Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 213



Urteilskopf

133 III 213

  25. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG
gegen Y. (Berufung)
  4C.401/2006 vom 12. Februar 2007

Regeste

  Rechtsnatur und Auslegung eines Sozialplans.

  Kriterien für die rechtliche Einordnung eines Sozialplans (Bestätigung der
Rechtsprechung; E. 4.3). Auslegung eines Sozialplans mit normativem
Charakter (E. 4.2 und 5).

Sachverhalt ab Seite 213

  A.- Seit Oktober 1983 arbeitete Y. (Kläger und Berufungsbeklagter) bei der
A. AG als Maschinenführer in der Walzerei. Ende 1999 machte er sich
selbständig, nahm aber das Arbeitsverhältnis bei der inzwischen in B. AG
umfirmierten Arbeitgeberin wieder auf. Im Zug der von der Konzernleitung in
Kanada beschlossenen Restrukturierung des Betriebs wurde die Walzerei per
Ende März 2002 geschlossen und dem Kläger am 11. Dezember 2001 per 31. März
2002 gekündigt. Der Kläger ist seit dem 14. Januar 2002 arbeitsunfähig und
erlangte seine Arbeitsfähigkeit nicht wieder. Sein Arbeitsverhältnis dauerte
auf Grund der gesetzlichen Sperrfrist bis 31. Oktober 2002. Er ist heute
IV-Rentner.

  Am 30. Januar 2002 unterzeichneten die Betriebskommission und die
Angestelltenvertretung der B. AG auf der einen und die B. AG auf der anderen
Seite im Zusammenhang mit der Schliessung der Walzerei einen Sozialplan.
Gestützt darauf machte der Kläger am 4. Mai 2005 Ansprüche geltend.

  B.- Mit Weisung des Friedensrichteramts Kreuzlingen vom 20. August 2005
erhob der Kläger gegen die Rechtsnachfolgerin der B. AG, die X. AG (Beklagte
und Berufungsklägerin) Klage auf Bezahlung von Fr. 30'000.- unter Vorbehalt
des Nachklagerechts. Mit Urteil vom 26. Oktober 2005 wies die
Bezirksgerichtliche Kommission Kreuzlingen die Klage ab.

  Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Berufung und beantragte dem
Obergericht des Kantons Thurgau im Wesentlichen, unter Vorbehalt

der Nachklage sei die Beklagte zur Bezahlung von Fr. 30'000.- zu
verpflichten. Das Obergericht schützte die Klage mit Urteil vom 29. Juni
2006, verpflichtete die Beklagte, dem Kläger Fr. 30'000.- zu bezahlen und
nahm vom Nachklagevorbehalt Kenntnis. Es kam zum Schluss, dass der
Sozialplan wie ein Gesamtarbeitsvertrag und damit wie ein Gesetz auszulegen
sei und der Kläger gestützt auf Ziff. 17.1 des Sozialplans Anspruch auf eine
Austrittsentschädigung habe.

  Das Bundesgericht weist die gegen das Urteil des Obergerichts erhobene
Berufung der Beklagten ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Die Beklagte wirft dem Obergericht vor, Bundesrecht verletzt zu haben,
als es den Sozialplan wie einen Gesamtarbeitsvertrag behandelte und
dementsprechend wie ein Gesetz auslegte, statt nach den Grundsätzen über die
Auslegung von Verträgen zu verfahren.

  4.1  Das Obergericht kam in Übereinstimmung mit den in der amtlichen
Sammlung publizierten Entscheiden des Bundesgerichts und der herrschenden
Lehre zum Schluss, ein zwischen dem Arbeitgeber und den Gewerkschaften oder
der Betriebskommission vereinbarter Sozialplan sei wie ein Gesetz
auszulegen. Gleichzeitig verwarf es die im Urteil des Bundesgerichts
4C.168/2003 vom 17. Oktober 2003 vertretene Auffassung, beim Sozialplan
überwiege die vertragliche Rechtsnatur zumindest dann, wenn er hinsichtlich
des Gegenstands und des Adressatenkreises begrenzt sei und ihm deshalb der
generell-abstrakte Charakter fehle. Die Beklagte wendet dagegen ein,
Sozialpläne würden ausschliesslich für einen individuellen Sachverhalt, für
eine mehr oder weniger bestimmte Anzahl von betroffenen Personen sowie für
eine im Voraus bestimmte Geltungsdauer abgeschlossen. Rechtlich gesehen
weise ein Sozialplan somit alle Merkmale eines Vertrags auf, ungeachtet der
Tatsache, wer an dessen Ausarbeitung tatsächlich mitgewirkt habe. Handelten
- wie hier - die Arbeitnehmervertreter für einen individuell- konkreten Fall
Vereinbarungen für ihre Kollegen aus, dürfe die Auslegung des Wortlauts des
Sozialplans - wie im Urteil des Bundesgerichts 4C.168/2003 vom 17. Oktober
2003 festgehalten - nicht nach den Regeln über die Auslegung eines
generell-abstrakten Gesetzes erfolgen.

  4.2  Die Frage, wie ein Sozialplan auszulegen ist, hängt von dessen
Rechtsnatur ab: Ist er als Gesamtarbeitsvertrag zu qualifizieren

oder wie ein solcher zu behandeln, sind die darin enthaltenen normativen
Bestimmungen wie ein Gesetz auszulegen. Geht es hingegen um die Anpassung
von Individualarbeitsverträgen, kommen die Grundsätze über die Auslegung von
Verträgen zum Zug (Urteil 4C.168/2003 vom 17. Oktober 2003, E. 3, publ. in:
Rivista ticinese di diritto [RtiD] 2004 II S. 695 ff.; vgl. auch
Arbeitsrecht [ARV] 2004 S. 20 ff.).

  4.3  Ein Sozialplan hat zum Zweck, bei Entlassungen aus wirtschaftlichen
Gründen Härten für die betroffenen Arbeitnehmer zu vermeiden oder zu mildern
(BGE 132 III 32 E. 6.1 S. 43; 130 V 18 E. 2.3 S. 26, je mit Hinweisen). Er
gilt im weitesten Sinn als Massnahme zum Schutz der Arbeitnehmer bei
Massenentlassungen. Inhaltlich sind dem Sozialplan kaum Grenzen gesetzt. Es
sind viele Massnahmen denkbar, die dem genannten Zweck dienen können. Neben
Finanzhilfen jeglicher Art sind etwa die Unterstützung bei der Stellensuche
oder die Umschulung zu nennen (BGE 132 III 32 E. 6.1 S. 44). Der Sozialplan
ist in der Schweiz gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Das hat zur
Konsequenz, dass Sozialpläne von verschiedenen Parteien und mit den
verschiedensten Inhalten abgeschlossen werden. Den Sozialplan als
einheitlichen Vertragstypus gibt es deshalb nicht (STEPHAN KLINGENBERG, Die
Betriebsschliessung, Diss. Basel 1986, S. 168). Massgebend für die
rechtliche Einordnung des Sozialplans sind neben dem Inhalt in erster Linie
die Parteien und die Art des Zustandekommens (vgl. auch ULLIN STREIFF/ADRIAN
VON KAENEL, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 391-362 OR, 6. Aufl.,
2006, N. 11 zu Art. 335f OR; RÉMY WYLER, Droit du travail, S. 565;
KLINGENBERG, a.a.O., S. 169 ff.).

  4.3.1  Vereinbart der Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmerverband einen
Sozialplan, liegt nach der in der amtlichen Sammlung publizierten
Rechtsprechung des Bundesgerichts eine besondere Art des
Gesamtarbeitsvertrags nach Art. 356 OR vor. Die Arbeitnehmer können sich
direkt auf die darin zu ihren Gunsten festgeschriebenen Rechte berufen; der
Sozialplan wirkt insofern normativ (BGE 132 III 32 E. 6.1 S. 44; 130 V 18 E.
2.3 S. 26; vgl. auch die Urteile des Bundesgerichts 4C.115/2002 vom 2. Juli
2002, E. 2.1, publ. in: ARV 2002 S. 216 f., und 4C.264/1998 vom 5. Januar
1999, E. 6a). Daran ändert auch nichts, dass sich ein Sozialplan auf ein
ganz bestimmtes Ereignis bezieht, das unter Umständen nur eine begrenzte
Zahl der Mitarbeiter eines Betriebs betrifft. Die Bestimmungen des
Sozialplans regeln die Auswirkungen des Ereignisses

auf die Arbeitsverhältnisse nicht individuell-konkret für den einzelnen
Arbeitnehmer, sondern generell-abstrakt für sämtliche betroffenen
Mitarbeiter. Ihnen kann deshalb der normative Charakter nicht abgesprochen
werden (vgl. auch ROLAND A. MÜLLER, Rechtsnatur und Auslegung eines
Sozialplans, ARV 2004 S. 88/89). Soweit sich aus dem Urteil des
Bundesgerichts 4C.168/2003 vom 17. Oktober 2003 etwas anderes ergibt, kann
daran nicht festgehalten werden.

  4.3.2  Wird der Sozialplan auf Arbeitnehmerseite gestützt auf eine
Delegationsnorm in einem Gesamtarbeitsvertrag von der Arbeitnehmervertretung
des Betriebs abgeschlossen, liegt eine vereinbarte Betriebsordnung im Sinn
von Art. 38 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 13. März 1964 über die Arbeit in
Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11) vor (BGE 132
III 32 E. 6.1 S. 44; STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 11 zu Art. 335f OR;
KLINGENBERG, a.a.O., S. 192; FRANK VISCHER/ANDREAS C. ALBRECHT, Zürcher
Kommentar, 4. Aufl., 2006, N. 155 zu Art. 356 OR; zur Legitimation der
Arbeitnehmervertretung vgl. Art. 37 Abs. 4 ArG). Die darin enthaltenen
Bestimmungen haben auf Grund der Delegationsnorm des Gesamtarbeitsvertrags
für die Mitarbeiter des Betriebs, die dem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt
sind, ebenfalls normative Wirkung (ROLAND A. MÜLLER, Die
Arbeitnehmervertretung, Habilitationsschrift, Zürich 1999, S. 242;
STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 11 zu Art. 335f OR; KLINGENBERG, a.a.O., S.
218). Fehlt eine solche Delegationsnorm im Gesamtarbeitsvertrag, kann der
Sozialplan auf Grund von Art. 38 Abs. 2 ArG nur dann die Form einer
Betriebsordnung haben, wenn die dort behandelten Fragen in dem Bereich, dem
der Betrieb angehört, nicht üblicherweise durch Gesamtarbeitsvertrag oder
eine andere kollektive Vereinbarung geregelt werden (STREIFF/VON KAENEL,
a.a.O., N. 11 zu Art. 335f OR). In diesem Fall kommt ihm eine dem
Gesamtarbeitsvertrag entsprechende normative Wirkung zu, wenn er gemäss Art.
39 Abs. 2 ArG im Betrieb bekannt gegeben wurde (MÜLLER,
Arbeitnehmervertretung, a.a.O., S. 243).

  Nach dem Gesagten ist der Sozialplan, der in Form einer Betriebsordnung
vereinbart wird, wie ein Gesamtarbeitsvertrag zu behandeln.

  4.3.3  Stellt der Arbeitgeber von sich aus, also freiwillig und einseitig
einen Sozialplan auf, handelt es sich lediglich um eine Offerte.

Nimmt ein Arbeitnehmer diese an, wird der Sozialplan integrierender
Bestandteil seines Einzelarbeitsvertrags (BGE 132 III 32 E. 6.1 S. 44;
STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 11 zu Art. 335f OR; KLINGENBERG, a.a.O., S.
193). Ein solcher Sozialplan hat keine normative Wirkung.

  4.4  Im vorliegenden Fall wurde der Sozialplan zwischen der Beklagten und
den zuständigen Personalvertretungsorganen, nämlich der Betriebskommission
und der Angestelltenvertretung der Beklagten, abgeschlossen. Er hat damit
die Form einer vereinbarten Betriebsordnung nach Art. 38 Abs. 2 ArG. Gemäss
seiner Ziff. 1 basiert er auf der Vereinbarung in der Maschinenindustrie vom
1. Juli 1998 (Art. 40 bis 45), und damit auf einem Gesamtarbeitsvertrag.
Dieser sieht in Art. 44 verschiedene Massnahmen zur Vermeidung oder
Milderung von Härten bei Entlassungen vor und räumt den
Arbeitnehmervertretungen in Art. 45 Abs. 2 das Recht ein, Verhandlungen über
die Folgen solcher Entscheidungen für die betroffenen Arbeitnehmenden zu
verlangen. Der Sozialplan wurde also gestützt auf eine Delegationsnorm im
Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen, weshalb seine Bestimmungen normative
Wirkung haben, soweit sie den einzelnen Mitarbeitern Rechte einräumen; er
ist wie ein Gesamtarbeitsvertrag zu behandeln. Die Vorinstanz hat den
Sozialplan damit zu Recht wie ein Gesetz ausgelegt.

Erwägung 5

  5.  Die Beklagte rügt weiter, das Obergericht habe zu Unrecht das
Vorliegen einer Lücke mit Bezug auf Ziff. 17.1 des Sozialplans verneint.
Diese Lücke müsse nach dem wahren Willen der Parteien gefüllt werden.

  5.1  Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf eine
Austrittsentschädigung nach Ziff. 17 des Sozialplans hat, obwohl er während
der Geltungsdauer des Sozialplans Leistungen der
Kurzzeit-Erwerbsausfalls-Versicherung (KEV) bezog. Das Obergericht hat dies
gestützt auf den Wortlaut der Bestimmung, die Systematik und die Ratio des
Sozialplans bejaht. Die Beklagte bringt dagegen vor, die einhellige Meinung
der an den Verhandlungen beteiligten Personen sei dahin gegangen, die
Bezüger von KEV-Leistungen von der Austrittsentschädigung auszuschliessen,
auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus dem Sozialplan ergebe. Es liege
insofern eine Lücke im Sozialplan vor. Die Tatsache, dass der zweite
Sozialplan der Beklagten vom 26. September 2003 die KEV-Empfänger
ausdrücklich vom Bezug der Austrittsentschädigung

ausnehme, sei ein klares Indiz dafür, dass dies auch für den Sozialplan vom
30. Januar 2002 der wahre Wille der Parteien gewesen sei. Das Obergericht
habe diesen Willen zu Unrecht nicht berücksichtigt. Darüber hinaus habe es
die von der Austrittsentschädigung ausgeschlossenen frühpensionierten
Angestellten behandelt, obwohl sich diese in einer vergleichbaren Situation
befänden.

  5.2  Erweisen sich die normativen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags
als lückenhaft, sind grundsätzlich die gleichen Prinzipien wie im
Gesetzesbereich anzuwenden (Urteil des Bundesgerichts 4C.10/1998 vom 19.
März 1998, E. 2a; VISCHER/ALBRECHT, a.a.O., N. 126 zu Art. 356 OR). Eine
echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann
vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte
regeln sollen, und dem Gesetz weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch
Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann (BGE
128 I 34 E. 3b S. 42; 121 III 219 E. 1d/aa S. 225, je mit Hinweisen).

  Hat ein Sozialplan normativen Charakter, ist er nach dem Gesagten wie ein
Gesetz auszulegen (vgl. dazu BGE 131 III 314 E. 2.2, 623 E. 2.4.4; 127 III
418 E. 2b, je mit Hinweisen). Immerhin ist im Rahmen der Anwendung von
normativen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags die Bedeutung der
Unterscheidung zwischen der Auslegung nach den für Verträge geltenden
Grundsätzen und nach denjenigen für Gesetze nicht zu überschätzen. So haben
die normativen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags zwar eine
gesetzesähnliche Funktion. Sie gründen aber dennoch in einem Vertrag, so
dass der Wille der am Abschluss des Gesamtarbeitsvertrags beteiligten
Parteien ein gewichtigeres Auslegungselement ist als derjenige des
Gesetzgebers bei der Gesetzesinterpretation (VISCHER/ALBRECHT, a.a.O., N.
122 zu Art. 356 OR; Urteile des Bundesgerichts 4C.216/2005 vom 12. Juli
2006, E. 2.1, 4C.76/2003 vom 2. Juni 2003, E. 3, und 4C.46/1993 vom 6.
Oktober 1993, E. 3; vgl. auch BGE 130 V 18 E. 4.2 S. 30). Doch ist bei der
Auslegung der normativen Bestimmungen mit Rücksicht auf den Schutz des
Vertrauens der an der Normsetzung nicht beteiligten Einzelvertragsparteien
immer zu fragen, ob der nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung
ermittelte Vertragswille auch einer objektiven Auslegung nach Wortlaut,
Sinnzusammenhang und Ratio standhält (Urteil des Bundesgerichts 4C.216/2005
vom 12. Juli 2006,

E. 2.1; VISCHER/ALBRECHT, a.a.O., N. 122 zu Art. 356 OR; PETER ZUMBRUNN, Die
normativen Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages im System des
schweizerischen Arbeitsrechts - ein Vergleich unter Berücksichtigung des
deutschen Rechts, Diss. Basel 1983, S. 109 ff.; vgl. auch JEAN-FRITZ
STÖCKLI, Berner Kommentar, N. 134 und 136 zu Art. 356 OR).

  5.3  Das Obergericht hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die
Parteien des Sozialplans tatsächlich - wie von der Beklagten geltend gemacht
- die KEV-Empfänger von der Austrittsentschädigung ausschliessen wollten. In
Anbetracht dessen, dass es bei der Entschädigung um einen Anspruch des nicht
am Abschluss des Sozialplans beteiligten Klägers geht, schadet dies nach dem
Gesagten dann nicht, wenn ein derartiger Vertragswille der objektiven
Auslegung nach Wortlaut, Sinnzusammenhang und Ratio entgegenstehen würde, da
es der Vertrauensschutz erfordert, der Berücksichtigung des tatsächlichen
Willens hier eine Grenze zu ziehen.

  5.3.1  Nach Ziff. 17.1 des Sozialplans erhalten Mitarbeiter, welche nicht
vorzeitig pensioniert werden und denen auch nicht eine Kündigung aus einem
Fehlverhalten ausgesprochen wurde, eine Austrittsentschädigung. Der Kläger
erfüllt diese Voraussetzungen. Nach dem Wortlaut von Ziff. 17.1 des
Sozialplans hat er also Anspruch auf eine Entschädigung.

  5.3.2  Ziff. 2 umschreibt den Geltungsbereich des Sozialplans. Ein
Ausschluss von kranken Mitarbeitern ist darin nicht vorgesehen. Die Beklagte
bestreitet denn auch zu Recht nicht, dass der Sozialplan auf den Kläger
grundsätzlich Anwendung findet. Die einzelnen Massnahmen und Ansprüche sind
in den Ziff. 6-21 des Sozialplans aufgeführt. Ziff. 18 schreibt hinsichtlich
der Durchhalte- und Leistungsprämie ausdrücklich vor, dass die Prämie bei
Mitarbeitern, die während der Kündigungszeit krank sind oder einen Unfall
haben, entfällt. Die Tatsache, dass in Ziff. 17 keine entsprechende
Einschränkung mit Bezug auf kranke Mitarbeiter gemacht wird, spricht gegen
einen Ausschluss der KEV-Empfänger von der Austrittsentschädigung.

  5.3.3  Der Sozialplan soll nach seiner Ziff. 3 menschliche und
wirtschaftliche Härten gegenüber den von der Schliessung der Walzerei
betroffenen Mitarbeitern nach Möglichkeit vermindern oder vermeiden. Er
basiert auf dem Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe". Allen betroffenen
Mitarbeitern wird gemäss Ziff. 17.1 eine Austrittsentschädigung

ausbezahlt, sofern sie nicht vorzeitig pensioniert werden bzw. ihnen nicht
auf Grund eines Fehlverhaltens gekündigt wird. Der Grund für den Ausschluss
der vorzeitig pensionierten Mitarbeiter liegt darin, dass diese in Ziff. 13
des Sozialplans eine besondere Behandlung erfahren, indem ihnen der
Grundbetrag der Überbrückungsrente ungeschmälert bis zum Erreichen des
ordentlichen Rücktrittsalters ausgerichtet wird und die Firma die
Kostenbeteiligung des betroffenen Mitarbeiters voll übernimmt. Sie erhalten
damit ebenfalls eine Austrittsentschädigung, wenn auch in einer anderen Form
als die übrigen Arbeitnehmer. Ein Ausschluss der KEV-Empfänger lässt sich
entgegen der Ansicht der Beklagten nicht damit begründen, Ziff. 17.1 des
Sozialplans schliesse die vorzeitig pensionierten Arbeitnehmer ausdrücklich
von der Austrittsentschädigung aus, da der Sozialplan für die KEV-Empfänger
eben gerade keine spezielle Regelung vorsieht. Dass die KEV-Leistungen bei
der Pensionskasse der Beklagten in weit höherem Masse Kosten generierten als
die Frühpensionierungen, wie die Beklagte geltend macht, vermag daran nichts
zu ändern. Es spielt schliesslich auch keine Rolle, ob die KEV-Empfänger im
Gegensatz zu den frühpensionierten Mitarbeitern wegen der geringeren
BVG-Abzüge zeitweise sogar mehr als den vorherigen Lohn erhielten. Wie die
Beklagte selber festhält, liegt es in der Natur eines Sozialplans, dass auf
Grund zukünftiger unklarer Verhältnisse gewisse subjektive Ungerechtigkeiten
entstehen können.

  5.4  Nach dem Gesagten besteht kein Grund, vom klaren Wortlaut der Ziff.
17.1 des Sozialplans abzuweichen. Das Obergericht kam zu Recht zum Schluss,
dass eine objektive Auslegung den Ausschluss der KEV-Empfänger von der
Austrittsentschädigung nicht zulässt. Da ein anderslautender Vertragswille
damit keine Berücksichtigung finden würde, hat das Obergericht kein
Bundesrecht verletzt, als es den Anspruch des Klägers auf eine
Austrittsentschädigung bejahte, ohne den tatsächlichen Willen der an der
Ausarbeitung des Sozialplans beteiligten Parteien festzustellen. Da die
KEV-Empfänger unter Art. 17.1 des Sozialplans fallen, kann in dieser
Hinsicht von vorneherein keine Lücke vorliegen. Die Rüge ist damit
unbegründet.