Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 V 352



Urteilskopf

132 V 352

  40. Auszug aus dem Urteil i.S. KPT/CPT Krankenkasse gegen Kantonsspital
Freiburg und Schiedsgericht in der Kranken- und Unfallversicherung des
Kantons Freiburg
  K 28/06 vom 20. Juni 2006

Regeste

  Art. 44 Abs. 1, Art. 89 Abs. 1 KVG: Zuständigkeit des Schiedsgerichts nach
Art. 89 KVG.

  Bei der Frage, ob das Spital für den Aufenthalt auf der
Intensivpflegestation einen Tarif für Privatpatienten verrechnen darf,
handelt es sich auch um eine solche des Tarifschutzes gemäss Art. 44 Abs. 1
KVG, weshalb das Schiedsgericht zur Beurteilung zuständig ist. (Erw. 2.5.1 -
2.5.4)

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Gemäss Art. 89 Abs. 1 KVG entscheidet das kantonale Schiedsgericht
"Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern". Gesetz und
Verordnung umschreiben nicht näher, was unter Streitigkeiten im Sinne der
genannten Bestimmung zu verstehen ist. Nach der zum altrechtlichen Art. 25
Abs. 1 KUVG ergangenen und auch unter dem neuen Recht massgebenden
Rechtsprechung ist von einer weiten Begriffsumschreibung auszugehen, indem
die sachliche Zuständigkeit für alle Streitigkeiten zwischen
Krankenversicherern und Leistungserbringern zu bejahen ist, wenn und soweit
sie Rechtsbeziehungen zum Gegenstand haben, die sich aus dem KVG ergeben
oder auf Grund des KVG eingegangen worden sind. Des Weitern muss es sich um
eine Streitigkeit zwischen Versicherungsträgern und leistungserbringenden
Personen handeln, was sich danach bestimmt, welche Parteien einander in
Wirklichkeit gegenüberstehen. Der Streitgegenstand muss mit andern Worten
die besondere Stellung der Versicherer oder Leistungserbringer im Rahmen des
KVG betreffen. Liegen der Streitigkeit keine solchen Rechtsbeziehungen zu
Grunde, ist sie nicht nach sozialversicherungsrechtlichen Kriterien zu
beurteilen, mit der Folge, dass nicht die Schiedsgerichte, sondern
allenfalls die Zivilgerichte zum Entscheid sachlich zuständig sind (BGE 132
V 303 Erw. 4.1 mit Hinweisen).

  2.2  In der Sache streiten sich die Parteien darum, ob für den Aufenthalt
auf der Intensivstation der Tarif für Privatpatienten verrechnet werden
darf. Die Vorinstanz beruft sich auf BGE 131 V 191: Nach diesem Entscheid
falle die Frage, ob ein Pflegeheim den Bewohnern zusätzliche Leistungen in
Rechnung stellen dürfe, nicht in die Zuständigkeit der
Sozialversicherungsgerichte. Das müsse erst recht für den vorliegenden Fall
gelten, wo es um die Frage gehe, ob für eine in der privaten Abteilung
versicherte Person auf Grund dieser Zusatzversicherung mehr zu bezahlen sei.
Es seien nicht Leistungen im Rahmen des Obligatoriums umstritten. Die
Beschwerdeführerin stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, dass
vorgängig die Frage geklärt werden müsse, ob und in welchem Rahmen der
Tarifschutz von Art. 44 KVG zur Anwendung gelange, was gemäss SZS 2005 S.
464 (Urteil vom 12. Oktober 2004, K 140/02) und RKUV 2005 Nr. KV 314 S. 15
(Urteil vom

12. Oktober 2004, K 141/02) in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts falle.

  2.3  Im Urteil BGE 131 V 191, auf das sich die Vorinstanz stützt, hatte
ein Pflegeheim für die Pflege einer grundversicherten Person einerseits dem
Krankenversicherer Rechnung für Pflegeleistungen gemäss KVG-Tarif gestellt,
zudem aber auch der Bewohnerin einen zusätzlichen Betrag berechnet. Auf
Begehren der Bewohnerin (bzw. deren Erben) verpflichtete das kantonale
Gericht den Versicherer, im Leistungsstreit gegen das Spital gemäss Art. 89
Abs. 3 2. Halbsatz KVG die versicherte Person zu vertreten. Auf Beschwerde
des Versicherers hin hob das Eidgenössische Versicherungsgericht diesen
Entscheid auf. Es erwog, es sei unbestritten, dass der Krankenversicherer
keinen höheren Betrag zu leisten habe als er direkt an das Heim bezahlt
habe. Es liege damit nicht ein Streit zwischen Versicherer und
Leistungserbringer vor, weshalb Art. 89 KVG nicht anwendbar sei.

  2.4  Auch vorliegend geht es nicht um die Leistungspflicht der
Beschwerdeführerin in ihrer Eigenschaft als KVG-Grundversichererin. Sie
bestreitet nicht, in dieser Eigenschaft Leistungen gemäss dem Tarif für die
allgemeine Abteilung zu schulden. Hingegen bestreitet sie, dass zusätzliche
Leistungen in Rechnung gestellt werden dürfen. Diesbezüglich bestehen in der
Tat sachverhaltliche Parallelen zum Entscheid BGE 131 V 191. Indessen wurde
in jenem Entscheid nicht gesagt, eine entsprechende Streitigkeit falle
grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts.
Ausschlaggebend war dort, dass keine Streitigkeit zwischen Versicherer und
Leistungserbringer bestand. Aus diesem Grund fehlte es an einer
Zuständigkeit des Schiedsgerichts, weshalb kein Raum blieb für eine
Vertretung nach Art. 89 Abs. 3 KVG der versicherten Person durch den
Versicherer.

  2.5  Im Unterschied zu jenem Fall liegt hier eine Streitigkeit zwischen
Versicherer und Leistungserbringer vor. Die zunächst in der Rechtsform eines
Vereins und seit November 2005 als Genossenschaft organisierte
Beschwerdeführerin handelt als Grundversichererin. In Bezug auf die Deckung
allfälliger zusätzlicher Leistungen entstehende Streitigkeiten sind nicht
sozialversicherungsrechtlich (Art. 12 Abs. 3 KVG) und fallen nicht in die
Zuständigkeit des Schiedsgerichts (GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 414).
Im Übrigen ist nicht die Beschwerdeführerin Zusatzversichererin. Sie

macht jedoch zu Recht geltend, es gehe um die Frage, ob bei einem Aufenthalt
in der Intensivstation der Tarifschutz gemäss Art. 44 KVG zur Anwendung
komme und sie als Grundversichererin ebenfalls betroffen ist.

  2.5.1  Der Tarifschutz gilt in Bezug auf den Aufenthalt in der allgemeinen
Abteilung (vgl. BGE 131 V 139 f.; RKUV 2004 Nr. KV 285 S. 242 f. Erw. 4
[Urteil vom 15. April 2004, K 5/03]). Er gilt auch beim Aufenthalt in einer
privaten oder halbprivaten Abteilung in dem Sinne, dass der Versicherer nach
KVG diejenigen Kosten übernehmen muss, die sich beim Aufenthalt in der
allgemeinen Abteilung ergeben hätten (BGE 130 I 311, 126 III 351 Erw. 3c).
Hingegen werden diejenigen Leistungen, die über den Leistungsumfang der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung hinausgehen, nicht vom Tarifschutz
erfasst (BGE 130 I 310 Erw. 2.1, 126 III 350 Erw. 3b). Der Patient schuldet
eine entsprechende Vergütung nicht auf Grund von KVG-Tarifen. Eine
allfällige Versicherungsdeckung dafür erfolgt durch die privatrechtliche
Zusatzversicherung nach VVG.

  2.5.2  Indessen kann die Frage, ob überhaupt eine (allenfalls aus der
Zusatzversicherung zu deckende) über den obligatorischen Bereich
hinausgehende Leistung erbracht worden ist, nicht unabhängig davon geprüft
werden, wie weit der Leistungsumfang der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung geht. Erweist sich nämlich, dass sämtliche im
konkreten Fall vom Leistungserbringer erbrachten Leistungen zum
obligatorisch versicherten Leistungsumfang gehören, bleibt von vornherein
kein Raum mehr dafür, über den Tarif der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung hinausgehende zusätzliche Leistungen in Rechnung
zu stellen; ein solches Vorgehen würde gegen den Tarifschutz (Art. 44 Abs. 1
KVG) verstossen.

  2.5.3  In den von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheiden SZS 2005 S.
464 (Urteil vom 12. Oktober 2004, K 140/02) und RKUV 2005 Nr. KV 314 S. 15
(Urteil vom 12. Oktober 2004, K 141/02) war die Frage zu beantworten, ob das
Spital in der Tageschirurgie bei Zusatzversicherten zusätzliche Leistungen
erbringen darf oder ob ein Verstoss gegen das Krankenversicherungsgesetz
vorliegt, wenn es bei der teilstationären Behandlung solcher Versicherter
mit Kurzaufenthalt namentlich die klassengerechte Unterbringung in der
Privat- oder Halbprivatabteilung zusätzlich in Rechnung stellt. Das
Eidgenössische Versicherungsgericht bejahte die Zuständigkeit des
Schiedsgerichts zur Beurteilung dieser Frage

(je Erw. 3.3). Auch im bereits genannten Entscheid RKUV 2004 Nr. KV 285 S.
241 Erw. 2.2 (Urteil vom 15. April 2004, K 5/03)bejahte das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für die
Beurteilung der Rechtmässigkeit eines Zusatzhonorars, das über den KVG-Tarif
hinaus verlangt worden war, mit der Begründung, es sei der Umfang der
Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung streitig.

  2.5.4  Wie in diesen Fällen ist auch vorliegend umstritten, ob sich der
Leistungserbringer für die erbrachten Leistungen mit dem Tarif für die
Grundversicherung begnügen muss oder ob er dafür von der Patientin bzw.
ihrer Zusatzversicherung eine darüber hinausgehende Vergütung beanspruchen
kann. Diese Frage ist gleichbedeutend mit der Frage, ob die vom Spital
geltend gemachten Leistungen zulässigerweise eine über die Grundleistung
hinausgehende Mehrleistung darstellen (vgl. BGE 130 I 310 f. Erw. 2.2), was
wiederum von der Frage abhängt, wie weit der von der Grundversicherung zu
deckende Leistungsumfang reicht. Dies ist eine KVG-rechtliche Frage, welche
in die Zuständigkeit der Sozialversicherungsgerichte bzw. im Falle von Art.
89 KVG in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts gehört. Wie in den bereits
genannten Entscheiden SZS 2005 S. 464 (Urteil vom 12. Oktober 2004, K
140/02), RKUV 2005 Nr. KV 314 S. 15 (Urteil vom 12. Oktober 2004, K 141/02)
und RKUV 2004 Nr. KV 285 S. 242 f. Erw. 4 (Urteil vom 15. April 2004, K
5/03) (vgl. oben Erw. 2.2 und 2.5.1) ist die Zuständigkeit des
Schiedsgerichts zu bejahen.