Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 I 270



Urteilskopf

132 I 270

  29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S.
Politische Gemeinde Schiers gegen Alpgenossenschaft Drusa und Mitb. sowie
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Staatsrechtliche Beschwerde)
  1P.349/2006 vom 21. November 2006

Regeste

  Bestimmung der Rechtsnatur von Alpgenossenschaften (Gemeindeautonomie).

  Anwendungsbereich von Art. 59 Abs. 1 und 3 ZGB (E. 4.1). Die gesetzliche
Regelung im Kanton Graubünden sieht für Alpgenossenschaften privat- und
öffentlichrechtliche Rechtsformen vor (E. 4.2). Zuordnung der
Alpgenossenschaften im Anwendungsfall (E. 5); Unhaltbarkeit der Annahme
einer privatrechtlichen Rechtsnatur im Lichte des Bündner Gemeinderechts (E.
5.4) und des kantonalen Einführungsgesetzes zum
ZGB (E. 5.5). Ablehnung einer privaten Rechtsnatur auch bezüglich der
Sennereibetriebe, die zu den Alpgenossenschaften gehören (E. 6.2 und 6.3).

Sachverhalt

  Am 1. Juli 2005 erliess die Gemeindeversammlung der Politischen Gemeinde
Schiers (GR) ein neues Weidgesetz. Damit wurde das entsprechende Gesetz vom
6. März 1986 total revidiert. Nach dem Weidgesetz von 1986 sind die
gemeindeeigenen Alpen Drusa, Garschina, Mutta und Vordertamunt (Schuderser
Älpli) - wie bereits zuvor - je einer Alpgenossenschaft zur Bewirtschaftung
zugewiesen. Diese Genossenschaften mit den entsprechenden Namen Drusa,
Garschina, Mutta und Schuders stammen offenbar aus dem 19. Jahrhundert und
stehen in folgendem, engem Zusammenhang zu den Gemeindeteilen, den so
genannten Fraktionen bzw. Nachbarschaften. Jede Fraktion ist einer
Genossenschaft zugeordnet. Die Mitgliedschaft steht Personen mit
landwirtschaftlichem Domizil in der betreffenden Fraktion offen.

  Das Weidgesetz vom 1. Juli 2005 regelt die Nutzung der Gemeindealpen neu.
Es sieht eine Fusion der vier vorgenannten Genossenschaften zur
öffentlichrechtlichen Weid- und Alpgenossenschaft Schiers vor. Die
Gesetzesrevision bezweckt hauptsächlich, die Alpen neu zuzuteilen. Die vier
Genossenschaften betreiben Milchkuhhaltung bzw. Sennereien. Ansässige
Mutterkuhhalter hatten faktisch,

bis auf wenige Ausnahmen, keine Möglichkeit, ihre Tiere auf den
gemeindeeigenen Alpen zu sömmern, weil die beiden Kuhhaltungsarten offenbar
aus betrieblichen Gründen nicht zusammen passen. In den letzten Jahren ist
in der Gemeinde der Bestand an Milchkühen gesunken, während die Zahl der
Mutterkühe stetig zugenommen hat. Nach dem neuen Weidgesetz soll die Alp
Mutta zur Mutterkuhalp umgewandelt werden; die Milchkühe aus den vier
fusionierten Genossenschaften sollen hingegen auf die übrigen drei Alpen
verteilt werden.

  Die Alpgenossenschaften Drusa, Garschina und Schuders sowie je eines ihrer
Mitglieder persönlich fochten das neue Weidgesetz mit Verfassungsbeschwerden
beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden an. Dieses hiess die
Beschwerden mit Urteil vom 4. April 2006 gut und hob den umstrittenen Erlass
auf. Die von der Gemeinde zwangsweise angeordnete Fusionierung verstosse
gegen die Eigentumsgarantie, weil es sich bei den betroffenen
Alpgenossenschaften um privatrechtliche juristische Personen im Sinne von
Art. 59 Abs. 3 ZGB bzw. Art. 26 ff. des bündnerischen Einführungsgesetzes
vom 12. Juni 1994 zum ZGB (EGzZGB/GR; BR 210.100) handle. Bei diesem
Ergebnis prüfte das Gericht keine weiteren Einwände der Beschwerdeführer
gegen die neue Alporganisation.

  Die Politische Gemeinde Schiers hat mit staatsrechtlicher Beschwerde die
Aufhebung des kantonalen Gerichtsurteils wegen Verletzung der
Gemeindeautonomie verlangt. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Zur Hauptsache geht es um die Zuordnung der fraglichen
Genossenschaften zum privaten oder öffentlichen Recht.

  4.1  Art. 59 Abs. 1 ZGB behält im Rahmen der Regeln über die juristischen
Personen die öffentlichrechtlichen Körperschaften und Anstalten des Bundes
und der Kantone vor. Art. 829 OR wiederholt diesen Vorbehalt für
öffentlichrechtliche Genossenschaften. Nach Art. 59 Abs. 3 ZGB verbleiben
Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften unter den Bestimmungen
des kantonalen Rechts. Diese letztere Bestimmung bezieht sich auf
Korporationen, die mit der land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung von
Grund und Boden zusammenhängen; darunter fallen insbesondere
Alpgenossenschaften (TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, Das Schweizerische

Zivilgesetzbuch, 12. Aufl., Zürich 2002, S. 132 f.; HANS MICHAEL RIEMER, in:
Berner Kommentar, Systematischer Teil [ST] zu Art. 52-59 ZGB, N. 72; CLAIRE
HUGUENIN, in: Basler Kommentar, 3. Aufl., 2006, N. 21 zu Art. 59 ZGB; DENIS
PIOTET, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. I/2 [Ergänzendes kantonales
Recht], Basel 2001, N. 274 ff., 278; ARTHUR MEIER-HAYOZ/PETER FORSTMOSER,
Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 10. Aufl., Bern 2007, § 21 N. 2, 11). Im
Anwendungsbereich von Art. 59 Abs. 3 ZGB können die Kantone regeln, ob sie
derartige Körperschaften dem privaten oder dem öffentlichen Recht
unterstellen (vgl. RIEMER, a.a.O., ST, N. 78; HUGUENIN, a.a.O., N. 23 f. zu
Art. 59 ZGB; PIOTET, a.a.O., N. 287 ff.).

  4.2  Im Kanton Graubünden besteht neben der Rechtsgrundlage von Art. 63
ff. des kantonalen Gemeindegesetzes vom 28. April 1974 (GG/GR; BR 175.050)
für öffentlichrechtliche Körperschaften der Gemeinden eine privatrechtliche
Regelung zu den Allmendgenossenschaften und ähnlichen Körperschaften in Art.
26 ff. EGzZGB/GR. Art. 26 EGzZGB enthält eine nicht abschliessende
Aufzählung derartiger Körperschaften; dabei ist die Alpgenossenschaft
ausdrücklich aufgeführt. Wie der angefochtene Entscheid zu Recht festhält,
kennt der Kanton Graubünden bei Allmendgenossenschaften die öffentlich- wie
die privatrechtliche Rechtsform (vgl. auch PIOTET, a.a.O., N. 302).

  4.3  Die Abgrenzung ist in erster Linie anhand des gesetzten kantonalen
Rechts vorzunehmen, ergänzend aufgrund des kantonalen Gewohnheitsrechts
(vgl. PIOTET, a.a.O., N. 287; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, a.a.O., § 21 N. 16).
Hilfsweise kann schliesslich auf allgemeine Grundsätze zur Unterscheidung
von öffentlichem und privatem Recht zurückgegriffen werden (Subordinations-,
Interessen-, Funktionstheorie); insoweit prüft das Bundesgericht in jedem
Einzelfall, welches Abgrenzungskriterium den konkreten Gegebenheiten am
besten gerecht wird. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der
Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht ganz verschiedene
Funktionen zukommen, je nach den Regelungsbedürfnissen und den Rechtsfolgen,
die im Einzelfall infrage stehen (BGE 128 III 250 E. 2a S. 253; 109 Ib 146
E. 1b S. 149, je mit Hinweisen).

Erwägung 5

  5.  Es fragt sich, ob die Alpgenossenschaften hier auf einer
öffentlichrechtlichen Grundlage beruhen oder ob sie private Vereinigungen
darstellen. Die Beschwerdeführerin leitet die öffentlichrechtliche Natur aus
den Bestimmungen des kommunalen Weidgesetzes

von 1986 ab. Sie erachtet es als willkürlich, dass das Verwaltungsgericht
die Genossenschaften als privat qualifiziert hat, obwohl deren
Selbstbestimmungsrecht in diesem kommunalen Erlass grundlegend beschränkt
werde.

  5.1  Das Weidgesetz von 1986 regelt unter anderem die Nutzung der
Gemeindealpen; diese stehen unbestrittenermassen im Eigentum der Gemeinde.
Die Aufsicht und Leitung des Alpwesens obliegt dem Gemeindevorstand (Art.
1). Für die (Alp-)Weidenutzung haben die Landwirte Abgaben, so genannte
Nutzungstaxen, zu bezahlen (Art. 3). Zu den Alpgenossenschaften wird im
Wesentlichen Folgendes bestimmt: Es wird festgelegt, welche Gemeindealp
welcher Genossenschaft zur Nutzung und Bewirtschaftung zugewiesen ist (Art.
21). Der Gemeindevorstand legt alle fünf Jahre die so genannten
Bestossungszahlen der einzelnen Alpen, d.h. die Höchstzahl der zur Sömmerung
zugelassenen Tiere, fest (Art. 26). Die Sömmerung von Vieh, das nicht aus
der entsprechenden Fraktion stammt, ist nur dann zulässig, wenn aus den
Beständen der Genossenschafter nicht genügend Vieh gealpt wird. Vieh aus
anderen Fraktionen hat dabei den Vorrang vor auswärtigem Vieh (Art. 23 Abs.
3).

  Die Genossenschaften sind verpflichtet, Statuten aufzustellen, die den vom
Gemeindevorstand erlassenen Normalstatuten nicht widersprechen dürfen;
ausserdem bedürfen die Annahme und jede Änderung der Statuten zu ihrer
Gültigkeit der Genehmigung des Gemeindevorstandes (Art. 22). Art. 23
umschreibt, wer Mitglied in einer Genossenschaft werden darf. Alle Personen
mit landwirtschaftlichem Domizil in der jeweiligen Fraktion der Gemeinde
haben einen Anspruch auf die Mitgliedschaft in der entsprechenden
Genossenschaft, sofern sie die in den Statuten festgehaltenen
Voraussetzungen erfüllen (Art. 23 Abs. 2).

  In den aktuellen (genehmigten) Statuten der drei Genossenschaften, die
allesamt aus dem Jahr 1987 stammen, wird für den Erwerb der Mitgliedschaft
übereinstimmend Folgendes verlangt: landwirtschaftliches Domizil in der
jeweils zugeordneten Gemeindefraktion, Entrichtung eines bestimmten
Eintrittsgelds sowie eine schriftliche Beitrittserklärung. Zum Eintrittsgeld
wird in allen Statuten bestimmt, dass es bei einem Austritt nicht
zurückerstattet wird.

  5.2  Das Verwaltungsgericht hat die Einordnung der vorliegenden
Alpgenossenschaften ins Privatrecht damit begründet, sie würden
hauptsächlich private Interessen - d.h. der beteiligten Landwirte

- verfolgen und nur in einem kleinen Umfang auch öffentlichen Zwecken
dienen. Die Anwendbarkeit des kantonalen Gemeindegesetzes auf diese
Korporationen hat das Gericht mit dem Argument abgelehnt, sie seien älter
als dieser Erlass aus dem Jahr 1974. Eine solche Argumentation greift zu
kurz. Das hohe Alter der Alpgenossenschaften schliesst es nicht aus, ihre
heutigen Strukturen den kantonalen privatrechtlichen Bestimmungen
(EGzZGB/GR) bzw. dem Gemeindegesetz zuzuordnen.

  5.3  Die Bestimmungen des Weidgesetzes von 1986 haben in
rechtshistorischer Sicht folgenden Hintergrund.

  5.3.1  Unter den Parteien ist unbestritten, dass die Alpgenossenschaften
zwar seit über einem Jahrhundert bestehen, aber mutmasslich nicht vor 1863
entstanden sind; bis dahin war das Alpwesen Gemeindeangelegenheit (vgl.
MATHIAS THÖNY, Schiers - Geschichte und Kulturgeschichte, 2. Aufl., Schiers
1995, S. 117; dieses Werk vermittelt bei S. 47 f. auch einen Überblick über
die Alpteilungen zwischen Schiers und Grüsch, die erst gegen Ende des 19.
Jahrhunderts abgeschlossen worden sind; vgl. insbesondere zur Teilung der
Alp Tamunt, bei der Vordertamunt an Schiers gelangte, HEINRICH MOOSBERGER,
Die bündnerische Allmende, Diss. Zürich 1891, S. 72 ff.).

  5.3.2  Wird das Gründungsdatum historisch derart eingegrenzt, so ist mit
der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass die Genossenschaften nicht
älter als das altrechtliche bündnerische Civilgesetzbuch sind, das am 1.
September 1862 in Kraft trat (vgl. zum Inkrafttreten dieses Erlasses MARIO
CAVIGELLI, Entstehung und Bedeutung des Bündner Zivilgesetzbuches von 1861,
Diss. Freiburg i.Ü. 1994, S. 87).

  5.3.3  Aus Sicht des öffentlichen Rechts kommt hier dem altrechtlichen
kantonalen Niederlassungsgesetz von 1874 eine wesentliche Bedeutung zu. Es
bestimmte in Art. 12, (Gemeinde-)Bürger und Niedergelassene mit Schweizer
Bürgerrecht müssten grundsätzlich gleichermassen zur Nutzung der
Gemeindeweiden und -alpen zugelassen werden (vgl. dazu ROLF RASCHEIN,
Bündnerisches Gemeinderecht, 1. Aufl., Domat/Ems 1972, S. 119; GÖRI PEDOTTI,
Beiträge zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung der Gemeinde, der
Gemeindeaufgaben und des Gemeindevermögens im Kanton Graubünden, Diss.
Zürich 1936, S. 80 ff). Die Vorschrift ist durch das Gemeindegesetz abgelöst
worden (Art. 102 lit. a GG/GR).

  5.3.4  Die ältesten kommunalen Rechtsquellen zu den Alpkorporationen, die
bei den Akten liegen, stammen aus dem Jahr 1930. Dabei handelt es sich um
die damalige Gemeindeverfassung und eine Vollzugsordnung der Gemeinde. Die
damalige Gemeindeverfassung sah in Art. 27 vor, dass die Gemeindealpen seit
uralten Zeiten den verschiedenen Nachbarschaften zur Nutzniessung überlassen
seien und es vorläufig bei der bisherigen Übung bleibe. Sie bestimmte
weiter, dass Bürger und in der Gemeinde Niedergelassene grundsätzlich in
gleicher Weise, entsprechend dem Wohnsitz in einer Nachbarschaft (heute:
Fraktion), zur Mitgliedschaft in den Alpgenossenschaften berechtigt waren
und Neueintretende lediglich ein von der Gemeinde bestimmtes Eintrittsgeld
zu bezahlen hatten. In der Verfassung war ebenso verankert, dass die
Genossenschaften für die Alpverwaltung Statuten aufzustellen hatten, die der
Genehmigung des Gemeinderates bedurften. Die Regelung der Bestossung wurde
in den Ausführungsbestimmungen den einzelnen Genossenschaften überlassen. Im
Rahmen der späteren Weidordnung von 1954 wurde präzisiert, dass dieser Punkt
Inhalt der Genossenschaftsstatuten bilden müsse; in diesem Rahmen unterlag
er nun der Genehmigung durch die Gemeinde.

  5.3.5  Die Gemeinden sind zur Schaffung öffentlichrechtlicher
Alpkorporationen befugt (vgl. Art. 63 GG/GR und insbesondere die von 1974
bis 2000 geltende Fassung dieser Bestimmung [Art. 63 aGG/GR]). Art. 65
GG/GR sieht in der heutigen Fassung die Aufsicht der Gemeinde über
ausgelagerte Trägerschaften vor; die Fassung von 1974 bis 2000 präzisierte,
zur Aufsicht gehöre, dass der Gemeindevorstand die Statuten dieser
Genossenschaften zu genehmigen habe. Nach Art. 30 GG/GR, der unverändert in
Kraft steht, sind zur Nutzung des so genannten Nutzungsvermögens der
Gemeinde die in der Gemeinde wohnhaften Gemeindebürger und die
niedergelassenen Schweizerbürger in der gleichen Weise berechtigt. Zum
Nutzungsvermögen werden unter anderem die gemeindeeigenen Alpen gerechnet
(ROLF RASCHEIN/ANDRI VITAL, Bündnerisches Gemeinderecht, 2. Aufl., Chur
1991, S. 159). Für die Nutzung von Weiderechten ist die Zahl der Tiere
massgebend, die der Nutzungsberechtigte mit dem auf Gemeindegebiet
geernteten Futter durchgewintert hat (Art. 31 GG/GR). Art. 32 aGG/GR (in der
Fassung von 1974 bis 2000) legte fest, dass der Niederlassung das
landwirtschaftliche Domizil in der betreffenden Gemeinde gleichgestellt sei,
und definierte diesen Begriff (vgl. dazu RASCHEIN/VITAL, a.a.O., S. 165).
Nach

Art. 33 GG/GR hat die Gemeinde für die Gewährung der Nutzungen Nutzungstaxen
oder Pachtzinse zu erheben.

  5.4  Es stellt daher keinen Zufall dar, dass die bei E. 5.1 aufgeführten
Bestimmungen des kommunalen Weidgesetzes von 1986 dem kantonalen
Gemeindegesetz in der damals geltenden Fassung entsprechen. In Art. 3 nimmt
das Weidgesetz von 1986 bezüglich der Nutzungstaxen sogar ausdrücklich Bezug
auf Art. 33 GG/GR. Die Vorgaben des kommunalen Rechts zum Mitgliederkreis
und zum Umfang, in dem die Alpen wirtschaftlich genutzt werden durften,
bezwecken offensichtlich die Umsetzung der übergeordneten kantonalen
Vorschriften. Dies zeigt sich gerade in der Anknüpfung von Art. 23 des
Weidgesetzes von 1986 an das landwirtschaftliche Domizil in der Gemeinde
(Art. 32 aGG/GR, E. 5.3.5). Dieser Begriff war in der kommunalen Verfassung
von 1930 noch nicht verwendet worden; dort war - entsprechend der damaligen
kantonalen Regelung (E. 5.3.3) - nur die Rede von Bürgern und
Niedergelassenen (E. 5.3.4). Das Verwaltungsgericht verkennt, dass der
eigentliche öffentliche Zweck dieser Genossenschaften in der Offenhaltung
der gemeindlichen Alpen für diejenigen Personen liegt, die gemäss
althergebrachter Übung und nach dem späteren kantonalen Recht zur Nutzung
berechtigt sind. Im Vergleich dazu erweist sich der private Nutzen, den die
jeweiligen Mitglieder aus der Genossenschaft ziehen können, lediglich als
Folge dieses öffentlichen Zwecks. Dem öffentlichrechtlichen Charakter der
Genossenschaften tut es keinen Abbruch, dass die Mitgliedschaft heute nicht
automatisch mit der Begründung des landwirtschaftlichen Domizils in der
Gemeinde entsteht; es genügt, dass ein öffentlichrechtlicher Rechtsanspruch
auf den Erwerb der Mitgliedschaft besteht. Ebenso wenig kann es - entgegen
der Auffassung des Verwaltungsgerichts - darauf ankommen, dass bei den
fraglichen Korporationen kein Beitrittszwang der Nutzungsberechtigten
vorgeschrieben ist.

  5.5  Unhaltbar ist es sodann, wenn das Verwaltungsgericht die im
Weidgesetz von 1986 verankerte Pflicht, die Genossenschaftsstatuten von der
Gemeinde genehmigen zu lassen, als mit einer privatrechtlichen Struktur
vereinbar wertet. Nicht nur war dieser Teilgehalt der kommunalen Aufsicht in
Art. 65 aGG/GR verankert (E. 5.3.5). Insofern geht es gleichzeitig um das
richtige Verständnis von Art. 35 EGzZGB/GR. Nach dieser Bestimmung bleiben
für Genossenschaften, die öffentlichen Zwecken dienen, das öffentliche Recht
und die Aufsicht des Staates vorbehalten.

  5.5.1  Das Verwaltungsgericht hat erwogen, Art. 35 EGzZGB/GR beziehe sich
auf kantonalrechtliche private Genossenschaften; dies folge aus der Stellung
dieses Artikels im Abschnitt des EGzZGB/GR über die
Allmendgenossenschaften. Nach Auffassung des Gerichts könne sich eine
Gemeinde die Genehmigung von Statuten einer Allmendgenossenschaft
vorbehalten, ohne dass dies dem privatrechtlichen Charakter der Korporation
abträglich sei. Mit anderen Worten lehnt das kantonale Gericht es ab, Art.
35 EGzZGB/GR als unechten Vorbehalt zugunsten des öffentlichen Rechts
aufzufassen. Dabei stellt sich das Gericht aber in Widerspruch zu einem
älteren eigenen Entscheid; dort hatte es Art. 49 des EGzZGB/GR vom 5. März
1944, die Vorgängerbestimmung von Art. 35 EGzZGB/GR, lediglich als
deklaratorischen Hinweis auf das öffentliche Recht behandelt (Praxis des
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden [PVG] 1973 Nr. 47, E. 2 S. 92).
Weshalb das Gericht eine derartige Meinungsänderung vollzogen hat, ist aus
dem angefochtenen Entscheid nicht ersichtlich.

  5.5.2  Im Kanton Graubünden können sich die juristischen Personen des
kantonalen Privatrechts traditionellerweise frei bilden. Für die Errichtung
genügt der in den Statuten zum Ausdruck kommende Willensentschluss der
beteiligten Gesellschafter (PIOTET, a.a.O., N. 311). Dieses heute in Art. 26
EGzZGB/GR verankerte freiheitliche System geht zurück auf entsprechende
Normen des Civilgesetzbuchs (ALBERT PRITZI, Die privatrechtlichen
Korporationen nach dem Recht des Kantons Graubünden, mit besonderer
Berücksichtigung des Unterengadins, Diss. Zürich 1998, S. 90 f.; vgl. auch
aus rechtshistorischer Sicht CAVIGELLI, a.a.O., S. 109 ff.).

  5.5.3  Im Gegensatz zum System der freien Gesellschaftsbildung steht das
so genannte Konzessionssystem (vgl. dazu aus Sicht des Bundesprivatrechts
BGE 120 II 374 E. 4b S. 381). Bei Letzterem behält der Kanton die
Genehmigung der Statuten privater kantonalrechtlicher Körperschaften durch
eine Behörde vor (dazu RIEMER, a.a.O., N. 10a zu Art. 52 ZGB; PIOTET,
a.a.O., N. 311; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, a.a.O., § 21 N. 19). Diesem Prinzip
ist z.B. der Kanton St. Gallen gefolgt; eine behördliche Genehmigung der
Statuten ist nicht nur für die Errichtung, sondern auch bei
Statutenänderungen und der Körperschaftsauflösung erforderlich (ANDREAS
KLEY-STRULLER, Kantonales Privatrecht, St. Gallen 1992, S. 104 f.).

  5.5.4  Wesensmerkmal privatrechtlicher Körperschaften ist nach dem
bündnerischen Recht ihr Selbstbestimmungsrecht. Ein solches

besteht dagegen bei öffentlichrechtlichen Körperschaften nur im Rahmen des
öffentlichen Rechts. Den Vorschriften des EGzZGB/GR über die
Allmendgenossenschaften ist eine behördliche Statutengenehmigung fremd.
Gemäss Art. 27 EGzZGB/GR wird die Freiheit dieser Gesellschaften, ihre
Rechtsverhältnisse in den Statuten festzulegen, einzig durch diejenigen
Bestimmungen begrenzt, deren Anwendung von Gesetzes wegen vorgeschrieben
ist. Zum Erwerb der Mitgliedschaft bei Allmendgenossenschaften enthalten
Art. 26 ff. EGzZGB/GR keine Bestimmungen (vgl. PRITZI, a.a.O., S. 95, 138
f.). Demgegenüber kommt bei den hier betroffenen Alpgenossenschaften als
Mitglied nur infrage, wer die Voraussetzungen erfüllt, die von der Gemeinde
aufgestellt bzw. mittelbar vom kantonalen öffentlichen Recht vorgegeben
worden sind (vgl. E. 5.4).

  5.5.5  Die Privatautonomie, die in den Art. 26 und 27 EGzZGB/GR verankert
ist, würde im Ergebnis aufgehoben, wenn die vom Verwaltungsgericht
vorgenommene Deutung von Art. 35 EGzZGB/GR zuträfe. Nach der unzutreffenden
Argumentation des Verwaltungsgerichts könnten die Gemeinden, unter
Geltendmachung öffentlicher Interessen, praktisch bei jeder
Allmendgenossenschaft ein Genehmigungsrecht für die Statuten beanspruchen.
Die im angefochtenen Entscheid erfolgte Anerkennung von Art. 35 EGzZGB/GR
als Grundlage für ein derart weitgehendes Eingriffsrecht einer Gemeinde in
die inneren Belange einer privaten Körperschaft erweist sich somit als
systemwidrig zum kantonalrechtlich vorgesehenen Dualismus von privat- und
öffentlichrechtlichen Allmendgenossenschaften. Im Übrigen erscheint Art. 35
EGzZGB/GR auch viel zu wenig bestimmt, um den Gemeinden derart weitreichende
Sonderrechte - auf dem Boden des Privatrechts - zuzuerkennen. Es hält somit
nicht vor dem Willkürverbot stand, Art. 35 EGzZGB/GR anders denn als
unechten Vorbehalt zugunsten des öffentlichen Rechts zu verstehen.

  5.6  Fehl geht das kantonale Gericht schliesslich, wenn es aus einzelnen
Meinungsäusserungen und Verfügungen der Behörden seit dem Erlass des
Weidgesetzes von 1986 den Schluss zieht, die Gemeinde habe den privaten
Charakter der fraglichen Genossenschaften anerkannt. Für eine Privatisierung
hätte es einen Entscheid des Gemeindegesetzgebers erfordert, das Weidgesetz
von 1986 in diese Richtung zu ändern und damit von der althergebrachten
Übung abzuweichen; eine derartige Änderung ist aber weder behauptet noch
ersichtlich.

  5.7  Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die erörterten Vorgaben
des bisher geltenden kommunalen Rechts an die fraglichen Alpkorporationen
eindeutig für deren öffentlichrechtliche Natur sprechen. Die gegenteilige
Auffassung des Verwaltungsgerichts verstösst, wie gezeigt, gegen
unumstrittene Rechtsgrundsätze und erweist sich als willkürlich.

Erwägung 6

  6.  An diesem Ergebnis ändert der Umstand nichts, dass den
beschwerdegegnerischen Alpkorporationen vermögenswerte Rechte zustehen. Art.
52 Abs. 2 i.V.m. Art. 53 ZGB lassen es zu, dass juristische Personen des
öffentlichen Rechts gleich wie privatrechtliche juristische Personen über
ein Vermögen - und damit auch über Immobiliarsachenrechte - verfügen können
(vgl. TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 130; PIERRE
TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI, Allgemeines Verwaltungsrecht, Bern 2005, § 8 Rz.
12; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht,
5. Aufl., Zürich 2006, Rz. 1290). Das Vorhandensein eines eigenen Vermögens
erlaubt an sich keinen direkten Rückschluss auf die Rechtsnatur der
Trägerschaft. Dennoch ist im Folgenden auf die im Streit liegenden
Vermögensrechte einzugehen, weil die Beschwerdegegner daraus zumindest für
einen Teil der Tätigkeit der Genossenschaften eine privatrechtliche Natur
ableiten.

  6.1  Im angefochtenen Entscheid äussert sich das kantonale Gericht
dahingehend, als privatrechtliche Grundlage der Alpgenossenschaften kämen
historische private bzw. ehehafte Weidnutzungsrechte in Betracht. Die
Beschwerdegegner behaupten indessen gar nicht, die Genossenschaften würden
über ehehafte Weidrechte verfügen. Entgegen der Auffassung des kantonalen
Gerichts lassen sich auch die Äusserungen der Beschwerdeführerin im
kantonalen Verfahren nicht als Anerkennung entsprechender historischer
Rechtstitel verstehen. Vielmehr hat die Beschwerdeführerin dort - wie im
vorliegenden Verfahren - den Bestand solcher Privatrechte bestritten. Etwas
Anderes folgt auch nicht daraus, dass die Gemeindeverfassung von 1930 in
Art. 27 den Passus enthält, die Alpen seien seit uralten Zeiten den
verschiedenen Nachbarschaften zur Nutzniessung überlassen worden (zu dieser
Norm bereits E. 5.3.4); dieser Wortlaut spricht im Gegenteil gegen das
Vorhandensein privater Nutzungsrechte. Im vorliegenden Verfahren besteht
kein Anlass zur Annahme privater Weidrechte.

  6.2  Hingegen haben die Beschwerdegegner glaubhaft gemacht, dass die
Politische Gemeinde Schiers den Genossenschaften Drusa

und Schuders anfangs der 1990er Jahre je auf einer Teilfläche der ihnen
zugewiesenen Alp ein selbstständiges und dauerndes Baurecht zur Errichtung
von Alpgebäuden eingeräumt hat. Die Baurechte haben gemäss den bei den Akten
liegenden Verträgen eine Laufzeit von 50 Jahren. Art. 28 des Weidgesetzes
von 1986 sieht vor, dass die Alpgenossenschaften die Alpgebäude im Baurecht
erstellen. Darauf konnte sich der Gemeindevorstand bei Abschluss der
Verträge stützen; die Gültigkeit der Baurechtsverträge ist unbestritten.

  Die Beschwerdeführerin hat dazu im kantonalen Verfahren ausgeführt, zuvor
hätten die Alpgebäude der Gemeinde selbst gehört; die Einräumung von
Baurechten verändere die Rechtsnatur der Genossenschaften nicht.
Demgegenüber behaupten die Beschwerdegegner eine zumindest teilweise private
Rechtsnatur der Alpkorporationen in dem Umfang, als sie in den eigenen
Gebäuden einen selbsttragenden Sennereibetrieb führen. Auch die aufwändigen
Alpsanierungen seien vorwiegend dank Eigenleistungen der Genossenschafter
bzw. Patenschaften Dritter zustande gekommen.

  6.3  PRITZI erwähnt in seiner Dissertation (a.a.O., S. 69) eine
Gemeindealp im Unterengadin; dort wirtschaftet eine privatrechtliche
Alpgenossenschaft gestützt auf ein von der Gemeinde eingeräumtes Baurecht.
Die Beschwerdegegner nennen dieses Beispiel zur Bekräftigung ihrer bei E.
6.2 vorgetragenen These. Sie scheinen dabei zu übersehen, dass nach der
Darstellung des Autors bei jener Alp zwei voneinander rechtlich getrennte
Alpgenossenschaften bestehen; eine öffentlichrechtliche zur Nutzung der
gemeindeeigenen Alpweiden und eine privatrechtliche, der die Gebäude mit dem
Sennereibetrieb gehören (PRITZI, a.a.O., S. 57 f.). Eine solche Zweiteilung
wird im vorliegenden Fall von den Beschwerdegegnern nicht dargetan. Insofern
genügt es nicht, dass die Alpgenossenschaft Drusa neben den Statuten über
ein Alpreglement verfügt. Das Reglement gründet nach seinem Wortlaut auf den
von der Gemeinde genehmigten Statuten und führt diese aus. Den
Sennereibetrieben fehlt hier offensichtlich die rechtliche
Selbstständigkeit. Ihr rechtliches Schicksal folgt deshalb demjenigen der
öffentlichrechtlichen Trägerschaft.