Art. 2 Ziff. 1 EAUe; Art. 35 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20.
März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen [IRSG; SR 351.1];
vgl. BGE 128 II 355 E. 2.1 S. 360).

  Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn nach den Rechtsvorschriften
des ersuchenden oder des ersuchten Staates die Strafverfolgung oder
Strafvollstreckung verjährt ist (Art. 10 EAUe; Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG).

  2.2  Unter dem Gesichtspunkt des hier massgebenden Art. 12 EAUe reicht es
in der Regel aus, wenn die Angaben im Rechtshilfeersuchen sowie in dessen
Ergänzungen und Beilagen es den schweizerischen Behörden ermöglichen zu
prüfen, ob ausreichende Anhaltspunkte für eine auslieferungsfähige Straftat
vorliegen, ob Verweigerungsgründe gegeben sind bzw. für welche mutmasslichen
Delikte dem Begehren allenfalls zu entsprechen ist. Der Rechtshilferichter
muss namentlich prüfen können, ob ein politisches Delikt vorliegt und ob die
Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt ist. Es kann hingegen
nicht verlangt werden, dass die ersuchende Behörde die Tatvorwürfe bereits
abschliessend mit Beweisen belegt. Der Rechtshilferichter hat weder Tat-
noch Schuldfragen zu prüfen und grundsätzlich auch keine Beweiswürdigung
vorzunehmen. Er ist vielmehr an die Sachverhaltsdarstellung im Ersuchen
gebunden, soweit sie nicht durch offensichtliche Fehler, Lücken oder
Widersprüche entkräftet wird (vgl. BGE 125 II 250 E. 5b S. 257; 122 II 134
E. 7b S. 137, 367 E. 2c S. 371, 422 E. 3c S. 431; 120 Ib 251 E. 5c S. 255,
je mit Hinweisen).

  2.3  Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe bestimmt, dass Zeit, Ort und Umstände der
Begehung der fraglichen Delikte so genau wie möglich anzugeben seien. Im
vorliegenden Fall weisen die dem Verfolgten

vorgeworfenen Delikte eine starke politische Konnotation auf. Nach der
einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes sind in solchen Fällen erhöhte
Anforderungen an die Ausführlichkeit, Widerspruchsfreiheit und
Verlässlichkeit des Ersuchens zu verlangen (BGE 130 II 337 E. 6.1 S. 345, E.
7.4 S. 348 f. mit Hinweisen; vgl. auch BGE 132 II 81 E. 2.3-2.12 S. 86-93,
E. 3.4.4 S. 100 f.).

  Dem Verfolgten werden Straftaten im Rahmen terroristischer Aktionen der
kurdischen separatistischen Organisation PKK zur Last gelegt. Die Aktionen
seien ab 1990 und insbesondere im April 1994 erfolgt, als in der Türkei
bürgerkriegsähnliche gewalttätige Auseinandersetzungen stattfanden. Im
Rahmen der Rechtshilfevoraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit muss die
Sachdarstellung des Ersuchens namentlich die Prüfung ermöglichen, ob sich
die Ermittlungen gegen Schwerverbrecher bzw. terroristische Organisationen
im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB richten (BGE 130 II 337 E. 6.1 S. 345,
E. 7.4 S. 348 f.; s. auch BGE 128 II 355 E. 2.2-2.6 S. 360-363).
Entsprechende Abklärungen verlangen regelmässig sachliche Bezugnahmen zum
historischen bzw. völkerrechtlich-humanitären Kontext des Konfliktes. Weder
darf die internationale Rechtshilfe in Strafsachen zu politischen Zwecken
missbraucht werden, noch dürfen Hinweise auf den angeblich politischen
Charakter einer Strafverfolgung dazu führen, dass Schwerkriminelle oder
Terroristen im Rechtssinne von Strafverfolgung verschont bleiben (BGE 130 II
337 E. 6.1 S. 345). Es ist Aufgabe des für das Auslieferungsverfahren
zuständigen BJ, die entsprechenden sorgfältigen Sachabklärungen zu treffen
und dem Bundesgericht ausreichende Entscheidungsgrundlagen zu unterbreiten
(BGE 130 II 337 E. 7.7 S. 350 mit Hinweis).

  2.4  Das Ersuchen stützt sich auf zwei Haftbefehle türkischer Gerichte vom
21. Januar 2000 und 1. Februar 2005 bzw. auf die sachlich zugehörigen
Anklageschriften vom 7. und 24. Dezember 2001, 24. Januar und 9. Mai 2002
(Strafverfahren "Erzurum") sowie vom 4. Februar 2005 (Strafverfahren
"Adana").

  2.4.1  Im angefochtenen Entscheid werden die inkriminierten Sachverhalte
im Strafverfahren "Erzurum" wie folgt zusammengefasst:

    Der Verfolgte habe zwischen April 1990 und August 2001 als bewaffnetes
    Mitglied der PKK in der Türkei persönlich an verschiedenen Anschlägen
    teilgenommen. Unter anderem seien am 10. April 1990 eine Person
    erschossen und ein Haus angezündet worden. Am 4. Mai 1990 habe die PKK
    bei bewaffneten Auseinandersetzungen (mit Kampfverwicklung des
    Verfolgten) einen Polizeibeamten getötet. Am 23. Oktober

    1990 sei ein Mordanschlag auf eine Person und ein Brandanschlag auf eine
    Schule verübt worden. Am 6. August und 1. Oktober 1991 seien
    Brandanschläge auf eine Rundfunkstation bzw. auf eine Schule erfolgt.
    Bei einem Hinterhalt gegen einen militärischen Geleitzug habe die PKK am
    4. Mai 1992 sieben Soldaten bzw. Beamte getötet. Am 21. Mai 1992 seien
    bei einem Brandanschlag auf eine Rundfunkstation zwei Personen
    erschossen worden, am 25. Juli 1992 eine weitere Person entführt und
    getötet. Im Oktober 1992 sei der Verfolgte als Mitglied der PKK an einem
    Strassenraub auf einen Reisebus beteiligt gewesen. Zwischen Juni und
    Juli 1993 habe er sich an folgenden Anschlägen der PKK beteiligt: Legen
    eines Hinterhalts gegen ein militärisches Fahrzeug und Erschiessen von
    sechs Soldaten; Entführung von zwei Personen und Erschiessen dieser
    Personen; Entführung und Tötung einer Person; bewaffneter Überfall auf
    ein Dorf und Tötung von drei Personen. Anfang September 1993 sei von den
    Verantwortlichen der PKK eine weitere Schule angezündet worden. Am 28.
    Oktober 1993 hätten sie einen bewaffneten Überfall auf ein Dorf verübt,
    sieben Personen erschossen und 14 Häuser verbrannt (vgl.
    Anklageschriften vom 7. Dezember 2001 und 24. Januar 2002).

    Dem Verfolgten wird sodann vorgeworfen, er habe am 30. April 1994 als
    Mitglied der PKK vier weiteren Mitgliedern dieser Organisation den
    Auftrag erteilt, einen sogenannten Dorfwächter zu töten (vgl.
    Anklageschrift vom 9. Mai 2002).

    Am 1. Juli 1994 hätten PKK-Aktivisten mit Beteiligung des Verfolgten ein
    weiteres Dorf überfallen und 240 Nutztiere geraubt. Am 25. August 1995
    sei ein Kind entführt und gegen Lösegeld wieder freigelassen worden.
    Hinzu kämen noch weitere Straftaten (vgl. Anklageschriften vom 7. und
    24. Dezember 2001).

  2.4.2  Die Sachdarstellung des Ersuchens im Strafverfahren "Adana" wird im
angefochtenen Entscheid wie folgt zusammengefasst:

    Der Verfolgte wird verdächtigt, Mitglied der PKK und der PKK-Kongra-Gel
    gewesen zu sein, wobei er namentlich mit der Führung von bestimmten
    Aktionen beauftragt gewesen sei (vgl. Anklageschrift vom 4. Februar
    2005).

  2.5  Das BJ kommt im angefochtenen Entscheid zum Ergebnis, dass alle
inkriminierten Sachverhalte des Strafverfahrens "Erzurum" - mit Ausnahme des
Sachverhaltes vom 30. April 1994 (Anklageschrift vom 9. Mai 2002) - entweder
bereits verjährt oder von der ersuchenden Behörde nicht ausreichend
konkretisiert worden seien. Auch die Sachdarstellung des Ersuchens im
Strafverfahren "Adana" (Anklageschrift vom 4. Februar 2005) sei selbst nach
einer entsprechenden Rückfrage zu wenig konkret für eine Prüfung der
Auslieferungsvoraussetzung der doppelten Strafbarkeit im Sinne der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Namentlich fehlten Hinweise auf

die konkrete Rolle des Verfolgten im Zusammenhang mit den einzelnen
Straftaten.

  2.6  Der Anklageschrift vom 9. Mai 2002 ist folgende Sachdarstellung zu
entnehmen:
  Am 30. April 1994 hätten vier Angehörige der PKK auf Anweisung des
Verfolgten das Dorf Kayalisu (im Gebiet der Kreisstadt Senkaya) aufgesucht
und dort den "Dorfshüter" Y. getötet. Die Beteiligten hätten diesem
sogenannten Dorfwächter vorgeworfen, er habe Angehörige der PKK bei den
türkischen Sicherheitskräften angezeigt. Gemäss der Anweisung des Verfolgten
hätten die vier Haupttäter den Dorfwächter in seinem Haus aufgesucht, ihn
mitgenommen, zur Einfahrtseite des Dorfes gebracht, seine Hände festgebunden
und ihn dann getötet. An den Kragen seines Hemdes hätten sie eine Notiz
angebracht, wonach Personen, die die Guerillas anzeigen, der Tod drohe.
Neben die Leiche des Opfers sei ausserdem ein Geldschein von 10'000.-
türkischen Pfund gelegt worden. Der Verfolgte habe die Anweisung zu dieser
Exekution als Gruppenführer der PKK erteilt. Als Beweismittel nennt die
Anklageschrift unter anderem den Obduktionsbericht, das polizeiliche
Augenscheinsprotokoll, Sachverständigengutachten sowie Beweisaussagen eines
weiteren mutmasslichen PKK-Angehörigen.

  2.7  Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird nach schweizerischem Recht
mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft (Art. 111 StGB).
Mittäter ist, wer sogenannte "Tatherrschaft" ausübt, d.h. wer bei der
Entschliessung, Planung oder Ausführung eines Deliktes vorsätzlich und in
massgebender Weise mit anderen Tätern zusammenwirkt, so dass er als
Hauptbeteiligter dasteht. Der Tatbeitrag begründet Tatherrschaft, wenn er
"nach den Umständen des konkreten Falles und dem Tatplan für die Ausführung
des Deliktes so wesentlich ist, dass sie mit ihm steht oder fällt" (BGE 130
IV 58 E. 9.2.1 S. 66; 126 IV 84 E. 2c/aa S. 88 mit Hinweisen; zum
Mittäterschaftsbegriff vgl. auch ANDREAS DONATSCH/BRIGITTE TAG, Strafrecht
I, Verbrechenslehre, 8. Aufl., Zürich 2006, S. 166 ff.; MARC FORSTER, Basler
Kommentar, StGB, Bd. I, Basel 2003, vor Art. 24 StGB N. 7 ff.; GÜNTER
STRATENWERTH, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl.,
Bern 2005, § 13 Rz. 59 ff.; STEFAN TRECHSEL/PETER NOLL, Schweizerisches
Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 6. Aufl., Zürich 2004, S. 200 ff.).
Anstiftung begeht, wer jemanden zu dem von ihm verübten Verbrechen oder
Vergehen vorsätzlich bestimmt hat. Der Anstifter wird nach der Strafdrohung,
die

auf den Täter Anwendung findet, bestraft (Art. 24 Abs. 1 StGB; vgl. dazu BGE
128 IV 11 E. 2a S. 15; 127 IV 122 E. 1 S. 125, E. 4a S. 130 f., je mit
Hinweisen; DONATSCH/TAG, a.a.O., S. 147 ff.; FORSTER, a.a.O., vor Art. 24
StGB N. 36, Art. 24 StGB N. 3 ff.; STRATENWERTH, a.a.O., § 13 Rz. 95 ff.;
TRECHSEL/NOLL, a.a.O., S. 210 ff.).

  2.8  Im Falle einer Verurteilung nach schweizerischem Recht fiele der
Sachverhalt gemäss Anklageschrift vom 9. Mai 2002 grundsätzlich unter den
Tatbestand der Anstiftung (allenfalls der intellektuellen Mittäterschaft) zu
vorsätzlicher Tötung (Art. 111 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB). Was der
Verfolgte dagegen einwendet, vermag die dargelegten Verdachtsgründe nicht
ohne Weiteres zu entkräften:
  Zwar macht er geltend, in den diversen Rechtshilfeunterlagen gebe es
widersprüchliche zeitliche und sachliche Angaben. Wie der Verfolgte selbst
darlegt, betreffen diese jedoch nicht die Anklageschrift vom 9. Mai 2002
(Tötung eines Dorfwächters am 30. April 1994 in Kayalisu), sondern ein
anderes untersuchtes Tötungsdelikt (vom 4. Mai 1992 an einem Polizeibeamten
in Yukaridut), zu dessen Verfolgung im angefochtenen Entscheid die
Auslieferung verweigert wurde. Analoges gilt für weitere angebliche
Ungenauigkeiten. Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis,
der Mitangeklagte "Mehmet S." (recte: Metin S.) habe zu Protokoll gegeben,
seine belastenden Aussagen seien unter Zwang erfolgt. Der Verfolgte weist
selbst darauf hin, dass sich der gemäss Anklageschrift vom 9. Mai 2002
erhobene Vorwurf auf die Aussage eines Zinnar M. stützt.

  Der Verfolgte räumt ein, dass ihm in der Anklageschrift vom 9. Mai 2002
der Vorwurf der Anstiftung zur Tötung gemacht wird. Zwar wendet er ein, der
betreffende Sachverhalt lasse sich nicht unter Art. 260ter StGB subsumieren
(und die betreffende Strafnorm sei im April 1994 noch gar nicht in Kraft
gewesen). Diese Fragen brauchen jedoch nicht zusätzlich geprüft zu werden,
da der Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit (Art. 2 Ziff. 1 EAUe) nicht
verlangt, dass der inkriminierte Sachverhalt unter mehrere Strafnormen des
ersuchten Staates fällt (BGE 132 II 81 E. 2.7.2 S. 90 f.; 131 II 235 E. 2.14
S. 243; 128 II 355 E. 2.6 S. 363). Auch die Verfolgungsverjährung (von 15
Jahren) des Tötungsdeliktes vom 30. April 1994 ist noch nicht eingetreten
(aArt. 70 Abs. 1 lit. b und nArt. 97 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 111 und Art.
24 Abs. 1 StGB). Die weiteren Einwände des Verfolgten begründen in diesem
Zusammenhang kein Auslieferungshindernis.

  2.9  Die Sachdarstellung zum untersuchten Tötungsdelikt vom 30. April 1994
genügt den Anforderungen von Art. 12 EAUe. Die übrigen Vorwürfe sind
entweder bereits verjährt (Art. 10 EAUe) oder sie wurden im Ersuchen und
seinen Ergänzungen im Sinne der dargelegten Praxis (vgl. E. 2.2-2.3) nicht
ausreichend konkretisiert. Diesbezüglich kann sowohl auf die zutreffenden
Erwägungen des angefochtenen Auslieferungsentscheides verwiesen werden als
auch auf die Vorbringen des Verfolgten.

  Unter dem Gesichtspunkt der beidseitigen Strafbarkeit (Art. 2 Ziff. 1
i.V.m. Art. 10 und Art. 12 EAUe) ist eine Auslieferung für den in der
Anklageschrift vom 9. Mai 2002 dargestellten Sachverhalt (Teilnahme am
Tötungsdelikt vom 30. April 1994) somit grundsätzlich zulässig. Die
Begrenzung des Sachverhaltes, für den die Auslieferung bewilligt werden
kann, erfolgt nach dem Grundsatz der Spezialität (Art. 14 Ziff. 1 EAUe).
Dieser soll sicherstellen, dass der ersuchende Staat im Falle der
Auslieferung ausschliesslich jenen Sachverhalt zur Anklage bringt, der
gemäss Art. 2 Ziff. 1 EAUe auch nach schweizerischem Strafrecht strafbar
wäre. Eine allfällige Ausdehnung des Anklagesachverhaltes wäre nur mit
ausdrücklicher Zustimmung der schweizerischen Behörden zulässig (Art. 14
Ziff. 1 lit. a EAUe; vgl. BGE 131 II 235 E. 2.14 S. 243 f.).

Erwägung 3

  3.  (...)

  3.8  Im Lichte der Praxis des Bundesgerichtes können die gegen den
Verfolgten erhobenen Vorwürfe nicht als rein politisch oder rassisch
motiviert eingestuft werden. Dem Verfolgten wird die massgebliche
Beteiligung (Anstiftung, eventuell Mittäterschaft) an der Tötung eines
sogenannten "Dorfwächters" zur Last gelegt. Dieser sei aus Vergeltung
erschossen worden, weil er Angehörige der PKK bei den türkischen
Sicherheitskräften angezeigt habe. Bei schweren Gewaltverbrechen, namentlich
Tötungsdelikten, ist der politische Charakter des Deliktes in der Regel zu
verneinen. Im vorliegenden Fall rechtfertigt sich keine Ausnahme von dieser
Praxis. Dabei ist auch der Gesamtkontext des Falles mitzuberücksichtigen.
Zwar sind die übrigen untersuchten Delikte (zu deren Verfolgung keine
Auslieferung gewährt werden kann) entweder bereits verjährt oder sie wurden
von der ersuchenden Behörde zu wenig konkretisiert. Nicht zu übersehen ist
jedoch, dass dem Verfolgten von der Türkei die persönliche Beteiligung an
einer Vielzahl von schweren Verbrechen vorgeworfen wird, denen über mehrere
Jahre hinweg nicht zuletzt zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer gefallen seien
(vgl. dazu oben,

E. 2.4.1). Selbst in bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen handelt es
sich dabei nicht mehr um angemessene oder wenigstens einigermassen
verständliche Mittel des gewalttätigen Widerstands gegen die geltend
gemachte ethnische Verfolgung und Unterdrückung (BGE 131 II 235 E. 3.2-3.3
S. 245 f.; 130 II 337 E. 3.2-3.3 S. 343 f.; 128 II 355 E. 4.2 S. 365, je mit
Hinweisen; vgl. auch MARC Forster, Zur Abgrenzung zwischen Terroristen und
militanten "politischen" Widerstandskämpfern im internationalen Strafrecht,
ZBJV 141/2005 S. 213 ff., 236-238; derselbe, Terroristischer Massenmord an
Zivilisten als "legitimer Freiheitskampf" kraft "Analogieverbot"?, ZStrR
124/2006 S. 331 ff., 333; HANS VEST, Berner Kommentar StGB, Bern 2007, N. 26
und 27 zu Art. 260quinquies StGB).

  Angriffe, die unterschiedslos auch Unbeteiligte bzw. Zivilisten treffen,
sind bereits durch Art. 51 Ziff. 4 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer
Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler
bewaffneter Konflikte (SR 0.518.521) - auch im sogenannten "Befreiungskampf"
- absolut verboten (vgl. STEFAN OETER, Kampfmittel und Kampfmethoden in
bewaffneten Konflikten und ihre Vereinbarkeit mit dem humanitären
Völkerrecht, in: J. Hasse et al. [Hrsg.], Humanitäres Völkerrecht,
Baden-Baden 2001, S. 86 ff.; HANS VEST, Terrorismus als Herausforderung des
Rechts, St. Galler Schriften zur Rechtswissenschaft, Bd. 12, Zürich 2005, S.
53). Es kommt hier hinzu, dass der Verfolgte einräumt, seit dem 6. Mai 1989
für die PKK tätig gewesen zu sein. Im Jahre 1995 sei er als Mitglied des
Zentralkomitees gewählt worden. Wie sich dem Bericht des Dienstes für
Analyse und Prävention des Bundesamtes für Polizei vom 8. März 2006
entnehmen lässt, sei die radikale kurdische Widerstandsorganisation PKK
schon ab 1993 von Deutschland als terroristische Vereinigung eingestuft und
verboten worden; weitere europäische Staaten und die USA hätten ähnliche
Verbote erlassen. In der massgeblichen Anklageschrift vom 9. Mai 2002 wird
dem Verfolgten substantiiert vorgeworfen, er habe auch noch nach 1993
(nämlich Ende April 1994) tödliche Attentate durch PKK-Kämpfer persönlich
angeordnet (vgl. dazu oben, E. 2.6).

  3.9  Nach dem Gesagten ist die Einrede des politischen Deliktes
abzuweisen.

Erwägung 4

  4.  Schliesslich macht der Verfolgte geltend, er habe als Kurde und
PKK-Angehöriger für eine Abspaltung der kurdischen Gebiete von der Türkei
gekämpft. Im Falle einer Auslieferung sei er aufgrund

seiner "politischen Arbeit" der Gefahr von Folterungen ausgesetzt. Nach
einem Türkeibericht von "Amnesty International" aus dem Jahr 2005 würden
Folterungen und Misshandlungen im Gewahrsam der Polizei und der Gendarmerie
nach wie vor Anlass zu grosser Sorge geben. Ähnliches ergebe sich aus einem
Gutachten der "Schweizerischen Flüchtlingshilfe" und einem Bericht der
"Human Rights Watch". Ein niederländisches Gericht habe im Januar 2005 die
Auslieferung einer hochrangigen PKK-Exponentin an die Türkei verweigert. Im
Falle einer Auslieferung müsse er, der Verfolgte, mit Einzelhaft bzw.
menschenrechtswidriger Isolationshaft rechnen. Die von der Türkei
abgegebenen Garantieerklärungen seien inhaltlich und formal ungenügend. Die
betreffenden Erklärungen trügen weder einen amtlichen Stempel noch eine
Unterschrift.

  4.1  Die Schweiz prüft die Auslieferungsvoraussetzungen des EAUe auch im
Lichte ihrer grundrechtlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Nach
internationalem Völkerrecht sind Folter und jede andere Art grausamer,
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung verboten (Art.
10 Abs. 3 BV, Art. 3 EMRK, Art. 7 und 10 Ziff. 1 des Internationalen Paktes
vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte [UNO-Pakt II;
SR 0.103.2]). Niemand darf in einen Staat ausgeliefert werden, in dem ihm
Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder
Bestrafung droht (Art. 25 Abs. 3 BV; vgl. BGE 123 II 161 E. 6a S. 167, 511
E. 5a S. 517, je mit Hinweisen). Auch behält sich die Schweiz die
Verweigerung von Rechtshilfe vor, wenn im ersuchenden Staat die
Respektierung eines vom internationalen Ordre public anerkannten
Minimalstandards an Verfahrensrechten nicht gewährleistet erscheint (vgl.
BGE 126 II 324 E. 4 S. 326 ff.).

  4.2  Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, die Türkei sei ein
langjähriges Mitglied des Europarates und habe die EMRK und den UNO-Pakt II
ratifiziert. Grundsätzlich sei festzuhalten, dass die Schweiz, so wie andere
Staaten auch, in der Regel ohne Einholung von Garantien verfolgte Personen
an die Türkei ausliefere. Das BJ verweist diesbezüglich auf den "BGE
1A.215/2000 vom 16. Oktober 2000". Das Bundesamt habe von der Türkei hier
dennoch die Abgabe von Garantien in ausdrücklicher Form verlangt. Die
türkische Botschaft habe am 4. Juli 2006 zugesichert, dass der Verfolgte
Besuche aus seinem Familien- bzw. Bekanntenkreis empfangen und dass er einen
uneingeschränkten bzw. unbewachten Kontakt zu seinem Rechtsanwalt pflegen
dürfe. Diese Garantien seien

glaubwürdig und reichten aus, um korrekte Haftbedingungen und die
Durchführung eines fairen Verfahrens gegen den Verfolgten sicherzustellen.
Das BJ begründet diese Auffassung mit dem Argument, der Auslieferungsverkehr
zwischen der Türkei und der Schweiz verlaufe "grundsätzlich
unproblematisch". In den vergangenen Jahren habe die Schweiz mehrere
Personen ohne entsprechende Garantien an die Türkei ausgeliefert. Dass die
Türkei zur Abgabe von Garantien im Einzelfall bereit sei, erscheine
"hingegen neu". Dieses Entgegenkommen der Türkei gehe einerseits auf
verschiedene bilaterale politische und technische Konsultationen zwischen
der Schweiz und der Türkei zurück, stelle anderseits aber nach den
Wahrnehmungen des BJ auch ein Novum im Verkehr mit anderen Staaten dar. Auch
im vorliegenden Fall hätten die türkischen Behörden die von der Schweiz
verlangten Garantien erst nur zögerlich abgegeben. "Schon daraus" lasse sich
schliessen, dass die Türkei zu deren Einhaltung gewillt sei.

  4.3  Aktuelle Berichte des Europäischen Folterschutzausschusses sowie von
türkischen, schweizerischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen
weisen immer noch auf dokumentierte Folterfälle hin, vor allem in den
südöstlichen Provinzen der Türkei und gegen mutmassliche kurdische
Aktivisten. In einem bei den Rechtshilfeakten befindlichen Bericht an das BJ
vom 20. Juni 2006 zur aktuellen Menschenrechtssituation in der Türkei weist
das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) zwar auf
Fortschritte bei der Implementierung rechtsstaatlicher Grundsätze und
Verfahren in der Türkei hin. Es konstatiert aber auch gewisse anhaltende
Probleme bei der praktischen Umsetzung des Menschenrechtsschutzes,
insbesondere im Bereich der Kurdenfrage. Das Risiko von Folterungen oder
erniedrigender Behandlung könne nach Ansicht des EDA im Fall von
mutmasslichen Terroristen nicht ganz ausgeschlossen werden. Zwar gebe es
Fortschritte im Menschenrechtsbereich, welche weitgehend auf die
EU-Beitrittsverhandlungen zurückzuführen seien und vor allem die
Gesetzgebung beträfen. Dadurch sei auch der Kampf gegen Folter und
erniedrigende Behandlung grundsätzlich gestärkt worden. Dazu gehörten zum
Beispiel das unverzügliche Recht auf einen Anwalt, das Recht zu schweigen
und Verbesserungen im Bereich der Rechtshilfe. Was die praktische Umsetzung
dieser Neuerungen betrifft, habe die Türkei jedoch längst nicht alles
Erforderliche unternommen. Während sich das Bewusstsein der Notwendigkeit
rechtsstaatlichen Vorgehens im Justizbereich

generell gefestigt habe, sei dies in heiklen Bereichen wie zum Beispiel der
Kurdenfrage, des Terrorismus oder des Linksextremismus noch unzureichend der
Fall. Folter und erniedrigende Behandlung seien vorwiegend während
Demonstrationen, Polizeieinsätzen oder dem Transport von Häftlingen
festzustellen, also ausserhalb von Strafanstalten. Die Straflosigkeit bei
Folterfällen bleibe ein grosses Problem. Das Risiko von Folterungen oder
erniedrigender Behandlung könne nicht ganz ausgeschlossen werden,
insbesondere im Fall von mutmasslichen Terroristen.

  4.4  Zwar sind die genannten Berichte über Fälle von
Menschenrechtsverletzungen in der Türkei nicht leicht zu nehmen. Sie
rechtfertigen jedoch im vorliegenden Fall nicht zum Vornherein den
Ausschluss jeglicher Rechtshilfe auch auf dem Wege der Auslieferung. Solches
wäre mit dem Sinn und Geist des Europäischen Auslieferungsübereinkommens und
des Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus (EÜBT; SR 0.353.3) nicht
vereinbar: Einerseits muss es auch Vertragsstaaten, die eine dramatische
Bürgerkriegsgeschichte zu bewältigen haben und die noch nicht auf eine
gefestigte und lange rechtsstaatliche Tradition zurückblicken können,
grundsätzlich ermöglicht werden, zur Verfolgung von schweren Verbrechen bzw.
terroristischen Anschlägen internationale Rechtshilfe zu erhalten.
Anderseits darf die Rechtshilfe weder zu politischen Zwecken missbraucht
werden, noch ihrerseits schweren Menschenrechtsverletzungen Vorschub leisten
(vgl. BGE 130 II 337 E. 6.1 S. 345). In politisch und völkerrechtlich
schwierigen Fällen wie dem vorliegenden, bei denen die
Auslieferungsvoraussetzungen des EAUe grundsätzlich erfüllt erscheinen, ist
daher nach der Praxis des Bundesgerichtes ein grosses Gewicht auf wirksame
und überprüfbare Menschenrechtsgarantien zu legen (vgl. BGE 123 II 161 E. 6
S. 172 f., 511 E. 6c S. 522 f.; 122 II 373 E. 2d S. 380; Urteil 1A.4/2005
vom 28. Februar 2005, E. 4.3-4.6 nicht publ. in BGE 131 II 235).

  4.5  Bei heiklen Konstellationen wie im vorliegenden Fall bestehen die
schweizerischen Behörden beim ersuchenden Staat regelmässig auf förmlichen
Garantieerklärungen bezüglich der Einhaltung der Grund- und Menschenrechte.
In Auslieferungsfällen, auf die das EAUe anwendbar ist, kann der ersuchende
Staat im konkreten Einzelfall zur Einhaltung bestimmter Verfahrensgarantien
als Bedingung für eine Auslieferung ausdrücklich verpflichtet werden. Dies
gilt namentlich für die Zulassung unangemeldeter Haftbesuche und die
Beobachtung des Strafverfahrens durch Vertreter der Botschaft des

ersuchten Staates (Urteil 1A.4/2005 vom 28. Februar 2005, E. 4.3 nicht publ.
in BGE 131 II 235; Urteil 1A.149/2004 vom 20. Juli 2004, E. 4.3; s. auch BGE
123 II 161 E. 6 S. 172 f., 511 E. 6c S. 522 f.).

  4.5.1  Im bereits erwähnten BGE 122 II 373 E. 2d S. 380 knüpfte das
Bundesgericht die Auslieferung an folgende Bedingungen:

    (...) de subordonner l'extradition du recourant à des assurances de
    l'Etat requérant, garantissant le droit de l'Ambassade suisse à Ankara
    de rendre régulièrement et librement visite au recourant durant sa
    détention préventive et d'être tenue informée, par l'autorité
    compétente, du lieu et des conditions de détention du recourant, ainsi
    que de son état de santé. De même, le recourant devra pouvoir s'adresser
    librement à l'Ambassade de Suisse, qui sera aussi autorisée à suivre
    librement, le cas échéant, l'audience de jugement et à y déléguer des
    observateurs. Ces mesures devraient suffire pour parer aux dangers que
    redoute le recourant. Elles ne sont pas pour le surplus inhabituelles,
    la Suisse ayant déjà par le passé subordonné l'extradition - notamment à
    la Turquie - à des garanties semblables (cf. les arrêts G., précité, B.,
    du 10 juillet 1991 et S., du 10 juillet 1987).

  4.5.2  In BGE 131 II 235 wurde die Auslieferung eines
terrorismusverdächtigen Kosovo-Albaners an Serbien und Montenegro bewilligt.
Serbien hatte unter anderem die förmliche Garantie abgegeben, dass Vertreter
der eidgenössischen Behörden den Verfolgten nach dessen Auslieferung ohne
jegliche Überwachungsmassnahmen besuchen könnten. Der Verfolgte habe auch
jederzeit das Recht, sich an diese Personen zu wenden. Die Vertreter der
schweizerischen Behörden seien ermächtigt, sich über den Verfahrensstand zu
erkundigen und an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen. Das Bundesgericht
erwog (in der nicht amtlich publizierten E. 4.6) Folgendes:

    Im vorliegenden Fall hat das BJ in enger Zusammenarbeit mit dem EDA
    sicherzustellen, dass die Haftbedingungen des Beschwerdeführers und der
    gegen ihn geführte Strafprozess vor Ort durch die schweizerische
    diplomatische Vertretung in Belgrad aufmerksam beobachtet werden und
    dass den oben genannten Garantieerklärungen nötigenfalls Nachachtung
    verschafft wird. Zu diesem Zweck müssen die schweizerischen Vertreter
    vereinbarungsgemäss jederzeit Zugang zum inhaftierten Verfolgten
    erhalten und mit diesem unbeaufsichtigt sprechen können. Ein
    entsprechender Hinweis ist in das Dispositiv des
    Auslieferungsentscheides aufzunehmen.

  4.5.3  Ähnliche Garantien waren (in BGE 123 II 161 E. 6 S. 172 f., 511 E.
6c S. 522 f.) auch schon für politisch und menschenrechtlich heikle
Auslieferungen an Russland bzw. Kasachstan verlangt worden.

  4.5.4  Im Urteil 1A.149/2004 vom 20. Juli 2004 war eine Auslieferung an
Albanien zu prüfen. In jenem Fall hatte schon das BJ entschieden, dass die
Auslieferung nur unter der Bedingung erfolge, dass die albanische Botschaft
eine Garantie abgibt, wonach bei einem Strafverfahren und einem allfälligen
Strafvollzug in Albanien die Grundsätze der EMRK bzw. des UNO-Pakts II
beachtet werden, der Verfolgte jederzeit mit der schweizerischen Vertretung
Kontakt aufnehmen und ein Vertreter der Botschaft oder eine von der
Botschaft bezeichnete Person jederzeit den Verfolgten besuchen und
sämtlichen Verhandlungen beiwohnen kann.

  4.6  Was die Praxis zur Einholung von Menschenrechtsgarantien betrifft,
kann somit den Erwägungen im angefochtenen Entscheid des BJ nicht gefolgt
werden. In Fällen wie dem vorliegenden stellen wirksame ausdrückliche
Menschenrechtsgarantien keineswegs ein ungewöhnliches Novum dar. Dies gilt
weder im Rechtshilfeverkehr mit der Türkei, noch mit anderen Staaten, die
eine Bürgerkriegsvergangenheit, dramatische politische Umwälzungen oder eine
schwierige Menschenrechtssituation zu bewältigen haben. Der vom BJ in diesem
Zusammenhang ausdrücklich zitierte (nicht amtlich publizierte) Entscheid
1A.215/2000 vom 16. Oktober 2000 ist nicht einschlägig. Er betraf einen
gemeinstrafrechtlichen Fall, nämlich einen Verfolgten, dem Hehlerei bzw. die
illegale Ausfuhr von Kulturgütern zur Last gelegt wurde. In heiklen
politisch konnotierten Fällen, wie dem hier zu beurteilenden, legt die
publizierte und mehrfach bestätigte Praxis des Bundesgerichtes ein grosses
Gewicht auf die Einholung von wirksamen und überprüfbaren
Menschenrechtsgarantien.

  4.7  Wie sich aus den Rechtshilfeakten ergibt, ersuchte das BJ die
türkische Botschaft am 27. März 2006 um die Abgabe von Garantien. Ihrer
Antwort vom 5. April 2006 legte die türkische Botschaft eine Notiz bei.
Diese Notiz ist weder datiert, noch mit einer Unterschrift versehen. Sie
trägt die Überschrift "Extraits de la correspondance du Ministère de la
Justice de la République de Turquie concernant X." und enthält allgemeine
Ausführungen zum türkischen Recht.

  Mit Schreiben vom 22. Juni 2006 verlangte das BJ die Abgabe von
Zusicherungen in ausdrücklicher Form. Am 4. Juli 2006 übermittelte die
türkische Botschaft ausdrückliche Garantieerklärungen. Darin sichert die
Türkei zu, dass im Strafverfahren gegen den Verfolgten die Grundrechte der
EMRK und des UNO-Paktes II eingehalten würden. Während der gesamten
Haftdauer habe der Verfolgte (ohne

Überwachung und Einschränkung) das Recht, einen Anwalt seiner Wahl zu
kontaktieren. Ausserdem erhalte er die Möglichkeit, im Gefängnis Besuche aus
seinem Familien- und allenfalls aus seinem Bekanntenkreis zu empfangen.
Ferner werde der Verfolgte nicht vor einem Ausnahmegericht angeklagt, und
seine physische und psychische Integrität werde respektiert. Seine
Haftbedingungen würden nicht aus politischen, religiösen oder rassischen
Gründen erschwert und hielten den Anforderungen von Art. 3 EMRK stand.
Ausserdem werde der Verfolgte nicht aus politischen Motiven angeklagt oder
verurteilt; ebenso wenig erfolge aus solchen Motiven eine Strafschärfung.

  4.8  Die vom BJ eingeholten Garantien sind unzureichend und entsprechen
nicht der dargelegten einschlägigen Rechtsprechung. Im vorliegenden Fall ist
die Auslieferung praxisgemäss von folgenden zusätzlichen Garantien abhängig
zu machen:
  Der schweizerischen Botschaft in Ankara ist das Recht zuzusichern,
Vertreter zu bezeichnen, die den Verfolgten nach dessen Auslieferung ohne
Überwachungsmassnahmen jederzeit besuchen können. Ebenso dürfen diese
Vertreter sich jederzeit über den Verfahrensstand erkundigen sowie an
sämtlichen Gerichtsverhandlungen teilnehmen. Der Verfolgte hat jederzeit das
Recht, sich an diese Vertreter zu wenden.

  Vor einem allfälligen Vollzug der Auslieferung muss das BJ eine
entsprechende ausdrückliche Garantieerklärung bei der ersuchenden Behörde
einholen. Der angefochtene Entscheid ist im Sinne einer solchen zusätzlichen
Auslieferungsbedingung zu ergänzen.

  Die Prozessbeobachtung durch schweizerische Behördenvertreter hat im
vorliegenden Fall auch sicherzustellen, dass dem Grundsatz der Spezialität
(Art. 14 Ziff. 1 EAUe) Nachachtung verschafft wird: Der ersuchende Staat
darf im Falle der Auslieferung lediglich denjenigen Sachverhalt zur Anklage
bringen, der gemäss Art. 2 Ziff. 1 EAUe auch nach schweizerischem Strafrecht
grundsätzlich strafbar wäre (inkriminiertes Tötungsdelikt vom 30. April
1994). Eine allfällige Ausdehnung des Anklagesachverhaltes wäre nur mit
ausdrücklicher Zustimmung der schweizerischen Behörden zulässig (Art. 14
Ziff. 1 lit. a EAUe; vgl. BGE 131 II 235 E. 2.14 S. 243 f.).

  4.9  Der angefochtene Auslieferungsentscheid erfolgte bereits unter dem
Vorbehalt eines rechtskräftigen ablehnenden Asylentscheids. Das Asylgesuch
des Verfolgten wurde am 14. November 2006 vom

Bundesamt für Migration (BFM) erstinstanzlich abgewiesen. Der
Auslieferungsentscheid kann demnach nur vollzogen werden, wenn - a) - der
ablehnende Asylentscheid des BFM rechtskräftig geworden ist (vgl. auch BGE
132 II 469 E. 2.5 S. 473; 122 II 373 E. 2d S. 380 f.) und - b) - die
ersuchende Behörde die oben (E. 4.8) genannte ausdrückliche
Garantieerklärung abgegeben hat.