Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 II 450



Urteilskopf

133 II 450

  40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Nada gegen SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft, sowie Eidgenössisches
Volkswirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  1A.45/2007 vom 14. November 2007

Regeste

  Verordnung über Massnahmen gegenüber Personen und Organisationen mit
Verbindungen zu Usama bin Laden, der Gruppierung "Al-Qaïda" oder den Taliban
(Talibanverordnung; SR 946.203).

  Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Abweisung des
Antrags auf Streichung aus Anhang 2 Talibanverordnung (E. 2).

  Die Schweiz ist an die Sanktionsbeschlüsse des UNO-Sicherheitsrats
gebunden (E. 3-6), sofern diese - wie im vorliegenden Fall - nicht gegen
zwingendes Völkerrecht (ius cogens) verstossen (E. 7).

  Der Schweiz ist es deshalb verwehrt, den Beschwerdeführer selbständig aus
Anhang 2 Talibanverordnung zu streichen; hierfür ist ein besonderes
Delisting-Verfahren durch den Sanktionsausschuss des UNO-Sicherheitsrats
vorgesehen (E. 8). Die Schweiz muss den Beschwerdeführer in diesem Verfahren
unterstützen (E. 9).

  Verfassungskonforme Auslegung des Einreise- und Transitverbots und seiner
Ausnahmen gemäss Art. 4a Talibanverordnung (E. 10).

Sachverhalt

  Am 15. Oktober 1999 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
(im Folgenden: Sicherheitsrat) mit Resolution 1267 (1999) Sanktionen
gegenüber den Taliban. Gleichzeitig setzte er einen Ausschuss zur
Überwachung der Umsetzung der Sanktionen ein, in dem alle 15 Mitglieder des
Sicherheitsrats vertreten sind (im Folgenden: Sanktionsausschuss). Am 19.
Dezember 2000 wurde das ursprüngliche Sanktionsregime mit Resolution 1333
(2000) auf Bin Laden und die Gruppierung "Al-Qaïda" erweitert. Der
Sicherheitsrat ersuchte den Sanktionsausschuss, auf der Grundlage der von
den Staaten und regionalen Organisationen bereitgestellten Informationen
eine aktualisierte Liste von Personen und Einrichtungen zu führen, die mit
Usama bin Laden und der Organisation "Al-Qaïda" in Verbindung stehen und
deshalb den Sanktionen unterliegen.

  Am 2. Oktober 2000 erliess der Bundesrat die Verordnung über Massnahmen
gegenüber Personen und Organisationen mit Verbindungen zu Usama bin Laden,
der Gruppierung "Al-Qaïda" oder den Taliban (SR 946.203; im Folgenden:
TalibanV). Danach sind Gelder und wirtschaftliche Ressourcen, die sich im
Eigentum oder unter Kontrolle der natürlichen und juristischen Personen,
Gruppen und Organisationen nach Anhang 2 befinden, gesperrt, und es ist
verboten, Gelder an diese zu überweisen oder ihnen Gelder und
wirtschaftliche Ressourcen sonstwie direkt oder indirekt zur Verfügung

zu stellen (Art. 3 Abs. 1 und 2). Die Einreise in die Schweiz oder die
Durchreise durch die Schweiz ist den in Anhang 2 aufgeführten natürlichen
Personen verboten (Art. 4a Abs. 1).

  Am 9. November 2001 wurden Youssef Nada sowie verschiedene mit ihm
verbundene Organisationen in die vom Sanktionsausschuss herausgegebene Liste
aufgenommen. Anhang 2 TalibanV wurde am 30. November 2001 um diese Namen
ergänzt.

  Am 22. September 2005 stellte Youssef Nada dem Bundesrat das Gesuch, er
und die mit ihm verbundenen Organisationen seien aus dem Anhang 2 TalibanV
zu streichen; eventualiter sei eine anfechtbare Verfügung zu erlassen. Zur
Begründung brachte er vor, das am 24. Oktober 2001 gegen ihn eingeleitete
gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren sei mit Beschluss der
Bundesanwaltschaft am 31. Mai 2005 eingestellt worden. Seither gebe es
keinen Grund mehr, ihn und die mit ihm verbundenen Organisationen weiterhin
Sanktionen zu unterwerfen.

  Mit Verfügung vom 18. Januar 2006 lehnte das Staatssekretariat für
Wirtschaft (SECO) das Gesuch ab, im Wesentlichen mit der Begründung, die
Schweiz dürfe keine Namen aus dem Anhang der TalibanV streichen, solange
diese Namen auf der vom Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates
herausgegebenen Liste figurierten.

  Gegen diese Verfügung erhob Youssef Nada am 13. Februar 2006
Verwaltungsbeschwerde beim Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement
(EVD). Dieses wies die Beschwerde am 15. Juni 2006 ab. Es vertrat die
Auffassung, eine Streichung aus Anhang 2 der TalibanV könne erst erfolgen,
wenn der Beschwerdeführer von der Liste des Sanktionsausschusses gestrichen
worden sei; hierfür sei ein sogenanntes Delisting-Verfahren auf UNO-Ebene
vorgesehen, das vom Heimat- oder vom Wohnsitzstaat des Betroffenen
eingeleitet werden könne. Da die Schweiz jedoch weder Heimat- noch
Wohnsitzstaat des Beschwerdeführers sei, fehle es den schweizerischen
Behörden an der Zuständigkeit für die Einleitung eines solchen Verfahrens.

  Gegen den Entscheid des EVD reichte Youssef Nada am 6. Juli 2006
Beschwerde beim Bundesrat ein.

  Nach Durchführung eines Meinungsaustauschs mit dem Bundesgericht trat der
Bundesrat am 18. April 2007 auf die Beschwerde nicht ein und überwies die
Sache dem Bundesgericht zur Beurteilung. Der Bundesrat ging davon aus, wegen
der unmittelbaren und

enteignungsähnlichen Beschränkungen, welche die TalibanV für den
Beschwerdeführer und dessen Organisationen bedeute, betreffe sein Begehren
um Streichung aus dem Anhang 2 der Verordnung zivilrechtliche Ansprüche i.S.
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Aus diesem Grund könne der Ausnahmetatbestand von
Art. 100 Abs. 1 Bst. a OG nicht zum Zuge kommen; vielmehr müsse die
Beschwerde an das Bundesgericht überwiesen werden, um die Beurteilung durch
ein unabhängiges Gericht sicherzustellen.

  Das EVD weist in seiner Vernehmlassung darauf hin, dass es hinsichtlich
des Delisting-Verfahrens auf UNO-Ebene zu einer Änderung gekommen sei:
Gestützt auf Resolution 1730 (2006) des Sicherheitsrats sei es unterdessen
jeder auf der Liste geführten Person möglich, in autonomer Weise ein
Delisting-Gesuch einzureichen; die Betroffenen seien somit nicht mehr auf
die Unterstützung ihres Wohnsitz- oder Heimatstaates angewiesen.

  In seiner Stellungnahme vom 20. August 2007 teilte der Beschwerdeführer
mit, dass er am 6. April 2007 einen Antrag auf Delisting beim dafür
zuständigen Focal Point der Vereinten Nationen eingereicht habe, was ihm am
11. April 2007 bestätigt worden sei. Seither habe er keine weiteren
Informationen erhalten. Der Beschwerdeführer macht geltend, aufgrund der
restriktiven Ausnahmebewilligungs-Praxis des Bundesamts für Migration dürfe
er seinen Wohnort in Campione nicht verlassen, obwohl ihm dort keine
angemessene medizinische Versorgung gewährt werden könne, und dürfe auch
nicht für administrative und gerichtliche Zwecke nach Italien reisen.
Faktisch stehe er seit bald sechs Jahren unter Hausarrest. Der
Beschwerdeführer ist der Auffassung, Art. 4a Abs. 2 TalibanV gehe in diesem
Punkt über die UNO-Sanktionen hinaus und sei auch aus diesem Grund
aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                   Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

  1.  Angefochten ist ein Beschwerdeentscheid des EVD, der am 15. Juni 2006,
vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG; SR 173.110), erlassen wurde. Auf das bundesgerichtliche
Beschwerdeverfahren bleiben daher die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom
16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) und das
Bundesgesetz vom 20. Dezember1968 über das Verwaltungsverfahren in der bis
zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung (aVwVG) anwendbar (Art. 132 Abs. 1
BGG).

Erwägung 2

  2.  Das Bundesgericht beurteilt letztinstanzlich
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen i.S. von Art. 5 VwVG,
soweit kein Ausschlussgrund i.S. von Art. 99 ff. OG vorliegt (Art. 97 OG).

  2.1  Anfechtungsgegenstand der Verwaltungsrechtspflege sind Verfügungen;
Rechtssätze, zu denen insbesondere die Verordnungen des Bundesrats zählen,
können grundsätzlich nicht selbständig angefochten werden, sondern lediglich
im Anwendungsfall vorfrageweise überprüft werden (BGE 131 II 735 E. 4.1 S.
740, 13 E. 6.1 S. 25 f. mit Hinweisen).

  Der Beschwerdeführer beantragt die Streichung aus dem Anhang der TalibanV
und damit formell die Änderung einer Verordnung. Dennoch erliess das SECO
eine "Verfügung", mit der es den Antrag des Beschwerdeführers abwies; das
EVD trat auf die dagegen gerichtete Verwaltungsbeschwerde ein und wies die
Beschwerde ab.

  In seiner Vernehmlassung an das Bundesamt für Justiz vom 31. August 2006
führte das EVD hierzu aus, dass sich die Aufnahme in (bzw. die Streichung
aus) Anhang 2 der TalibanV für die betroffene Person wie ein
individuell-konkreter Verwaltungsakt und damit wie eine Verfügung i.S. von
Art. 5 VwVG auswirke. Bei den in der Verordnung vorgesehenen
Zwangsmassnahmen handle es sich um gezielt diskriminierende Beschränkungen,
welche die Sanktionsadressaten in wichtigen Rechtsgütern unmittelbar
tangierten. Unter diesen Umständen habe es sich gerechtfertigt, den Antrag
des Beschwerdeführers materiell zu behandeln.

  Dieser Auffassung ist zuzustimmen: Durch die Aufnahme in Anhang 2 TalibanV
wird der Beschwerdeführer den Sanktionen der TalibanV unterstellt und damit
unmittelbar und speziell in Grundrechtspositionen berührt, weshalb ihm durch
Erlass einer Verfügung eine Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet werden musste.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Beschwerdeentscheid des EVD ist
insoweit zulässig.

  2.2  Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist allerdings ausgeschlossen gegen
Verfügungen auf dem Gebiete der inneren und äusseren Sicherheit des Landes,
der Neutralität, des diplomatischen Schutzes, der Entwicklungszusammenarbeit
und der humanitären Hilfe sowie der übrigen auswärtigen Angelegenheiten
(Art. 100 Abs. 1 lit. a OG). Der Entscheid des EVD betrifft Massnahmen zur
Durchsetzung internationaler Sanktionen und gehört damit zu den Verfügungen
auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten, zu deren Beurteilung

grundsätzlich der Bundesrat zuständig ist (Art. 72 lit. a und 74 aVwVG).

  Der Ausnahmekatalog gemäss Art. 99 ff. OG findet jedoch keine Anwendung,
wenn die Beschwerde Ansprüche betrifft, für die nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gerichtlicher Rechtsschutz gewährt werden muss (BGE 125 II 417 E. 4c-e S.
424 ff.; 130 I 388 E. 5.2 S. 396 f.; 132 I 229 E. 6.5 S. 240). Diese
Rechtsprechung wurde vom Gesetzgeber in Art. 83 lit. a BGG, Art. 72 lit. a
VwVG und Art. 32 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das
Bundesverwaltungsgericht (VGG; SR 173.32) ausdrücklich übernommen und liegt
auch dem Überweisungsbeschluss des Bundesrats im vorliegenden Verfahren
zugrunde.

  Die Aufnahme des Beschwerdeführers und seiner Organisationen in Anhang 2
TalibanV hat zur Folge, dass seine gesamten Gelder und wirtschaftlichen
Ressourcen in der Schweiz gesperrt sind (Art. 3 Abs. 1 TalibanV). Hierdurch
sowie durch das Verbot, Überweisungen an ihn oder an seine Organisationen
vorzunehmen (Art. 3 Abs. 2 TalibanV), wird die Erwerbstätigkeit des
Beschwerdeführers und seiner Organisationen in der Schweiz verunmöglicht.
Damit greift die TalibanV unmittelbar in vermögenswerte Rechte des
Beschwerdeführers und in seine Erwerbstätigkeit ein. Dabei handelt es sich
nicht um vorsorgliche Massnahmen zur Sicherung eines Endentscheids, gegen
den gerichtlicher Rechtsschutz möglich wäre, sondern um Massnahmen, die
selbständig angeordnet wurden. Diese dauern bereits mehr als 5 Jahre an und
ein Ende ist nicht abzusehen. Unter diesen Umständen hat der Bundesrat die
grundsätzliche Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu Recht bejaht (vgl.
auch BGE 132 I 229 E. 6.2 und 6.3 S. 238 ff. mit Hinweisen).

  2.3  Nach dem Gesagten ist die Zuständigkeit des Bundesgerichts begründet.
Somit ist auf die Beschwerde im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
einzutreten.

Erwägung 3

  3.  Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, seine Erfassung in Anhang 2
TalibanV durch die Schweiz sei autonom erfolgt; insofern müsse es auch
möglich sein, ihn autonom von dieser Liste zu streichen, nachdem das in der
Schweiz geführte gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren keine
Anhaltspunkte für eine Verbindung zu Usama bin Laden, Al-Qaïda oder den
Taliban erbracht habe.

  Der Beschwerdeführer bestreitet überdies die Verbindlichkeit der
Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrats. Die ohne Begründung und

ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs erfolgte Aufnahme in die
Sanktionslisten verletze das Diskriminierungsverbot, die persönliche
Freiheit, die Eigentumsgarantie, die Wirtschaftsfreiheit, den Anspruch auf
rechtliches Gehör und das Recht auf ein faires Verfahren; er beruft sich
hierfür auf die Garantien der Bundesverfassung, der EMRK und des UNO-Pakts
II (SR 0.103.2). Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, die
Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrates stünden nicht im Einklang mit der
Charta der Vereinten Nationen und verletzten sogar zwingendes Völkerrecht
(ius cogens), weshalb die Schweiz nicht zu ihrer Übernahme verpflichtet sei.

Erwägung 4

  4.  Die TalibanV wurde vom Bundesrat am 2. Oktober 2000 beschlossen, zu
einem Zeitpunkt, als die Schweiz noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen
war. Es handelte sich damals um einen autonomen Vollzug der vom
Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen, der sich unmittelbar auf Art. 184
Abs. 3 BV stützte (vgl. Botschaft des Bundesrats zum Embargogesetz vom 20.
Dezember 2000, BBl 2001 S. 1437 f. Ziff. 1.2; MATTHIAS-CHARLES KRAFFT/DANIEL
THÜRER/JULIE-ANTOINETTE STADELHOFER, Switzerland, in: Vera Gowlland-Debbas,
National Implementations of United Nations Sanctions: A Comparative Study,
Leiden 2004, S. 523 ff.). Auch die Aufnahme des Beschwerdeführers und seiner
Organisationen in Anhang 2 der TalibanV am 30. November 2001 erfolgte noch
auf diese Weise.

  Seither hat sich die Rechtslage in zweierlei Hinsicht verändert: Am 22.
März 2002 wurde das Bundesgesetz vom 22. März 2002 über die Durchsetzung von
internationalen Sanktionen (Embargogesetz, EmbG; SR 946.231) als
Rahmengesetz für die Durchsetzung von Sanktionen der Vereinten Nationen und
anderer internationaler Organisationen erlassen. Seither stützen sich die
entsprechenden Verordnungen des Bundesrats auf dieses Gesetz; das gilt auch
für die TalibanV (vgl. Änderung vom 30. Oktober 2002; AS 2002 S. 3955). Am
10. September 2002 wurde die Schweiz Mitglied der Vereinten Nationen.

  Diese neue Rechtslage ist für die Beurteilung des am 22. September 2005
gestellten Antrags des Beschwerdeführers auf Streichung aus Anhang 2
TalibanV massgeblich. Im Folgenden ist deshalb zu prüfen, ob die Schweiz,
als Mitgliedstaat der Vereinten Nationen, an die Sanktionsbeschlüsse des
Sicherheitsrats und seines Sanktionsausschusses gebunden ist, und wenn ja,
ob dies der Streichung des Beschwerdeführers aus Anhang 2 der TalibanV
entgegensteht

oder ob den schweizerischen Behörden ein Handlungsspielraum verbleibt.

Erwägung 5

  5.  Gemäss Art. 25 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (SR
0.120; im Folgenden: Charta) verpflichten sich die Mitgliedstaaten, die
Beschlüsse des Sicherheitsrats im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und
durchzuführen. Die Beschlüsse des Sicherheitsrats (sofern sie nicht in Form
unverbindlicher Empfehlungen ergehen) sind somit für die Mitgliedstaaten
verbindlich. Für Beschlüsse des Sicherheitsrats, die gestützt auf Artikel 41
und 42 Charta zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit ergehen, ergibt sich dies auch aus Art. 48 Abs. 2
Charta.

  5.1  Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gemäss der Charta haben nicht
nur Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten, sondern
ihnen kommt gemäss Art. 103 Charta auch Vorrang vor Verpflichtungen aus
anderen internationalen Übereinkünften zu. Dies gilt nach der Rechtsprechung
des Internationalen Gerichtshofs (IGH) für alle bilateralen, regionalen und
multilateralen Übereinkünfte der Vertragsparteien (Urteil vom 26. November
1984, Militärische und paramilitärische Tätigkeiten in und gegen Nicaragua,
CIJ, Recueil 1984 S. 392 ff., insb. S. 440 Rn. 107), und zwar unabhängig
davon, ob diese früher oder später als die Charta abgeschlossen worden sind
(vgl. hierzu den Vorbehalt in Art. 30 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens vom
23. Mai 1969 über das Recht der Verträge [VRK; SR 0.111]).

  5.2  Dieser Vorrang kommt nicht nur der Charta selbst zu, sondern
erstreckt sich auch auf Verpflichtungen, die sich aus einer für die
Mitgliedstaaten verbindlichen Resolution des Sicherheitsrates ergeben
(Beschlüsse des IGH vom 14. April 1992, Fragen der Auslegung und Anwendung
des Montrealer Übereinkommens von 1971 aufgrund des Luftzwischenfalls von
Lockerbie, Vorsorgliche Massnahmen, CIJ, Recueil 1992 S. 3 ff. und 114 ff.,
insb. S. 15 Rn. 39 und S. 126 Rn. 42; vgl. auch RUDOLF BERNHARDT, in: Bruno
Simma/Hermann Mosler/Albrecht Randelzhofer/Christian Tomuschat/Rüdiger
Wolfrum [Hrsg.], The Charter of the United Nations, A Commentary, 2. Aufl.
2002, N. 9 zu Art. 103 Charta; JEAN-MARC THOUVENIN, in: Jean-Pierre
Cot/Alain Pellet/Mathias Forteau, La Charte des Nations Unies: Commentaire
article par article, 3. Aufl., Art. 103 Charta S. 2135; FERDINAND
TRAUTMANNSDORFF, Die Organe

der Vereinten Nationen, in: Franz Cede/Lilly Sucharipa-Behrmann [Hrsg.], Die
Vereinten Nationen, Recht und Praxis, Wien 1999, S. 35).

  5.3  Auch der Sicherheitsrat ist an die Charta gebunden und muss in
Übereinstimmung mit deren Zielen und Grundsätzen handeln (Art. 24 Abs. 2
Charta), wozu auch die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten
gehört (Art. 1 Abs. 3 Charta). Die Mitgliedstaaten sind jedoch grundsätzlich
nicht befugt, sich einer Verpflichtung mit der Begründung zu entziehen, ein
(formell rechtsmässiger) Beschluss des Sicherheitsrats stehe materiell nicht
im Einklang mit der Charta (JOST DELBRÜCK, in: Simma/Mosler/
Randelzhofer/Tomuschat/Wolfrum, a.a.O., N. 18 zu Art. 25 Charta). Dies gilt
namentlich für Beschlüsse, die der Sicherheitsrat gestützt auf Kapitel VII
Charta zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit erlässt (BERNHARDT, a.a.O., N. 23 zu Art. 103
Charta, der nur Fälle offensichtlicher Kompetenzüberschreitung - manifest
ultra vires decisions - von der Bindungswirkung ausnimmt).

  5.4  Gestützt auf diese Grundsätze entschied der Gerichtshof erster
Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuGI) in zwei Urteilen vom 21.
September 2005, dass er nicht befugt sei, die Resolutionen des
Sicherheitsrats zu den Sanktionen gegen die Taliban und Al-Qaïda inzident
auf ihre Rechtmässigkeit nach dem Standard der in der
Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannten Grundrechte zu prüfen; vielmehr sei
er verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht in einer Weise auszulegen und
anzuwenden, die mit den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Charta
vereinbar sei (Rechtssache T-306/01, Yusuf und Al Barakaat International
Foundation gegen Rat und Kommission, Slg. 2005, II-3533, Randnr. 231 ff.,
insb. 276; Rechtssache T-315/01, Yassin Abdullah Kadi gegen Rat und
Kommission, Slg. 2005, II-3649, Randnr. 176 ff., insb. 225; bestätigt in den
EuGI-Urteilen vom 12. Juli 2006, Rechtssache T-253/02, Chafiq Ayadi gegen
Rat, Slg. 2006, II-2139, Randnr. 115 ff.; Rechtssache T-49/04, Faraj Hassan
gegen Rat und Kommission, Slg. 2006, II-52, Randnr. 91 ff.).

  Der EuGI nahm an, dass die Bindungswirkung von Beschlüssen des
Sicherheitsrats nur durch das ius cogens begrenzt sei, d.h. durch die
zwingenden fundamentalen Bestimmungen, die für alle Völkerrechtssubjekte
einschliesslich der Organe der UNO gelten und von denen nicht abgewichen
werden darf. Der EuGI überprüfte daher

die Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrats an diesem Massstab und kam zum
Ergebnis, ius cogens sei nicht verletzt (Urteil i.S. Yusuf und Al Barakaat,
a.a.O., Randnr. 277 ff.; Urteil i.S. Kadi, a.a.O., Randnr. 226 ff.; vgl.
dazu unten, E. 7).

  Auch in der Literatur wird das ius cogens, insbesondere die zwingenden
Bestimmungen zum universellen Schutz der Menschenrechte, überwiegend als
Schranke für die Verbindlichkeit von Sicherheitsratsbeschlüssen anerkannt
(vgl. Anm. zum Entscheid T-306/01 des EuGI, CHRISTIAN TOMUSCHAT, Common
Market Law Review [CMLRev.] 43/2006 S. 545 ff. mit Hinweisen Fn. 19; KARL
DOEHRING, Unlawful Resolutions of the Security Council and their Legal
Consequences, Max Planck Yearbook of United Nations Law 1/1997 S. 91-109,
insb. S. 102 ff.).

  5.5  Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (EGMR) sind Mitgliedstaaten für die Umsetzung von
Verpflichtungen, die ihnen durch internationale Organisationen auferlegt
werden, insofern verantwortlich, als ihnen ein eigener Ermessensspielraum
zusteht. Ist dies nicht der Fall, so prüft der EGMR nur, ob die betreffende
Organisation selbst über einen der EMRK gleichwertigen Grundrechtsschutz
verfügt und der Schutz der Konventionsrechte im Einzelfall nicht
offensichtlich unzureichend ausgeübt worden ist (vgl. zuletzt Urteil i.S.
Bosphorus gegen Irland vom 30. Juni 2005, Ziff. 152 ff. mit Hinweisen, publ.
in: RUDH 2005 S. 218 ff.).

  Der EGMR hat jedoch noch nicht entschieden, ob dies auch für
Verpflichtungen aus verbindlichen Beschlüssen des Sicherheitsrats gemäss
Kapitel VII Charta gilt: Zwar ging es im Fall Bosphorus um EG- und EU-Recht
zur Umsetzung von UNO-Sanktionen gegen Ex-Jugoslawien; die Bindung an die
einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates und die Äquivalenz des
Grundrechtsschutzes innerhalb der Vereinten Nationen wurden jedoch vom EGMR
nicht geprüft (vgl. DANIEL FRANK, UNO-Sanktionen gegen Terrorismus und
Europäische Menschenrechtskonvention, in: Festschrift Wildhaber 2007, S.
237-257, insb. S. 248).

  In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass den Mitgliedstaaten
der EMRK eine Verletzung von Konventionsrechten bei der Umsetzung von
UNO-Sicherheitsrats-Resolutionen zugerechnet werden müsse (IAIN CAMERON, The
European Convention on Human Rights, Due Process and United Nations Security
Council Counter-Terrorism

Sanctions, Bericht vom 6. Februar 2006 zu Händen des Europarats, S. 3 und 23
ff.), jedenfalls wenn sie sich als Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats nicht
gegen eine konventionswidrige Verabschiedung des Sanktionenregimes
eingesetzt haben (so DANIEL FRANK, a.a.O., S. 254). Diese Autoren plädieren
jedoch nicht einfach für die Unbeachtlichkeit der Sanktionsbeschlüsse des
Sicherheitsrats; vielmehr leiten sie aus der EMRK eine Verpflichtung der
Mitgliedstaaten ab, auf UNO-Ebene für eine konventionskonforme Ausgestaltung
des Sanktionsregimes zu sorgen.

Erwägung 6

  6.  Innerstaatlich ist der Konflikt zwischen Völkerrecht und
Verfassungsrecht, einschliesslich den Grundrechten, in Art. 190 BV
ausdrücklich geregelt: Danach sind Bundesgesetze und Völkerrecht für das
Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend.

  6.1  Diese Bestimmung gilt für das gesamte, für die Schweiz verbindliche
Völkerrecht; dieses umfasst neben den Staatsverträgen auch das
Völkergewohnheitsrecht, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und
Beschlüsse von internationalen Organisationen, die für die Schweiz
verbindlich sind (Botschaft des Bundesrats über eine neue Bundesverfassung
vom 20. November 1996, BBl 1997 I 428 f. zu Art. 180 E-BV). Damit sind
insbesondere auch die Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrates für das
Bundesgericht massgebend und müssen angewendet werden.

  6.2  Art. 190 BV enthält allerdings keine Regel über allfällige Konflikte
zwischen verschiedenen, für die Schweiz verbindlichen Normen des
Völkerrechts, im vorliegenden Fall den Sanktionsbeschlüssen des
Sicherheitsrats einerseits und den Garantien der EMRK und des UNO-Pakts II
andererseits. Kann der Konflikt nicht im Wege der Auslegung ausgeräumt
werden, muss deshalb auf die völkerrechtliche Normenhierarchie abgestellt
werden. Danach gehen die Verpflichtungen aus der Charta vor (Art. 103
Charta; Art. 30 Abs. 1 VRK). Die weltweite einheitliche Anwendung der
UNO-Sanktionen wäre gefährdet, wenn die Gerichte einzelner Mitgliedstaaten
die Sanktionen gegen einzelne Personen oder Einrichtungen wegen allfälliger
Verletzungen von Grundrechten gemäss EMRK und UNO-Pakt II - die sich
weitgehend mit den Grundrechten der nationalen Verfassungen decken -
aufheben oder abändern könnten.

Erwägung 7

  7.  Grenze der Anwendungspflicht für Resolutionen des Sicherheitsrats
stellt jedoch das ius cogens als zwingendes, für alle Völkerrechtssubjekte

verbindliches Recht dar. Zu prüfen ist deshalb, ob die Sanktionsbeschlüsse
des Sicherheitsrats ius cogens verletzen, wie der Beschwerdeführer geltend
macht.

  7.1  Als ius cogens oder zwingendes Völkerrecht werden diejenigen Normen
des Völkerrechts bezeichnet, von denen auch im gegenseitigen Einverständnis
nicht abgewichen werden darf; entgegenstehende völkerrechtliche Verträge
sind somit nichtig (vgl. Art. 53, 64 und 71 VRK). Auf die Einhaltung dieser
Normen konnten die Staaten daher auch in der Charta der Vereinten Nationen
nicht verzichten (DOEHRING, a.a.O., S. 101 ff.). Indizien für den absoluten
Charakter einer Norm sind Vertragsklauseln, die bestimmte Rechte oder
Pflichten als unaufhebbar bezeichnen, z.B. indem sie es den Vertragsstaaten
untersagen, anderslautende Vereinbarungen zu treffen, gewisse
Vertragsbestimmungen wegen eines Notstands zu suspendieren oder indem sie
Vorbehalte ausschliessen (vgl. hierzu EVA KORNICKER, Ius cogens und
Umweltvölkerrecht, Diss. Basel 1997, S. 58 ff.; STEFAN KADELBACH, Zwingendes
Völkerrecht, Berlin 1992, S. 178 f.; STEFAN OETER, Ius cogens und der Schutz
der Menschenrechte, in: Festschrift Wildhaber 2007, S. 507 f.).

  7.2  Der EuGI verneinte in den oben (E. 5.4) zitierten Entscheiden eine
Verletzung von ius cogens: Zum einen gälten die von den Klägern angerufenen
Grundrechte (Eigentumsrecht, Verteidigungsrechte und Anspruch auf effektiven
gerichtlichen Rechtsschutz) nicht absolut und insbesondere nicht für
Beschlüsse des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta. Zum anderen
berücksichtigte das Gericht, dass es sich um Massnahmen von begrenzter
Geltungsdauer handelt, deren Aufrechterhaltung alle 12-18 Monate vom
Sicherheitsrat überprüft wird, Ausnahme- und Befreiungsmöglichkeiten in
Härtefällen vorgesehen sind und ein formalisiertes Verfahren für die
Überprüfung jedes Einzelfalls durch den Sanktionsausschuss besteht (vgl.
Urteil i.S. Yusuf und Al Barakaat, a.a.O., Randnr. 284 ff.; Urteil i.S.
Kadi, a.a.O., Randnr. 233 ff.; Urteil i.S. Ayadi, a.a.O., Randnr. 134 ff.;
Urteil i.S. Hassan, a.a.O., Randnr. 104 ff.).

  7.3  Dieser Auffassung ist zuzustimmen.

  Allgemein werden zum ius cogens elementare Menschenrechte wie das Recht
auf Leben, der Schutz vor Folter und erniedrigender Behandlung, die Freiheit
von Sklaverei und Menschenhandel, das Verbot von Kollektivstrafen, der
Grundsatz der persönlichen Verantwortung in der Strafverfolgung sowie das
non-refoulement-Gebot

gezählt (vgl. Entscheid 1A.124/2001 vom 28. März 2002, E. 3.5 mit Hinweisen
zur Literatur und zur Praxis des Bundesrates). Weiter gehend wird z.T. auch
der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung und gewisse, damit
zusammenhängende Verfahrensgarantien zum ius cogens gezählt (OETER, a.a.O.,
S. 506 und 510 f. mit Hinweisen).

  Dagegen gehören weitere Grundrechte, selbst wenn sie für die Schweiz von
überragender Bedeutung sind, nicht zum zwingenden Völkerrecht (vgl.
Botschaft des Bundesrats zur Eidgenössischen Volksinitiative "für
demokratische Einbürgerungen" vom 25. Oktober 2006, BBl 2006 S. 8962, Ziff.
1.2.4.4). Dies gilt insbesondere für die vom Beschwerdeführer angerufenen
Grundrechte der Eigentumsgarantie und der Wirtschaftsfreiheit (TOMUSCHAT,
a.a.O., S. 547 f.). Aber auch die von ihm geltend gemachten
Verfahrensgarantien (Anspruch auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren
nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II; Recht auf eine
wirksame Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK und Art. 2 Abs. 3 UNO-Pakt II)
gehören nicht zum notstandsfesten Kern der internationalen
Menschenrechtskonventionen (vgl. Art. 15 Ziff. 2 EMRK, Art. 4 Abs. 2
UNO-Pakt II) und damit grundsätzlich nicht zum ius cogens (Botschaft vom 25.
Oktober 2006, BBl 2006 S. 8962, Ziff. 1.2.4.4; vgl. auch Urteil 1A.124/2001
vom 28. März 2002, E. 3.5, wo die Frage für das Strafverfahren offengelassen
wurde).

  7.4  Namentlich im Bereich der vom Sicherheitsrat nach Kapitel VII Charta
beschlossenen Sanktionen ist kein Konsens der Staaten ersichtlich,
international zwingende Verfahrensgarantien zum Schutz des Einzelnen
anzuerkennen.

  Diese Sanktionen enthalten einschneidende wirtschaftliche Einschränkungen
für die Betroffenen; die zum Lebensunterhalt notwendigen Mittel werden
jedoch freigegeben (vgl. Resolution 1452 [2002] Ziff. 1a), weshalb weder
eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit noch eine unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung vorliegt. Das Reiseverbot schränkt die
Bewegungsfreiheit der Betroffenen ein, stellt aber grundsätzlich keine
Freiheitsentziehung dar: Die Betroffenen können sich in ihrem Wohnsitzstaat
frei bewegen (vgl. allerdings unten, E. 10.2, zur besonderen Situation des
Beschwerdeführers); ausdrücklich erlaubt ist auch die Einreise in den
Heimatstaat (vgl. Resolution 1735 [2006] Ziff. 1b).

  Traditionell werden Sanktionen vom Sicherheitsrat beschlossen, ohne dass
Einzelne die Möglichkeit hätten, sich vorgängig oder nachträglich

dazu zu äussern oder dagegen Beschwerde vor internationalen oder nationalen
Instanzen zu erheben. Die Einführung eines Delisting-Verfahrens und die im
Jahre 2006 beschlossenen Verbesserungen (Möglichkeit des Einzelnen,
unmittelbar an den Sanktionsausschuss zu gelangen, Präzisierung der
Kriterien für die Aufnahme und die Streichung von der Liste; Einführung von
Begründungsanforderungen für Listing-Vorschläge; Verpflichtung der
Mitgliedstaaten zur Notifikation der Betroffenen) stellen bereits einen
wesentlichen Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation dar. Auch wenn
dieses System noch gewichtige Mängel aus Sicht der Grundrechte aufweist
(vgl. Bericht der Hochkommissarin für Menschenrechte vom 9. März 2007,
Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten im Kampf gegen den
Terrorismus [A/HRC/4/88] Rn. 25 ff.; Bericht des UN-Sonderberichterstatters
Martin Scheinin, Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten im Kampf
gegen den Terrorismus vom 16. August 2006 [A/61/267] Rn. 30 ff.), liegt kein
Verstoss gegen ius cogens vor.

Erwägung 8

  8.  Ist die Schweiz nach dem Gesagten an die Sanktionsbeschlüsse des
Sicherheitsrats gebunden, ist im Folgenden zu prüfen, wie weit diese Bindung
geht, d.h. inwieweit ihr noch ein Handlungsspielraum zusteht.

  8.1  Der Sicherheitsrat hat die Resolutionen 1267 (1999) und die
nachfolgenden Resolutionen über Sanktionen betreffend Al-Qaïda und die
Taliban gestützt auf Kapitel VII der UNO-Charta erlassen, mit der
ausdrücklichen Verpflichtung aller Mitgliedstaaten, die darin vorgesehenen
Sanktionen integral und strikt durchzuführen, ohne Rücksicht auf
vorbestehende staatsvertragliche oder vertragliche Rechte und Pflichten (so
ausdrücklich Ziff. 7 Resolution 1267 [1999]).

  Die Sanktionen (Blockierung von Vermögenswerten, Ein- und
Durchreiseverbot, Waffenembargo) werden detailliert beschrieben und lassen
den Mitgliedstaaten keinerlei Ermessensspielraum bei der Umsetzung. Auch die
Adressaten der Sanktionen werden den Mitgliedstaaten vorgegeben: Massgeblich
ist die vom Sanktionsausschuss geführte und aktualisierte Liste (Ziff. 8
lit. c Resolution 1333 [2000]).

  Für die Streichung von der Liste ist ein besonderes Delisting-Verfahren
durch den Sanktionsausschuss vorgesehen (vgl. zuletzt Ziff. 13 ff.
Resolution 1735 [2006] und Direktiven des Sanktionsausschusses

in der Fassung vom 12. Februar 2007). Es ist den Mitgliedstaaten somit
verwehrt, selbständig über die Weitergeltung von Sanktionen gegen eine auf
der Liste des Sanktionsausschusses aufgeführte Person oder Organisation zu
entscheiden.

  Die Schweiz würde deshalb gegen ihre Verpflichtungen aus der Charta
verstossen, wenn sie den Beschwerdeführer und seine Organisationen aus dem
Anhang der TalibanV streichen würde.

  8.2  Dies wäre auch dann der Fall, wenn die Sanktionsbeschlüsse des
Sicherheitsrats unmittelbar anwendbar sein sollten:
  Zwar blieben dann die Sanktionen gegen den Beschwerdeführer und dessen
Organisationen bestehen; die Streichung von der Liste würde jedoch deren
Umsetzung erschweren: Es bestünde die Gefahr, dass Behörden, Banken und
andere mit der Durchsetzung der Sanktionen betraute Stellen zu Unrecht davon
ausgehen, der Beschwerdeführer sei auch von der Liste des
Sanktionsausschusses gestrichen worden und sei nicht mehr Sanktionsadressat.
Bereits dies steht im Widerspruch zu den einschlägigen Resolutionen des
Sicherheitsrats (vgl. z.B. Ziff. 22 Resolution 1735 [2006]).

  Im Übrigen ist nicht ersichtlich, welches Interesse der Beschwerdeführer
an der beantragten Streichung haben könnte, wenn die Sanktionen gegen ihn
und seine Organisationen - unmittelbar gestützt auf die einschlägigen
Resolutionen des Sicherheitsrats und die Liste des Sanktionsausschusses -
aufrechterhalten bleiben müssten.

  8.3  Nach dem Gesagten ist es der Schweiz verwehrt, den Beschwerdeführer
selbständig aus Anhang 2 TalibanV zu streichen.

  Es ist dem Beschwerdeführer einzuräumen, dass in dieser Situation keine
effektive Beschwerdemöglichkeit besteht: Das Bundesgericht kann zwar prüfen,
ob und inwiefern die Schweiz an die Resolutionen des Sicherheitsrats
gebunden ist; dagegen ist es nicht befugt, die Sanktionen gegen den
Beschwerdeführer wegen Grundrechtsverletzungen aufzuheben.

  Für die Streichung von der Liste ist ausschliesslich der
Sanktionsausschuss zuständig. Trotz der erwähnten Verbesserungen genügt das
Delisting-Verfahren weder den Anforderungen an gerichtlichen Rechtsschutz
gemäss Art. 29a BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Ziff. 1 UNO-Pakt II noch
an eine wirksame Beschwerde i.S. von Art. 13 EMRK und Art. 2 Abs. 3 UNO-Pakt
II (vgl. Bericht der Hochkommissarin für Menschenrechte vom 9. März 2007,
a.a.O.,

Rn. 25, 31, 33; Bericht des UN-Sonderberichterstatters Martin Scheinin vom
16. August 2006, a.a.O., Rn. 39; Brown Institute for International Studies,
Watson University, Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear
Procedures, März 2006, Gutachten im Auftrag der Schweiz, des deutschen
Auswärtigen Amts und des Schwedischen Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, S. 49; IAIN CAMERON, a.a.O., S. 2, 12 ff. und 19 ff.;
DANIEL FRANK, a.a.O., S. 244 ff.; HELEN KELLER, Antiterrormassnahmen:
Verfahrensschutz bei der Sperrung von Bankkonten, in: Festschrift Alfred
Kölz, Zürich 2003, S. 299-318, insb. S. 314/315; dieselbe, Eingefrorene
Gelder - ausgehebelte Rechte, Plädoyer 2006 2 S. 23-25; R. WESSEL, Debating
the "Smartness" of Anti-Terrorism Sanctions: The UN Security Council and the
Individual Citizen, S. 633-660, insb. 645).

  Diese Situation kann nur durch die Einführung eines wirksamen
Kontrollmechanismus auf Ebene der Vereinten Nationen behoben werden. Dieses
Ziel wird auch vom Bundesrat und der schweizerischen UN-Vertretung aktiv
verfolgt (vgl. Antwort des Bundesrats vom 23. November 2005 auf die
Interpellation Dick Martys vom 7. Oktober 2005, Ziff. 5 und 7; Deklaration
des Ständigen Vertreters der Schweiz vom 30. Mai 2006 im Namen Deutschlands,
Schwedens und der Schweiz, Menaces à la paix et la sécurité internationales
causées par des actes terroristes).

Erwägung 9

  9.  In dieser Lage stellt sich immerhin die Frage, ob die Schweiz, wenn
sie den Beschwerdeführer schon nicht selbst von der Liste streichen kann,
ihn wenigstens bei der Durchführung des Delisting-Verfahrens unterstützen
muss (vgl. zu dieser Frage EuGI, Urteil i.S. Ayadi, a.a.O., Randnr. 144 ff.;
Urteil i.S. Hassan, a.a.O., Randnr. 114 ff.).

  9.1  Die Vorinstanzen haben geprüft, ob die Schweiz ein
Delisting-Verfahren für den Beschwerdeführer einleiten müsse. Diese Frage
hat sich inzwischen erledigt, da der Beschwerdeführer seit der Änderung des
Delisting-Verfahrens selbst einen Antrag stellen kann und von dieser
Möglichkeit auch Gebrauch gemacht hat.

  9.2  Für den Erfolg seines Antrags ist er allerdings auf die Unterstützung
der Schweiz angewiesen, da diese als einziges Land ein umfangreiches
Ermittlungsverfahren durchgeführt hat, mit zahlreichen Rechtshilfegesuchen,
Hausdurchsuchungen und Zeugenbefragungen.

  Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind verpflichtet, Personen,
die im Verdacht stehen, den Terrorismus zu finanzieren oder zu unterstützen,
strafrechtlich zu verfolgen (vgl. Ziff. 2e Resolution des Sicherheitsrats
1373 [2001]). Dazu gehören insbesondere Personen, die auf der Liste des
Sanktionsausschusses figurieren. In den nationalen Strafverfahren kann der -
i.d.R. auf Geheimdienstberichte gestützte - Anfangsverdacht in einem
ordentlichen Beweisverfahren überprüft und der Status der Betroffenen auf
diese Weise geklärt werden (vgl. Bericht des UN-Sonderberichterstatters
Martin Scheinin, a.a.O., Rn. 36 f.). Im Falle einer Verurteilung treten
strafrechtliche Sanktionen (Freiheitsstrafe; Einziehung) an Stelle der
präventiven Sanktionen (Reiseverbot; Kontensperre).

  Führt das Strafverfahren dagegen zu einem Freispruch oder wird es
eingestellt, so sollte dies zur Aufhebung der präventiv angeordneten
Sanktionen führen. Zwar kann der Staat, der das Straf- oder
Ermittlungsverfahren durchgeführt hat, diese Streichung nicht selbst
vornehmen. Er kann aber zumindest das Ergebnis seiner Ermittlungen dem
Sanktionsausschuss mitteilen und die Streichung des Betroffenen von der
Liste beantragen bzw. unterstützen.

Erwägung 10

  10.  Zu prüfen ist noch, ob das in Art. 4a TalibanV enthaltene Reiseverbot
über das von den Resolutionen des Sicherheitsrats Gebotene hinausgeht und
somit in diesem Bereich ein Handlungsspielraum der schweizerischen Behörden
besteht.

  10.1  Art. 4a Abs. 1 TalibanV verbietet den in Anhang 2 aufgeführten
natürlichen Personen die Einreise in die Schweiz oder die Durchreise durch
die Schweiz. Art. 4a Abs. 2 TalibanV sieht vor, dass das Bundesamt für
Migration in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Sicherheitsrates oder
zur Wahrung schweizerischer Interessen Ausnahmen gewähren kann.

  Nach den Resolutionen des Sicherheitsrats findet das Reiseverbot keine
Anwendung, wenn die Einreise oder der Transit für ein gerichtliches
Verfahren notwendig sind. Zudem können im Einzelfall mit Zustimmung des
Sanktionsausschusses Ausnahmen gewährt werden (vgl. zuletzt Ziff. 1 lit. b
Resolution 1735 [2006]). Darunter fallen insbesondere Reisen aus
medizinischen, humanitären oder religiösen Gründen (Brown Institute, a.a.O.,
S. 32).

  10.2  Art. 4a Abs. 2 TalibanV ist als "Kann"-Bestimmung formuliert und
erweckt den Eindruck, als stehe dem Bundesamt für Migration ein
Ermessensspielraum zu. Die Bestimmung ist jedoch verfassungskonform

in dem Sinne auszulegen, dass eine Ausnahme in allen Fällen gewährt werden
muss, in denen das UNO-Sanktionsregime dies erlaubt: Eine weiter gehende
Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers könnte sich nicht
auf die Resolutionen des Sicherheitsrats stützen, läge nicht im öffentlichen
Interesse und wäre auch aufgrund der besonderen Situation des
Beschwerdeführers unverhältnismässig:
  Dieser wohnt in Campione, einer italienischen Exklave im Tessin, mit einer
Fläche von nur 1,6 km2. Das Ein- und Durchreiseverbot hat somit zur Folge,
dass er Campione nicht verlassen kann. Im praktischen Ergebnis kommt dies,
wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, einem Hausarrest nahe und
stellt damit eine schwerwiegende Beschränkung der persönlichen Freiheit des
Beschwerdeführers dar. In dieser Situation sind die schweizerischen Behörden
verpflichtet, alle nach den Resolutionen des Sicherheitsrats zulässigen
Erleichterungen des Sanktionsregimes auszuschöpfen.

  Das Bundesamt für Migration hat somit keinen eigenen Ermessensspielraum.
Es muss vielmehr prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahmeerteilung
vorliegen. Fällt das Gesuch nicht unter eine vom Sicherheitsrat vorgesehene
generelle Ausnahme, muss es dem Sanktionsausschuss zur Genehmigung vorgelegt
werden.

  10.3  Die Frage, ob das Bundesamt für Migration diese
verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Behandlung von Ausreiseanträgen des
Beschwerdeführers verkannt hat, ist hier nicht zu prüfen: Die jeweiligen
Verfügungen des Bundesamts wurden vom Beschwerdeführer nicht angefochten und
sind nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.

  Gleiches gilt für die Frage, ob dem Beschwerdeführer eine Verlegung seines
Wohnsitzes aus der italienischen Exklave Campione nach Italien ermöglicht
werden müsste. Bisher hat der Beschwerdeführer kein entsprechendes Gesuch
gestellt.

Erwägung 11

  11.  Nach dem Gesagten ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.
Aufgrund der besonderen Umstände des Falles rechtfertigt es sich, keine
Kosten zu erheben.