Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 IV 49



Urteilskopf

133 IV 49

  7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
  6S.171/2006 vom 15. Februar 2007

Regeste

  Ausnützung der Notlage bzw. Abhängigkeit (Art. 193 StGB); sexuelle
Nötigung (Art. 189 StGB); Schändung (Art. 191 StGB).

  Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Ehre; Systematik des Gesetzes (E.
4).

  Eine physiotherapeutische Behandlung begründet in der Regel keine
Abhängigkeit im Sinne von Art. 193 StGB (E. 5).

  Der Therapeut, der seine Patientin über den Behandlungsinhalt täuscht und
unvermittelt eine sexuelle Handlung an ihr vornimmt, begeht keine sexuelle
Nötigung nach Art. 189 StGB (E. 6).

  Die Patientin ist zum Widerstand unfähig im Sinne von Art. 191 StGB, wenn
sie aufgrund ihrer besonderen Körperlage den Angriff des Therapeuten auf
ihre geschlechtliche Integrität nicht erkennen kann und überraschenderweise
durch diesen sexuell missbraucht wird (Bestätigung der Rechtsprechung; E.
7).

Sachverhalt

  A.- Mit Anklageschrift vom 18. März 2005 erhob die Staatsanwaltschaft
Zürich/Limmat Anklage gegen X. wegen Schändung im Sinne von Art. 191 StGB.
X. wird zur Last gelegt, er habe am 17. März 2004 in seiner Praxis für
Physiotherapie A. sexuell missbraucht, indem er der nackt und auf dem Bauch
liegenden Patientin bei einer Massage mit einem oder zwei Fingern in die
Vagina gegriffen habe. Dabei habe er sich mit seinem Oberkörper über die
Patientin gelehnt und sie auf ihre linke Halsseite geküsst. Die völlig
überrumpelte A. habe sich während ein paar Sekunden gegen die ungewollte
sexuelle Handlung des Therapeuten nicht zur Wehr setzen können.

  B.- Das Bezirksgericht Zürich sprach X. mit Urteil vom 21. Juni 2005 der
Ausnützung einer Notlage gemäss Art. 193 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte
ihn mit 12 Monaten Gefängnis unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges.
Zudem verpflichtete es ihn, A. eine Genugtuung von 2000 Franken zu bezahlen.

  C.- Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 6. Februar 2006 im
Berufungsverfahren das Urteil des Bezirksgerichts im Schuldpunkt, reduzierte
jedoch die erstinstanzlich ausgefällte Strafe auf 8 Monate Gefängnis und
setzte die Genugtuung auf 4000 Franken fest.

  D.- X. führt gegen das obergerichtliche Urteil vom 6. Februar 2006
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen
Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

  Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
verzichten auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. A. beantragt Abweisung der
Beschwerde im Zivilpunkt.

  Das Bundesgericht hat den Parteien mit Schreiben vom 21. Dezember 2006
Gelegenheit gegeben, sich zur Anwendung von Art. 191 StGB zu äussern.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.

  3.1  Die Vorinstanz erachtet den massgebenden Anklagesachverhalt als
vollumfänglich erstellt und stützt sich dabei insbesondere auf die
glaubhaften Aussagen der Beschwerdegegnerin. Sie stellt in tatsächlicher
Hinsicht für den Kassationshof verbindlich fest (Art. 277bis BStP), die
Beschwerdegegnerin leide seit Jahren unter einer angeschlagenen Gesundheit.
Ab Januar 2004 habe sie sich beim Beschwerdeführer wegen starker
Nackenschmerzen sowie einer Muskelzerrung im rechten Unterschenkel einer
physiotherapeutischen Behandlung unterzogen. Im Rahmen der Therapie hätten
auch persönliche Gespräche zwischen dem Therapeuten und seiner Patientin
stattgefunden. Anlässlich der Behandlung vom 17. März 2004 habe er sie
aufgefordert, sich für die gewünschte Massage freizumachen, worauf sie sich
bäuchlings und nur mit einem Slip bekleidet auf den Behandlungstisch gelegt
habe. Der Therapeut habe mit der Massage im Nacken- und Schulterbereich, an
den Beinen und am Rücken begonnen. Die Patientin habe ihm gesagt, sie möge
es nicht, wenn er sie am Steissbein massiere, worauf er ihr zur Antwort
gegeben habe, das gehöre zur Behandlung und sie solle sich entspannen. Auch
habe sie ihn gewähren lassen, als er ihr den Slip auszog, weil sie seine
Erklärung für überzeugend gehalten habe, es sei wegen des Massageöls. Sie
habe dem Therapeuten vertraut und nicht abschätzen können, was zur
Behandlung gehöre, bei der man die Augen schliesse und eine Entspannung
erwarte. Im Verlaufe der fortgesetzten Massage sei der Beschwerdeführer
plötzlich mit einem oder zwei Fingern in ihre Vagina eingedrungen und darin
für kurze Zeit verharrt. Die Patientin habe sich verkrampft. Sie sei
überrumpelt, ganz perplex und vor Überraschung wie weggetreten gewesen, da
er sie gleichzeitig am Hals geküsst habe. Für ein paar Sekunden habe sie
sich nicht zur Wehr setzen können.

  3.2  Die Vorinstanz nimmt die rechtliche Würdigung des Sachverhalts in
Übereinstimmung mit der ersten kantonalen Instanz vor und schliesst unter
Verweis auf deren Urteil zunächst die Tatbestände der sexuellen Nötigung
(Art. 189 StGB) und der Schändung (Art. 191 StGB) als nicht gegeben aus.
Hingegen hält sie dafür, das Verhalten

des Beschwerdeführers sei als Ausnützung der Notlage im Sinne von Art. 193
Abs. 1 StGB zu qualifizieren. Zur Begründung führt sie aus, angesichts des
seit Jahren angeschlagenen Gesundheitszustandes der Beschwerdegegnerin, des
guten Therapieverlaufes und des persönlichen Austausches zwischen dem
Physiotherapeuten und seiner Patientin sei ein Vertrauens- und
Abhängigkeitsverhältnis zu bejahen. Dieses habe der Therapeut ausgenützt.
Die Patientin sei mit dem Massieren am Steissbein und dem Ausziehen der
Unterhose nicht einverstanden gewesen. Trotz des geäusserten Unmutes habe
der Beschwerdeführer die Massage gegen ihren Willen fortgesetzt und ihr
schliesslich in die Vagina gegriffen. Damit habe er das ihm
entgegengebrachte Vertrauen missbraucht, denn es sei ihm bewusst gewesen,
dass die Patientin sich vertrauensvoll in jene Lage begeben habe (nackt und
bäuchlings auf dem Behandlungstisch liegend), in der es ihr unmöglich
gewesen sei, den Übergriff zu verhindern bzw. rechtzeitig zu reagieren.

Erwägung 4

  4.  Das Gesetz regelt in seiner Systematik der strafbaren Handlungen gegen
die sexuelle Integrität unter der Überschrift "Angriff auf die sexuelle
Freiheit und Ehre" vorab die sexuellen Nötigungstatbestände (Art. 189 und
190 StGB), die Schändung (Art. 191 StGB) sowie die Tatbestände der
Ausnützung einer Abhängigkeit oder Notlage (Art. 192 und 193 StGB).

  Bei der Ausnützung von Abhängigkeitsverhältnissen macht sich der Täter
eine erheblich eingeschränkte Entscheidungsfreiheit oder Abwehrfähigkeit der
abhängigen Person und ihre dadurch gegebene Gefügigkeit bewusst im Hinblick
auf ein sexuelles Entgegenkommen zunutze (BGE 131 IV 114 E. 1 S. 118). In
der Regel wird das Ausnützen einer Notlage bzw. Abhängigkeit durch die
besagten Strafnormen abschliessend erfasst. Nur in den Fällen, in denen der
vom Täter ausgeübte Druck die Intensität einer Nötigung erreicht, kommen die
Tatbestände der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung in Betracht (BGE 128
IV 106 E. 3b S. 113).

  Die sexuellen Nötigungstatbestände gelten als Gewaltdelikte und sind damit
prinzipiell als Akte physischer Aggression zu verstehen. Nicht jeder
beliebige Zwang, nicht schon jedes den Handlungserfolg bewirkende kausale
Verhalten, auf Grund dessen es zu einer ungewollten sexuellen Handlung
kommt, stellt eine sexuelle Nötigung dar (BGE 131 IV 167 E. 3.1 S. 170). Die
Tatbestände schützen vor Angriffen auf die sexuelle Freiheit nur insoweit,
als der Täter den zumutbaren Widerstand des Opfers überwindet oder
ausschaltet. Das

blosse Ausnützen vorbestehender gesellschaftlicher oder privater
Machtverhältnisse ist noch keine zurechenbare Nötigungshandlung.
Erforderlich ist eine "tatsituative Zwangssituation". Es genügt allerdings,
wenn das Opfer zunächst in dem ihm möglichen Rahmen Widerstand leistet und
der Täter in der Folge den Zwang aktualisiert (BGE 131 IV 107 E. 2.4 S. 111
f.).

  Der Tatbestand der Schändung nach Art. 191 StGB (frz. "actes d'ordre
sexuel commis sur une personne incapable de discernement ou de résistance";
ital. "atti sessuali con persone incapaci di discernimento o inette a
resistere") ergänzt den strafrechtlichen Schutz, indem er den Missbrauch
einer vorbestehenden Urteils- oder Widerstandsunfähigkeit unter Strafe
stellt, und ist insofern im Verhältnis zu den Nötigungsdelikten subsidiär.
Diese gehen vor, sobald der Täter einen Rest von Widerstand überwindet, um
das Opfer sexuell zu missbrauchen (vgl. BGE 119 IV 230 E. 3a).

Erwägung 5

  5.

  5.1  Wer eine Person veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder
zu dulden, indem er eine Notlage oder eine durch ein Arbeitsverhältnis oder
eine in anderer Weise begründete Abhängigkeit ausnützt, wird nach Art. 193
Abs. 1 StGB mit Gefängnis bestraft.

  5.2  Das Opfer ist abhängig im Sinne des Tatbestandes, wenn es auf Grund
eines im Gesetz genannten Umstandes nicht ungebunden bzw. frei ist und damit
objektiv oder auch nur subjektiv auf den Täter angewiesen ist. Soweit es um
ein Abhängigkeitsverhältnis geht, muss dieses die Entscheidungsfreiheit
wesentlich einschränken. Für die Bestimmung des Ausmasses der Abhängigkeit
sind die konkreten Umstände des Einzelfalles massgebend. Dem
Abhängigkeitsverhältnis liegt in der Regel eine besondere
Vertrauensbeziehung und immer ein ausgeprägtes Machtgefälle zu Grunde. Die
Vorinstanz referiert ausführlich die in BGE 131 IV 114 E. 1 dargelegte
Rechtsprechung. Darauf kann verwiesen werden.

  5.3  Nach einhelliger Auffassung steht bei der "in anderer Weise" (als
durch ein Arbeitsverhältnis oder eine Notlage) begründeten Abhängigkeit der
sexuelle Missbrauch durch Psychotherapeuten im Vordergrund (BGE 128 IV 106
E. 3b S. 112). In der Psychotherapie vertraut sich der psychisch leidende
Patient einseitig mit all seinen Problemen, Sorgen und Schwächen dem
Behandelnden an und legt dabei ganz persönliche Gefühle, Phantasien, Ängste
und Wünsche offen. Daraus kann sich im Verlaufe der Therapie eine
ausserordentlich

intime Situation entwickeln, die zu einer hohen Verletzlichkeit des
Patienten führt (BGE 124 IV 13 E. 2c/cc mit zahlreichen Hinweisen; 128 IV
106 E. 3b S. 112). In der Regel ist die therapeutische Beziehung zwischen
einem Psychotherapeuten und seinem Patienten von einem intensiven
Vertrauensverhältnis geprägt. Auch führen die Therapien häufig, jedoch nicht
zwingend, zu einem Machtgefälle und zu therapietypischen inneren Vorgängen,
die einen für die Tat nach Art. 193 StGB hinreichenden Kontroll- und
Autonomieverlust beim Patienten bewirken (BGE 131 IV 114 E. 1 S. 117).

  Sexuelle Übergriffe in professionellen Beziehungen sind auch in anderen
Berufsgruppen bekannt. Bei der Behandlung durch Angehörige der Medizinal-
und Pflegeberufe wie etwa Physiotherapeuten, Chiropraktiker oder Zahnärzte
wird dem Berufsvertreter nicht zuletzt wegen seines Wissensvorsprungs und
der fachlichen Stellung vielfach grosses Vertrauen entgegengebracht (WERNER
TSCHAN, Missbrauchtes Vertrauen, 2. Aufl., Basel 2005, S. 1 ff., 107 ff.).
Auch kann ein Patient aufgrund seiner körperlichen Leiden objektiv oder
subjektiv auf eine bestimmte Fachperson angewiesen sein. Doch seine
Entscheidungsfreiheit wird durch die physische Behandlung kaum je wesentlich
eingeschränkt. Eine besondere psychische Verletzlichkeit und Intimität wird
dadurch nicht herbeigeführt oder verstärkt, weshalb ein wesentlicher
Unterschied zur Psychotherapie besteht. Im Allgemeinen ist daher die
Beziehung zwischen Therapeut und Patient bei einer medizinischen
Pflegebehandlung, namentlich der Physiotherapie, nicht geeignet, ein
hinreichend starkes Abhängigkeitsverhältnis im Sinne von Art. 193 StGB zu
begründen (PETER HANGARTNER, Selbstbestimmung im Sexualbereich, Diss. St.
Gallen 1997, S. 224).

  5.4  Ausgehend vom verbindlich festgestellten Sachverhalt ist nicht zu
erkennen, dass die physiotherapeutische Behandlung die Patientin in ihrer
Entscheidungsfreiheit (wesentlich) eingeschränkt haben soll. Dass sie seit
Jahren unter einer angeschlagenen Gesundheit litt, die Physiotherapie gut
verlief und ein persönlicher Austausch mit dem Therapeuten stattgefunden
hat, lässt entgegen der Auffassung der Vorinstanz einen solchen Schluss
nicht zu. Wohl ist nicht zu übersehen, dass sie dem Beschwerdeführer als
Physiotherapeuten vertraute, doch ist ein Vertrauensverhältnis weder
notwendig noch hinreichend für die Annahme eines Abhängigkeitsverhältnisses
im Sinne von Art. 193 StGB (vgl. BGE 131 IV 114 E. 1 S. 117). Ein
ausgeprägtes Machtgefälle wie in BGE 124 IV 13 E. 2c geschildert, auf Grund
dessen die Patientin als abhängig erschiene, liegt

nicht vor, was die Beschwerde zu Recht geltend macht. Der Missbrauch kann
somit nicht auf eine in der Person der Beschwerdegegnerin begründete
Abhängigkeit und eine dadurch gegebene Gefügigkeit zurückgeführt werden. Der
Beschwerdeführer hat sich vielmehr ihre konkrete Situation während der
Massage zunutze gemacht.

Erwägung 6

  6.

  6.1  Eine sexuelle Nötigung nach Art. 189 Abs. 1 StGB begeht, wer eine
Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen
Handlung nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter
psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht.

  6.2  Nach den insoweit zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid
hat der Beschwerdeführer die Beschwerdegegnerin nicht genötigt. Die
Vorinstanz stellt verbindlich fest, die Patientin habe sich nach ihrer
Unmutsreaktion nicht weiter zur Wehr gesetzt, weil sie sich davon überzeugen
liess, die Massage am Steissbein sei durch die Behandlung geboten und das
Ausziehen der Unterhosen wegen des Massageöls notwendig. Diese irrtümliche
Annahme beruhte offenkundig auf der täuschenden Ankündigung des
Beschwerdeführers, die Handlungen würden zur Massage gehören und sie solle
sich entspannen, sowie auf ihrem Vertrauen in seine Fachkraft und Seriosität
als Physiotherapeuten. Die (täuschende) Einflussnahme weist jedoch nicht die
Erheblichkeit auf, die für die Annahme einer Nötigungshandlung erforderlich
ist und eine mit Gewaltanwendung oder Bedrohung vergleichbare Intensität
erreichen muss (BGE 131 IV 107 E. 2.4, 167 E. 3.1; 128 IV 97 E. 2b mit
ausführlicher Begründung und Hinweisen). Ebenso wenig lässt sich eine
Nötigung im gewaltsamen Einführen der Finger in die Vagina erblicken. Die
begriffliche Fassung des Tatbestandes spricht dafür, dass von einer
logischen Differenz auszugehen ist zwischen der Nötigung und dem Vollzug der
sexuellen Handlung, die in der Folge auf Grund der Nötigung geduldet werden
muss. Im vorliegenden Fall fällt das Eindringen in die Vagina aber mit der
Vornahme der sexuellen Handlung zeitlich zusammen. Da feststeht, dass die
Beschwerdegegnerin keine Gegenwehr leistete und auch nicht leisten konnte,
hat der Beschwerdeführer überhaupt keinen Widerstand überwunden. Damit
scheidet eine sexuelle Nötigung nach Art. 189 Abs. 1 StGB aus.

Erwägung 7

  7.

  7.1  Gemäss Art. 191 StGB wird wegen Schändung mit Zuchthaus bis zu zehn
Jahren oder mit Gefängnis bestraft, wer eine urteilsunfähige

oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum
Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen
Handlung missbraucht.

  7.2  Widerstandsunfähig ist, wer nicht im Stande ist, sich gegen
ungewollte sexuelle Kontakte zu wehren. Die Bestimmung schützt somit
Personen, die einen zur Abwehr ausreichenden Willen zum Widerstand gegen
sexuelle Übergriffe nicht oder nicht sinnvoll bilden, äussern oder betätigen
können. Dabei genügt, dass das Opfer nur vorübergehend zum Widerstand
unfähig ist. Die Gründe für die Widerstandsunfähigkeit können dauernder oder
vorübergehender, chronischer oder situationsbedingter Natur sein, also
ebenso in schweren psychischen Defekten wie in einer hochgradigen
Intoxikation durch Alkohol oder Drogen, in körperlicher Invalidität wie in
einer Fesselung, in der besonderen Lage der Frau in einem gynäkologischen
Stuhl (BGE 103 IV 165; 119 IV 230 E. 3a S. 232 mit Hinweis) oder auch in
einer Summierung von Schläfrigkeit, Alkoholisierung und einem Irrtum über
die Identität des für den Ehemann gehaltenen Sexualpartners liegen (BGE 119
IV 230 E. 3a). Erforderlich ist nur, dass die Widerstandsfähigkeit gänzlich
aufgehoben und nicht nur in irgendeinem Grad beeinträchtigt oder
eingeschränkt ist. Bei blosser - z.B. alkoholbedingter - Herabsetzung der
Hemmschwelle ist keine Widerstandsunfähigkeit gegeben (BGE 119 IV 230 E.
3a). Missbrauch liegt vor, wenn der Täter die Schutzlosigkeit des Opfers
ausnützt (BGE 119 IV 230 E. 3a).

  7.3  In BGE 103 IV 165 hat das Bundesgericht die Widerstandsunfähigkeit
von Patientinnen bejaht, die auf einem gynäkologischen Untersuchungsstuhl
lagen. Es führte aus, die Willensbetätigung der Frauen sei beeinträchtigt
gewesen, weil sie wegen ihrer Lage auf dem Untersuchungsstuhl nicht sehen
konnten, was mit ihnen geschah. In der Tat hänge eine willensmässige
Reaktion von einer vorgängig durch die Sinne vermittelten äusseren
Wahrnehmung ab. Falle aber das Sehen weg, so verbleibe den Frauen als
anderweitige Wahrnehmung nur das körperliche Empfinden im Bereich des
Geschlechtsteils. Das aber bedeute nichts anderes, als dass sie erst
reagieren konnten, als der Täter bereits im Begriff war, sie zu missbrauchen
(S. 166).

  7.4  Der vorliegende Fall ist gleich zu entscheiden. Die nackt und auf dem
Bauch liegende Patientin konnte wegen ihrer Lage auf dem Behandlungstisch
ebenfalls nicht sehen, was mit ihr geschah. Den sexuellen

Übergriff nahm sie erst wahr, als sie seine Finger an ihrem Geschlechtsteil
spürte und sich verkrampfte, also zu einem Zeitpunkt, als der
Beschwerdeführer bereits begonnen hatte, sie zu missbrauchen. Die Vorinstanz
nimmt insoweit zu Recht an, dass es der Patientin unmöglich war, den Angriff
auf ihre geschlechtliche Integrität von vornherein abzuwehren. Soweit sie
indessen das Vorliegen der Widerstandsunfähigkeit unter Hinweis auf die am
Anfang erfolgte verbale Abwehr verneint, ist ihr nicht beizupflichten. Der
Umstand, dass die Patientin anfänglich ihren Unmut kundtat und die
Fortsetzung der Massage alsdann gewähren liess, vermag den Beschwerdeführer
nicht zu entlasten. Wie oben bereits dargelegt (E. 6.2), nahm die
Beschwerdegegnerin in Bezug auf die dem Übergriff vorangehenden Handlungen
des Therapeuten irrtümlich an, diese gehörten zur Behandlung, und vertraute
ihm, weshalb sie mit einem Eingriff in ihre Intimsphäre nicht rechnete. Dies
mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass sie ihren Abwehrwillen erst
verspätet bilden konnte, doch ist dies hier für die Frage der
Widerstandsunfähigkeit im Tatzeitpunkt nicht von Bedeutung. Entscheidend ist
vielmehr, dass der Täter sich zum Missbrauch anschickte im Wissen darum,
dass sie den Angriff überhaupt nicht erkennen konnte, und damit ihre
vorbestehende Wehrlosigkeit ausgenützt hat. Als sich die Beschwerdegegnerin
Rechenschaft geben konnte, dass er in ihre Vagina eingedrungen war, war die
Tat bereits vollendet. Ohne Belang bleibt daher, dass sie sich gegen die
ungewollte sexuelle Handlung für ein paar Sekunden nicht zur Wehr setzte,
weil sie vom Übergriff völlig überrumpelt wurde, ganz perplex und vor
Überraschung wie weggetreten war. Denn eine vorübergehende
Widerstandsunfähigkeit - wie hier - genügt für die Erfüllung des
Tatbestandes.