Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 133



Urteilskopf

133 III 133

  15. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. Holding AG gegen
Y. AG (Berufung)
  4C.278/2006 vom 20. Dezember 2006

Regeste

  Art. 697a ff. OR; Aktienrecht; Anspruch des Aktionärs auf Einleitung einer
Sonderprüfung.

  Das Recht des Aktionärs, der persönlich dem Verwaltungsrat angehört oder
in ihm vertreten ist, auf Einleitung einer Sonderprüfung darf nicht
verweigert werden mit der Begründung, der Aktionär müsse vorgängig den
Auskunftsanspruch des Verwaltungsrats (Art. 715a OR) ausgeschöpft haben (E.
3).

Sachverhalt ab Seite 133

  A.- Die X. Holding AG mit Sitz in Zürich (Klägerin) ist Eigentümerin von
44,5 % der Aktien der Y. AG mit Sitz in Basel (Beklagte) und damit deren
grösste Einzelaktionärin. Die Aktienmehrheit der Y. AG liegt bei den sog.
"Altaktionären" um A.B. ("Aktionärsgruppe B."). Gemäss
Aktionärbindungsvertrag vom 16. Februar 2001 umfasst der Verwaltungsrat der
Gesellschaft vier Mitglieder, wobei die X. Holding AG und die
Aktionärsgruppe B. je Anspruch auf zwei Verwaltungsräte haben.
Verwaltungsratspräsidium und Tagespräsidium an den Verwaltungsratssitzungen,
beides mit

Stichentscheid bei Stimmengleichheit, stehen der Aktionärsgruppe B. zu,
wobei den von der X. Holding AG gestellten Mitgliedern des Verwaltungsrates
bei unternehmenspolitischen Grundsatzfragen und bei Sachgeschäften im
zehnfachen Ausmass der Entscheidungslimite des Verwaltungsrates im Falle
eines Stichentscheids ein Vetorecht zusteht.

  B.- Am 9. Februar 2005 reichte die X. Holding AG beim Dreiergericht des
Zivilgerichts Basel gegen die Y. AG eine Klage auf Einsetzung eines
Sonderprüfers ein, welche das Dreiergericht mit Urteil vom 25. Juli 2005
abwies. Die von der Klägerin dagegen eingereichte Beschwerde wies der
Ausschuss des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt am 27. Januar
2006 ab.

  C.- Gegen das Urteil des Appellationsgerichts führt die Klägerin beim
Bundesgericht Berufung mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die
Angelegenheit sei zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der
Berufung. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.  Das Appellationsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung,
dass zuerst die Vertreter der Klägerin im Verwaltungsrat der Beklagten ihr
Informationsrecht gemäss Art. 715a OR hätten wahrnehmen müssen, bevor die
Klägerin selbst gemäss Art. 697a ff. OR eine Sonderprüfung verlangen könne.
Nach Auffassung der Klägerin hat die Vorinstanz damit Bundesrecht verletzt.

  3.1  Jeder Aktionär kann der Generalversammlung beantragen, bestimmte
Sachverhalte durch eine Sonderprüfung abklären zu lassen, sofern dies zur
Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist und er das Recht auf Auskunft
oder Einsicht bereits ausgeübt hat (Art. 697a Abs. 1 OR). Entspricht die
Generalversammlung dem Antrag nicht, so können Aktionäre, die zusammen
mindestens 10 % des Aktienkapitals oder Aktien im Nennwert von 2 Millionen
Franken vertreten, innert dreier Monate den Richter ersuchen, einen
Sonderprüfer einzusetzen (Art. 697b Abs. 1 OR). Die Gesuchsteller haben
Anspruch auf Einsetzung eines Sonderprüfers, wenn sie glaubhaft machen, dass
Gründer oder Organe Gesetz oder Statuten verletzt und damit die Gesellschaft
oder die Aktionäre geschädigt haben (Art. 697b Abs. 2 OR).

  3.2  Die Massnahme der Sonderprüfung ist insoweit ein subsidiärer
Rechtsbehelf, als der Aktionär vor dem Antrag in der Generalversammlung die
anderen Kontrollrechte ausgeschöpft haben muss (Botschaft des Bundesrates
über die Revision des Aktienrechts vom 23. Februar 1983, BBl 1983 Il 745
ff., S. 908). Das Erfordernis, dass der Aktionär das Recht auf Auskunft oder
das Recht auf Einsicht bereits ausgeübt haben muss (Art. 697a Abs. 1 OR),
beziehen die Rechtsprechung und die Lehre einhellig allein auf die ihm
gemäss Art. 697 OR zustehenden Rechte (BGE 123 III 261 E. 3a S. 264; WEBER,
Basler Kommentar, 2. Aufl. 2002, N. 27 zu Art. 697a OR; BÖCKLI, Schweizer
Aktienrecht, 3. Aufl. 2004, § 16 N. 41; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL,
Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 35 N. 18; ANDREAS CASUTT, Die
Sonderprüfung im künftigen schweizerischen Aktienrecht, Diss. Zürich 1991, §
7 Rz. 9 ff.; FELIX A. HORBER, Die Informationsrechte des Aktionärs, Zürich
1995, S. 394 Rz. 1214; FABRIZIO GABRIELLI, Das Verhältnis des Rechts auf
Auskunftserteilung zum Recht auf Einleitung einer Sonderprüfung, Diss. Basel
1997, S. 96 und 155 ff.; DOMINIK VOCK, Prozessuale Fragen bei der
Durchsetzung von Aktionärsrechten, Diss. Zürich 2000, S. 46; PETER V. KUNZ,
Der Minderheitenschutz im schweizerischen Aktienrecht, Bern 2001, § 12 N. 62
ff.; BIANCA PAULI, Le droit au contrôle spécial dans la société anonyme,
Diss. Freiburg 2004, S. 212 f.). Dabei genügt die Ausübung in der
Generalversammlung. Eine gerichtliche Durchsetzung des Auskunfts- oder
Einsichtsanspruchs (Art. 697 Abs. 4 OR) ist nicht erforderlich (WEBER,
a.a.O., N. 27 zu Art. 697a OR; BÖCKLI, a.a.O., § 16 N. 41; FORSTMOSER/
MEIER-HAYOZ/NOBEL, a.a.O., § 35 N. 31; HORBER, a.a.O., S. 395 Rz. 1215;
GABRIELLI, a.a.O., S. 169; CASUTT, a.a.O., S. 70; KUNZ, a.a.O., § 12 N. 66;
PAULI, a.a.O., S. 214). Insoweit ist die Klage auf richterliche Einsetzung
eines Sonderprüfers im Verhältnis zur gerichtlichen Durchsetzung des
Auskunfts- und Einsichtsrechts ein alternativer Rechtsbehelf.

  Divergenzen bestehen in der Lehre bezüglich des Erfordernisses der
Personenidentität, das heisst der Frage, ob nur der Aktionär, welcher
Auskunft verlangt hat, in der Generalversammlung auch den Antrag auf
Beschluss einer Sonderprüfung stellen kann, und ob nur der Aktionär, der in
der Generalversammlung den entsprechenden Antrag gestellt hat, beim Gericht
ein entsprechendes Begehren einreichen kann. Nach dem Wortlaut des Gesetzes
ist für die erste Stufe die Personenidentität erforderlich, für die zweite
hingegen

nicht. Die Mehrheit der Lehre verneint für beide Stufen das Erfordernis der
Personenidentität. Ein Antrag auf Sonderprüfung kann an der
Generalversammlung ohne Ankündigung in der Traktandenliste von jedem
Aktionär gestellt werden (Art. 700 Abs. 3 OR). Für eine Einschränkung des
Rechts auf Aktionäre, welche zuvor selbst Auskunft verlangt haben, sind
keine sachlichen Gründe ersichtlich. Auch Aktionäre, welche erst aufgrund
des von einem anderen Aktionär gestellten Auskunftsbegehrens und der darauf
vom Verwaltungsrat an der Generalversammlung erteilten Auskunft Kenntnis von
bestimmten Sachverhalten und ihrer Tragweite erhalten, sollen die
Möglichkeit haben, der Generalversammlung die Durchführung einer
Sonderprüfung zu beantragen (so WEBER, a.a.O., N. 30 zu Art. 697a OR, und
GABRIELLI, a.a.O., S. 100 f.; a.M. HORBER, a.a.O., S. 356 f. Rz. 1105 ff.,
und FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, a.a.O., § 35 N. 31 Anm. 8a). Auch für sie
gilt indessen die thematische Begrenzung des Sonderprüfungsbegehrens durch
den Gegenstand des Auskunftsbegehrens (vgl. dazu BGE 123 III 261 E. 3a S.
264 f.).

  Bei ablehnendem Beschluss der Generalversammlung kann das Begehren um
Einsetzung eines Sonderprüfers durch das Gericht nur von Aktionären gestellt
werden, die selbst oder zusammen mit weiteren Aktionären mindestens 10 % des
Aktienkapitals oder Aktien im Nennwert von zwei Millionen Franken vertreten
(Art. 697b Abs. 1 OR). Um dieses Quorum zu erreichen, muss die Möglichkeit
bestehen, dass sich dem Begehren auch Aktionäre anschliessen, welche in der
Generalversammlung selbst keinen entsprechenden Antrag gestellt haben, oder
dass das Begehren ausschliesslich von anderen Aktionären gestellt wird
(BÖCKLI, a.a.O., § 16 N. 40; CASUTT, a.a.O., S. 93; HORBER, a.a.O., S. 389
Rz. 1198; GABRIELLI, a.a.O., S. 110). Die Frist von drei Monaten für die
Einreichung der Klage soll es gerade ermöglichen, andere Aktionäre zu
suchen, welche das Begehren unterstützen, um die vom Gesetz geforderte
repräsentative Minderheit formieren zu können (zit. Botschaft, BBl 1983 II
909 f.). Damit ist auch nicht erforderlich, dass die klagenden Aktionäre an
der Generalversammlung, welche den Antrag auf Durchführung einer
Sonderprüfung abgelehnt hat, teilgenommen oder dem Antrag zugestimmt haben
(WEBER, a.a.O., N. 3 zu Art. 697b OR).

  3.3  Für das von der Vorinstanz aufgestellte zusätzliche Erfordernis der
Ausschöpfung des Auskunftsanspruchs des Verwaltungsrats

(Art. 715a OR), falls einer der klagenden Aktionäre persönlich dem
Verwaltungsrat angehört oder in diesem vertreten ist, finden sich im
Wortlaut des Gesetzes keine Anhaltspunkte. Vielmehr verweist Art. 697a Abs.
1 OR auf das Recht auf Auskunft oder Einsicht, welches dem Aktionär als
solchem zusteht. Auch die systematische Stellung legt es nahe, das
Erfordernis der vorherigen Ausschöpfung des Rechts auf Auskunft oder
Einsicht allein auf das im unmittelbar vorangehenden Art. 697 OR geregelte
Informationsrecht des Aktionärs zu beziehen. Das Institut der Sonderprüfung
ist anlässlich der Aktienrechtsrevision von 1991 mit dem Ziel eingeführt
worden, die Informationslage der Aktionäre zu verbessern. Mit diesem Mittel
der Informationsbeschaffung soll den Aktionären ermöglicht werden, in
hinreichender Kenntnis der Sachlage darüber zu entscheiden, ob und wie sie
von ihren Aktionärsrechten Gebrauch machen wollen (BGE 123 III 261 E. 2a S.
263). In der aktienrechtlichen Informationsordnung bildet die Sonderprüfung
das dritte Element neben der vom Verwaltungsrat ausgehenden
Informationsvermittlung durch den Geschäftsbericht (Art. 696 OR) und der
aktiven Informationsbeschaffung seitens des Aktionärs durch die Ausübung
seines Auskunftsrechts (Art. 697 OR). Da dieses Instrument für die
Gesellschaft mit erheblichen Umtrieben und Kosten verbunden ist, stellt es
unter den drei Möglichkeiten die letzte Stufe dar und ist gegenüber den
beiden anderen subsidiär. Allen drei Elementen ist im Übrigen gemeinsam,
dass die Information an die Gesamtheit der Aktionäre ergeht. Um eine
Gleichstellung aller Aktionäre bezüglich des Informationsstandes zu
erreichen, muss das Auskunftsrecht gemäss Art. 697 OR in der
Generalversammlung ausgeübt werden, wobei die erteilte Antwort zu
protokollieren ist (Art. 702 Abs. 2 Ziff. 3 OR). Den Bericht des
Sonderprüfers und die dazu ergangenen Stellungnahmen hat der Verwaltungsrat
ebenfalls der nächsten Generalversammlung zu unterbreiten (Art. 697f OR).

  Dem umfassenden Auskunftsanspruch der Mitglieder des Verwaltungsrates
(Art. 715a OR) kommt demgegenüber eine andere Funktion zu. Er soll
sicherstellen, dass der Verwaltungsrat seine Hauptaufgaben als Führungs- und
Aufsichtsgremium wirksam und effizient wahrnehmen kann, und ist auch das
Gegenstück zur individuellen Verantwortlichkeit der
Verwaltungsratsmitglieder (WERNLI, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2002, N. 3 zu
Art. 715a OR; HOMBURGER, Zürcher Kommentar, Zürich 1997, N. 446 zu Art. 715a
OR; BÖCKLI,

a.a.O., § 13 N. 163; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, a.a.O., § 28 N. 78). Die
Informationen, welche ein Verwaltungsratsmitglied erhält, unterstehen
grundsätzlich auch seiner Pflicht zur Verschwiegenheit (WATTER, Basler
Kommentar, 2. Aufl. 2002, N. 20 f. zu Art. 717 OR; HOMBURGER, a.a.O., N. 838
ff. zu Art. 717 OR; BÖCKLI, a.a.O., § 13 N. 670 ff.;
FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, a.a.O., § 28 N. 40 ff.).

  Gegen den Einbezug des Auskunftsanspruchs eines Mitglieds des
Verwaltungsrats in die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Begehrens
auf Durchführung einer Sonderprüfung spricht auch die ratio legis. Durch das
vorgängige Auskunfts- oder Einsichtsbegehren soll der Verwaltungsrat die
Gelegenheit erhalten, das Informationsbedürfnis der Aktionäre von sich aus
zu befriedigen, bevor das mit Aufwand und Umtrieben verbundene Verfahren auf
Sonderprüfung eingeleitet wird (BGE 123 III 261 E. 3a S. 265). Verweigert er
hingegen die verlangte Auskunft oder bleibt diese ungenügend, hat es sich
der Verwaltungsrat selbst zuzuschreiben, wenn zur Erlangung der verlangten
Information ein Begehren um Durchführung einer Sonderprüfung gestellt wird.
In einem solchen Fall wäre auch kaum zu erwarten, dass der Verwaltungsrat
weitergehende Auskunft erteilen würde, wenn nun ein eigenes Mitglied
nochmals ein gleiches Auskunftsbegehren stellen würde.

  Gegen die Verknüpfung spricht auch die Pflicht der Mitglieder des
Verwaltungsrates zur Verschwiegenheit bezüglich aller Informationen, welche
sie in dieser Eigenschaft über die allen Aktionären zugänglichen
Informationen hinaus erhalten haben. Entgegen der Argumentation der
Vorinstanz stellt sich dabei nicht nur die Frage, inwieweit ein
Verwaltungsratsmitglied, das Vertreter einer juristischen Person im Sinne
von Art. 707 Abs. 3 OR ist, Informationen an deren Organe weiterleiten darf.
Zu bedenken ist vielmehr auch die Situation, wo von mehreren Aktionären,
welche zusammen die erforderliche qualifizierte Minderheit erreichen, einer
selbst dem Verwaltungsrat angehört. Dass Mitaktionäre ebenfalls bestimmte
Informationen erlangen wollen und dafür eine Sonderprüfung verlangen, kann
ihn gegenüber diesen noch nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht
entbinden. Eine solche Weitergabe von Informationen wäre auch mit dem Makel
behaftet, dass sie dem Grundsatz der informationsmässigen Gleichstellung
aller Aktionäre widerspricht.

  Die Auffassung der Vorinstanz hat auch keinerlei Stütze in der Lehre.
Keiner der in E. 3.2 eingangs genannten Autoren verlangt, dass ein Aktionär,
der selbst dem Verwaltungsrat angehört bzw. gemäss Art. 707 Abs. 3 OR einen
Vertreter im Verwaltungsrat hat, auch das ihm in dieser Funktion zustehende
umfassende Recht auf Auskunft und Einsicht gemäss Art. 715a OR ausgeübt
haben muss. Diese allenfalls bestehende zusätzliche Informationsquelle wird
vielmehr nirgends erwähnt.

  Alle vorstehend dargelegten Gründe führen übereinstimmend zum Ergebnis,
dass sich die in Art. 697a Abs. 1 OR verlangte vorherige Ausübung des Rechts
auf Auskunft oder Einsicht allein auf das jedem Aktionär in dieser
Eigenschaft zustehende Kontrollrecht gemäss Art. 697 OR bezieht. Nicht
erforderlich ist hingegen, dass ein Aktionär, welcher dem Verwaltungsrat
angehört oder in diesem vertreten ist, auch den ihm in dieser Eigenschaft
zustehenden umfassenden Auskunftsanspruch geltend gemacht hat. Die von der
Vorinstanz vertretene gegenteilige Auffassung verstösst damit gegen
Bundesrecht.