Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 II 249



Urteilskopf

133 II 249

  22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Ehepaar Y. und Gemeinderat Ebikon sowie Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
  1C_3/2007 vom 20. Juni 2007

Regeste

  Art. 82 lit. a und Art. 89 Abs. 1 i.V.m. Art. 42, 95-97, 105 f. BGG;
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; Baubewilligung;
Nachbarbeschwerde; Sachurteilsvoraussetzungen (Beschwerdegründe,
Legitimation, Beschwerdebegründung).

  Pflicht des Nachbarn eines Bauprojekts, seine Beschwerdebefugnis
darzulegen (E. 1.1). Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten auf dem Gebiet des Raumplanungs- und Baurechts; Übersicht
über die möglichen Beschwerdegründe (E. 1.2). Legitimation des Nachbarn zur
Anfechtung eines Bauprojekts mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten (E. 1.3.1); Auswirkungen auf die Zulässigkeit von
Beschwerdegründen (E. 1.3.2). Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts und
grundsätzliche Beschränkung auf die Beurteilung der vorgebrachten Rügen (E.
1.4.1). Anforderungen an Verfassungs- und Sachverhaltsrügen (E. 1.4.2 und
1.4.3).

Sachverhalt

  Der Gemeinderat Ebikon bewilligte am 30. September 2004 den Bau eines
Mehrfamilienhauses auf der Parzelle Nr. 1310, GB Ebikon. In der Folge
veräusserte der Grundeigentümer die Parzelle an die Eheleute Y. Am 3.
November 2005 genehmigte der Gemeinderat das Gesuch des Ehepaars um Vornahme
nachträglicher Projektänderungen; gleichzeitig wies er die dagegen
gerichtete Einsprache des Nachbarn X. ab.

  X. beschwerte sich beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern über die
Abweisung seiner Einsprache. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit
Urteil vom 10. Januar 2007 ab, soweit es darauf eintrat.

  Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts erhebt X. beim Bundesgericht
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Das Bundesgericht
weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Der
angefochtene Entscheid erging nach dem 1. Januar 2007. Gemäss Art. 132 Abs.
1 BGG ist hier deshalb das Bundesgerichtsgesetz anwendbar.

  1.1  Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit von Amtes wegen (Art. 29
Abs. 1 BGG). Es untersucht deshalb grundsätzlich von Amtes wegen, ob und
inwiefern auf eine Beschwerde eingetreten werden kann. Immerhin ist die
Beschwerde gemäss Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 BGG hinreichend zu begründen.
Liegt - wie hier - eine baurechtliche Nachbarbeschwerde vor, so hat die
Begründungspflicht auch eine besondere Bedeutung für die Beschwerdebefugnis.
Der Beschwerdeführer hat darzulegen, dass die gesetzlichen
Legitimationsvoraussetzungen gegeben sind. Soweit diese nicht ohne Weiteres
ersichtlich sind, ist es nicht Aufgabe des Bundesgerichts, anhand der Akten
oder weiterer, noch beizuziehender Unterlagen nachzuforschen, ob und
inwiefern der als Beschwerdeführer auftretende Private zur Beschwerde
zuzulassen ist. Vorliegend erfolgt in der Beschwerdeschrift eine
hinreichende Auseinandersetzung mit den Sachurteilsvoraussetzungen.

  1.2  Gestützt auf Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht
Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts.
Dieses Rechtsmittel steht auch auf dem Gebiet des Raumplanungs- und
Baurechts zur Verfügung. Das Bundesgerichtsgesetz enthält dazu keinen
Ausschlussgrund. Gemäss Art. 34 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die
Raumplanung (RPG; SR 700) in der Fassung nach Ziff. 64 des Anhangs zum
Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (VGG; SR
173.32; vgl. AS 2006 S. 2261) gelten für die Rechtsmittel an die
Bundesbehörden die allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege. An
der Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
ändert nichts, wenn - wie hier - lediglich die Bundesverfassungsmässigkeit
der Handhabung von kantonalem bzw. kommunalem Baurecht im Streit liegt.

  1.2.1  Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art.
96 BGG erhoben werden. Bezüglich der Überprüfung und Anwendung von
kantonalem Recht sind in Art. 95 BGG gewisse Teilbereiche aufgeführt, so
kantonale verfassungsmässige Rechte (lit. c), kantonale Bestimmungen über
die politische Stimmberechtigung sowie über Volkswahlen und -abstimmungen
(lit. d) und interkantonales Recht (lit. e). Ausserhalb des
Anwendungsbereichs von Art. 95 lit. c bis lit. e BGG bleibt die Kognition
des Bundesgerichts bezüglich des kantonalen und kommunalen Rechts unter dem
Bundesgerichtsgesetz im Vergleich zum früheren Recht unverändert.
Diesbezüglich bildet die Verletzung kantonaler bzw. kommunaler

Bestimmungen nur dann einen zulässigen Beschwerdegrund, wenn eine derartige
Rechtsverletzung einen Verstoss gegen Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit.
a BGG - so das Raumplanungs- und Umweltschutzrecht des Bundes usw., ferner
auf Verfassungsstufe beispielsweise das Willkürverbot (Art. 9 BV) - oder
gegen Völkerrecht im Sinne von Art. 95 lit. b BGG zur Folge hat (vgl. die
Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl
2001 S. 4202 ff., 4335).

  1.2.2  In Ergänzung zu den Rügen, die sich auf Art. 95 f. BGG stützen,
sind unter den engen Voraussetzungen von Art. 97 Abs. 1 BGG auch Vorbringen
gegen die Sachverhaltsfeststellung zulässig. Ein solcher Einwand kann nach
der letztgenannten Bestimmung nur erhoben werden, wenn die Feststellung des
Sachverhalts durch die Vorinstanz offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung
des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
"Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (vgl. die Botschaft,
BBl 2001 S. 4338).

  1.3  In Art. 89 Abs. 1 BGG sind mit Blick auf die Legitimation zur
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kumulativ drei
Anforderungen verankert. Der Beschwerdeführer muss vor der Vorinstanz am
Verfahren teilgenommen oder dazu keine Möglichkeit erhalten haben (lit. a).
Er muss durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt sein
(lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung
haben (lit. c).

  1.3.1  Die Kriterien von Art. 89 Abs. 1 BGG grenzen die
Beschwerdelegitimation von Nachbarn gegen unzulässige Popularbeschwerden ab.
Verlangt ist neben der formellen Beschwer (Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG), dass
der Beschwerdeführer über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache
verfügt (Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG) und einen praktischen Nutzen aus der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids zieht (Art. 89 Abs. 1
lit. c BGG). Die Nähe der Beziehung zum Streitgegenstand muss bei
Bauprojekten insbesondere in räumlicher Hinsicht gegeben sein. Ein
schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche
Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst
werden kann (vgl. die Botschaft, BBl 2001 S. 4236). Die Voraussetzungen von
Art. 89 Abs. 1 lit. b und lit. c BGG hängen

eng zusammen; insgesamt kann insoweit an die Grundsätze, die zur
Legitimationspraxis bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 103 lit.
a des früheren Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation
der Bundesrechtspflege (OG; BS 3 S. 531) entwickelt worden sind (vgl. BGE
120 Ib 48 E. 2a S. 51 f., 379 E. 4b S. 386 f.), angeknüpft werden.

  1.3.2  Bei der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist
nicht erforderlich, dass das angeblich willkürlich angewendete kantonale
oder kommunale Gesetzesrecht dem Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch bzw.
ein rechtlich geschütztes Interesse vermittelt. In diesem Punkt
unterscheiden sich die hier zulässigen Beschwerdegründe von denjenigen bei
der subsidiären Verfassungsbeschwerde (vgl. zur Zulässigkeit der Willkürrüge
beim letztgenannten Rechtsmittel, BGE 133 I 185 E. 6.1 und 6.3 S. 197 ff.).
Aus dem Legitimationskriterium des schutzwürdigen Interesses gemäss Art. 89
Abs. 1 lit. c BGG (vgl. E. 1.3.1, hiervor) ist jedoch abzuleiten, dass der
Beschwerdeführer nur die Überprüfung des Bauvorhabens im Lichte jener
Rechtssätze verlangen kann, die sich rechtlich oder tatsächlich auf seine
Stellung auswirken. Dieses Erfordernis trifft beispielsweise nicht zu bei
Normen über die innere Ausgestaltung der Baute auf dem Nachbargrundstück,
die keinerlei Auswirkungen auf die Situation des Beschwerdeführers haben
(vgl. das Votum von Bundesrat Blocher in der ständerätlichen Beratung vom 8.
März 2005, AB 2005 S 135 f.). Beschwerdegründe Privater, mit denen ein bloss
allgemeines öffentliches Interesse an der richtigen Anwendung des Rechts
verfolgt wird, ohne dass dem Beschwerdeführer im Falle des Obsiegens ein
praktischer Nutzen entsteht, sind bei der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig. In jedem Fall kann aber
der Beschwerdeführer - wie bei der subsidiären Verfassungsbeschwerde (vgl.
BGE 133 I 185 E. 6.2 S. 198 ff.) - die Verletzung von Parteirechten rügen,
deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinausläuft.

  1.3.3  Vorliegend hat der Beschwerdeführer vor der Vorinstanz am Verfahren
teilgenommen (Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG). Er ist als Eigentümer der an das
Baugrundstück angrenzenden Parzelle Nr. 2647, GB Ebikon, durch den
angefochtenen Entscheid besonders berührt (Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG). Der
Beschwerdeführer bringt Gehörsrügen vor; dazu ist er ohne Weiteres befugt.
In der Sache wendet er sich gegen die Höhe der geplanten Baute und den
Umfang der baulichen Ausnutzung auf dem Nachbargrundstück. Insofern macht er

eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts und eine Verletzung des
Gleichbehandlungsgebots, verbunden mit einer Sachverhaltsrüge, geltend. Der
mit diesen Vorbringen beanstandete Umfang der baulichen Ausnutzung beim
fraglichen Bauprojekt wirkt sich in erheblichem Masse auf die Nutzung der
Liegenschaft des Beschwerdeführers aus. Insofern betrifft der angefochtene
Entscheid den Beschwerdeführer in schutzwürdigen eigenen Interessen (Art. 89
Abs. 1 lit. c BGG). Dieser ist somit zur Beschwerde befugt.

  1.4  Das Eintreten auf zulässige Beschwerdegründe hängt weiter vom
Erfüllen der Anforderungen an die Begründung der einzelnen Rügen ab.

  1.4.1  Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann
eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und
es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz
abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III
136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung
der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2
BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen
Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten,
wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden.

  1.4.2  Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von
Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht
prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Im
Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist die Praxis zum Rügeprinzip gemäss
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (vgl. dazu BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f.; 129 I
113 E. 2.1 S. 120) weiterzuführen (vgl. die Botschaft, BBl 2001 S. 4344).

  1.4.3  Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann
diese Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen,
wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG beruht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für eine
Sachverhaltsrüge nach Art. 97 Abs. 1

BGG und für eine Berichtigung des Sachverhalts von Amtes wegen nach Art. 105
Abs. 2 BGG stimmen im Wesentlichen überein. Soweit es um die Frage geht, ob
der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung einer
kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge Anforderungen
an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt. Entsprechende
Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG genannten
Rügen (vgl. dazu E. 1.4.2, hiervor). Demzufolge genügt es nicht, einen von
den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu
behaupten. Vielmehr ist in der Beschwerdeschrift nach den erwähnten
gesetzlichen Erfordernissen darzulegen, inwiefern diese Feststellungen
willkürlich bzw. unter Verletzung einer verfahrensrechtlichen
Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind. Andernfalls können Vorbringen
mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den Feststellungen im angefochtenen
Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4
S. 140). Vorbehalten bleiben offensichtliche Sachverhaltsmängel im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 BGG, die dem Richter geradezu in die Augen springen.

  1.4.4  Im vorliegenden Fall stehen mehrere Verfassungsrügen und eine
Sachverhaltsrüge zur Diskussion. Es wird, soweit erforderlich, im
entsprechenden Sachzusammenhang darzulegen sein, inwiefern die Anforderungen
an die Rügepflicht hier nicht eingehalten sind.

  1.5  Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf
die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.