Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 I 7



Urteilskopf

132 I 7

  2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A.
und Mitb. gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft sowie
Kantonsgericht Basel-Landschaft (Staatsrechtliche Beschwerde)
  2P.146/2005 vom 17. November 2005

Regeste

  Art. 5, 8 Abs. 1, 9 und 10 Abs. 2 BV; Bewilligungserfordernis für das
Halten von "potenziell gefährlichen Hunden".

  Konkretisierung des für die Bewilligungspflicht massgebenden gesetzlichen
Begriffes der "potenziell gefährlichen Hunde" durch den Verordnungsgeber (E.
2).

  Kein Eingriff in den Schutzbereich der persönlichen Freiheit durch die
blosse Bewilligungspflicht für die Hundehaltung (E. 3).

  Verwendung der Rassenzugehörigkeit von Hunden als Kriterium zur Abgrenzung
der Bewilligungspflicht (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 7

  A.- Mit Verfügungen vom 28. April 2004 hielt der Kantonstierarzt des
Kantons Basel-Landschaft - unter Hinweis auf Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen
amtliche Verfügungen) - eine Reihe von Hundehaltern dazu an, ihm ein Gesuch
für das Halten eines potenziell gefährlichen Hundes einzureichen; dem Gesuch
waren ein Auszug aus dem Schweizerischen Strafregister, ein Nachweis über
eine Haftpflichtversicherung in der Höhe von drei Millionen Franken, ein
ausgefüllter Fragebogen sowie ein Beleg über die entrichtete
Bearbeitungsgebühr von Fr. 250.- beizulegen.

  Gegen die Verfügungen wandten sich 23 betroffene Hundehalter an den
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, der ihre Beschwerden

mit Beschluss vom 13. Juli 2004 abwies. Mit Urteil vom 6. April 2005 wies
auch das Kantonsgericht Basel-Landschaft die von 21 Hundehaltern gegen den
Regierungsratsbeschluss erhobenen Beschwerden ab.

  B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 25./27. Mai 2005 beantragen 15
der betroffenen Hundehalter dem Bundesgericht, das Urteil des
Kantonsgerichts vom 6. April 2005 aufzuheben.

  C.- Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Das kantonale Hundegesetz verpflichtet Hundehalter, ihre Hunde der
Gemeinde zu melden (§ 4). Es unterstellt darüber hinaus das Halten
"potenziell gefährlicher Hunde" einer Bewilligungspflicht (§ 2a Abs. 1,
Ergänzung vom 20. Februar 2003, in Kraft seit 1. Juli 2003). § 3a des
Hundegesetzes legt die Bewilligungsvoraussetzungen fest. Die nähere Ordnung
des Bewilligungsverfahrens überträgt das Hundegesetz dem Regierungsrat, der
auch zu bestimmen hat, welche Hunde als potenziell gefährlich einzustufen
sind (§ 3 Abs. 3). Diesem Auftrag ist der Regierungsrat mit der von ihm am
3. Juni 2003 beschlossenen und am 1. Juli 2003 in Kraft getretenen
Hundeverordnung nachgekommen. Deren § 1 (Marginale "Potenziell gefährliche
Hunde") lautet:

    1 Als potenziell gefährliche Hunde gelten:

      a) Bullterrier;

      b) Staffordshire Bull Terrier;

      c) American Staffordshire Terrier;

      d) American Pit Bull Terrier;

      e) Rottweiler;

      f) Dobermann;

      g) Dogo Argentino;

      h) Fila Brasileiro;

      i) Kreuzungen mit Rassen gemäss den Buchstaben a bis h sowie Hunde, die
         in Bezug auf die äussere Gestalt diesen Rassen und Kreuzungen ähnlich
         sind;

      j) andere Hunde, die aufgrund ihres Verhaltens als potenziell gefährlich
         aufgefallen sind.

    2 Im Zweifelsfall entscheidet die Kantonstierärztin bzw. der
    Kantonstierarzt.

  2.2  Diese Regelung lässt sich unter dem Gesichtswinkel der
verfassungsrechtlichen Delegationsschranken bzw. des sinngemäss angerufenen
Gewaltenteilungsprinzips - entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführer -
nicht beanstanden. Nach § 36 Abs. 1 der Verfassung des Kantons
Basel-Landschaft vom 17. Mai 1984 darf die Befugnis zum "Erlass
grundlegender und wichtiger Bestimmungen" vom Gesetzgeber nicht auf andere
Organe übertragen werden. Eine entsprechende Schranke für die Delegation von
Rechtsetzungsbefugnissen ergibt sich aus dem Bundesrecht (BGE 128 I 113 E.
3c S. 122 mit Hinweisen). Die in Frage stehende Bewilligungspflicht für die
Haltung potenziell gefährlicher Hunde ist in einem formellen Gesetz
vorgesehen, welches zugleich die Bewilligungsvoraussetzungen festlegt. Auch
der Umfang der Bewilligungspflicht - die Haltung "potenziell gefährlicher
Hunde" - ist im Grundsatz auf Gesetzesstufe vorgegeben. Die nähere
Umschreibung dieses Begriffes durfte der Gesetzgeber zulässigerweise dem
nachgeordneten Verordnungsrecht überlassen. Die erforderlichen Abgrenzungen
setzen kynologisches Fachwissen voraus, dessen normative Umsetzung
zweckmässigerweise auf den Verordnungsweg zu verweisen ist. Damit ist auch
die erwünschte Flexibilität zur Anpassung an die im Rahmen des Vollzuges
gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse besser gewährleistet, als wenn das
Gesetz selber - zur genauen Bestimmung des Umfangs der Bewilligungspflicht -
einen entsprechenden Katalog von Rassen oder Eigenschaften aufstellt.

  Es bleibt zu prüfen, ob die mit den angefochtenen Verfügungen zur
Anwendung gebrachte kantonale Regelung inhaltlich vor den von den
Beschwerdeführern angerufenen Grundrechtsgarantien standhält.

Erwägung 3

  3.

  3.1  Die Beschwerdeführer erachten das ihnen auferlegte
Bewilligungserfordernis mit den damit verbundenen Auflagen als Verletzung
ihrer persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV).

  3.2  Ob und wieweit das Verbot, einen Hund zu halten, eine elementare
Möglichkeit menschlicher Entfaltung betrifft, die in den Schutzbereich
dieses Grundrechtes fallen könnte (vgl. dazu Urteil 5C.198/2000 vom 18.
Januar 2001, E. 2c mit Hinweis auf das Urteil P.23/1977 vom 5. Oktober 1977,
publ. in: ZBl 79/1978 S. 34 f.), kann im vorliegenden Fall offen bleiben.
Denn den Beschwerdeführern

wird das Halten von potenziell gefährlichen Hunden durch die beanstandete
Regelung - soweit sie die für die sichere und korrekte Haltung solcher Hunde
erforderlichen persönlichen Voraussetzungen erfüllen und gewisse
selbstverständliche oder relativ leicht erfüllbare Auflagen in Kauf nehmen -
keineswegs verunmöglicht, weshalb von einem Eingriff in den Schutzbereich
der persönlichen Freiheit schon aus diesem Grunde nicht gesprochen werden
kann.

Erwägung 4

  4.

  4.1  Die Beschwerdeführer erblicken in der in § 1 der Hundeverordnung
vorgenommenen Umschreibung der bewilligungspflichtigen Hunde eine Verletzung
des Rechtsgleichheitsgebotes (Art. 8 BV) sowie des Willkürverbotes (Art. 9
BV). Sie sind der Auffassung, es gebe keine vernünftigen Gründe, zwischen
den in der Hundeverordnung aufgeführten acht Hunderassen, die per se als
potenziell gefährlich gälten, und Hunden aller übrigen Rassen, die nur
aufgrund ihres tatsächlichen Verhaltens als potenziell gefährlich eingestuft
werden könnten, einen Unterschied zu machen. Das abstrakte
Gefährdungspotential eines Hundes ergebe sich unabhängig von der Rasse aus
seiner Grösse und seinem Gewicht. Es gebe keine gefährlichen Hunderassen,
sondern nur gefährliche Hundeindividuen. Die vom Bundesamt für
Veterinärwesen eingesetzte Arbeitsgruppe "Gesetzgebung betreffend
gefährliche Hunde" rate dementsprechend davon ab, auf bestimmte Hunderassen
bezogene Restriktionen anzuordnen. Der basel-landschaftliche
Verordnungsgeber habe mit der Hundeverordnung rechtliche Unterscheidungen
zwischen verschiedenen Hunderassen getroffen, die sich sachlich nicht
begründen liessen, indem eine Reihe von weiteren gleichartigen Rassen wie
beispielsweise Cane Corso, Rhodesian Ridgeback, Bordeaux Dogge, Englische
Bulldogge, Deutsche Dogge und Mastino Napoletano nicht auf der Liste
figurierten. Der Kanton Basel-Landschaft könne sich für seine Regelung
sodann auf keine entsprechende Beiss-Statistik stützen. Die willkürliche
Einführung einer Bewilligungspflicht für acht Hunderassen sei nicht
geeignet, die Gefahr, von Hunden gebissen zu werden, abzuwehren. Nach
Erhebungen im Kanton Neuenburg bestehe vor allem bei Berner und Appenzeller
Sennenhunden sowie bei Schäferhunden ein doppelt so grosses Risiko von
Bissverletzungen. Auch andere Erhebungen zeigten, dass Deutsche und
Belgische Schäfer sowie weniger verbreitete Rassen wie etwa Bernhardiner und
Tibet Terrier

signifikant häufiger an Bissverletzungen beteiligt seien. Eine Rassenliste
sei deshalb zur Gefahrenabwehr nicht geeignet und verletze das
Verhältnismässigkeitsprinzip.

  4.2  Die Beschwerdeführer heben an sich zu Recht hervor, dass die
Rassenzugehörigkeit eines Hundes für sich allein noch keinen zuverlässigen
Aufschluss über die Gefährlichkeit des Tieres gibt. Das Wesen eines Hundes
wird, wie die in den Akten befindlichen Äusserungen in der Fachliteratur
belegen, in wesentlichem Ausmass auch durch die Erziehung (Sozialisation)
und durch Umwelteinflüsse geprägt (in diesem Sinn auch Urteil des deutschen
Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2004 zum Bundesgesetz zur Bekämpfung
gefährlicher Hunde, BVerfG 1 BvR 1778/01, E. C.I.1c/bb/4, mit Hinweisen auf
zwei Urteile des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2002).
Zudem kann es innerhalb der gleichen Rasse Zuchtlinien mit erhöhter oder
geringer Aggressivität geben. Es trifft auch zu, dass die vorhandenen
statistischen Unterlagen über die Beisshäufigkeit gewisser Rassen die vom
basel-landschaftlichen Verordnungsgeber getroffene Auswahl
bewilligungspflichtiger Hunde an sich nicht stützen könnten. In einer im
Jahr 2002 erschienenen (Berner) Dissertation (URSULA HORISBERGER,
Medizinisch versorgte Hundebissverletzungen in der Schweiz,
Opfer-Hunde-Unfallsituationen, S. 51) wird festgestellt, dass neben
Rottweilern gewisse andere, nicht auf der vorliegend streitigen Liste
stehende Rassen oder Rassegruppen (Schäferhunde) ebenfalls signifikant
häufiger Bissverletzungen verursachen, als dies ihrem Anteil an der
Hundepopulation entsprechen würde. Auch die statistischen Zahlen des Kantons
Neuenburg für das Jahr 2003 belegen die höhere Beisshäufigkeit anderer
Rassen. Schliesslich weisen die Beschwerdeführer mit Grund darauf hin, dass
gewisse grosse Molosser Hunde (so etwa Cane Corso, Bordeaux Dogge, Mastino
Napoletano), die nach dem Konzept des Verordnungsgebers wohl ebenfalls als
potenziell gefährlich gelten müssten, nicht auf der Liste der
bewilligungspflichtigen Hunde stehen. All dies begründet in der Tat gewisse
Zweifel an der Richtigkeit und Wirksamkeit der getroffenen Regelung. Den
Einwendungen der Beschwerdeführer lässt sich jedoch entgegenhalten, dass die
meisten der in § 1 Abs. 1 der Hundeverordnung aufgezählten Hunderassen in
den vergangenen Jahren durch Beissvorfälle mit schweren Folgen für die
Betroffenen aufgefallen sind, was ein entsprechendes Echo in den Medien
gefunden hat. Auch wenn andere Rassen oder Rassengruppen ebenfalls häufig

oder noch häufiger an Beissunfällen beteiligt sein mögen, sind die Folgen -
wovon der kantonale Verordnungsgeber zumindest ohne Willkür ausgehen durfte
- in der Regel weniger schwer als bei Verletzungen durch die hier ins Auge
gefassten Hunderassen (vgl. auch das erwähnte Urteil des deutschen
Bundesverfassungsgerichts). Zu beachten ist sodann, dass die in § 1 Abs. 1
lit. a-h der Hundeverordnung enthaltene Aufzählung bewilligungspflichtiger
Rassen nicht abschliessend ist. Nach § 1 Abs. 1 lit. i derselben Bestimmung
fallen - nebst den Kreuzungen zwischen den genannten Rassen - auch sonstige
Hunde, welche in Bezug auf die äussere Gestalt diesen Rassen und Kreuzungen
ähnlich sind, unter die Bewilligungspflicht. Gestützt darauf können auch in
der Aufzählung nicht ausdrücklich aufgeführte Hunderassen der
Bewilligungspflicht unterworfen werden, sofern sich dies aufgrund ihrer
äusseren Eigenschaften aufdrängt. Der Einwand der Beschwerdeführer, es
würden innerhalb der Gruppe der Molosser Hunde sachlich nicht begründbare
Unterschiede gemacht, erscheint insoweit nicht stichhaltig. Dass der
Verordnungsgeber für die Bewilligungspflicht überhaupt an die Rasse der
Hunde anknüpft, mag diskutabel sein, entbehrt indessen nicht jeglicher
sachlichen Berechtigung. Es entspricht einer Erfahrungstatsache, dass
gewisse Rassen, worunter auch die in § 1 der Hundeverordnung aufgezählten,
von ihrer genetischen Anlage her (Körpergrösse, Körperbau sowie
ursprüngliche Zuchtziele für bestimmte Einsatzzwecke wie Grosswildjagd,
Bewachung von Herden vor Raubtieren oder Hundekämpfe [vgl. dazu auch Urteil
des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2002, BVerwG
6 CN 3.01, E. I. und II.1.a/bb]) eher zu Aggressivität neigen oder
zu entsprechendem Verhalten abgerichtet werden
können als andere (vgl. dazu auch Urteil des deutschen
Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2004, E. C.I.c/bb/4). Die Rasse ist
damit nicht ein zum vornherein verfehltes und geradezu willkürliches
Abgrenzungskriterium, auch wenn, wie aus den Stellungnahmen der Fachleute
hervorgeht, eine differenziertere Betrachtungsweise dem Problem von
gefährlichen Hunden besser gerecht würde. Bis zu einem gewissen Grad durfte
der Verordnungsgeber für die Bestimmung des Umfangs der Bewilligungspflicht
auch das subjektive Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung mitberücksichtigen.
Nachdem es in jüngster Zeit immer wieder zu schweren Beissunfällen
insbesondere mit Hunden der in § 1 Abs. 1 der Hundeverordnung erwähnten
Rassen gekommen ist, lassen sich sachliche Gründe

dafür anführen, die Haltung von Hunden dieser Rassen zur Gewährleistung
besserer Sicherheit generell einer Bewilligungspflicht zu unterwerfen und im
Übrigen die Bewilligungspflicht auf solche Hunde zu beschränken, welche
aufgrund ihres individuellen Verhaltens als potenziell gefährlich
aufgefallen sind. Die Beschränkung des präventiven Kontrollverfahrens auf
einige bestimmte Hunderassen erscheint unter dem Gesichtswinkel des Gebotes
der rechtsgleichen Behandlung nach dem Gesagten zwar nicht unbedenklich. Die
vom Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft gewählte Lösung lässt sich
als Sofortmassnahme zur Verbesserung des Schutzes des Publikums vor
gefährlichen Hundeattacken aber solange vertreten, als die ihr zugrunde
liegenden Annahmen nach den bisherigen Erfahrungen einigermassen plausibel
erscheinen. Falls die der Hundeverordnung zugrunde liegende
Risikobeurteilung, sei es, was die potenzielle Gefährlichkeit der explizit
erfassten Hunderassen bzw. die Einstufung nicht erfasster anderer Rassen
oder aber die Tauglichkeit des Kriteriums der Rassenzugehörigkeit überhaupt
betrifft, durch neue zuverlässige und aussagekräftige Erhebungen widerlegt
werden sollte, wäre die jetzige Regelung diesen Erkenntnissen anzupassen.