Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 497



Urteilskopf

133 III 497

  63. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B. gegen
K. (Berufung)
  5C.224/2006 vom 14. Juni 2007

Regeste

  Art. 2 Abs. 2 und Art. 123 Abs. 2 ZGB; Ausschluss der Teilung der
Austrittsleistungen aus beruflicher Vorsorge; Rechtsmissbrauchsverbot.

  Gründe, die es rechtfertigen können, die Teilung der Austrittsleistungen
aus beruflicher Vorsorge ganz oder teilweise zu verweigern (E. 4 und 5).

Sachverhalt

  B. (Ehemann), Jahrgang 1968, und K. (Ehefrau), Jahrgang 1975, heirateten
am 16. Dezember 1995. Sie sind Eltern zweier Söhne. Die beiden Kinder lebten
ab Geburt bei den Eltern der Ehefrau. Von Beginn der Ehe an war die Ehefrau
vollzeitlich erwerbstätig. Der Ehemann ging während der Ehe keiner oder
zeitlich nur beschränkt einer Arbeit nach. Seit Ende September 2002 leben
die Ehegatten getrennt.

  Am 30. September 2004 leitete die Ehefrau (Klägerin) den Scheidungsprozess
ein. Der Ehemann (Beklagter) trug widerklageweise ebenfalls die Scheidung
an. Die Ehe wurde geschieden. Vereinbarungen über sämtliche Scheidungsfolgen
mit Ausnahme der beruflichen Vorsorge konnten gerichtlich genehmigt werden.
Strittig blieb die Aufteilung der während der Ehe erworbenen
Austrittsleistungen von Fr. 50'710.- auf Seiten der Klägerin und von Fr.
3'025.- auf Seiten des Beklagten. Die kantonalen Instanzen verweigerten die
Teilung der Austrittsleistungen, weil die Teilung auf Grund der
Doppelbelastung der Klägerin fundamental gegen das Gerechtigkeitsgefühl
verstossen würde.

  Das Bundesgericht heisst die Berufung des Beklagten gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Die Art. 122 f. ZGB regeln die Ansprüche aus beruflicher Vorsorge,
wenn ein Ehegatte oder beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen
Vorsorge angehört, bzw. angehören und bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall
eingetreten ist. Als Grundsatz gilt gemäss Art. 122 ZGB, dass jeder Ehegatte
Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember
1993 (SR 831.42) für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des
anderen Ehegatten hat (Abs. 1), wobei nur der Differenzbetrag zu teilen ist,
wenn den Ehegatten gegenseitig Ansprüche zustehen (Abs. 2). Mit der
Marginalie "Verzicht und Ausschluss" sieht Art. 123 ZGB vor, dass ein
Ehegatte in der Vereinbarung auf seinen Anspruch ganz oder teilweise
verzichten kann, wenn eine entsprechende Alters- und Invalidenvorsorge auf
andere Weise gewährleistet ist (Abs. 1), und dass das Gericht die Teilung
ganz oder teilweise verweigern kann, wenn sie aufgrund der güterrechtlichen
Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung
offensichtlich unbillig wäre (Abs. 2). Die Auslegung hat hier die Frage zu
beantworten, unter welchen Voraussetzungen das Gericht die Teilung der
Austrittsleistungen verweigern darf.

  4.1  Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist
der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so
muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung
aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text
zu Grunde liegenden Wertungen. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer
Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und
unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn
triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der
Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem
Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 132 III 18 E. 4.1 S. 20;
132 V 321 E. 6.1 S. 326). Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den
Gesetzesmaterialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände
oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen
(BGE 133 V 9 E. 3.1 S. 11; 131 III 189 E. 2.6 S. 196, für die ZGB-Revision
von 1998/2000).

  4.2  Nach dem Wortlaut von Art. 123 Abs. 2 ZGB kann die hälftige Teilung
der Austrittsleistungen verweigert werden unter der Voraussetzung, dass -
erstens - die Teilung offensichtlich unbillig ist und dass - zweitens - die
offensichtliche Unbilligkeit ihren Grund in der güterrechtlichen
Auseinandersetzung oder den wirtschaftlichen Verhältnissen nach der
Scheidung hat. Der Wortlaut der andersprachigen Gesetzestexte bestätigt den
Zusammenhang zwischen offensichtlicher Unbilligkeit und wirtschaftlicher
Lage nach der Scheidung ("[...] manifestement inéquitable pour des motifs
tenant à la liquidation du régime matrimonial ou à la situation économique
des époux après le divorce" und "[...] manifestamente iniqua dal profilo
della liquidazione del regime dei beni oppure della situazione economica dei
coniugi dopo il divorzio").

  4.3  Die Art. 123 Abs. 2 ZGB entsprechende Regelung im Vorentwurf (VE) war
allgemein formuliert. Danach sollte das Gericht die Teilung ganz oder
teilweise verweigern können, "wenn sie offensichtlich unbillig wäre" (Art.
127 Abs. 2 VE). Die wörtlich gleiche Bestimmung war für den nachehelichen
Unterhalt vorgesehen (Art. 130 Abs. 3 VE). Auf die Analogie wird im
Begleitbericht zum Vorentwurf vom 28. Januar 1992 hingewiesen (S. 57 und 60
des Berichts). Aufgrund der Anregungen im Vernehmlassungsverfahren schränkte
der Bundesrat die Billigkeitsklausel sowohl beim Vorsorgeausgleich

wie auch beim nachehelichen Unterhalt auf krasse, eindeutige Fälle ein. Es
heisst dazu in der Botschaft, Art. 123 Abs. 2 der bundesrätlichen Vorlage
präzisiere im Gegensatz zum Vorentwurf ausdrücklich, "dass sich die
Unbilligkeit ausschliesslich aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse nach
der Scheidung beurteilt, zu denen auch die Vorsorgesituation eines
geschiedenen Ehegatten gehört. Namentlich sind die Umstände, die zur
Scheidung geführt haben, und - anders als beim Unterhalt (vgl. Art. 125 Abs.
3) - das Verhalten während der Ehe in diesem Zusammenhang ohne jede
Bedeutung" (Botschaft, BBl 1996 I 1, S. 105). In Art. 125 Abs. 3 wurde neu
festgehalten, dass ein Unterhaltsbeitrag ausnahmsweise sollte versagt oder
gekürzt werden können, wenn er offensichtlich unbillig wäre, weil die
berechtigte Person ihre Pflicht, zum Unterhalt der Familie beizutragen, grob
verletzt hat (Ziff. 1), ihre Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat
(Ziff. 2) oder gegen die verpflichtete Person oder eine dieser nahe
verbundenen Person eine schwere Straftat begangen hat (Ziff. 3). Mit der
Beschränkung auf diese krassen, eindeutigen Fälle sollte klargestellt
werden, dass es nicht um ein Scheidungsverschulden im Sinne des bisherigen
Rechts gehe (Botschaft, a.a.O., S. 114/115).

  In der parlamentarischen Beratung wurde der Regelung in Art. 123 Abs. 2
des Entwurfs ohne weitere Diskussion zugestimmt (AB 1996 S 761 und 1997 N
2695/2696). Der Ständerat ergänzte hingegen die Billigkeitsklausel gemäss
Art. 125 Abs. 3 des Entwurfs durch das Wort "insbesondere", damit der
Rechtsmissbrauch nicht mehr auf die drei Tatbestände der Ziff. 1-3
beschränkt sei (Antrag Wicki, AB 1996 S 764). Bundesrat Koller warnte zwar
vor einer Öffnung in Richtung Verschulden der Ehegatten und wendete ein, das
Rechtsmissbrauchsverbot stehe als allgemeines Rügeprinzip ohnehin neben dem
vorgeschlagenen, auf typisierte Unbilligkeitsfälle beschränkten Art. 125
Abs. 3 des Entwurfs (vgl. AB 1996 S 765). Nach der Beratung im Erstrat
lautete Art. 125 Abs. 3 jedoch antragsgemäss dahin, dass ein Beitrag
ausnahmsweise sollte versagt oder gekürzt werden können, wenn er
offensichtlich unbillig wäre, "insbesondere" weil die berechtigte Person
einen der in den Ziff. 1-3 genannten Tatbestände erfüllt hat. Im Nationalrat
war die Regelung des nachehelichen Unterhalts umstritten und Gegenstand
einer Vielzahl von Anträgen (AB 1997 N 2696-2702). Mit Bezug auf Art. 125
Abs. 3 hielt der Ständerat in der Differenzbereinigung an seinem Entscheid
fest (AB 1998 S 326), dem der Nationalrat schliesslich knapp zustimmte (AB
1998 N 1186-1190).

  Aus der Entstehungsgeschichte muss geschlossen werden, dass der Bundesrat
die Billigkeitsklauseln beim Vorsorgeausgleich und beim nachehelichen
Unterhalt auf eindeutig umschriebene Fälle beschränken wollte, wobei daneben
die Einrede des Rechtsmissbrauchs im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB möglich
bleiben sollte. Das Parlament hat dem vorgeschlagenen Art. 123 Abs. 2
zugestimmt, Art. 125 Abs. 3 des bundesrätlichen Entwurfs hingegen ergänzt,
um zum Ausdruck zu bringen, dass es neben den aufgezählten noch weitere
Rechtsmissbrauchsfälle geben kann, bzw. um Klarheit zu schaffen, dass die
Aufzählung der Unbilligkeitsgründe im Gesetz nicht abschliessend ist. Die
Auffassungen von Befürwortern und Gegnern schieden sich an der Notwendigkeit
der Ergänzung und der damit verbundenen Gefahr, das aufgegebene
Verschuldensprinzip gleichsam durch die Hintertür wieder einzuführen,
hingegen nicht am Grundsatz, dass das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot
Geltung beansprucht. Der Umstand, dass Art. 123 Abs. 2 im Gegensatz zu Art.
125 Abs. 3 des Entwurfs nicht auch unter dem Blickwinkel des
Rechtsmissbrauchs diskutiert und ergänzt worden ist, schliesst dessen
Berücksichtigung neben der gesetzlich umschriebenen offensichtlichen
Unbilligkeit somit nicht aus. Anhaltspunkte für einen grundsätzlich
gegenteiligen Willen des Gesetzgebers bestehen auf Grund der Materialien
nicht.

  4.4  Erste Meinungsäusserungen in der Lehre haben Art. 123 Abs. 2 ZGB
ausschliesslich im Lichte der bundesrätlichen Botschaft erörtert, wonach
weder die Umstände, die zur Scheidung geführt haben, noch das Verhalten der
Ehegatten während der Ehe noch die Gründe, die zur Heirat geführt haben
(z.B. Fälle der sog. Scheinehe), zu berücksichtigen seien. Der offenbare
Rechtsmissbrauch wird als Verweigerungsgrund nicht erwähnt (GEISER,
Berufliche Vorsorge im neuen Scheidungsrecht, in: Vom alten zum neuen
Scheidungsrecht, Bern 1999, S. 55 ff., 90 f. N. 2.91 und N. 2.92; vgl.
WALSER, Berufliche Vorsorge, in: Das neue Scheidungsrecht, Zürich 1999, S.
49 ff., 55; SCHNEIDER/BRUCHEZ, La prévoyance professionelle et le divorce,
in: Le nouveau droit du divorce, Lausanne 2000, S. 193 ff., 238;
HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 4. Aufl., Bern 2000, S. 85 N.
11.31). Teilweise findet sich aber schon früh die Lehrmeinung, auch das
allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot sei zu beachten. Eine Verweigerung der
Teilung von Austrittsleistungen komme wegen Verstosses gegen Art. 2 Abs. 2
ZGB in Frage, wenn ein Ehegatte entgegen Art. 159 ZGB gar nie die eheliche
Gemeinschaft

aufgenommen habe oder wenn die schwere Straftat im Sinne von Art. 125 Abs. 3
Ziff. 3 ZGB, die ein Ehegatte verübt hat, beim anderen Ehegatten zu einer
schweren Körperverletzung führe (SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen
Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 16 zu Art. 123 ZGB). In Anbetracht der eng
umschriebenen Unbilligkeitsgründe im Gesetz wurde geradezu gefordert,
anderen Fällen offensichtlich unbilliger Teilung durch die Anwendung von
Art. 2 Abs. 2 ZGB zu begegnen (PERRIN, Le nouveau droit du divorce: De la
théorie à la pratique, SJ 2000 II S. 263, 280; vgl. TRIGO TRINDADE,
Prévoyance professionnelle, divorce et succession, SJ 2000 II S. 467, 475
Anm. 44). Die Auffassung ist heute vorherrschend, wobei grosse Zurückhaltung
angemahnt wird (zuletzt: WALSER, Basler Kommentar, 2006, N. 17 zu Art. 123
ZGB).

  4.5  In seinem bisher einzigen amtlich veröffentlichten Leiturteil hat das
Bundesgericht mit Hinweis auf die Materialien und die Lehre dafürgehalten,
einzig die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung könnten die
Verweigerung der Teilung von Austrittsleistungen rechtfertigen (BGE 129 III
577 E. 4.2 S. 578 f.). Kein Verweigerungsgrund war darin zu sehen, dass ein
Ehegatte auf seinem Nebenerwerb während der Ehe keine Beiträge an eine
Vorsorgeeinrichtung bezahlt hatte (BGE 129 III 577 E. 4.3 S. 579). Das
Bundesgericht hat dann aber die zu Gunsten der Ehefrau ausgeschlossene
Teilung auf Grund ihrer wirtschaftlichen Lage nach der Scheidung nicht als
bundesrechtswidrig beanstandet. Die Ehefrau konnte zufolge
Kinderbetreuungspflichten für eine gewisse Zeit keiner vollzeitlichen
Erwerbstätigkeit nachgehen und deshalb auch keine vollständige berufliche
Vorsorge aufbauen. Die daherige Einbusse an künftiger Vorsorge wurde nicht
durch Unterhaltsbeiträge des Ehemannes ausgeglichen. Da der Betrag, den die
Ehefrau dem Ehemann bei der Scheidung als Vorsorgeausgleich hätte überweisen
müssen, nicht grösser war als ihre Einbusse an künftiger Vorsorge, durfte
die Teilung der Austrittsleistung als offensichtlich unbillig verweigert
werden (Urteil 5C.40/2003 vom 6. Juni 2003, E. 4.4 nicht publ. in BGE 129
III 577, aber in FamPra.ch 2003 S. 904).

  Anwendungsfälle aus der nicht amtlich veröffentlichten Praxis des
Bundesgerichts betrafen regelmässig die wirtschaftlichen Verhältnisse nach
der Scheidung. Wo im massgebenden Zeitpunkt die Ehefrau bereits
rentenberechtigt war und der Ehemann kurz vor Eintritt in die
Rentenberechtigung stand, die Rente der Ehefrau aber grösser war als die
künftige Rente des Ehemannes, durfte die Teilung

seiner Austrittsleistung verweigert werden (Urteil 5C.176/2006 vom 27.
Oktober 2006, E. 3.2). Keine Verweigerungsgründe im Sinne von Art. 123 Abs.
2 ZGB sind ein hohes Vermögen (Urteil 5C.49/2006 vom 24. August 2006, E.
3.1) oder das Eingehen einer neuen Lebensgemeinschaft durch den
ausgleichsberechtigten Ehegatten (Urteil 5C.22/2005 vom 13. Mai 2005, E.
3.2). Ob die Teilung gestützt auf Art. 2 Abs. 2 ZGB verweigert werden dürfe,
hat das Bundesgericht bisher nicht abschliessend entschieden mit der
Begründung, dass die strafrechtliche Verurteilung des Ehemannes wegen
Nötigung der Ehefrau nicht die erforderliche Schwere erreiche und die vom
Ehemann selbstverschuldete Aufgabe der Stelle ein bloss ehewidriges
Verhalten bedeute (Urteil 5C.286/2006 vom 12. April 2007, E. 3.4), bzw. dass
es auf die behauptete Scheidungsschuld der Ehefrau nicht ankommen könne
(Urteil 5C.240/2002 vom 31. März 2003, E. 6.2). Das Eidgenössische
Versicherungsgericht hat den Einwand, die Austrittsleistungen hätten nicht
geteilt werden dürfen, verworfen, weil diesbezüglich das zivilgerichtliche
Scheidungsurteil anzufechten gewesen wäre, was nicht geschehen sei; es hat
dann aber ergänzend angemerkt, dass die Umstände, die zur Scheidung führten,
und das Verhalten der Ehegatten während der Ehe im Rahmen von Art. 123 Abs.
2 ZGB ohnehin nicht hätten berücksichtigt werden dürfen (Urteil B 84/05 vom
9. Juni 2006, zweitletzter Absatz der Erwägungen).

  Im Gegensatz zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung spielt in der
kantonalen Gerichtspraxis die Verweigerung des Vorsorgeausgleichs wegen
Verstosses gegen das Rechtsmissbrauchsverbot offenbar eine bedeutende Rolle.
Gestützt darauf wurde die Teilung der Austrittsleistungen ganz oder
teilweise verweigert, z.B. weil ein Ehegatte die eheliche Gemeinschaft nie
wollte (Urteil des Kantonsgerichts Freiburg vom 18. Juni 2003, E. 3, publ.
in: FamPra.ch 2004 S. 382 ff.), weil die Ehegatten keine wirtschaftliche
Gemeinschaft bildeten, stets getrennt lebten und je für ihren eigenen
Lebensunterhalt sorgten (Urteil des Obergerichts Zürich vom 25. Februar
2002, E. 2, publ. in: ZR 101/2002 Nr. 95 S. 304 ff.) oder weil ein Ehegatte
die Ehe nur schloss, um an die Vorsorgegelder zu gelangen (vgl. Entscheid
des Kantonsgerichts St. Gallen vom 6. September 2000, publ. in: FamPra.ch
2001 S. 338 ff.).

  4.6  In systematischer Hinsicht fällt zunächst auf, dass die berufliche
Vorsorge durch das Einkommen der Ehegatten geäufnet wird und damit an die
Erwerbstätigkeit anknüpft, gleich wie der nacheheliche

Unterhalt (Art. 125 Abs. 2 Ziff. 5 ZGB) und das Güterrecht (Art. 197 Abs. 2
Ziff. 1 ZGB). Obwohl an sich eine unterhalts- oder güterrechtliche Lösung
denkbar gewesen wäre, hat der Gesetzgeber den Vorsorgeausgleich als
selbstständigen Anspruch ausgestaltet (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 21 und 99
f.). Im Gegensatz zur Regelung des Vorsorgeausgleichs und des nachehelichen
Unterhalts hat der Gesetzgeber es abgelehnt, im Güterrecht eine Härteklausel
vorzusehen, wonach das Gericht aus Billigkeitsgründen eine andere als die
gesetzliche hälftige Beteiligung am Vorschlag hätte festlegen können. Einer
als stossend oder offensichtlich unbillig erscheinenden Geltendmachung des
Anspruchs auf den Vorschlagsanteil kann nur über das Rechtsmissbrauchsverbot
gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB begegnet werden (vgl. Botschaft über die Änderung
des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 11. Juli 1979, BBl 1979 II 1191,
S. 1321; STECK, FamKommentar Scheidung, Bern 2005, N. 1 zu Art. 215 ZGB, mit
Hinweisen).

  Die Gesetzessystematik stimmt überein mit den Schlüssen aus der
Entstehungsgeschichte, der vorherrschenden Lehre und der darauf gestützten
kantonalen Praxis (E. 4.3-4.5 soeben). Kann das Gericht wegen offenbaren
Rechtsmissbrauchs sowohl die Teilung des Vorschlags im Güterrecht verweigern
als auch einen Unterhaltsbeitrag versagen oder kürzen, so darf das
Rechtsmissbrauchsverbot auch bei der Teilung der Austrittsleistungen
beachtet werden. Art. 123 Abs. 2 ZGB schliesst die selbstständige Anwendung
von Art. 2 Abs. 2 ZGB somit nicht grundsätzlich aus (vgl. für einen
gegenteiligen Fall: BGE 133 III 175).

  Die gesetzlichen Härteklauseln und das Verbot des offenbaren
Rechtsmissbrauchs stehen im Zusammenhang (vgl. BGE 127 III 65 E. 2a S. 66
f.). Aus systematischer Sicht ist zu beachten, dass der Gesetzgeber für die
einzelnen scheidungsrechtlichen Ansprüche je unterschiedliche Regelungen
getroffen hat. Im Güterrecht findet sich keine Härteklausel, beim
nachehelichen Unterhalt werden drei Unbilligkeitsgründe beispielhaft
aufgezählt, und für den Vorsorgeausgleich ist nur ein Fall zulässiger
Billigkeitsentscheidung vorgesehen. Je konkreter der Gesetzgeber insoweit
umschrieben hat, was er nicht mehr billigen will, desto enger wird der
gerichtliche Entscheidungsspielraum beim Heranziehen von Art. 2 Abs. 2 ZGB.
Die gesetzlichen Härteklauseln konkretisieren und beschränken die
Rechtsmissbrauchstatbestände, die das Gericht im konkreten Einzelfall
zusätzlich berücksichtigen darf. An diese gesetzgeberischen

Vorgaben und Schranken hat sich die gerichtliche Anwendung von Art. 2 Abs. 2
ZGB zu halten. Eine reine Billigkeitsrechtsprechung ist damit ausgeschlossen
(vgl. EGGER, Zürcher Kommentar, 1930, N. 27, und MERZ, Berner Kommentar,
1962/1966, N. 104, je zu Art. 2 ZGB).

  4.7  Das Auslegungsergebnis lässt sich dahin zusammenfassen, dass das
Gericht die Teilung der Austrittsleistungen nicht nur dann ganz oder
teilweise verweigern kann, wenn sie aufgrund der güterrechtlichen
Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung
offensichtlich unbillig wäre (Art. 123 Abs. 2 ZGB). Eine Verweigerung fällt
auch dort in Betracht, wo die Teilung im konkreten Einzelfall und bei
Vorliegen eines dem gesetzlichen vergleichbaren oder ähnlichen Tatbestandes
gegen das Verbot des offenbaren Rechtsmissbrauchs verstiesse (Art. 2 Abs. 2
ZGB). Für weitere Verweigerungsgründe bleibt hingegen kein Raum.

Erwägung 5

  5.  Die Anwendung der ausgeführten Überlegungen auf den vorliegenden Fall
ergibt Folgendes:

  5.1  Der gesetzliche Verweigerungsgrund ist hier nicht gegeben, zumal es
nicht um die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nach der Scheidung
geht. Den kantonal angenommenen Verweigerungsgrund eines fundamentalen
Verstosses gegen das Gerechtigkeitsgefühl kennt das materielle Recht nicht.
Es kann sich deshalb nur die Frage stellen, ob die Teilung der
Austrittsleistungen auf Grund der Verhaltensweise des Beklagten während der
Ehe verweigert werden darf. Denn Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 Abs. 2
ZGB hat jede Instanz von Amtes wegen zu beachten, wenn die tatsächlichen
Voraussetzungen von einer Partei in der vom Prozessrecht vorgeschriebenen
Weise vorgetragen worden sind und feststehen. Einer besonderen Einrede
bedarf es nicht (BGE 121 III 60 E. 3d S. 63; 132 III 503 E. 3.3 S. 508/509).

  5.2  Gemäss den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts (Art. 63
Abs. 2 OG) ist davon auszugehen, dass die Klägerin durch ihren
vollzeitlichen Arbeitserwerb die finanzielle Basis der Familie
sichergestellt und die Haushaltführung übernommen hat. Die Kinderbetreuung
wurde von den Eltern der Klägerin übernommen; diese übernahm bei ihren
Besuchen an den Wochenenden auch gewisse Betreuungsaufgaben. Der Beklagte
hingegen hat sich nicht in genügendem Mass um eine Arbeitsstelle bemüht, um
zumindest einen Teil der finanziellen Lasten zu tragen; für seine
Untätigkeit hat

er weder eine Erklärung vorgebracht noch nachvollziehbare Gründe genannt. Er
hat auch keine oder nur sehr wenige Haushalts- oder Kinderbetreuungsaufgaben
übernommen, obwohl er die Kinder auf Grund seiner Arbeitslosigkeit während
der arbeitsbedingten Abwesenheit der Klägerin hätte betreuen können. Die
Klägerin hat die gelebte Situation nicht gebilligt, geschweige denn
gewünscht. Allerdings hat sie zu keinem Zeitpunkt Eheschutzmassnahmen in dem
Sinne beantragt, dass der Beklagte gerichtlich zu ermahnen oder anzuhalten
sei, Art. 163 ZGB nachzuleben und sich auch an den ehelichen Lasten zu
beteiligen.

  Das Verhalten des Beklagten lässt insgesamt nicht darauf schliessen, dass
er seinen Teil an Aufgaben in der Familie übernommen hat und insoweit eine
partnerschaftliche Ehe hat führen wollen. Zu prüfen bleibt, ob dieses
Verhalten des Beklagten den Tatbestand eines offenbaren Rechtsmissbrauchs
erfüllt, bezweckt doch der Teilungsanspruch einen Ausgleich für die
vorsorgerechtlichen Nachteile der während der Ehe erfolgten Aufgabenteilung
und dient er der wirtschaftlichen Selbstständigkeit jedes Ehegatten nach der
Scheidung (vgl. Botschaft 1996 I S. 100).

  Im Lichte der vorstehenden Grundsätze (E. 4) muss die Frage verneint
werden. Die Teilung der Austrittsleistung mag vor dem Hintergrund des
ehewidrigen Verhaltens des Beklagten als gegen das Gerechtigkeitsgefühl
verstossend empfunden werden. Während offenbarer Rechtsmissbrauch zwar
voraussetzt, dass auch der Gerechtigkeitsgedanke in grober Weise verletzt
worden ist, so bedeutet umgekehrt nicht jede grobe Verletzung des
Gerechtigkeitsgedankens offenbaren Rechtsmissbrauch. Im Verhältnis zwischen
Privaten ist für den offenbaren Rechtsmissbrauch charakteristisch, dass eine
Partei die andere zu einem bestimmten Verhalten verleitet, um daraus
treuwidrig Vorteile zu ziehen, sei es durch Geltendmachung von Ansprüchen,
sei es durch die Erhebung von Einreden. Im Kontext der Teilung der
Austrittsleistungen gemäss Art. 122 ZGB könnte ein offenbarer
Rechtsmissbrauch z.B. bei einer Scheinehe vorliegen oder wenn die Ehe gar
nicht gelebt bzw. ein gemeinsamer Haushalt nie aufgenommen wurde, aber
trotzdem auf der Teilung beharrt wird (siehe E. 4.4). Als Regel gilt, dass
ehewidriges Verhalten den Tatbestand des offenbaren Rechtsmissbrauchs nicht
erfüllt und nicht zur Verweigerung der Teilung führen kann
(SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 16 zu Art. 123 ZGB). Zu beachten ist
insbesondere, dass der Gesetzgeber Art. 125 Abs. 3 Ziff. 1 ZGB, wonach eine
grobe

Verletzung der Unterhaltspflicht die Verweigerung von Unterhaltsleistungen
rechtfertigen kann, im Zusammenhang mit der Teilung der Austrittsleistungen
nicht übernommen hat.

  5.3  Aus den dargelegten Gründen muss das angefochtene Urteil aufgehoben
werden, soweit das Obergericht die Teilung der während der Ehe erworbenen
Austrittsleistungen verweigert hat. Die Austrittsleistungen sind gemäss Art.
122 ZGB zu teilen.