Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 V 121



Urteilskopf

132 V 121

  14. Auszug aus dem Urteil i.S. F. gegen Ausgleichskasse des Kantons St.
Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
  P 8/05 vom 14. Februar 2006

Regeste

  Art. 13 ELKV: Kosten für Haushalthilfe.

  Leistungen privater anerkannter Spitex-Organisationen für Haushalthilfe
sind nach Art. 13 Abs. 4 ELKV zu entschädigen. Soweit Rz 5063.3 der
Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung über die
Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL) für Spitex-Organisationen generell
eine Begrenzung auf Fr. 25.- vorsieht, ist sie verordnungswidrig. (Erw. 4.4)

Sachverhalt ab Seite 121

  A.- Die 1955 geborene F. ist Bezügerin von Ergänzungsleistungen. Sie
reichte am 22. März 2004 der AHV-Zweigstelle X. eine Rechnung der Y.,
Private Hauspflege und Betreuung, Krankenpflege, vom 4. Februar 2004 im
Betrag von Fr. 720.- ein, entsprechend

24 Stunden Haushalthilfe zu je Fr. 30.- im Monat Januar 2004. Gleichzeitig
gab sie an, aus der Zusatzversicherung "Ambulant" der Krankenkasse Visana
für die Haushalthilfe im selben Zeitraum Fr. 400.- erhalten zu haben. Für
die restlichen Fr. 320.- beantragte sie sinngemäss Ergänzungsleistungen
unter dem Titel Krankheits- und Behinderungskosten.

  Mit Verfügung vom 6. April 2004 vergütete die Sozialversicherungsanstalt
des Kantons St. Gallen F. Kosten für die Hilfe im Haushalt in der Höhe von
Fr. 200.-. Dabei ging sie von ausgewiesenen Krankheitskosten von Fr. 600.-
(24 Stunden zu je Fr. 25.-) abzüglich Anteil der Krankenkasse von Fr. 400.-
aus. Auf Einsprache der Versicherten hin hielt sie mit Einspracheentscheid
vom 12. August 2004 an ihrem Standpunkt fest.

  B.- Beschwerdeweise liess F. beantragen, es seien ihr die ungedeckten
Kosten von Fr. 320.- (24 Stunden Haushalthilfe zu je Fr. 13.35)
auszurichten. (...) Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die
Beschwerde bezüglich der geltend gemachten Krankheits- und
Behinderungskosten ab; (...)

  C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt F. das Rechtsbegehren stellen,
es sei ihr unter dem Titel Krankheits- und Behinderungskosten pro Stunde
geleisteter Haushalthilfe ein Betrag von Fr. 13.35 zu vergüten.

  Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen schliesst auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Am 11. August 2005 hat das
Gericht beim Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) eine Stellungnahme
eingeholt. Dieses liess sich am 20. September 2005 vernehmen, verzichtete
jedoch darauf, einen Antrag zu stellen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.

  1.1  (...)
  1.2  Gemäss Art. 3d Abs. 1 lit. b ELG (in der ab 1. Januar 1998 in Kraft
stehenden Fassung) werden Bezügern einer jährlichen Ergänzungsleistung
ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Kosten für Hilfe, Pflege und
Betreuung zu Hause sowie in Tagesstrukturen vergütet. Der Bundesrat hat die
ihm in Art. 3d Abs. 4 ELG eingeräumte Kompetenz zur Bezeichnung der Kosten,
die nach Art. 3d Abs. 1 ELG vergütet werden können, an das Eidgenössische
Departement des Innern delegiert (Art. 19 ELV, in der seit 1.

Januar 1998 gültigen Fassung). Nach Art. 3 Abs. 1 ELKV (in der seit 1.
Januar 2004 geltenden Fassung der Abänderungsverordnung vom 17. November
2003) besteht ein Anspruch auf Vergütung der Kosten nach Art. 3d ELG nur,
soweit nicht andere Versicherungen für die Kosten aufkommen. Der Bezug einer
Hilflosenentschädigung der AHV, der IV, der Unfall- oder der
Militärversicherung gilt nicht als Kostenvergütung einer anderen
Versicherung.
  Art. 13 ELKV bestimmt in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung unter
der Sachüberschrift "Kosten für Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause"
Folgendes:

   "1 Kosten für Hilfe, Pflege und Betreuung, die infolge Alter,
    Invalidität, Unfall oder Krankheit notwendig ist und von öffentlichen
    oder gemeinnützigen Trägern erbracht wird, werden vergütet.

    2 Bei einem nach den Einkommens- oder Vermögensverhältnissen abgestuften
    Tarif wird nur der tiefste Tarif angerechnet.

    3 Pflege- und Betreuungskosten, die in einem öffentlichen oder
    gemeinnützigen Tagesheim, Tagesspital oder Ambulatorium entstanden sind,
    werden ebenfalls vergütet.

    4 Kosten für Leistungen privater Träger werden vergütet, soweit sie den
    Kosten öffentlicher oder gemeinnütziger Träger entsprechen.

    5 ... (aufgehoben mit Änderung vom 17. November 2003).

    6 Ausgewiesene Kosten für die notwendige Hilfe und Betreuung im Haushalt
    werden bis höchstens 4800 Franken pro Kalenderjahr vergütet, wenn die
    Hilfe von einer Person erbracht wird, welche:

         a. nicht im gleichen Haushalt lebt; oder

         b. nicht über eine anerkannte Spitex-Organisation eingesetzt wird.

    7 Bei einer Vergütung nach Absatz 6 werden Kosten bis 25 Franken pro
    Stunde berücksichtigt."

  Nach Rz 5063.3 der vom BSV herausgegebenen Wegleitung über die
Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL) in der seit 1. Januar 2004
geltenden Fassung können Kosten von Spitex-Organisationen für
hauswirtschaftliche Leistungen (Haushilfe) bis zu 25 Franken pro Stunde
übernommen werden. Eine Vergütung der Kosten für hauswirtschaftliche
Leistungen ist auch möglich, wenn der Spitex-Organisation die Anerkennung
nach Art. 51 KVV fehlt. In diesem Fall können zusammen mit den Kosten nach
Rz 5066.1 pro Kalenderjahr höchstens 4800 Franken vergütet werden. Hat die
Ergänzungsleistungen beziehende Person infolge einer Behinderung Mühe, die
notwendigen Haushaltarbeiten (kochen, putzen, waschen usw.) zu verrichten,
so können gemäss Rz 5066.1 WEL ausgewiesene

Ausgaben für die Hilfe einer Drittperson bis 4800 Franken pro Kalenderjahr
geltend gemacht werden.
  (...)

Erwägung 4

  4.  Streitig ist, ob die von der Zusatzversicherung nach VVG geleisteten
Fr. 400.- für den Monat Januar 2004 von den gesamten in diesem Monat für die
Haushalthilfe entstandenen Kosten von Fr. 720.- abzuziehen sind, wovon die
Versicherte ausgeht, oder von den Kosten, welche in Form von
Ergänzungsleistungen vergütet worden wären, wenn keine Privatversicherung
Leistungen erbracht hätte, mithin von Fr. 600.- (8 x 3 Stunden = 24 Stunden
zu je Fr. 25.- = Fr. 600.-), was Verwaltung und Vorinstanz bejahen. Zu
prüfen ist zunächst im Sinne der Auslegung, unter welchen Absatz von Art. 13
ELKV die Leistungen der Y. zu subsumieren sind.

  4.1  In Art. 13 ELKV geht es aufgrund der Sachüberschrift nicht um die
ambulante Pflege als Gegensatz zur stationären, sondern um die Pflege zu
Hause (AHI 1998 S. 75). Unterschieden wird zwischen Hilfe, Pflege und
Betreuung durch öffentliche, gemeinnützige und private Träger (Abs. 1 bis
Abs. 4) und der Hilfe und Betreuung im Haushalt durch nicht im gleichen
Haushalt lebende (Abs. 6 lit. a) oder nicht über eine anerkannte
Spitex-Organisation eingesetzte Personen (Abs. 6 lit. b). (...)

  4.2  Gemäss Art. 13 Abs. 6 lit. a ELKV besteht eine Ersatzpflicht für
Haushaltarbeiten, wenn die Person, welche die Leistungen erbringt, mit der
versicherten Person nicht im gleichen Haushalt lebt. Darunter fallen
natürliche Personen wie Bekannte, Nachbarn, Freunde und vertraglich
angestellte Hilfskräfte. Art. 13 Abs. 6 lit. b ELKV hat alternativ dazu
Personen zum Gegenstand, welche von Organisationen eingesetzt werden, die
Haushalthilfe anbieten, aber die Voraussetzungen von anerkannten
Spitex-Organisationen nicht erfüllen. Art. 13 ELKV trifft somit eine
Unterscheidung zwischen Personen, die Dienste im Haushalt erbringen, aber
nicht über anerkannte Spitex-Organisationen eingesetzt werden und solchen,
die dies über anerkannte Spitex-Organisationen tun. Organisationen der
Krankenpflege und Hilfe zu Hause werden gemäss Art. 51 KVV anerkannt, wenn
(..., vgl. Art. 51 lit. a bis e KVV). Anerkannte Spitex-Organisationen
müssen somit die Voraussetzungen für die Gewährleistung umfassender
professioneller Hilfe erfüllen.

  4.3  Weiter fällt auf, dass mit Bezug auf die in Art. 13 Abs. 6 ELKV
genannte Personenkategorie die Höhe der zu berücksichtigenden

Vergütung auf Fr. 4800.- im Kalenderjahr und in Abs. 7 auf bis zu Fr. 25.-
pro Stunde festgesetzt wurde. In dieser Hinsicht besteht ein Unterschied zu
Art. 13 Abs. 1 und Abs. 3 ELKV, wonach die tatsächlich entstandenen Kosten
vergütet werden, sofern die betreffende Leistung von öffentlichen oder
gemeinnützigen Trägern erbracht wird. Gleiches gilt gemäss Art. 13 Abs. 4
ELKV für Leistungen privater Träger, soweit sie den Kosten öffentlicher oder
gemeinnütziger Träger entsprechen. (...) Berücksichtigt man zudem, dass Art.
13 Abs. 6 ELKV - im Unterschied zu Art. 13 Abs. 1 bis 4 ELKV - die Hilfe und
Betreuung, nicht aber die Pflege zum Gegenstand hat, ergibt sich, dass es in
Art. 13 Abs. 6 ELKV um nicht professionell angebotene Hilfe geht, für welche
die Verordnung einen Höchstbetrag festsetzt, und in den Abs. 1 bis 4 um
Dienste professioneller Träger. Die Unterscheidung zwischen professionellen
und anderen Leistungserbringern mit Bezug auf die Vergütungsregelung macht
denn auch durchaus Sinn. Da die in der Verordnungsbestimmung nicht
namentlich erwähnten anerkannten Spitex-Organisationen zu den
professionellen Leistungserbringern zu zählen sind, fallen sie bezüglich der
Kostenregelung unter die Bestimmung von Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit
Abs. 4 ELKV.

  4.4  Verwaltungsweisungen richten sich an die Durchführungsstellen und
sind für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich. Dieses soll sie
bei seiner Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall
angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen
Bestimmungen zulassen. Das Gericht weicht also nicht ohne triftigen Grund
von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung
der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der
Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu
gewährleisten, Rechnung getragen (BGE 131 V 45 Erw. 2.3, 130 V 172 Erw.
4.3.1, 232 Erw. 2.1, 129 V 204 Erw. 3.2, 127 V 61 Erw. 3a, 126 V 68 Erw. 4b,
427 Erw. 5a).

  Auf dem Wege von Verwaltungsweisungen dürfen keine über Gesetz und
Verordnung hinausgehenden Einschränkungen eines materiellen Rechtsanspruchs
eingeführt werden (BGE 118 V 31 Erw. 4b mit Hinweisen).

  Soweit Rz 5063.3 WEL die Kostenübernahme von Spitex-Organisationen für
hauswirtschaftliche Leistungen auf Fr. 25.- pro Stunde begrenzt, stellt sie
keine genügende Grundlage für eine betragsmässige

Einschränkung von Leistungen anerkannter Spitex-Organisationen dar, da sich
eine solche Regelung nach dem Gesagten nicht auf die Verordnung stützen
kann. Aus diesem Grund muss der obigen Weisung die Anwendung mit Bezug auf
anerkannte Träger versagt bleiben.

Erwägung 5

  5.  Bei der Y. handelt es sich unbestrittenermassen um eine anerkannte
Spitex-Organisation, was sich insbesondere auch aus dem Regierungsbeschluss
zum Tarifvertrag zwischen dieser Organisation und santésuisse über die
Spitex-Pflichtleistungen nach KVG vom 28. September 2004 ergibt, mit welchem
der Tarifvertrag rückwirkend auf den 1. Januar 2004 genehmigt wurde. Es
bleibt daher zu prüfen, ob die von der Y. verrechneten Fr. 30.- pro Stunde
den Kosten für entsprechende Leistungen öffentlicher oder gemeinnütziger
Träger entsprechen (Art. 13 Abs. 4 ELKV). Ein Vergleich mit den Tarifen
anderer Träger, welche im Kanton St. Gallen Spitex-Haushalthilfe anbieten,
ergibt folgendes Bild: Die Spitex Zentren St. Gallen verrechnen Fr. 25.- pro
Stunde, wobei die Kosten für hauswirtschaftliche Leistungen bei nicht
AHV-Rentnern nach dem steuerbaren Einkommen festgesetzt werden (abrufbar
unter www.spitex-stgallen.ch). Pro Senectute ist eine gemeinnützige
Trägerschaft, welche sich auf verschiedenen Ebenen im Gebiet der
Altersarbeit engagiert. Die Pro Senectute St. Gallen kennt für nicht als
Pflichtleistungen geltende Hilfeleistungen wie Haushaltversorgung und
Ernährung einen Stundenansatz von Fr. 27.- für die Stadt St. Gallen
(abrufbar unter www.sg.pro-senectute.ch/ st.gallen). Für die Region Rheintal
beträgt der Normaltarif Fr. 28.- pro Stunde (abrufbar unter
www.sg.pro-senectute.ch/rheintal) und für die Region Sargans/Werdenberg Fr.
30.50, wobei dort für Bezüger von Ergänzungsleistungen nur Fr. 27.- in
Rechnung gestellt werden (abrufbar unter www.sg.pro-senectute.ch/buchs). Die
Pro Senectute Regionen Toggenburg und Wil kennt einen Tarif für
Haushaltarbeit werktags von zwischen Fr. 25.- und Fr. 30.- (abrufbar unter
www.sg.pro-senectute.ch/wil). Damit ergibt sich, dass die von der Y.
veranschlagten Fr. 30.- pro Stunde sich zwar im oberen Bereich der Tarife
gemeinnütziger Träger im Kanton St. Gallen bewegen, diese jedoch nicht
überschreiten. Sie sind der Beschwerdeführerin daher gestützt auf Art. 13
Abs. 4 ELKV vollumfänglich zu vergüten. Daraus folgt, dass die Leistungen
der Privatversicherung von den tatsächlich entstandenen Kosten von Fr. 720.-
abzuziehen und der nicht gedeckte Betrag gestützt auf Art.

13 Abs. 4 ELKV durch die Ergänzungsleistungen zu vergüten ist. Somit sind
der Beschwerdeführerin für den Monat Januar 2004 Ergänzungsleistungen von
insgesamt Fr. 320.- zu bezahlen.