Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 185



Urteilskopf

133 III 185

  22. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Y. AG (Berufung)
  5C.240/2006 vom 12. Januar 2007

Regeste

  Zusatzversicherung zur Krankenversicherung nach KVG; Taggeldversicherung.

  Anspruch auf Taggeld für den Einkommensausfall infolge krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit in einem Fall, da die versicherte Person wegen von ihr am
Arbeitsplatz begangener Brandstiftungen, die auf eine psychische Erkrankung
zurückzuführen waren, entlassen und in Haft gesetzt worden ist (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 185

  X. arbeitete als Pflegerin im Pflegeheim A. Im Rahmen dieses
Arbeitsverhältnisses war sie einem Kollektivvertrag mit der Versicherung Y.
AG (im Folgenden: Y.) angeschlossen, der eine Krankentaggeldversicherung

gemäss Versicherungsvertragsgesetz (VVG) umfasste. Nachdem X. im Pflegeheim
mehrere Brände gelegt hatte, wurde das Arbeitsverhältnis mit Wirkung ab 8.
November 2004 aufgelöst. Seit diesem Tag befindet sich X. in Haft, zunächst
in Untersuchungshaft und seit dem 7. Dezember 2004 in der Strafanstalt B.
Dort wurde sogleich eine psychiatrische Behandlung aufgenommen. Zur
Weiterführung des Versicherungsverhältnisses mit der Y. unterzeichnete X. am
22. Januar 2005 einen Antrag zum Übertritt in die Einzeltaggeldversicherung.

  Mit Schreiben vom 23. Februar 2005 meldete X., vertreten durch ihren
Ehemann Z., den Krankheitsfall bei der Y. an. Sie legte ein Zeugnis des
Psychiatrischen Dienstes der Universität C. bei, wonach die Fortsetzung der
am 7. Dezember 2004 begonnenen psychiatrischen Behandlung notwendig sei. Y.
lehnte die Ausrichtung von Taggeldleistungen ab mit der Begründung, X.
befinde sich in Haft und es liege deshalb kein krankheitsbedingter
Erwerbsausfall vor.

  Mit Eingaben vom 9. und 18. September 2005 reichte X. beim
Versicherungsgericht des Kantons Aargau gegen Y. Klage ein und beantragte,
die Beklagte zu verpflichten, ihr das vertragliche Krankentaggeld
auszurichten.

  Das Versicherungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 7. März 2006 ab.

  Gestützt auf eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung gelangte die
Klägerin an das Eidgenössische Versicherungsgericht, das die Sache im Sinne
von Art. 107 Abs. 2 OG zur Behandlung an das Bundesgericht weiterleitete.
Das Bundesgericht heisst die als Berufung entgegengenommene Eingabe gut,
hebt das Urteil der kantonalen Instanz auf und weist die Sache zur
Entscheidung in quantitativer Hinsicht an diese zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Das grundsätzlich anwendbare Versicherungsvertragsgesetz (VVG; SR
221.229.1) enthält keine spezifischen Bestimmungen zum Krankentaggeld. Mit
dem kantonalen Versicherungsgericht ist deshalb auf die vertraglichen
Vereinbarungen der Parteien abzustellen. Die Zusätzlichen
Versicherungsbedingungen zur Taggeld-Versicherung bestimmen in Ziffer 1,
dass diese Versicherung bis zur Höhe des versicherten Taggeldes "den
nachgewiesenen Einkommensausfall,

der durch eine krankheits- oder unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit entsteht",
deckt.

  2.1  Das kantonale Versicherungsgericht geht unter Hinweis auf das vom 23.
Mai 2005 datierte Gutachten von Dr. T., Oberärztin in der Psychiatrischen
Klinik D., davon aus, dass die Klägerin seit längerer Zeit psychisch
erkrankt sei. Sie leide an einer dissoziativen Störung, an kombinierter
Persönlichkeitsstörung sowie an einem Benzodiazepin-Abhängigkeitssyndrom.
Diese psychische Erkrankung habe jedoch erst am 7. Dezember 2004 zu einer
ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit geführt. Weder in jenem Zeitpunkt
noch im Zeitpunkt der Meldung des Schadensfalles (23. Februar 2005) sei die
Klägerin erwerbstätig gewesen, zumal das Anstellungsverhältnis beim
Pflegeheim A. per 8. November 2004 aufgelöst worden sei. Da die Klägerin
inhaftiert sei, sei sie sodann - unabhängig von ihrem Gesundheitszustand -
weder in der Lage noch berechtigt, eine Arbeitstätigkeit ausserhalb der
Strafanstalt auszuüben. Infolge des aufgelösten Arbeitsverhältnisses sei im
massgebenden Zeitpunkt keine Einkommenseinbusse eingetreten und mangels
Erfüllung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung der Vermittlungsfähigkeit
auch kein Verlust von Arbeitslosenentschädigung. Trotz krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit stehe der Klägerin aus den dargelegten Gründen kein
Anspruch auf Taggeldleistungen der Beklagten zu.

  2.2
  2.2.1  Vorab ist zu bemerken, dass den Ausführungen im angefochtenen
Entscheid insofern ein offensichtliches - von Amtes wegen zu berichtigendes
- Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG zugrunde liegt, als das von der
Vorinstanz angerufene Zeugnis des Psychiatrischen Dienstes an der
Medizinischen Fakultät der Universität C. vom 17. Februar 2005 sich in
keiner Weise zur Arbeitsfähigkeit der Klägerin äussert. Aus dem Bericht
lässt sich somit nicht schliessen, die Klägerin sei erst vom 7. Dezember
2004 an arbeitsunfähig gewesen.

  2.2.2  Es trifft sodann zwar zu, dass die Klägerin - vordergründig - wegen
der von ihr am Arbeitsort gelegten Brände entlassen wurde. Das vom
kantonalen Versicherungsgericht herangezogene Gutachten der Psychiatrischen
Klinik D. vom 23. Mai 2005 bestätigt indessen nicht nur das Vorbringen der
Klägerin, sie sei bereits seit längerer Zeit psychisch krank gewesen; es
ergibt sich aus diesem Bericht auch klar, dass die Brandstiftungen auf die
festgestellten gesundheitlichen

Störungen zurückzuführen waren. Der Funktion nach ist der Anstaltsaufenthalt
denn auch dem Aufenthalt in einer Klinik gleichzusetzen. Dass der
Arbeitgeber die Entlassung der Klägerin vom 8. November 2004 (nur) mit den -
vordergründig als Einziges in Erscheinung getretenen - Brandstiftungen
begründete, ist ohne Belang. Stellen die Brandstiftungen mithin
krankheitsbedingte Handlungen dar, ist der Entlassungsgrund in der
Erkrankung zu erblicken und die Arbeitsunfähigkeit als krankheitsbedingt zu
qualifizieren. Der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit ist damit
auf die Zeit des deliktischen Handelns der Klägerin anzusetzen, und nicht
erst auf den Zeitpunkt ihres Eintritts in die Strafanstalt.

  Im Sozialversicherungsrecht ist vorgesehen, dass die Auszahlung von
Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter eingestellt werden kann für die
Zeit, da sich die versicherte Person im Straf- oder Massnahmenvollzug
befindet (Art. 21 Abs. 5 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]). Für den Fall, dass der
Anspruchsberechtigte sich wegen im Vordergrund stehender
Behandlungsbedürftigkeit im Massnahmenvollzug nach (a)Art. 43 StGB befindet,
hat das Eidgenössische Versicherungsgericht die Sistierung einer
Invalidenrente indessen abgelehnt (BGE 129 V 211 E. 1.1 S. 216). In die
gleiche Richtung weist ebenfalls ein Urteil des Waadtländer Kantonsgerichts
vom 2. Juni 2004 (teilweise abgedruckt in: Jahrbuch des schweizerischen
Arbeitsrechts [JAR] 2005 S. 456 ff.), wonach Art. 336c Abs. 1 lit. b OR
(Kündigungsschutz bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit) auch dann zum
Tragen komme, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht ausschliesslich auf die
Krankheit zurückzuführen sei, sondern auch auf einen anderen Grund, oder
wenn zunächst dieser andere Grund die Arbeitsunfähigkeit verursacht habe
(a.a.O., S. 457 f., E. 3b).

  2.3  Aufgrund des Dargelegten ist festzuhalten, dass das kantonale
Versicherungsgericht die Kausalität zu eng gefasst hat. Dessen Würdigung der
tatsächlichen Gegebenheiten lässt sich mit der einschlägigen
Vertragsbestimmung nicht vereinbaren. Die Klage wurde zu Unrecht abgewiesen,
so dass die Berufung gutzuheissen und das angefochtene Urteil aufzuheben
ist. Da die Vorinstanz sich zum Quantitativen (Dauer und Höhe der
Taggeldleistungen) nicht geäussert hat, ist die Sache zu neuer Entscheidung
im Sinne des Ausgeführten an sie zurückzuweisen.