Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 I 201



Urteilskopf

132 I 201

  24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A.
und B. gegen Grosser Rat sowie Regierungsrat des Kantons Aargau
(Staatsrechtliche Beschwerde)
  2P.17/2004 / 2P.325/2003 vom 6. Juni 2006

Regeste

  Art. 9 und 27 BV; Entschädigung des amtlichen Rechtsvertreters;
Praxisänderung.

  Darstellung der aktuellen Rechtslage und Praxis. Der streitige (fixe)
Stundenansatz für amtliche Verteidigungen im Kanton Aargau in der Höhe von
150 Franken ist kostendeckend (E. 7).

  Es lässt sich heute nicht mehr rechtfertigen, den amtlichen
Rechtsvertretern bloss deren eigene Aufwendungen zu ersetzen; die
Entschädigung für Pflichtmandate ist so zu bemessen, dass es den
Rechtsanwälten möglich ist, einen bescheidenen (nicht bloss symbolischen)
Verdienst zu erzielen. Das Bundesgericht geht als Faustregel von einem
Honorar in der Grössenordnung von 180 Franken pro Stunde aus (E. 8).

Sachverhalt

  Im Kanton Aargau bemisst sich das Honorar in Strafsachen nach dem
angemessenen Zeitaufwand, wobei der Stundenansatz des Rechtsanwalts bisher -
je nach Bedeutung und Schwierigkeit des Falls - zwischen 185 und 250 Franken
liegt (§ 9 des Dekrets über die Entschädigung der Anwälte [Anwaltstarif,
AnwT] in der Fassung vom 20. Dezember 2000). Am 26. August 2003 hat der
Grosse Rat des Kantons Aargau eine Dekretsänderung u.a. betreffend die
Entschädigung in Strafsachen beschlossen und § 9 AnwT einen neuen zweiten
Absatz angefügt, der wie folgt lautet: "Der Ansatz für unentgeltliche
Rechtsvertretung beträgt pauschal Fr. 150.- pro Stunde".

  Die Rechtsanwälte A. (Beschwerdeführer 1) und B. (Beschwerdeführer 2)
haben je staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht erhoben und die
Aufhebung des neu beschlossenen § 9 Abs. 2 AnwT beantragt.

  Die II. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die beiden
Verfahren vereinigt, die Beschwerden am 3. März 2006 in öffentlicher
Beratung behandelt und unter Vorbehalt der Zustimmung der übrigen
Abteilungen (vgl. Art. 16 OG) gutgeheissen, soweit es auf sie eingetreten
ist. Diesem Entscheid haben sich in der Folge sämtliche Abteilungen
angeschlossen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.

  3.1  Gemäss dem Wortlaut des streitigen § 9 Abs. 2 AnwT gilt der
reduzierte Pauschalansatz von 150 Franken pro Stunde einzig für die
"unentgeltliche Rechtsvertretung", welche im Rahmen von Strafverfahren

selten vorkommt; die amtliche Verteidigung würde sich unverändert nach der
bisherigen Regelung gemäss § 9 Abs. 1 AnwT richten (vgl. § 10 Abs. 1 AnwT,
wo klar zwischen unentgeltlicher Rechtsvertretung und amtlicher Verteidigung
unterschieden wird). Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau ging jedoch
in seinem Entscheid - in Übereinstimmung mit den Beschwerdeführern - davon
aus, dass § 9 Abs. 2 AnwT gerade die amtliche Verteidigung regle. In diesem
Sinne wird die Vorschrift auch von sämtlichen Verfahrensbeteiligten
(einschliesslich des Regierungsrats und des Grossen Rats) vor Bundesgericht
verstanden. Im Übrigen ergibt sich aus den Protokollen der parlamentarischen
Beratung unmissverständlich, dass es sich bei § 9 Abs. 2 AnwT um eine
rechtstechnisch unrichtig formulierte Bestimmung handelt und der Grosse Rat
den Stundenansatz von 150 Franken in Wirklichkeit (vorab oder
ausschliesslich) für die amtliche Verteidigung in Strafsachen zur Anwendung
bringen wollte. Obschon bei diesen Gegebenheiten die richtige Anwendung
dieser Bestimmung nicht unwesentlich erschwert scheint und insoweit Zweifel
an ihrer (formellen) Verfassungsmässigkeit bestehen, hat das Bundesgericht -
mangels einer rechtsgenüglich formulierten einschlägigen Rüge (Art. 90 Abs.
1 lit. b OG; vgl. BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.) - für das vorliegende Verfahren
von der geschilderten Auslegung von § 9 Abs. 2 AnwT auszugehen.

  3.2  Mithin ergibt sich folgende Regelung für die Entschädigung des
Rechtsvertreters in Strafsachen: Wählt der in einer Strafuntersuchung
Angeschuldigte seinen Verteidiger frei (vgl. § 57 der aargauischen
Strafprozessordnung [StPO]), so können sich Rechtsanwalt und Klient über das
geschuldete Honorar verständigen. Treffen sie keine Honorarvereinbarung,
gilt die (subsidiäre) Regelung von § 9 Abs. 1 AnwT mit einem Stundenansatz
zwischen 185 und 250 Franken. Insbesondere ab einer gewissen Dauer der
Untersuchungshaft sowie bei drohenden schweren Strafen wird dem
Angeschuldigten jedoch vom Untersuchungsrichter oder vom urteilenden Richter
ein amtlicher Verteidiger bestellt (vgl. §§ 58 ff. StPO); dessen
Entschädigung wird durch das Gericht nach dem Anwaltstarif festgesetzt
(wobei sie allerdings vom Angeschuldigten zurückzuerstatten ist, soweit
dieser kostenpflichtig ist und nicht Bedürftigkeit den teilweisen oder
gänzlichen Verzicht auf die Rückforderung rechtfertigt; vgl. § 61 Abs. 3
StPO). Aufgrund des neu in den Tarif eingefügten § 9 Abs. 2 AnwT gilt für
den amtlichen Verteidiger nunmehr zwingend ein Stundenansatz

von 150 Franken, während er bisher mit einem Betrag von zwischen 185 und 250
Franken pro Stunde entschädigt wurde (vgl. § 9 AnwT in der Fassung vom 20.
Dezember 2000).

  3.3  Der angefochtene Anwaltstarif hat im Laufe des bundesgerichtlichen
Verfahrens eine neue Rechtsgrundlage erhalten: Das kantonale Anwaltsgesetz
vom 18. Dezember 1984 (AnwG), welches den Grossen Rat in § 39 Abs. 1 zur
Regelung der Anwaltsentschädigung ermächtigte, wurde per 1. Juli 2005 durch
das kantonale Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der
Anwältinnen und Anwälte (EG BGFA) ersetzt. Unter dem Marginale
"Anwaltstarif" ermächtigt dessen § 5 den grossen Rat zur Regelung der
Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsvertretung (lit. a), für die
amtliche Verteidigung (lit. b), für die staatliche Entschädigung an eine
anwaltlich vertretene Person im Falle des Obsiegens oder der Rückweisung an
die Vorinstanz (lit. c) sowie für die Entschädigung der Gegenpartei für
deren Anwaltskosten (lit. d). Bei einer abstrakten Normenkontrolle kann das
Bundesgericht das nachträgliche Inkrafttreten einer neuen Rechtsgrundlage
des angefochtenen Erlasses berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist die
erwähnte Rechtsänderung jedoch ohne Bedeutung, weil die Zuständigkeit zur
Regelung der Entschädigung des amtlichen Verteidigers und des
unentgeltlichen Rechtsvertreters auch nach dem neuen Recht beim Grossen Rat
liegt.
  (...)

Erwägung 6

  6.

  6.1  In materieller Hinsicht macht der Beschwerdeführer 2 zunächst
insofern eine Verletzung des Willkürverbots geltend (Art. 9 BV; vgl. BGE 127
I 60 E. 5a S. 70), als sich das Honorar des unentgeltlichen Rechtsvertreters
in Zivilverfahren nach den ordentlichen Bestimmungen des Anwaltstarifs
bemesse (vgl. § 10 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 3-8 AnwT), während die
Bemühungen des amtlichen Verteidigers aufgrund der Dekretsänderung in
Anwendung eines (reduzierten) Pauschalansatzes von 150 Franken entschädigt
würden. Die Rüge ist, soweit sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen
genügt, nicht stichhaltig: Der Beschwerdeführer 2 verkennt insbesondere,
dass die kantonalen Anwaltstarife regelmässig zwischen dem Honorar für
zivil- und jenem für strafrechtliche Verfahren unterscheiden, wobei für die
Bemessung üblicherweise völlig andere Regeln gelten. Wieso eine
entsprechende Differenzierung gerade im Bereich der amtlichen Mandate
unhaltbar sein sollte, tut

er nicht dar.

  6.2  Geradezu abwegig ist ferner die Rüge, in der geringen (angeblich
nicht kostendeckenden) Entschädigung für amtliche Mandate als
Pflichtverteidiger sei eine steuerähnliche Abgabe zu erblicken, der es an
einer ausreichenden Grundlage in einem formellen Gesetz (vgl. Art. 127 Abs.
1 BV) fehle.

Erwägung 7

  7.  Zu prüfen bleibt die Vereinbarkeit der angefochtenen Dekretsänderung
mit dem Willkürverbot und der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV).

  7.1  Da der amtlich bestellte Anwalt Anspruch auf Entschädigung hat (vgl.
E. 7.3), kann er sich gegenüber einem Erlass, welcher - wie der hier
streitige § 9 Abs. 2 AnwT - sein Honorar regelt, auf das Willkürverbot
berufen. Er steht zudem, vorbehältlich gewisser sachbedingter
Einschränkungen, im Genuss der Wirtschaftsfreiheit (anstelle vieler vgl. BGE
130 II 87 E. 3 S. 92). Dieses Grundrecht wird im vorliegenden Zusammenhang
insoweit tangiert, als der Rechtsanwalt verpflichtet ist, amtliche Mandate
gegen eine staatlich festgesetzte Entschädigung zu übernehmen (vgl. FELIX
WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Diss. Bern 1986, S. 49). Nicht in
den Geltungsbereich von Art. 27 BV fällt indessen die eigentliche Tätigkeit
als amtlicher Verteidiger, weil es sich dabei um eine - durch kantonales
öffentliches Recht geregelte - staatliche Aufgabe des betroffenen
Rechtsanwalts handelt (vgl. BGE 113 Ia 69 E. 6 S. 71).

  Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit im vorliegenden
Zusammenhang auch die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) angerufen wird: Die von
den Beschwerdeführern befürchtete Verringerung des Vermögens durch nicht
kostendeckende Honorare fällt nicht in den Geltungsbereich der
Eigentumsgarantie; diese schützt zwar die einzelnen Eigentumsbefugnisse,
nicht aber das Vermögen an und für sich (vgl. BGE 127 I 60 E. 3b S. 68 mit
Hinweisen).

  7.2  Aufgrund der einschlägigen kantonalen Gesetzgebungen waren die
zugelassenen Rechtsanwälte schon bis anhin regelmässig gehalten, amtliche
Pflichtverteidigungen sowie Vertretungen im Rahmen der unentgeltlichen
Rechtspflege zu übernehmen (vgl. BGE 95 I 409 E. 5 S. 411; für den Kanton
Aargau vgl. § 19 AnwG, in Kraft bis zum 31. Juni 2005). Heute unterliegen
die Rechtsanwälte gemäss Art. 12 lit. g des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000
über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR
935.61) in der ganzen Schweiz einer entsprechenden Verpflichtung,

allerdings nur für Verfahren in jenem Kanton, in dessen Register sie
eingetragen sind. Der Bundesgesetzgeber hat sich auf die Statuierung dieses
Grundsatzes beschränkt, weshalb die nähere Regelung der Pflichtmandate -
einschliesslich der Frage nach deren Entschädigung (vgl. E. 7.3) -
unverändert Sache der Kantone bleibt (vgl. WALTER FELLMAN, in:
Fellmann/Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich/Basel/Genf
2005, N. 143 zu Art. 12 BGFA).

  7.3  Anfänglich haben die Kantone die Rechtsanwälte für derartige amtliche
Mandate häufig gar nicht oder bloss symbolisch entschädigt (sog. "nobile
officium" zugunsten der Mittellosen; zur Rechtslage Anfang des letzten
Jahrhunderts vgl. E. ZÜRCHER, Schweizerisches Anwaltsrecht, Zürich 1920, S.
180 f.). In der Folge hat sich aber rasch die Auffassung durchgesetzt, dass
der amtlich eingesetzte Rechtsvertreter immerhin Anspruch auf ein
"angemessenes" Honorar hat (vgl. BGE 109 Ia 107 E. 3c S. 111), welches
mindestens seine Selbstkosten decken muss (BGE 122 I 1 E. 3a S. 2).

  7.3.1  Wie der Kanton Aargau haben die meisten Kantone besondere Regeln
über die Entschädigung der Rechtsanwälte für amtliche Mandate erlassen,
wobei die vorgesehenen staatlichen Honorare regelmässig (deutlich) unter den
Ansätzen liegen, die bei einer privaten Mandatierung - von Gesetzes wegen
oder aufgrund privatrechtlicher Abrede - zur Anwendung kämen. Obschon diese
Praxis in der Literatur auf nahezu einhellige Kritik gestossen ist (vgl.
etwa WOLFFERS, a.a.O., S. 164 f.; FELLMAN, a.a.O., N. 143 zu Art. 12 BGFA;
WOLFGANG SALZMANN, Das besondere Rechtsverhältnis zwischen Anwalt und
Rechtsstaat, Diss. Freiburg 1976, S. 305 f.; URSULA KOHLBACHER, Verteidigung
und Verteidigungsrechte unter dem Aspekt der "Waffengleichheit", Diss.
Zürich 1978, S. 74; MARC ANDRÉ JACOT, Die Kosten der Rechtsverfolgung als
Schranke für den Rechtsuchenden, Diss. Zürich 1978, S. 68), richtet die
grosse Mehrheit der Kantone auch heute noch reduzierte Honorare an die
amtlich eingesetzten Rechtsvertreter aus: In den Kantonen Bern (vgl. Art. 17
Abs. 1 des Dekrets vom 6. November 1973 über die Anwaltsgebühren in der
Fassung vom 9. November 1992) und Jura (vgl. Art. 9 Abs. 1 de l'ordonnance
du 19 avril 2005 fixant le tarif des honoraires d'avocat) bezieht der
amtlich bestellte Anwalt lediglich zwei Drittel der tarifmässigen
Entschädigung, während dem unentgeltlichen Rechtsbeistand bzw. amtlichen
Verteidiger im Kanton Wallis gar nur 60 Prozent des ordentlichen Honorars
bezahlt werden (vgl. Art. 29 des Gesetzes vom 14. Mai 1998 betreffend den
Tarif der Kosten und

Entschädigungen vor Gerichts- oder Verwaltungsbehörden). 70 Prozent sind es
im Kanton Tessin (vgl. Art. 6 Abs. 2 della legge sul patrocinio d'ufficio e
sull'assistenza giudiziaria del 3 giugno 2002), 75 Prozent in den Kantonen
Graubünden (vgl. § 9 Abs. 1 der Verordnung vom 16. Dezember 1974 über
Gebühren und Entschädigung der im Strafverfahren mitwirkenden Personen sowie
das Rechnungswesen in Verbindung mit Art. 7 der Honoraransätze des
Bündnerischen Anwaltsverbands [in der Fassung vom 24. November 2003;
www.grav.ch/pdf/honorar.pdf]) und Uri (vgl. Art. 26 Abs. 1 der Verordnung
vom 16. Dezember 1987 über die Gebühren und Entschädigungen vor
Gerichtsbehörden), je 80 Prozent in den Kantonen Thurgau (vgl. § 13 der
Verordnung des Obergerichts über den Anwaltstarif für Zivil- und Strafsachen
vom 9. Juli 1991), Schwyz (vgl. § 5 des Gebührentarifs für Rechtsanwälte vom
27. Januar 1975), St. Gallen (vgl. Art. 31 Abs. 3 des Anwaltsgesetzes vom
11. November 1993, Fassung vom 18. Juni 1998) und Appenzell-Innerrhoden
(vgl. Art. 21 der Verordnung vom 7. Oktober 2002 über die Honorare der
Anwälte). Immerhin 85 Prozent des ordentlichen Honorars erhalten die
amtlichen Rechtsvertreter in den Kantonen Luzern (vgl. § 71 Abs. 2 der
Verordnung des Obergerichts vom 6. November 2003 über die Kosten in Zivil-
und Strafverfahren sowie in weiteren Verfahren) und Nidwalden (vgl. § 52 der
Verordnung vom 8. Januar 1977 über die Kosten im Verfahren vor den
Gerichten, Fassung vom 11. Januar 1989). Auch in den Kantonen Waadt (vgl.
Art. 27 ff. du tarif des frais judiciaires pénaux du 7 octobre 2003) und
Genf (vgl. Art. 19 du règlement du 18 mars 1996 sur l'assistance juridique,
état au 5 février 2003) wird die Entschädigung der amtlichen Verteidiger
herabgesetzt: Für diese finden gesonderte Tarife Anwendung, welche
wesentlich tiefere Ansätze vorsehen als sie für die gewillkürten Vertreter
gelten bzw. üblich sind.

  7.3.2  Etliche Kantone kennen für die Pflichtverteidiger - der hier
streitigen Regelung entsprechend - einen (reduzierten) fixen Stundenansatz,
zu welchem (in aller Regel gestützt auf eine dahingehende ausdrückliche
Bestimmung) die Mehrwertsteuer zu addieren ist (vgl. BGE 122 I 1 E. 3c S.
4): In Glarus (vgl. Art. 6 des Tarifs für die Entschädigung der öffentlichen
Verteidigung und der unentgeltlichen Rechtsvertretung vom 12. März 2004), in
Appenzell-Ausserrhoden (vgl. Art. 24 Abs. 1 der Verordnung vom 14. März 1995
über den Anwaltstarif) und in Freiburg (vgl. Art. 24 Abs. 1 des Gesetzes

vom 4. Oktober 1999 über die unentgeltliche Rechtspflege in Verbindung mit
Art. 2 Abs. 2 des Tarifs vom 14. Juni 2000 über die Entschädigungen der
Rechtsbeistände bei der unentgeltlichen Rechtspflege in Zivil- und
Strafsachen und bei der Hilfe an Opfer von Straftaten) gilt für die amtliche
Verteidigung ein Ansatz von 150 Franken, in Schaffhausen ein solcher von 160
Franken pro Stunde (vgl. § 3 der Verordnung des Obergerichts über die
Bemessung des Honorars der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom 16.
August 2002, Fassung vom 13. Juni 2003), während in Solothurn 170 Franken
pro Stunde bezahlt werden (vgl. § 12 Abs. 3 der Strafprozessordnung in
Verbindung mit dem Beschluss des Solothurner Obergerichts vom 23. Mai 2001
und dessen Kreisschreiben vom 14. Januar 1991). In den Kantonen
Basel-Landschaft (vgl. § 21 des Gesetzes vom 3. Juni 1999 betreffend die
Strafprozessordnung in Verbindung mit § 3 Abs. 2 der Tarifordnung vom 17.
November 2003 für die Anwältinnen und Anwälte) und Basel-Stadt (vgl. § 17
der Strafprozessordnung vom 8. Januar 1997 in Verbindung mit dem Beschluss
des Appellationsgerichts Basel-Stadt vom 24. September 2002 [BJM 2002 S.
344]) erhält der amtliche Verteidiger 180 und im Kanton Zürich 200 Franken
pro Stunde (vgl. § 15 der Verordnung vom 10. Juni 1987 über die
Anwaltsgebühren in Verbindung mit dem Schreiben der Verwaltungskommission
des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. März 2002 [vgl. die Richtlinien
über die Entschädigung für amtliche Mandate des Zürcher Bezirksgerichts;
www. bezirksgericht-zh.ch/zrp/zuerich.nsf/wViewContent/F5EFEBC0CC5
4993EC1256C8E005C4495/$File/M_Entschaedigung.pdf]). Lediglich mit 135
Franken pro Stunde entschädigt wird der amtliche Verteidiger im Kanton
Neuenburg, wobei einem Rechtsanwalt im Anstellungsverhältnis gar bloss 100
Franken bezahlt werden (vgl. Art. 9 du règlement d'exécution de la loi sur
l'assistance judiciaire et administrative du 1er décembre 1999).

  7.3.3  Grundsätzlich nach dem gleichen Tarif wie ein gewillkürter
Vertreter entschädigt werden amtliche Verteidiger nur gerade in den Kantonen
Zug (vgl. § 16 in Verbindung mit §§ 15 und 14 der Verordnung des
Obergerichts über den Anwaltstarif vom 3. Dezember 1996) und Obwalden (vgl.
Art. 43 der Gebührenordnung für die Rechtspflege vom 28. September 1973),
wobei die staatlichen Entschädigungen erfahrungsgemäss auch hier geringer
ausfallen dürften als das Honorar eines privat bezahlten Verteidigers.

  7.3.4  Das Bundesgericht hat es in ständiger Rechtsprechung als zulässig
erachtet, dass das Honorar für amtliche Mandate im Vergleich zu demjenigen
für freie Mandate herabgesetzt wird (vgl. BGE 122 I 1 E. 3a S. 3; 118 Ia 133
E. 2b S. 134; 117 Ia 22 E. 3a S. 23; 109 Ia 107 E. 3c S. 111). Art. 9 des
von ihm am 9. November 1978 erlassenen Tarifs über die Entschädigungen an
die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Bundesgericht (SR 173.119.1) sieht
seinerseits die Möglichkeit der Herabsetzung der Entschädigung von amtlich
bestellten Rechtsvertretern vor, und zwar bis auf zwei Drittel des
ordentlichen tariflichen Anspruchs. Allein der Umstand, dass gemäss § 9 Abs.
2 AnwT für Pflichtverteidigungen ein reduzierter Stundenansatz zur Anwendung
gelangt, lässt die streitige Dekretsänderung mithin nicht als
verfassungswidrig erscheinen. Dies umso weniger, als sich die Kürzung im
Rahmen dessen bewegt, was sowohl vor Bundesgericht als auch im Grossteil der
anderen Schweizer Kantone gilt: Der reduzierte Ansatz von 150 Franken pro
Stunde macht 69 Prozent des mittleren ordentlichen Tarifs von 217.50 Franken
(vgl. § 9 Abs. 1 AnwT) aus; von dessen Minimum (185 Franken) beträgt er 81
Prozent und von dessen Maximum (250 Franken) immerhin 60 Prozent.

  7.4  Es bleibt zu prüfen, ob der hier angefochtene Stundenansatz von 150
Franken aus andern Gründen verfassungswidrig ist:
  7.4.1  Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst es
nicht gegen die Bundesverfassung, wenn der Rechtsanwalt aufgrund des
reduzierten Honorars mit amtlichen Mandaten keinen oder nur einen geringen
Gewinn erzielen kann. Eine Verletzung des Willkürverbots - und mittelbar
auch der Wirtschaftsfreiheit - liegt erst dann vor, wenn die gewährte
Entschädigung die Selbstkosten nicht zu decken vermag. Allerdings fehlt es
regelmässig an verlässlichen Angaben darüber, wie viel die allgemeinen
Aufwendungen pro verrechenbare Stunde letztlich ausmachen: Die Tätigkeit
eines Rechtsanwalts bedingt einen Bürobetrieb, der bereits als solcher mit
erheblichen Unkosten für Miete, Einrichtung und Personal verbunden ist.
Hinzu kommen die Aufwendungen für die Altersvorsorge und die
Sozialversicherungen sowie Verdienstausfälle wegen Krankheit, Ferien,
Fortbildung oder Zahlungsunfähigkeit von Klienten (vgl. BGE 101 II 109 E. 3b
S. 113 f.). Aufgrund von allgemeinen Erfahrungswerten ist das Bundesgericht
bisher davon ausgegangen, dass die Selbstkosten des Rechtsanwalts in der
Regel zwischen 40 und 50 Prozent von dessen Bruttoeinkommen ausmachen (vgl.
BGE 122 I 1 E. 3a S. 3; Urteil 1P.653/1995, publ. in: SJ 1996 S. 667, E.
3b). Gemessen

am Einkommen, das die Anwälte in Anwendung des (allerdings eher knapp
bemessenen) ordentlichen Tarifs in Strafsachen erzielen könnten, macht die
streitige Reduktion maximal 40 Prozent aus (vgl. E. 7.3.4 i.f.) und
erscheint insoweit nicht unzulässig.

  7.4.2  Das Bundesgericht hat bisher nur dann eingegriffen, wenn das
Honorar des amtlichen Anwalts klar unter dessen Selbstkosten lag, wobei es
jeweilen auch die lokalen Gegebenheiten und insbesondere die örtlichen
Lebenshaltungskosten berücksichtigte: In den Jahren 1983 und 1984
bezeichnete es einen Stundenansatz von 70 bzw. 80 Franken für amtliche
Verteidiger im Kanton Zürich als noch knapp ausreichend (Urteile P.538/1982
vom 21. März 1983 und P.585/1984 vom 11. Oktober 1984). Bereits für das Jahr
1985 erachtete es jedoch - mit Blick auf die hohen Lebenshaltungskosten im
Kanton Genf - eine Entschädigung von 80 Franken pro Stunde als nicht mehr
kostendeckend (Urteil P.225/1985 vom 26. Februar 1986). Anders entschied es
"in Anbetracht der thurgauischen Verhältnisse" bezüglich eines Honorars von
61 Franken pro Stunde für eine 1989 wahrgenommene Pflichtverteidigung;
allerdings sei dieser Betrag an der untersten Grenze dessen, was noch vor
dem Willkürverbot Stand zu halten vermöge (Urteil 1P.650/1990 vom 26.
Februar 1991); bereits zwei Jahre später war der gleiche Betrag wegen der
Teuerung nicht mehr ausreichend (Urteil 1P.158/1992 vom 18. September 1992).
Als geradezu unhaltbar tief bezeichnete das Bundesgericht zur gleichen Zeit
ähnlich bescheidene Entschädigungen von 67 Franken im Kanton Waadt (Urteil
5P.125/1991 vom 20. August 1991) bzw. rund 60 Franken im Kanton Wallis
(Urteil 1P.412/1992 vom 19. November 1992).

  Die Höhe des verfassungsrechtlich garantierten Mindesthonorars nahm
zunächst nur langsam zu: Eine Entschädigung von 100 Franken pro Stunde für
Genfer Pflichtverteidiger betrachtete das Bundesgericht noch 1992 als
verfassungskonform (Urteil 5P.298/1991 vom 20. Januar 1992). Am 31. Januar
1996 kam es dann in drei gleichzeitig gefällten Entscheidungen zum Schluss,
der geltende Tarif des Kantons Genf, welcher Entschädigungen von 120 (bzw.
100) Franken pro Stunde vorsah, sei unhaltbar tief; dabei ging es für in
Genf praktizierende Rechtsanwälte von Selbstkosten im Bereich zwischen 122
und 152 Franken pro Stunde aus (Urteile 1P.655/1995, 1P.653/1995 [publ. in:
SJ 1996 S. 667] und BGE 122 I 1). Für amtliche Mandate des Kantons Wallis
erachtete das Bundesgericht demgegenüber ein Honorar im Bereich von 92 bis
115 Franken

pro Stunde als noch zulässig (Urteil 1P.369/1996 vom 27. Oktober 1997; vgl.
auch Urteil 1P.417/2000 vom 4. Dezember 2000).

  Als verfassungswidrig kassierte es eine Entschädigung von 100 Franken pro
Stunde, wie sie der Kanton Neuenburg noch vorgesehen hatte (vgl. Urteil
1P.379/1998 vom 11. November 1998), bevor er für amtliche Mandate den neuen
Stundenansatz von 135 Franken einführte (vgl. E. 7.3.2); dieser wurde vom
Bundesgericht alsdann am 1. Dezember 1999 als an der unteren Grenze des
verfassungsmässig Zulässigen bezeichnet (Urteil 1P.28/2000 vom 15. Juni
2000). Geschützt wurden weiter die folgenden Ansätze: 130 Franken im Kanton
Thurgau (Urteil 6P.108/1997 vom 24. Oktober 1997), 150 Franken in den
Kantonen Freiburg (Urteil 1P.64/1998 vom 8. April 1998) und Zürich (Urteil
1P.35/1999 vom 5. März 1999) sowie 160 Franken im Kanton Waadt (Urteil
4P.236/1999 vom 12. November 1999).

  7.4.3  Bei dem im Tarif des Kantons Genf vorgesehenen Ansatz von 120
Franken pro Stunde handelt es sich mithin um das höchste Honorar eines
amtlichen Verteidigers, welches das Bundesgericht je für verfassungswidrig
erklärt hat. Gemäss den Ausführungen in den betreffenden Urteilen lag die
Bandbreite für ein kostendeckendes Honorar 1996 zwischen 122 und 152 Franken
pro Stunde. Anhand des Landesindexes der Konsumentenpreise
(Jahresdurchschnitt 1996 = 103,4 Punkte; Februar 2006 = 111,8 Punkte; Basis
Mai 1993 = 100 Punkte) lässt sich abschätzen, dass diese Ansätze heute etwa
solchen von 132 bis 164 Franken entsprechen würden. Das fragliche Ergebnis
lässt den hier streitigen Pauschalansatz von 150 Franken pro Stunde ohne
weiteres als kostendeckend erscheinen, weil das Kostenniveau im Kanton
Aargau deutlich unter demjenigen in Genf liegen dürfte. Nichts anderes
ergibt sich mit Blick auf den Entscheid 1P.28/2000 vom 15. Juni 2000,
welcher den - mit dem Aargau wohl eher vergleichbaren - Kanton Neuenburg
betraf: Das dort als gerade noch zulässig bezeichnete Honorar von 135
Franken pro Stunde entspricht auf die heutigen Verhältnisse übertragen einem
Stundenansatz von 142 Franken (Jahresdurchschnitt 2000 = 106,4 Punkte).

  7.5  Aus dem Gesagten folgt, dass der streitige Stundenansatz von 150
Franken für Pflichtverteidigungen sich noch im Rahmen dessen hält, was
gemäss der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung verfassungsrechtlich
gefordert werden kann: Er ist weder mit Blick auf die Verhältnisse in den
anderen Kantonen noch aufgrund der

einschlägigen Präjudizien offensichtlich zu niedrig.

  7.5.1  Was die Beschwerdeführer hiergegen vorbringen, vermag nicht zu
überzeugen: Sie behaupten zwar, ein Honorar von 150 Franken pro Stunde decke
ihre Selbstkosten nicht. Sie machen indessen keinerlei Angaben hierzu und
äussern sich insbesondere weder zur Kostenstruktur ihrer Kanzleien noch zu
ihren jährlichen Bruttoeinnahmen. Der Beschwerdeführer 1 verweist in diesem
Zusammenhang einzig auf eine Mitteilung des Präsidenten des Aargauischen
Anwaltsverbandes, in welcher sich dieser zum Ergebnis einer im Herbst 2003
"bei einzelnen Berufskollegen" gemachten Umfrage betreffend Praxisunkosten
äussert. Gemäss dieser soll der allgemeine Aufwand (unter Einbezug der
Sozialversicherungskosten) 170 Franken pro verrechenbare Stunde betragen.
Die fraglichen Ergebnisse sind offensichtlich nicht repräsentativ und
weichen denn auch deutlich von jenen einer landesweiten Umfrage ab, die der
Schweizerische Anwaltsverband (SAV) bei seinen Mitgliedern durchgeführt hat.

  7.5.2  Gemäss dieser letzteren Studie haben selbständigerwerbende
Rechtsanwälte, welche zu weniger als einem Fünftel mit amtlichen Mandaten
ausgelastet sind, im Mittel einen allgemeinen Geschäftsaufwand von 146
Franken pro fakturierbare Arbeitsstunde zu tragen. Für selbständigerwerbende
Rechtsanwälte, die zu mindestens einem Fünftel amtliche Mandate
verrichteten, liegt der entsprechende Wert deutlich tiefer bei 114 Franken.
Diese zweite Gruppe ist aber wesentlich kleiner und macht nur rund einen
Viertel jener Rechtsanwälte aus, die überhaupt amtliche Mandate übernehmen;
zu ihr gehören indessen keineswegs nur Berufsanfänger, weisen die
betreffenden Anwälte doch offenbar im Durchschnitt eine Berufserfahrung von
12 Jahren auf (URS FREY/HEIKO BERGMANN, Bericht: Studie Praxiskosten des
Schweizerischen Anwaltsverbandes, Schweizerisches Institut für Klein- und
Mittelunternehmen der Universität St. Gallen, 31. März 2005, S. 26 f.; vgl.
auch BRUNO PELLEGRINI, Umfrage bei den Schweizer Anwältinnen und Anwälten zu
den Praxiskosten, in: Anwaltsrevue 2005 H. 8 S. 315). Basis dieser
Erhebungen bildete das Jahr 2003, so dass die ermittelten Werte heute
(indexierten) Beträgen von 150 bzw. 117 Franken entsprechen
(Jahresdurchschnitt 2003 = 108,9 Punkte). Wird auf die Resultate dieser
letzteren Studie abgestellt, welche richtigerweise auch die Auslagen für die
berufliche Vorsorge sowie die Beiträge für die Sozialversicherungen
(einschliesslich Krankentaggeldversicherung) berücksichtigt,

so vermag der streitige Stundenansatz von 150 Franken die Selbstkosten der
amtliche Mandate übernehmenden Rechtsanwälte grundsätzlich zu decken.

  7.5.3  Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht ferner, dass der Zürcher
Anwaltsverband in einer vom Beschwerdeführer 2 eingereichten Studie für
seine Mitglieder nur unwesentlich höhere Selbstkosten ermittelt hat als der
Schweizerische Anwaltsverband: Gemäss dieser Erhebung, welche auf Zahlen aus
dem Jahre 1999 beruht, betrugen die Selbstkosten für Rechtsanwälte, die
weniger als zu einem Fünftel mit amtlichen Mandaten ausgelastet sind, im
Mittel 153 Franken pro fakturierbare Arbeitsstunde, während sie für
Rechtsanwälte, die zu mindestens einem Fünftel amtliche Mandate verrichten,
bei 112 Franken lagen. Diese Beträge entsprechen heute Selbstkosten von 163
bzw. 120 Franken (Jahresdurchschnitt 1999 = 104,8 Punkte), was im Ergebnis
mit den für Genf errechneten 164 Franken pro Stunde übereinstimmt (vgl. E.
7.4.3). Weil das Kostenniveau im Kanton Zürich - wie im Kanton Genf (vgl.
Urteil 1P.201/2000 vom 22. Juni 2000, E. 4c) - erfahrungsgemäss deutlich
über dem schweizerischen Durchschnitt liegt, erscheint der streitige
Pauschalansatz von 150 Franken pro Stunde für die Verhältnisse im Aargau als
kostendeckend.

Erwägung 8

  8.  Es stellt sich allerdings die Frage, ob die geltende Rechtsprechung,
gemäss welcher die Rechtsanwälte für amtliche Mandate von Verfassungs wegen
nur Anspruch auf Deckung der Selbstkosten haben, aufrecht erhalten werden
kann.

  8.1  Die bisherige Rechtsprechung ist in der besonderen Stellung der
Berufsgruppe der Rechtsanwälte begründet. Sie geht davon aus, dass diese -
nicht zuletzt dank des vor allem im Zivil- und Strafverfahren geltenden
Anwaltsmonopols - ein gesichertes Auskommen haben. Auch wenn der Staat mit
dem "Monopol" allgemeine Interessen der Rechtspflege verfolgt und nicht dem
Anwaltsstand ein Privileg einräumen will, so darf er doch im Gegenzug für
den so gewährten Konkurrenzschutz von den Rechtsanwälten die Übernahme der
amtlichen Mandate zu einem reduzierten - bzw. nur gerade kostendeckenden -
Honorar verlangen (vgl. E. 7.3.4 und 7.4.1). Nun haben sich aber sowohl die
gesellschaftlichen Verhältnisse und die Auffassung vom Rechtsstaat als auch
der Beruf des Rechtsanwalts als solcher (vgl. hierzu: ANDRÉ THOUVENIN, Das
künftige Berufsbild der Anwälte aus Schweizer Sicht, in: DACH - Europäische

Anwaltsvereinigung [Hrsg.], Das künftige Berufsbild des Anwalts in Europa,
Köln 2000, S. 115 ff.) über die letzten Jahrzehnte hinweg wesentlich
verändert:

  8.2  Einerseits hat das Institut der unentgeltlichen Rechtspflege immer
mehr an Bedeutung gewonnen und nach und nach alle Verfahren, einschliesslich
der nicht gerichtlichen (so zuletzt: BGE 130 I 180 E. 2.2 S. 182), sowie
alle Rechtsgebiete erfasst (vgl. BGE 128 I 225 E. 2.3 S. 227). Als Ausfluss
des allgemeinen Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 Abs. 1 BV) und des Anspruchs
auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) bildet es eine der zentralen
Voraussetzungen dafür, dass in der Schweiz alle Personen Zugang zu den
Gerichten erhalten. Nur dank dem in Art. 29 Abs. 3 BV garantierten Anspruch
auf unentgeltliche Rechtspflege ist sichergestellt, dass auch die
Mittellosen tatsächlich die Möglichkeit haben, ihre Rechte durchzusetzen (so
schon BGE 13 S. 254 f.). Es handelt sich deshalb beim fraglichen Institut um
einen eigentlichen Pfeiler des Rechtsstaates (vgl. etwa: BERNARD CORBOZ, Le
droit constitutionnel à l'assistance judiciaire, in: SJ 2003 II S. 67); dies
gilt gerade mit Bezug auf das Strafverfahren und die (gegebenenfalls
unentgeltliche) amtliche Verteidigung, drohen doch dem Angeschuldigten hier
regelmässig empfindliche Eingriffe in seine Rechtsgüter.

  8.3  Andererseits sind die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen
Rahmenbedingungen für die Ausübung des Anwaltsberufs heute wesentlich andere
als zur Zeit, in welcher die fragliche Praxis zur Entschädigung amtlicher
Mandate begründet wurde. Zunächst hat die forensische Anwaltstätigkeit
wirtschaftlich wesentlich an Bedeutung verloren. Lukrativ ist heute mehr und
mehr die Beratung (vorab im Finanz-, Steuer- und Handelsrecht), welche oft
unabhängig von einem konkreten Rechtsstreit nachgefragt wird und deshalb zum
Vornherein nicht den Rechtsanwälten vorbehalten ist. Letzteren erwächst in
diesem Tätigkeitsfeld immer stärkere Konkurrenz von Banken, Versicherungen,
Treuhandbüros und Unternehmensberatern, die ihren Kunden umfassende
Dienstleistungen unter Einschluss der erforderlichen rechtlichen Beratung
anbieten können (vgl. hierzu MICHAEL PFEIFER/PETER WIDMER,
Rechtsberatungsmarkt Schweiz - Nimmt der Anwalt teil am Aufbruch oder ist er
Auslaufmodell, in: Fellmann/Huguenin Jacobs/Poledna/Schwarz [Hrsg.],
Schweizerisches Anwaltsrecht, Festschrift 100 Jahre SAV, Bern 1998, S. 57
ff.). Gleichzeitig hat im Rahmen der forensischen

Tätigkeit die Bedeutung der öffentlichrechtlichen Streitigkeiten zugenommen,
für welche - weil sie in den meisten Kantonen nicht unter das Anwaltsmonopol
fallen - in aller Regel auch Parteivertreter ohne Rechtsanwaltspatent
zugelassen sind; demzufolge werden die Anwälte in diesem Bereich vermehrt
durch Unternehmensberatungsgesellschaften, Treuhandbüros oder Steuerberater
konkurrenziert, die für ihre Kunden immer häufiger auch Gerichtsverfahren
führen. Alle diese neuen Konkurrenten des Rechtsanwalts müssen keine
staatlichen Pflichtmandate führen, im Rahmen derer sie ihre Dienstleistungen
gegen eine reduzierte, allenfalls bloss kostendeckende Entschädigung zu
erbringen haben. Schliesslich hat die steigende Zahl der Grosskanzleien mit
Dutzenden von Anwälten den Wettbewerbsdruck auf die traditionellen
Anwaltsbüros zusätzlich erhöht (vgl. ISABELLE HÄNER, Das veränderte
Berufsbild des Anwalts und der Anwältin, in: Bernhard Ehrenzeller [Hrsg.],
Das Anwaltsrecht nach dem BGFA, St. Gallen 2003, S. 13 f.), was insoweit von
Bedeutung ist, als es fast ausschliesslich die in solchen Kleinkanzleien
tätigen Rechtsanwälte sind, welche die amtlichen Mandate übernehmen.

  8.4  Die Berufsgruppe der Rechtsanwälte findet daher heute zum Vornherein
nicht mehr die gleich günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor wie
früher. Gleichzeitig hat aber auch die Zahl der zu übernehmenden amtlichen
Mandate stetig zugenommen; einerseits, weil der Anspruch auf unentgeltliche
Verbeiständung immer neue Rechtsgebiete erfasst hat (zur dieser Entwicklung
vgl. ALFRED BÜHLER, Die neuere Rechtsprechung im Bereich der unentgeltlichen
Rechtspflege, in: SJZ 94/1998 S. 225 f.), und andererseits, weil dieses
Institut von den Rechtsuchenden immer häufiger in Anspruch genommen wird
bzw. werden muss. Heutzutage sind es nicht mehr - wie ursprünglich - bloss
einige wenige Mandate, sondern eine ins Gewicht fallende Menge von
Verfahren, welche von den Rechtsanwälten zu einem reduzierten, häufig nur
knapp kostendeckenden Tarif betreut werden müssen. Die zahlenmässige Zunahme
der amtlichen Mandate hat dazu geführt, dass diese heute bei vielen
Rechtsanwälten einen wesentlichen Teil der Arbeitskraft binden: Bei jenen,
die häufig Pflichtmandate übernehmen, machen Letztere mit durchschnittlich
35 Prozent der verrechenbaren Stunden fast die Hälfte ihrer forensischen
Tätigkeit aus (auf die nicht amtlichen Gerichtsverfahren entfallen 39 und
auf die Beratungstätigkeit 18 Prozent der verrechenbaren Stunden; vgl.
FREY/BERGMANN, a.a.O., S. 27).

  8.5  Der verfassungsrechtliche Anspruch des mittellosen Rechtsuchenden auf
unentgeltliche Verbeiständung gilt als Errungenschaft des modernen
Rechtsstaats. Mit diesem Institut sind allerdings immer höhere Kosten für
das Gemeinwesen verbunden, welche inzwischen einen beträchtlichen Teil der
Gesamtaufwendungen für die Rechtsprechung (je nach Kanton offenbar 10 bis 35
Prozent) ausmachen (vgl. die Angaben verschiedener Kantone die
Zivilrechtspflege betreffend, in: Christian Schöbi [Hrsg.], Gerichtskosten,
Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, Bern 2001, S.
212 f.). Wie gesehen haben nahezu alle Kantone ihre eigenen Kosten dadurch
reduziert, dass sie den als amtlichen Vertretern eingesetzten Rechtsanwälten
- denen es letztlich obliegt, die vom Staat in Art. 29 Abs. 3 BV gewährte
Garantie zu erfüllen - nur eine im Vergleich zum ordentlichen Honorar
gekürzte Entschädigung bezahlen (vgl. E. 7.3). Zwar hält diese Reduktion der
Ansätze auch heute noch vor der Verfassung stand; angesichts der
dargestellten veränderten Verhältnisse kann jedoch insoweit nicht mehr an
der bisherigen Rechtsprechung festgehalten werden, als diese eine
Herabsetzung des Honorars für amtliche Mandate bis auf die Höhe der
Selbstkosten des Rechtsanwalts zulässt:
  Die Tätigkeit als amtlicher Vertreter (und mithin auch die Frage nach
dessen Entschädigung) ist zwar als staatliche Aufgabe dem Geltungsbereich
von Art. 27 BV grundsätzlich entzogen (vgl. E. 7.1). Doch sind die
Rechtsanwälte, auch wenn sie nahezu ausnahmslos freiwillig amtliche Mandate
führen, zu deren Übernahme doch gesetzlich verpflichtet (vgl. E. 7.2). In
Anbetracht der stark gewachsenen Zahl der amtlichen Mandate sowie der
veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erscheint es stossend, wenn
ihnen für diesen Teil ihrer Tätigkeit bloss die eigenen Aufwendungen
abgegolten werden. Es ist mit dem Willkürverbot und indirekt auch mit Art.
27 BV nicht mehr vereinbar, als Untergrenze für eine "angemessene
Entschädigung" lediglich die Deckung der Selbstkosten vorzuschreiben. Auch
wenn die Frage nach der Entschädigung des amtlichen Vertreters für ein
bestimmtes Mandat nicht in den Geltungsbereich der Wirtschaftsfreiheit
fällt, so verbietet diese nach heutigem Verständnis doch, die Rechtsanwälte
als Berufsgruppe zu "Frondiensten" zu verpflichten, indem sie für den Staat
Leistungen zu erbringen haben, ohne dabei einen Verdienst zu erzielen. Es
ist denn auch nicht ersichtlich, dass Angehörige eines andern Berufsstands
in vergleichbarer Weise gehalten wären, staatliche Aufgaben

für eine bloss kostendeckende Entschädigung zu übernehmen; insbesondere ist
Entsprechendes bei ihren Konkurrenten (Banken, Versicherungen,
Unternehmungsberatungsgesellschaften, Treuhandbüros und Steuerberatern)
nicht der Fall. Schliesslich vermag auch das Anwaltsmonopol, das für die
Rechtsanwälte nur noch von beschränkter wirtschaftlicher Bedeutung ist,
einen blossen Unkostenersatz für amtliche Mandate nicht zu rechtfertigen.

  8.6  Nach dem Gesagten sind die Rechtsanwälte für amtliche Mandate von
Verfassungs wegen entsprechend zu entlöhnen, wobei eine Kürzung des Honorars
im Vergleich zum ordentlichen Tarif zulässig bleibt. Doch sind es aber nicht
mehr die Selbstkosten des amtlichen Vertreters, welche die Untergrenze für
eine verfassungskonforme Entschädigung bestimmen. Der Verdienst, den dieser
mit dem Pflichtmandat erzielt, darf zwar bescheiden, nicht aber bloss
symbolischer Natur sein. Bei einer staatlichen Entschädigung von 150 Franken
pro Stunde, wie sie hier streitig ist, ist aber bestenfalls Letzteres der
Fall. Obwohl nur mit Zurückhaltung auf die von den Anwaltsverbänden selbst
ermittelten Zahlen (vgl. E. 7.5.2 und 7.5.3) abzustellen ist, kann doch
davon ausgegangen werden, dass ein Stundenansatz von 150 Franken für die
Mehrzahl der betroffenen Rechtsanwälte bloss gerade noch kostendeckend ist,
aber keinen nennenswerten Verdienst erlaubt. Auch wenn das Kostenniveau im
Kanton Aargau unter jenem der grossen Städte liegen dürfte, sind die lokalen
Verhältnisse doch nicht derart anders, als dass bei den Aargauer
Rechtsanwälten von wesentlich tieferen Selbstkosten als bei ihren Kollegen
aus anderen Kantonen auszugehen wäre. Die von § 9 Abs. 2 AnwT für amtliche
Verteidiger vorgesehene Entschädigung ist mithin ungenügend.

  8.7  Aufgrund der zumindest als Richtwert verwendbaren Ergebnisse der
Studie des Schweizerischen Anwaltsverbands, gemäss welcher die allgemeinen
Aufwendungen der Rechtsanwälte 114 bzw. 146 Franken pro Stunde betragen
(indexiert: 117 bzw. 150 Franken pro Stunde; vgl. E. 7.5.2), kann von einem
Mittelwert der Selbstkosten von rund 130 Franken ausgegangen werden
(einschliesslich der Beiträge für die berufliche Vorsorge, die
Sozialversicherung und die Krankentaggeldversicherung). Gestützt hierauf
lässt sich im Sinne einer Faustregel festhalten, dass sich die Entschädigung
für einen amtlichen Anwalt im schweizerischen Durchschnitt heute in der
Grössenordnung von 180 Franken pro Stunde (zuzüglich Mehrwertsteuer) bewegen
muss, um vor der Verfassung stand zu halten, wobei

kantonale Unterschiede eine Abweichung nach oben oder unten rechtfertigen
können. Dieser Betrag liegt in der Nähe des Stundenansatzes von 200 Franken
(zuzüglich Mehrwertsteuer), den das Eidgenössische Versicherungsgericht -
welches allerdings insoweit nicht auf eine Willkürkognition beschränkt ist -
kürzlich für das Sozialversicherungsverfahren geschützt hat (vgl. BGE 131 V
153 E. 7 S. 160; vgl. auch Art. 3 des Reglements vom 11. Februar 2004 über
die Entschädigungen in Verfahren vor dem Bundesstrafgericht [SR 173.711.31],
welcher für amtliche Verteidiger ein Mindesthonorar von 200 Franken pro
Stunde vorsieht). Zwar fällt mit einem Stundenansatz von 180 Franken der
Verdienst jener Rechtsanwälte mit etwas höheren Selbstkosten, welche heute
offenbar im Bereich von 150 Franken liegen, immer noch bescheiden aus. Weil
die Betroffenen aber nur relativ wenige amtliche Mandate übernehmen (sie
wenden anscheinend im Durchschnitt nur gerade 4 Prozent ihrer verrechenbaren
Stunden für Pflichtmandate auf; vgl. FREY/BERGMANN, a.a.O., S. 27), ist für
sie von Verfassungs wegen kein höherer Ansatz erforderlich: Für
Rechtsanwälte, die bloss während 50-70 Stunden pro Jahr als amtliche
Vertreter tätig sind, hat der Umfang der dafür bezahlten Entschädigung zum
Vornherein keine grosse wirtschaftliche Bedeutung. Bei den
verfassungsrechtlichen Überlegungen zum minimalen Stundenansatz stehen jene
Rechtsanwälte im Vordergrund, die häufig als amtliche Vertreter wirken. Zwar
handelt es sich dabei um die kleinere Gruppe, die aber den Grossteil (rund
drei Viertel; vgl. FREY/BERGMANN, a.a.O., S. 27) der amtlichen Mandate
übernimmt. Diese Rechtsanwälte haben, weil sie regelmässig eine günstigere
Infrastruktur unterhalten und weniger Personal beschäftigen,
erfahrungsgemäss geringere Fixkosten zu tragen; ihre Selbstkosten machen
offenbar durchschnittlich 115 bis 120 Franken pro verrechenbare Stunde aus
(vgl. E. 7.5.2 und 7.5.3). Für sie ergibt sich demnach bei einem (gekürzten)
Honorar von 180 Franken ein Verdienst im Bereich von 60 bis 70 Franken pro
Stunde; eine durchschnittliche Entschädigung in dieser Höhe ist angesichts
ihrer grösseren Auslastung mit amtlichen Mandaten (vgl. WOLFFERS, a.a.O., S.
50) als verfassungsrechtliches Minimum zu betrachten.