Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 V 376



Urteilskopf

132 V 376

  44. Auszug aus dem Urteil i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen R.
(I 686/05) und R. gegen IV-Stelle des Kantons Zürich (I 698/05), und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
  I 686/05 + I 698/05 vom 14. Juli 2006

Regeste

  Art. 44 ATSG; Art. 59 Abs. 3 IVG; Art. 69 Abs. 2 und Art. 72bis IVV:
Mitwirkungsrechte bei Begutachtung in Medizinischer Abklärungsstelle
(MEDAS).

  Wird eine Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) mit einer Begutachtung
beauftragt, sind die Mitwirkungsrechte von Art. 44 ATSG zu wahren (Erw. 6
und 7). Vorgehen bei der Bekanntgabe der Namen der Gutachter. (Erw. 8 und 9)

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Mit Verfügung vom 1. April 2005 hat die IV-Stelle an der Begutachtung
durch die Medizinische Abklärungsstelle X. (MEDAS) festgehalten und das
Begehren des Versicherten um Bekanntgabe der Namen der begutachtenden Ärzte
implizit und ohne Begründung abgelehnt. Die Vorinstanz hat diesen
Verwaltungsakt als verfahrensleitende Verfügung bezeichnet, gegen welche die
Einsprache ausgeschlossen und die direkte Beschwerde an das kantonale
Sozialversicherungsgericht gegeben sei. Auf die Beschwerde könne nur
eingetreten werden, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil
bewirken könne. Einen solchen bejahte das kantonale Gericht und trat auf die
Beschwerde ein.

  2.2  Nach ständiger Rechtsprechung prüft das Eidgenössische
Versicherungsgericht von Amtes wegen die formellen Gültigkeitserfordernisse
des Verfahrens, insbesondere auch die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht auf
die Beschwerde eingetreten ist (BGE 132 V 95 Erw. 1.2 mit Hinweis).

  2.3  Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 und die dazugehörige
Verordnung vom 11. September 2002 in Kraft getreten. Dieses Gesetz
koordiniert das Sozialversicherungsrecht des Bundes, indem es u.a. ein
einheitliches Sozialversicherungsverfahren festlegt und die Rechtspflege
regelt (Art. 1 Ingress und lit. b ATSG). Nach Art. 1 Abs. 1 IVG (in der ab
1. Januar 2004 geltenden Fassung) sind die Bestimmungen des ATSG auf die
Invalidenversicherung (Art. 1a-26bis und 28-70) anwendbar, soweit das
Invalidenversicherungsgesetz nicht ausdrücklich eine Abweichung vom ATSG
vorsieht.

  2.4  Gemäss Art. 49 Abs. 1 ATSG hat der Versicherungsträger über
Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen
die betroffene Person nicht einverstanden ist, schriftlich Verfügungen zu
erlassen. Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49
Abs. 1 ATSG fallen, können in einem formlosen Verfahren behandelt werden
(Art. 51 ATSG). Die betroffene Person kann den Erlass einer Verfügung
verlangen (Art. 51 Abs. 2 ATSG). Gegen Verfügungen kann innerhalb von 30
Tagen

bei der verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden; davon ausgenommen sind
prozess- und verfahrensleitende Verfügungen (Art. 52 Abs. 1 IVG). Gegen
Einspracheentscheide oder Verfügungen, gegen welche eine Einsprache
ausgeschlossen ist, kann Beschwerde erhoben werden (Art. 56 Abs. 1 ATSG).
Beschwerde kann auch erhoben werden, wenn der Versicherungsträger entgegen
dem Begehren der betroffenen Person keine Verfügung oder keinen
Einspracheentscheid erlässt. Der Begriff der Verfügung bestimmt sich dabei
mangels näherer Konkretisierung in Art. 49 Abs. 1 ATSG nach Massgabe von
Art. 5 Abs. 1 VwVG (vgl. Art. 55 ATSG; BGE 131 V 46 Erw. 2.4, 130 V 391 Erw.
2.3).

  2.5  In BGE 132 V 93 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen,
der Anordnung einer Begutachtung komme kein Verfügungscharakter zu (BGE 132
V 100 ff. Erw. 5). Um eine solche Anordnung handelt es sich beim
Verwaltungsakt vom 13. Januar 2005. Mit diesem wurde gegenüber der
versicherten Person lediglich formlos mittels Realakt die vorgesehene
Beweismassnahme eröffnet. Erhebt diese keine Einwendungen, bleibt es dabei
und es ist keine Verfügung zu treffen. Weiter hat das Gericht im erwähnten
Urteil ausgeführt, zu unterscheiden sei zwischen der Anordnung einer
Expertise und dem Entscheid über die in der Folge geltend gemachten
Ausstands- und Ablehnungsgründe gegenüber der Person des Gutachters (BGE 132
V 106 ff. Erw. 6). Erhebt die versicherte Person substanziierte
Einwendungen, welche eine Befangenheit der an der Begutachtung mitwirkenden
sachverständigen Person im Sinne gesetzlicher Ausstands- und
Ablehnungsgründe zu begründen vermögen, hat der Versicherungsträger darüber
eine Verfügung zu erlassen. Im vorerwähnten BGE 132 V 93 hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht daran festgehalten, dass Verfügungen,
mit denen substanziiert vorgetragene gesetzliche Ausstands- und
Ablehnungsgründe abgelehnt wurden, selbstständig anfechtbar sind, weil sie
für die versicherte Person einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil
bewirken können. Zu Einwendungen anderer Art wie etwa mangelnde Qualität der
mitwirkenden Sachverständigen und anderes hat der Versicherungsträger im
Rahmen der Beweiswürdigung im Endentscheid Stellung zu nehmen.

  2.6  Mit der Verfügung vom 1. April 2005 wurde dem Versicherten nur die
Gutachterstelle genannt, ohne anzugeben, welche Fachärzte an der
Begutachtung mitwirken würden. Er konnte daher

nicht erkennen, ob eine unbefangene Beurteilung seines Gesundheitszustandes
gewahrt sein werde. Stellt die Ernennung eines Sachverständigen einen
selbstständig anfechtbaren Zwischenentscheid dar, sofern die versicherte
Person substanziiert gesetzliche Ausstandsgründe geltend gemacht hat und
diese abgewiesen werden, muss dasselbe auch gelten, wenn ihr gar keine
Gelegenheit gegeben worden ist, Ausstandsgründe vorzubringen, weil ihr die
Namen der Gutachter nicht bekannt gegeben worden sind. Diese zu kennen ist
für den Betroffenen unabdingbar, um die Einhaltung der Ausstandsvorschriften
überprüfen zu können.

  2.7  Hinzu kommt, dass aus verfahrensrechtlichen, insbesondere
prozessökonomischen Gründen über substanziiert vorgetragene gesetzliche
Ausstandsgründe möglichst vorab und nicht erst zusammen mit dem Entscheid in
der Sache zu befinden ist. Ein solches Vorgehen trägt zugleich der
Obliegenheit der Verfahrensbeteiligten Rechnung, Ausstandsgründe zu rügen,
sobald sie von diesen Kenntnis haben. Andernfalls läuft die anordnende
Behörde Gefahr, dass ihr Sachentscheid in einem anschliessenden
Rechtsmittelverfahren wegen der Verletzung von Ausstandsgründen als Ganzes
aufgehoben wird (BGE 132 V 106 Erw. 6.2). Auch prozessökonomische Gründe
sprechen somit für ein Eintreten auf die gegen die Verfügung vom 1. April
2005 gerichtete Beschwerde.

Erwägung 3

  3.  Nach dem unter der Überschrift "Verfügbare Dienste" stehenden Art. 59
Abs. 3 IVG können die IV-Stellen Spezialisten der privaten Invalidenhilfe,
Experten, medizinische und berufliche Abklärungsstellen sowie Dienste
anderer Sozialversicherungsträger beiziehen. Sind die versicherungsmässigen
Voraussetzungen erfüllt, so beschafft sich die IV-Stelle gemäss Art. 69 Abs.
2 IVV die erforderlichen Unterlagen, insbesondere über den
Gesundheitszustand, die Tätigkeit, die Arbeits- und Eingliederungsfähigkeit
des Versicherten sowie die Zweckmässigkeit bestimmter
Eingliederungsmassnahmen. Zu diesem Zwecke können Berichte und Auskünfte
verlangt, Gutachten eingeholt, Abklärungen an Ort und Stelle vorgenommen
sowie Spezialisten der öffentlichen oder privaten Invalidenhilfe beigezogen
werden. Laut Art. 72bis IVV trifft das Bundesamt mit Spitälern oder anderen
geeigneten Stellen Vereinbarungen über die Errichtung von medizinischen
Abklärungsstellen, welche die zur Beurteilung von Leistungsansprüchen
erforderlichen ärztlichen Untersuchungen vornehmen. Es regelt Organisation
und Aufgaben dieser Stellen und die Kostenvergütung. Somit können

die IV-Stellen auch nach dem Inkrafttreten des ATSG sowohl natürliche
Personen als Einzelgutachter wie auch medizinische Abklärungsstellen als
Institutionen zur Durchführung ihrer Aufgaben beiziehen. Dies ist auch die
Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV), welches darauf
hinweist, dass ansonsten Art. 59 Abs. 2 IVG (seit 1. Januar 2004: Abs. 3)
und Art. 72bis IVV hätten abgeändert oder aufgehoben werden müssen. Bei der
Abklärungsstelle X. handelt es sich um eine solche Medizinische
Abklärungsstelle.

Erwägung 4

  4.

  4.1  Art. 44 ATSG hat folgenden Wortlaut: "Muss der Versicherungsträger
zur Abklärung des Sachverhalts ein Gutachten einer oder eines unabhängigen
Sachverständigen einholen, so gibt er der Partei deren oder dessen Namen
bekannt. Diese kann den Gutachter aus triftigen Gründen ablehnen und kann
Gegenvorschläge machen".
  [4.2-4.4 Argumentation der Vorinstanz sowie Standpunkte des BSV und des
Versicherten]

Erwägung 5

  5.  Zu prüfen ist auf dem Wege der Auslegung, ob Medizinische
Abklärungsstellen unter den Anwendungsbereich von Art. 44 ATSG fallen.
  (Auslegung des Gesetzes; vgl. BGE 131 I 396 Erw. 3.2, 131 II 368 Erw. 4.2
und 703 Erw. 4.1, 131 V 93 Erw. 4.1, 176 Erw. 3.1, 292 Erw. 5.2, 439 Erw.
6.1, 130 II 211 Erw. 5.1, 128 I 292 Erw. 2.4, 124 II 376 f. Erw. 5 und 6a)

Erwägung 6

  6.

  6.1  Nach dem Wortlaut von Art. 44 Satz 1 ATSG hat der Versicherungsträger
der versicherten Person die Namen bekannt zu geben, wenn ein Gutachten
"einer oder eines unabhängigen Sachverständigen" ("un expert indépendant",
"un perito indipendente") eingeholt wird. Laut Satz 2 dieser Bestimmung kann
die versicherte Person "den Gutachter" ("l'expert", "il perito") aus
triftigen Gründen ablehnen. Gemäss IV-Rundschreiben Nr. 200 des BSV vom 18.
Mai 2004 findet aufgrund des Wortlautes des Gesetzes Art. 44 ATSG nur in
denjenigen Fällen Anwendung, in denen ein Gutachten bei einem oder einer
Sachverständigen und somit bei einer natürlichen Person, nicht aber bei
einer Institution wie der MEDAS in Auftrag gegeben wird. Indem im zweiten
Satz von Art. 44 ATSG (in der deutschsprachigen Fassung) nicht mehr zwischen

männlicher und weiblicher Form unterschieden wird, liegt jedoch der Gedanke
nahe, der Gesetzgeber habe den Begriff des Gutachters in einem funktionellen
Sinn gebraucht. Darunter ist somit zu verstehen, wer (als beauftragtes
Subjekt) ein Gutachten erstellt und dafür verantwortlich zeichnet.
Sachverständiger ("expert", "perito") bedeutet demnach zum einen das mit der
Begutachtung beauftragte Subjekt und zum andern die natürliche Person, die
das Gutachten erarbeitet. Die fehlende Erwähnung der Abklärungsstellen in
Art. 44 ATSG lässt daher nicht darauf schliessen, die Bestimmung sei nicht
anwendbar, wenn der Auftrag an eine Institution erteilt wird, da diese im so
verstandenen Begriff des Gutachters enthalten ist. Ebenso wenig kann nach
dem Gesagten aus dem Gebrauch der männlichen und weiblichen Form für den
Sachverständigen in Satz 1 von Art. 44 ATSG abgeleitet werden, als Gutachter
oder Sachverständiger im Sinne der Gesetzesbestimmung komme nur eine
natürliche Person, nicht aber eine Abklärungsstelle in Frage.

  6.2  Sodann muss es sich nach dem Wortlaut von Art. 44 ATSG um einen
"unabhängigen" ("indépendant", "indipendente") Sachverständigen handeln.
Nach dem erwähnten IV-Rundschreiben Nr. 200 vom 18. Mai 2004 schliesst die
Formulierung "unabhängiger Sachverständiger" verwaltungsinterne Personen
aus. Zur Begründung wird auf ANDREAS FREIVOGEL (Zu den
Verfahrensbestimmungen des ATSG, in: SCHAFFHAUSER/KIESER [Hrsg.],
Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG],
St. Gallen 2003, S. 89) verwiesen. Gemäss diesem ist als Auslegungshilfe BGE
123 V 331 beizuziehen. Danach seien "unabhängige Sachverständige"
Drittpersonen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse zur Aufklärung
des Sachverhalts beigezogen werden. Keine unabhängigen Sachverständigen in
diesem Sinne seien dagegen verwaltungsinterne Personen, die eine Verfügung
treffen oder vorbereiten (FREIVOGEL, a.a.O., S. 101). Nach dieser
Lehrmeinung kommt Unabhängigkeit dem verwaltungsexternen Sachverständigen
zu. Demgegenüber vertritt KIESER (ATSG-Kommentar, N 6 f. zu Art. 44) die
Auffassung, der Gesetzgeber habe mit dem Begriff der Unabhängigkeit nicht
die Stellung des Gutachters (versicherungsintern oder -extern) gemeint,
sondern dessen Unabhängigkeit. Die Anwendung von Art. 44 ATSG auf
MEDAS-Gutachten hat KIESER im Rahmen eines Podiumsgesprächs befürwortet
(vgl. Unhaltbare Zustände bei den MEDAS, in: Plädoyer 2003/4 S. 9).

Zumindest dem Wortlaut nach hat der Gesetzgeber nicht eine Unterscheidung
zwischen verwaltungsinternen und -externen Gutachten vorgenommen, sondern
das Kriterium der Unabhängigkeit verwendet. Ob eine solche Unterscheidung
überhaupt zu treffen ist, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu
werden. Für die streitigen Belange genügt vielmehr die Feststellung, dass es
sich bei der MEDAS gemäss der auch nach dem Inkrafttreten des ATSG weiterhin
geltenden Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (BGE 123
V 175) um eine unabhängige und unparteiliche Gutachterstelle handelt. Die
MEDAS als Institution erfüllt damit das Erfordernis der Unabhängigkeit,
weshalb vom Wortlaut her einer Anwendung von Art. 44 ATSG auf diese
Begutachtungsstellen nichts entgegen steht.

Erwägung 7

  7.

  7.1  Die Gesetzesmaterialien enthalten keine klaren Aussagen  hinsichtlich
der Frage, ob Art. 44 ATSG auf Medizinische Abklärungsstellen Anwendung
findet. Die Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und
Gesundheit ging im Bericht vom 26. März 1999 zur Parlamentarischen
Initiative Sozialversicherungsrecht davon aus, dass die
Invalidenversicherung im Bereich Gutachten ein "geschlossenes System" hat.
Art. 44 ATSG (damals noch Art. 52 des Entwurfs) könne dazu führen, dass
dieses System in Einzelfällen durchbrochen werde. Die Kommission sah aber im
Interesse der einheitlichen Anwendung des ATSG keine Abweichung im IVG vor
(BBl 1999 4602). Nach Ansicht des BSV kann dies nur bedeuten, dass Art. 44
ATSG in der Invalidenversicherung nur zur Anwendung kommen soll, wenn gleich
wie in der Unfall- und der Militärversicherung ein einzelner Arzt oder eine
Ärztin als Sachverständige mit einem Gutachten beauftragt werden, nicht
hingegen, wenn der Auftrag beispielsweise an eine MEDAS geht. Das
"geschlossene System" bezieht sich jedoch auf den Kreis der Gutachter
(MEDAS), nicht auf das dabei zu beachtende Verfahren. Nach der damals
geltenden Rechtsordnung (vgl. BGE 125 V 401) wurde bezüglich der
Mitwirkungsrechte, die nun durch Art. 44 (Art. 52 des Entwurfs) ATSG
geregelt sind, nicht zwischen Gutachten unterschieden, die von natürlichen
Personen erstellt werden, und solchen, mit denen eine Abklärungsstelle
betraut wurde. Sie waren altrechtlich in beiden Fällen nicht zu gewähren.
Die Durchbrechung des "geschlossenen Systems" kann daher nur so gemeint
sein, dass durch die Einräumung von Mitwirkungsrechten

die Begutachtung durch eine MEDAS in Einzelfällen von der versicherten
Person mit Erfolg abgelehnt werden kann und durch eine natürliche Person
erfolgen muss oder dass es einer MEDAS in Einzelfällen nicht möglich sein
könnte, rechtzeitig die Namen der an der Begutachtung mitwirkenden Ärztinnen
und Ärzte mitzuteilen, und sie daher auf die Begutachtung verzichten muss.
Es kann daraus jedoch nicht geschlossen werden, dass bei einer Begutachtung
durch die MEDAS grundsätzlich keine Mitwirkungsrechte einzuräumen sind.

  7.2  Die Kommission des Ständerates führt im Bericht vom 27. September
1990 zur Parlamentarischen Initiative Allgemeiner Teil Sozialversicherung zu
Art. 52 des Entwurfs aus, Gutachten von unabhängigen Sachverständigen seien
in der Sozialversicherung nicht selten, doch sei das "Gutachterrecht" im
VwVG und in einzelnen Sozialversicherungsgesetzen unterschiedlich
ausgestaltet. Die vorliegende einheitliche Regel sei einfach und wahre die
Rechte der Partei (BBl 1991 II 261). Das Militärversicherungsgesetz sah in
Art. 93 Abs. 1 MVG eine fast gleiche Regel vor. Die Kommission des
Nationalrates schlug daher dessen Aufhebung vor. Mit Bezug auf die
Invalidenversicherung stellte sie fest, dass sich keine entsprechende Norm
auf Gesetzesebene findet (BBl 1999 4601).

  7.3  Sinn und Zweck von Art. 44 ATSG ist es somit, die Mitwirkungsrechte
der Versicherten einheitlich auszugestalten. Die Bestimmung steht im 2.
Abschnitt "Sozialversicherungsverfahren" des 4. Kapitels "Allgemeine
Verfahrensbestimmungen". Die Bekanntgabe der Namen dient dem Ziel, das
Abklärungsverfahren der Sozialversicherer derart zu vereinheitlichen, dass
dieses nicht im Nachhinein wegen formeller Mängel in Zweifel gezogen und das
Gutachten nachträglich wegen gesetzlicher Ausstands- und Ablehnungsgründe in
der Person des Gutachters als beweisuntauglich erklärt werden muss. Die
Nichtbeachtung der Ausstandspflicht stellt in der Regel eine schwerwiegende
Verletzung der Verfahrensvorschriften dar und hat deshalb ungeachtet der
materiellen Interessenlage die Aufhebung des unter Mitwirkung einer
ausstandspflichtigen Person gefassten Entscheids zur Folge (KÖLZ/BOSSHART/
Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2.
Aufl., Zürich 1999, N 7 zu § 5a). Aus verfahrensökonomischen Gründen ist es
daher angebracht, über den Ausstand möglichst vorab und nicht erst zusammen
mit dem Entscheid in der Sache zu befinden. Die Geltendmachung von
Ausstandsgründen,

wie sie insbesondere Art. 36 Abs. 1 ATSG vorsieht, setzt die Kenntnis der
Namen des oder der in Frage kommenden Gutachter voraus. Fehlen Angaben über
die Person des Sachverständigen, kann die betroffene Person ihre dort
verankerten Ansprüche nicht wirksam oder allenfalls zu spät geltend machen.
Zwischen dem Gutachten eines Sachverständigen als natürliche Person und dem
einer Begutachtungsstelle besteht insofern kein Unterschied, als beide der
fachärztlichen Beurteilung eines medizinischen Sachverhalts zuhanden des
auftraggebenden Versicherungsträgers dienen, worauf bereits die Vorinstanz
hingewiesen hat. Das MEDAS-Gutachten zeichnet sich zudem durch die
polydisziplinäre Zusammenarbeit mehrerer Experten aus. Bei Vorliegen von
Ausstandsgründen in der Person eines oder mehrerer Fachärzte ist dem von
einer Institution erstellten Gutachten genauso der Beweiswert abzusprechen
wie der von einer Einzelperson erstellten Expertise. Insbesondere ist einem
Ausstands- oder Ablehnungsgrund gegen einen von mehreren Experten kein
geringeres Gewicht beizumessen als einem solchen gegen einen Facharzt, der
ein Gutachten als Einzelperson erstellt. Es verhält sich in diesem Punkt
ähnlich wie bei einem Gericht, wo in der Person von Richterinnen und
Richtern liegende Ausstands- und Ablehnungsgründe nicht ein
unterschiedliches Gewicht haben, je nachdem, ob sie als Mitglied eines
Spruchkörpers oder als Einzelrichter tätig sind. Für Sachverständige gelten
grundsätzlich die gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe, wie sie für
Richter vorgesehen sind (BGE 120 V 364 Erw. 3a). Auch bei einer
Begutachtungsstelle nehmen letztlich eine oder mehrere natürliche Personen
die Begutachtung vor. Es besteht daher kein sachlicher Grund, die Anwendung
von Art. 44 ATSG auf Gutachten zu beschränken, die von einer Einzelperson
selbstständig und in eigenem Namen erstellt werden. Andernfalls wäre es dem
Belieben der Versicherer überlassen, mit der Wahl der Gutachter darüber zu
befinden, ob die versicherte Person ihre Mitwirkungsrechte wahren kann oder
nicht. Dies kann unter dem Aspekt des Rechtsgleichheitsgrundsatzes nicht
Sinn und Zweck der Bestimmung sein.

Erwägung 8

  8.

  8.1  Es liegt jedoch nicht nur im Interesse der versicherten Person,
allenfalls vor der Begutachtung Ablehnungsgründe geltend machen zu können.
Auch für die Versicherungsträger erweist es sich als vorteilhaft, wenn sie
darüber befinden können, bevor der in der

Regel arbeits- und zeitaufwändige Prozess einer interdisziplinären
Begutachtung durch eine MEDAS seinen Lauf nimmt. Oft erfahren sie nämlich
erst aufgrund der vorgebrachten Einwände vom Vorliegen von Ausstands- und
Ablehnungsgründen in der Person des oder der Begutachtenden.

  8.2  BSV und IV-Stelle führen gegen eine Anwendung von Art. 44 ATSG auf
Begutachtungsstellen vor allem praktische Gründe an. Namentlich bringen sie
vor, die MEDAS wähle in der Regel aus einer Vielzahl von Medizinern, was es
schwierig mache, die konkret in Aussicht genommenen Gutachter im Voraus zu
kennen. Vor allem die langen Wartezeiten würden eine vorgängige Bekanntgabe
erschweren. Zudem könnten kurzfristige Absenzen, Fluktuationen und andere
Gründe dazu führen, dass eine andere als die ursprünglich vorgesehene Person
die Untersuchung vornehme. Oft könnten die Begutachtungsstellen zudem erst
nach einer ersten Untersuchung feststellen, ob und gegebenenfalls welche
Spezialisten noch beigezogen werden müssten.

  8.3  Die MEDAS sind unterschiedlich organisiert (vgl. LUKAS S.
BRÜHWILER-FRÉSEY, Die Eröffnung von Gutachten und Konsiliarberichten im
Verfahren vor einer medizinischen Abklärungsstelle [MEDAS], in: SZS 1989 S.
185). Ein Teil davon befindet sich an Universitätsspitälern, wo Dutzende von
Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen für eine Begutachtung in
Frage kommen. Wegen der grossen Auslastung der MEDAS sind zudem monatelange
Wartezeiten keine Seltenheit (vgl. Unhaltbare Zustände bei den MEDAS, in:
Plädoyer, 2003/4 S. 8). Diese Tatsache  zusammen mit dem steten Wechsel der
medizinischen Fachkräfte an den grossen medizinischen Zentren erschwert im
Einzelfall die vorgängige Bekanntgabe der für die betreffende Begutachtung
zur Verfügung stehenden Sachverständigen. Da die IV-Stellen im Zeitpunkt der
Anordnung eines Gutachtens somit oft nicht wissen, welche Ärztinnen und
Ärzte einer MEDAS zum Team gehören, das die Begutachtung durchführen wird,
bliebe ihnen jeweils nichts anderes übrig, als eine ganze Liste von Namen
mit potenziellen Gutachtern aufzulegen. Dies macht indessen wenig Sinn.

  8.4  Art. 44 ATSG regelt den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Namen der
sachverständigen Personen nicht ausdrücklich. Vom Normzweck her ist jedoch
von einer vorgängigen Mitteilung auszugehen. Denn nur so wird gewährleistet,
dass die Mitwirkungsrechte ihre Funktion erfüllen (KIESER, ATSG-Kommentar, N
10 zu

Art. 44). Die Bestimmung fordert indessen nicht, dass die Namensnennung
gleichzeitig mit der Anordnung der IV-Stelle über die durchzuführende
Begutachtung zu erfolgen hat. Ein Zusammenlegen der beiden Mitteilungen ist
zwar zweckmässig und rationell, jedoch im Rahmen der Begutachtung durch eine
MEDAS aus sachlichen Gründen oftmals nicht praktikabel. Es muss daher
genügen, wenn die Namen der Gutachter der versicherten Person erst zu einem
späteren Zeitpunkt eröffnet werden. In jedem Fall muss dies aber frühzeitig
genug erfolgen, damit sie in der Lage ist, noch vor der eigentlichen
Begutachtung ihre Mitwirkungsrechte wahrzunehmen. Es rechtfertigt sich
daher, die jeweilige Begutachtungsstelle damit zu beauftragen. Sie ist am
ehesten in der Lage, die Namen der mit der Abklärung befassten Gutachter zu
nennen, und sie kann diese zusammen mit dem konkreten Aufgebot oder
jedenfalls möglichst frühzeitig der versicherten Person bekannt geben. Diese
wird ihre Einwände alsdann gegenüber der IV-Stelle geltend machen können,
welche darüber noch vor der eigentlichen Begutachtung zu befinden haben
wird. Bei einem solchen Vorgehen stehen auch praktische Gründe einer
Anwendung von Art. 44 ATSG auf MEDAS-Gutachten nicht entgegen. Der vom BSV
im IV-Rundschreiben Nr. 237 vom 11. Mai 2006 vertretenen Auffassung, wonach
bei einer Begutachtung durch die MEDAS oder einer vergleichbaren Institution
Ausstands- und Ablehnungsgründe nur im Rahmen der Beweiswürdigung geltend
gemacht werden können, kann daher nicht beigepflichtet werden.

Erwägung 9

  9.  Die IV-Stellen werden somit künftig im Sinne von BGE 132 V 93 in Form
einer einfachen Mitteilung an die versicherte Person ein MEDAS-Gutachten
anordnen. Dabei handelt es sich um einen Realakt und nicht um eine
beschwerdefähige Verfügung. Sind der IV-Stelle die Namen der begutachtenden
Personen aufgrund der besonderen Situation bei den MEDAS zu diesem Zeitpunkt
nicht bekannt, wird sie dies der versicherten Person mitteilen mit dem
Hinweis, dass ihr diese zu einem späteren Zeitpunkt direkt von der
Begutachtungsstelle genannt würden und sie dannzumal allfällige Einwendungen
der IV-Stelle gegenüber geltend machen könne. Die MEDAS wird alsdann
zusammen mit dem konkreten Aufgebot oder rechtzeitig, bevor sie das
Gutachten an die Hand nimmt, die Namen der mit dem Begutachtungsauftrag
befassten Fachärzte und ihre fachliche Qualifikation bekannt geben.
Allfällige Einwendungen wird die versicherte Person jedoch nicht gegenüber
dieser,

sondern nur gegenüber der dafür zuständigen IV-Stelle geltend zu machen
haben. Handelt es sich dabei um gesetzliche Ausstands- und Ablehnungsgründe,
wird diese mittels einer beschwerdefähigen Verfügung darüber zu befinden
haben. Werden dagegen materielle Einwendungen geltend gemacht, wird sie die
versicherte Person in der Regel in Form einer einfachen Mitteilung darauf
hinweisen, dass darüber im Rahmen der Beweiswürdigung zusammen mit dem
Entscheid in der Sache in Form einer anfechtbaren Verfügung befunden werde
(vgl. dazu BGE 132 V 108 Erw. 6.5). In diesem Sinne ist der vorinstanzliche
Entscheid zu bestätigen.