Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 IV 342



Urteilskopf

133 IV 342

  50. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A.S. gegen
Generalprokurator des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen)
  6B_324/2007 vom 5. Oktober 2007

Regeste

  Art. 99 Abs. 1 BGG; Art. 385 StGB; echte tatsächliche Noven;
Wiederaufnahme des Verfahrens.

  Art. 99 Abs. 1 BGG schliesst echte tatsächliche Noven im
bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren aus. Solche können zur
Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinn von Art. 385 StGB berechtigen (E.
2.1).

  Ein nach dem kantonal letztinstanzlichen Strafurteil ergangenes Geständnis
eines Dritten, er habe die dem Verurteilten vorgeworfene Tat begangen, ist
als echtes tatsächliches Novum im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht
unzulässig (E. 2.2).

Sachverhalt ab Seite 342

  Mit Strafmandat vom 30. September 2005 büsste das Untersuchungsrichteramt
IV Berner Oberland A.S. wegen "Nichtwahrens eines ausreichenden Abstandes
beim Hintereinanderfahren mit Personenwagen, begangen am 16. September 2005,
morgens, auf der Autobahn A6, Thun Nord - Thun Süd", im Sinne von Art. 12
Abs. 1 VRV und Art. 34 Abs. 4 SVG in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG mit
300 Franken. Der Gerichtspräsident 6 des Gerichtskreises X Thun bestätigte
das Strafmandat am 22. November 2006 im Schuld- wie im Strafpunkt. Er
gelangte zur Überzeugung, dass kein vernünftiger Zweifel daran bestehen
könne, dass A.S. die Verkehrsregelverletzung

begangen hatte, auch wenn das betreffende Fahrzeug von mehreren
Familienmitgliedern benutzt wurde. Auf Appellation des A.S. hin bestätigte
das Obergericht des Kantons Bern am 24. Mai 2007 das erstinstanzliche Urteil
vollumfänglich.

  Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.S., das obergerichtliche Urteil
aufzuheben und ihn freizusprechen, die Verfahrenskosten aller Instanzen dem
Kanton Bern aufzuerlegen und ihm für alle Instanzen eine angemessene
Parteientschädigung zuzusprechen.

  Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe bereits in der
Appellationsbegründung vom 6. Februar 2007 ausführlich dargelegt, dass keine
gehörigen Belastungstatsachen für seine Täterschaft vorlägen, weshalb er
darauf verweise. Vor allem aber legt er ein Schreiben des B.S. vom 22. Juni
2007 ins Recht, worin dieser ausführt, er habe das Tatfahrzeug gelenkt. Er
mache diese Aussage, damit nicht sein Sohn A.S. zu Unrecht für ein Vergehen
bestraft werde, das er nicht begangen habe. Der Beschwerdeführer hält dafür,
der angefochtene Entscheid habe B.S. Anlass zum Verfassen dieses
Geständnisses geboten, und es sei entscheidend für den Ausgang des
Verfahrens, weshalb es sich um ein zulässiges Novum handle.

Erwägung 2

  2.

  2.1  Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den
die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17.
Juni 2005 über das Bundesgericht [BGG; SR 173.110]). Der Beschwerdeführer
kann tatsächliche Feststellungen nur rügen, wenn sie offensichtlich
unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen und die Behebung des
Mangels den Ausgang des Verfahrens beeinflussen kann (Art. 97 BGG). Neue
Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst
der angefochtene Entscheid dazu Anlass gab (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 133 III
393 E. 3 mit Hinweis auf die analoge Praxis zur altrechtlichen
staatsrechtlichen Beschwerde). Aus der Beschränkung der bundesgerichtlichen
Sachverhaltsprüfung auf offensichtlich falsche bzw. willkürliche
Feststellungen, wie sie regelmässig bereits in gleicher Weise für die
altrechtliche Verwaltungsgerichtsbeschwerde galt (soweit eine richterliche
Behörde als Vorinstanz tätig war, Art. 105 Abs. 2 OG), hat das Bundesgericht
in konstanter Praxis auch für dieses

Rechtsmittel abgeleitet, dass echte tatsächliche Noven, das heisst solche
Tatsachen, die erst nach dem Ergehen des angefochtenen Entscheids
aufgetreten sind, unzulässig sind (BGE 130 II 493 E. 2; 128 II 145 E. 1.2.1,
je mit Hinweisen). Daran wollte der Gesetzgeber für das neurechtliche
Beschwerdeverfahren ausdrücklich festhalten (Botschaft des Bundesrates zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 S.
4340). Dies ist auch durchaus folgerichtig, haben doch die Kantone nach Art.
385 StGB gegenüber Strafurteilen die Wiederaufnahme des Verfahrens zu
Gunsten des Verurteilten zu gestatten, wenn erhebliche Tatsachen oder
Beweismittel aufgetaucht sind, die dem urteilenden Gericht nicht bekannt
waren.

  2.2  Das vom Beschwerdeführer eingereichte schriftliche Geständnis seines
Vaters datiert vom 22. Juni 2007. Es ist nach dem angefochtenen Urteil vom
24. Mai 2007 entstanden und damit ein echtes tatsächliches Novum; als
solches ist es nach dem Gesagten im vorliegenden Beschwerdeverfahren
unbeachtlich.

  Man könnte sich zudem mit Fug fragen, ob das angefochtene Urteil erst
Anlass gab im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG zur Einreichung dieses
Beweismittels. Der Vater (einmal vorausgesetzt, das Geständnis entspricht
der Wahrheit) wusste bereits während des kantonalen Verfahrens, dass sein
Sohn die ihm vorgeworfene Verkehrsregelverletzung nicht begangen haben
konnte. Er hat nach seinen eigenen Angaben sein Geständnis nur eingereicht,
weil dieses mit der Verurteilung seines Sohnes endete. Es kann nicht der
Sinn dieser Bestimmung sein, Nova zuzulassen, nur weil der Ausgang des
Verfahrens nicht den Erwartungen des Betroffenen entsprach. Das eingereichte
Geständnis ist somit auch aus diesem Grund unbeachtlich.