Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 V 241



Urteilskopf

132 V 241

  26. Auszug aus dem Urteil i.S. M. gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Aargau
  U 289/05 vom 20. März 2006

Regeste

  Art. 13 und 36 BV; Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG: Schutz der
Privatsphäre; Beweismittelverwertung.

  Hatte eine private Haftpflichtversicherung eine Person rechtmässig durch
einen Privatdetektiv beobachten lassen, bildet Art. 43 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 61 lit. c ATSG die gesetzliche Grundlage für die Verwertung der
entsprechenden Beweismittel (Ermittlungsbericht und Videoband) durch die
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt. (Erw. 2.5.1)

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  (...)

  2.5
  2.5.1  Der von der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers
veranlasste Ermittlungsbericht und das weiter erstellte Videoband sind
zulässige Beweismittel, da die Observierung durch die Detektei rechtmässig
war (Art. 28 Abs. 2 ZGB) und deren Ergebnisse von der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) verwertet werden durften (Art. 13 und 36
BV; zum Ganzen: BGE 129 V 323). Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers war die Beobachtung insbesondere auch verhältnismässig; so
hätte eine (weitere) medizinische Abklärung (dazu WALTER KÄLIN, Die
staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 2003 und
2004, in: ZBJV 2004 S. 657) es nicht ermöglicht, festzustellen, was der
Versicherte effektiv noch zu leisten vermag. Zu berücksichtigen ist, dass
seit BGE 129 V 323 das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten ist.
Art. 43 Abs. 1 ATSG auferlegt dem Unfallversicherer - gleich wie Art. 47 UVG
in der bis Ende 2002 geltenden Fassung - die Pflicht zur
Sachverhaltsabklärung, ohne dabei eine Beschränkung der Beweismittel
vorzusehen. Sodann sind nach Art. 96 lit. b UVG die mit der Durchführung des
UVG betrauten Organe befugt, die Personendaten, einschliesslich besonders
schützenswerter Daten und Persönlichkeitsprofile, zu bearbeiten oder
bearbeiten zu lassen, die sie benötigen, um Leistungsansprüche zu
beurteilen. Diese Normen bilden eine ausreichende Grundlage für den mit der
Beobachtung durch einen Privatdetektiv verbundenen Eingriff in die
Privatsphäre des Versicherten, zumal dieser Eingriff auch nicht schwer
wiegt, wurde doch

der Beschwerdeführer nur an einem öffentlich einsehbaren Raum und bei
Tätigkeiten beobachtet und aufgenommen, die er aus freiem Willen ausgeführt
hat (vgl. BGE 131 I 278 Erw. 4.1.1, 283 Erw. 5.1 sowie nicht publizierte
Erw. 6.2). Damit bilden diese Normen eine ausreichende gesetzliche Grundlage
für den mit der Beobachtung durch einen Privatdetektiv verbundenen Eingriff
in die Privatsphäre des Versicherten. Dies gilt gestützt auf Art. 61 lit. c
ATSG auch für das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht (KIESER,
ATSG-Kommentar N 53 zu Art. 61).

  2.5.2  Die Observierung durch die Privatdetektei hat betreffend geklagte
Beschwerden im Bereich der LWS gezeigt, dass der Versicherte auch schwere
Gartenarbeiten durchführen kann. Entgegen der in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Meinung handelt es sich dabei
nicht bloss um leichte Tätigkeiten, sondern um (stark) belastende Arbeiten
wie das Schleppen schwerer Bodenplatten, das Ausgraben von Wurzeln oder das
Überkopfabsägen von Ästen. Nicht glaubhaft ist die Behauptung, dass diese
Arbeiten nur wegen der "hoch dosierten Einnahme von Medikamenten und
Schmerzmitteln" möglich gewesen seien: Einerseits wird das Schmerzmittel
"Tramal" erst seit Anfang 2004 eingenommen, während der Versicherte schon im
Sommer 2003 bei der Ausübung schwerer Gartenarbeit beobachtet worden ist und
im Sommer 2003 kein übermässiger Konsum von Schmerzmitteln vorliegt.
Andererseits hätten sich die Schmerzen auch bei bloss gelegentlicher
Vornahme dieser Tätigkeiten dermassen verschlimmert, dass eine ärztliche
Behandlung notwendig gewesen wäre. Die Observation bestätigt denn auch die
Auffassung des SUVA-Arztes Dr. med. S., welcher im Bericht vom 16. Dezember
2003 "Mühe mit dem Ausmass der geklagten Beschwerden lumbal" hatte.