Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 V 236



Urteilskopf

132 V 236

  25. Auszug aus dem Urteil i.S. X. (B 16/05), und Y. (B 17/05), gegen
PUBLICA, Pensionskasse des Bundes, und Verwaltungsgericht des Kantons Bern
  B 16/05 + B 17/05 vom 28. März 2006

Regeste

  Art. 122 Abs. 1 ZGB; Art. 22 FZG: Massgebende Ehedauer für die Aufteilung
des Vorsorgeguthabens bei Scheidung.

  Die Ehe dauert bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des
Scheidungsurteils. (Erw. 2)

Sachverhalt ab Seite 236

  A.- Y. und X. heirateten am 11. April 1972. Mit Urteil vom 1. Oktober
2002, in Rechtskraft erwachsen nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist
am 1. November 2002, schied der Superior Court of the District of A. (USA)
die Ehe der Parteien und ordnete die hälftige Aufteilung des
Pensionskassenguthabens des Ehemannes bei der Pensionskasse des Bundes
(nunmehr PUBLICA) an. Da sich die PUBLICA in der Folge weigerte, den
hälftigen Anteil des Vorsorgeguthabens auf Y. zu übertragen, solange das
Scheidungsurteil nicht durch ein schweizerisches Gericht anerkannt und für
vollstreckbar erklärt worden sei, reichte X. am 12. Juni 2003

beim Appellationshof des Kantons Bern ein Gesuch um Anerkennung und
Vollstreckbarerklärung des amerikanischen Urteils ein. Mit Entscheid vom 25.
Juli 2003 wies der Appellationshof dieses Gesuch ab. Auf staatsrechtliche
Beschwerden von Y. und X. hin hob die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts
mit Urteil vom 11. März 2004 den Entscheid des Appellationshofes vom 25.
Juli 2003 auf (BGE 130 III 336). Daraufhin anerkannte der Appellationshof
mit Entscheid vom 1. Juni 2004 das amerikanische Scheidungsurteil vom 1.
Oktober 2002, erklärte es für vollstreckbar und überwies die Akten zur
betragsmässigen Teilung der Austrittsleistung an das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern.

  B.- Mit Entscheid vom 17. Dezember 2004 ermittelte das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern per Rechtskraft des Scheidungsurteils am 31. Oktober 2002
eine zu teilende Austrittsleistung in Höhe von Fr. 937'781.- und wies die
PUBLICA an, Y. von der Austrittsleistung des X. den Betrag von Fr.
468'890.50 abzüglich allfälliger direkt anfallender Steuern auf ein
namentlich bezeichnetes Konto bei einer Bank in Bern zu überweisen. Das zu
überweisende Guthaben sei ab dem 1. November 2002 bis zum
Auszahlungszeitpunkt nach Art. 12 BVV2 bzw. nach dem allenfalls
reglementarisch vorgesehenen höheren Zinssatz zu verzinsen.

  C.- X. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die PUBLICA anzuweisen, die
Austrittsleistung auf den Zeitpunkt des Endes der Ehedauer, d.h. den 1.
Oktober 2002 zu ermitteln.

  Das kantonale Gericht nimmt zum formellen Einwand Stellung. PUBLICA, Y.
(mit Ausnahme der Verzugszinsfrage) und Bundesamt für Sozialversicherung
(BSV) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

  D.- Y. lässt ebenfalls Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Antrag, die PUBLICA sei anzuweisen, nebst der hälftigen Austrittsleistung
auch den Verzugszins auf dieser Leistung ab Eintritt der Fälligkeit zu
überweisen.

  Das kantonale Gericht nimmt wiederum zum in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde des X. erhobenen formellen Einwand Stellung.
PUBLICA und BSV schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
X. lässt sich mit Eingaben vom 4. Mai und 30. Juni 2005 vernehmen, ohne
indessen einen bestimmten Antrag zu stellen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  (Verfahrensvereinigung; vgl. BGE 128 V 126 Erw. 1 mit Hinweisen; vgl.
auch BGE 128 V 194 Erw. 1).

Erwägung 2

  2.

  2.1  Gehört ein Ehegatte oder gehören beide Ehegatten einer Einrichtung
der beruflichen Vorsorge an und ist bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall
eingetreten, so hat laut Art. 122 Abs. 1 ZGB jeder Ehegatte Anspruch auf die
Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 (FZG) für die
Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des andern Ehegatten. Gemäss Art.
22 Abs. 1 FZG werden bei Ehescheidung die für die Ehedauer zu ermittelnden
Austrittsleistungen nach den Art. 122, 123, 141 und 142 des ZGB geteilt; die
Art. 3-5 FZG sind auf den zu übertragenden Betrag sinngemäss anwendbar. Die
zu teilende Austrittsleistung eines Ehegatten entspricht der Differenz
zwischen der Austrittsleistung zuzüglich allfälliger Freizügigkeitsguthaben
im Zeitpunkt der Ehescheidung und der Austrittsleistung zuzüglich
allfälliger Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der Eheschliessung (vgl.
Art. 24 FZG). Für diese Berechnung sind die Austrittsleistung und das
Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der Eheschliessung auf den Zeitpunkt der
Ehescheidung aufzuzinsen. Barauszahlungen während der Ehedauer werden nicht
berücksichtigt (Art. 22 Abs. 2 FZG).

  2.2  Unbestritten ist, dass der Superior Court of the District of A. mit
Urteil vom 1. Oktober 2002 die am 11. April 1972 geschlossene Ehe zwischen
den beiden Beschwerdeführenden geschieden hat und die Rechtskraft mit Ablauf
der Rechtsmittelfrist am 31. Oktober 2002 eingetreten ist. Nicht streitig
ist auch die Höhe der von der PUBLICA per 31. Oktober 2002 ermittelten
Austrittsleistung im Betrag von Fr. 937'781.-. Hingegen stellt sich der
Beschwerdeführer auf den Standpunkt, für die Dauer der Ehe sei auf das Datum
des Scheidungsurteils (hier: 1. Oktober 2002) und nicht auf das Datum des
Eintritts der Rechtskraft (hier: 1. November 2002) abzustellen. Zur
Begründung führt er im Wesentlichen aus, wenn gegen ein Scheidungsurteil ein
Rechtsmittel ergriffen und dieses von der Rechtsmittelinstanz bestätigt
werde, so beginne die Wirkung des bestätigten Urteils hinsichtlich der
Beendigung der Ehedauer ebenfalls mit dem Tag, der in diesem Urteil
festgelegt sei. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut von alt Art. 22 Abs.
1 FZG, der erstmals den gesetzlichen Anspruch auf die hälftige Teilung

der während der Dauer der Ehe geäufneten Vorsorgeguthaben festgehalten habe.
Der Beginn der Ehe sei durch den Tag der zivilrechtlichen Trauung der
Parteien eindeutig bestimmt, das Ende der Dauer der Ehe sei der Tag, auf den
das betreffende Scheidungsurteil die Auflösung der Ehe ausspreche bzw. auf
den die Parteien die Auflösung der Ehe durch Konvention bestimmen und dies
richterlich bestätigen lassen. Der gesetzliche Terminus "Dauer der Ehe" und
"Ehedauer" sei in der Folge bei der Revision des FZG und des
Scheidungsrechts nicht geändert worden. Auch die Kommissionen und Experten
der Eidgenössischen Räte seien in ihren Berechnungsmodellen davon
ausgegangen, dass das Ende der Ehedauer derjenige Tag sei, auf den die Ehe
der Parteien durch richterliches Urteil aufgelöst werde, d.h. der Tag, der
im betreffenden (rechtskräftigen) Urteil als Tag der Ehescheidung bezeichnet
werde. Es gehe in vorsorgetechnischer Hinsicht, wegen der nötigen
Vorsorgemittel, nicht an, den Endtermin der Ehe auf den Tag des unbenutzten
Ablaufs der Rechtsmittelfrist festzusetzen.

  2.3  Massgebender Zeitraum für die Teilung der Austrittsleistung ist nach
der gesetzlichen Definition die Ehedauer. Damit legt das Gesetz die Eckwerte
fest. Die Ehe beginnt mit dem Tag der Eheschliessung und endet mit der
Auflösung durch das Scheidungsurteil. Dabei ist für den Zeitpunkt der
Scheidung nicht das Urteilsdatum, sondern der Eintritt der formellen
Rechtskraft des Scheidungsurteils massgebend (HEGNAUER/BREITSCHMID,
Grundriss des Eherechts, 4. Aufl., Bern 2000, S. 78 Rz 11.04). Dies hat die
höchstrichterliche Rechtsprechung nicht nur für den Bereich von Art. 122 ZGB
festgehalten (Urteil der II. Zivilabteilung des Bundesgerichts vom 6.
September 2001 [5C.129/2001], teilweise publiziert in FamPra.ch 2002 S.
148), sondern beispielsweise auch für den Wegfall des gesetzlichen Erbrechts
der Ehegatten (BGE 122 III 310 Erw. 2b/aa) und im Rahmen von Art. 24a Abs. 1
lit. a AHVG (AHI 2001 S. 204; vgl. auch EVGE 1960 S. 214). Auch im
Schrifttum wird für die Aufteilung der Austrittsleistung einhellig das Datum
des Eintritts der formellen Rechtskraft des Scheidungsurteils als massgebend
erachtet (statt vieler BAUMANN/ LAUTERBURG, in: SCHWENZER [Hrsg.],
Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel 2000, N 37 zu Art. 122 ZGB; THOMAS
GEISER, Berufliche Vorsorge im neuen Scheidungsrecht, in: HAUSHEER [Hrsg.],
Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, Rz 2.33 S. 70; HANS-ULRICH
STAUFFER, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, Rz 1214

S. 453; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich
1999, N 22-24 zu Art. 122/141-142 ZGB, HERMANN WALSER, Basler Kommentar zum
Schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch I: Art. 1-456 ZGB, 2. Aufl.,
Basel 2002, N 20 zu Art. 122). Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich
ebenfalls keine Anhaltspunkte für die vom Beschwerdeführer vertretene
Auffassung (vgl. Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Freizügigkeit in
der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 26.
Februar 1992, BBl 1992 III 598 f.; Botschaft über die Änderung des
Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15. November 1995, BBl 1996 I 106 f.
und 149). Im Gegenteil hat der Gesetzgeber die Scheidungsrechtsrevision zum
Anlass genommen, in Art. 148 und 149 ZGB die unterschiedlichen kantonalen
zivilprozessrechtlichen Regelungen hinsichtlich des Eintritts der formellen
Rechtskraft im Scheidungspunkt in gewissem Rahmen zu vereinheitlichen (vgl.
erwähnte Botschaft über die Änderung des ZGB vom 15. November 1995, BBl 1996
I 149; Votum Anita Thanei, Amtl. Bull. NR 1997 2724; Votum Bundesrat Koller,
Amtl. Bull. NR 1997 2725). Massgebend kann daher auch im Rahmen von Art. 122
ZGB und Art. 22 FZG für das Ende der Ehe einzig der Eintritt der formellen
Rechtskraft des Scheidungsurteils im Scheidungspunkt sein. Es ist allerdings
nicht ausgeschlossen, dass die Parteien in einer Konvention oder einer
Prozessvereinbarung einen früheren Zeitpunkt als die Rechtskraft des
Scheidungsurteils für massgebend erklären, um eine Berechnung im
Scheidungsverfahren zu ermöglichen (SVR 2005 BVG Nr. 1 S. 2 Erw. 3.2.2 am
Ende; erwähntes Urteil des Bundesgerichts vom 6. September 2001
[5C.129/2001] mit Hinweis auf GEISER, a.a.O., Rz 2.35 S. 71 und WALSER,
Berufliche Vorsorge, in: Das neue Scheidungsrecht, Zürich 1999, S. 57).

  2.4  Da aufgrund der Akten unbestrittenermassen erstellt ist, dass das vom
Superior Court of the District of A. am 1. Oktober 2002 erlassene
Scheidungsurteil mit unbenütztem Ablauf der Appellationsfrist von 30 Tagen
per 31. Oktober 2002 am 1. November 2002 in Rechtskraft erwachsen ist, hat
das kantonale Gericht zu Recht für die Teilung auf die per 31. Oktober 2002
durch die PUBLICA berechnete Austrittsleistung abgestellt. Soweit der
Beschwerdeführer die Abrechnung der PUBLICA vom 9. Dezember 2004 für
unvollständig hält, weil sie für den Zeitpunkt der Eheschliessung am 11.
April 1972 in Ziff. 3.2 keine Angaben enthalte, kann auf

die Vernehmlassung der PUBLICA im Fall B 16/05 vom 1. April 2005 verwiesen
werden, woraus sich ergibt, dass der Beschwerdeführer beim Eintritt in den
Bundesdienst und damit in die bundeseigene Pensionskasse bereits verheiratet
war und keine Eintrittsleistung mitgebracht hatte.

Erwägung 3

  3.  Soweit die beiden Beschwerdeführenden die fehlende Verzugszinspflicht
rügen, erweist sich ihr Standpunkt als unbegründet. Das kantonale Gericht
hat sich an die Rechtsprechung gemäss BGE 129 V 251 gehalten, die zu keiner
Änderung Anlass gibt, zumal der Gesetzgeber mit dem auf den 1. Januar 2005
in Kraft getretenen Art. 2 Abs. 4 FZG eine ähnliche Lösung getroffen hat.
Nach dieser Bestimmung beginnt die Verzugszinspflicht 30 Tage, nachdem die
Vorsorgeeinrichtung die notwendigen Angaben für die Überweisung der fälligen
Austrittsleistung erhalten hat.