Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 I 117



Urteilskopf

132 I 117

  14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Generalprokurator sowie Obergericht des Kantons Bern (Staatsrechtliche
Beschwerde)
  1P.139/2006 vom 15. Mai 2006

Regeste

  Art. 127 Abs. 1 BV, Art. 389 Ziff. 5 und Art. 390 Abs. 1 Ziff. 2 StrV/BE;
Kosten der Strafuntersuchung, Haftung des Nachlasses, Legalitätsprinzip.

  Wer die Kosten des Strafverfahrens trägt, bestimmt das Gesetz (E. 4). Das
Berner Strafverfahrensgesetz sieht nicht vor, dass die Kosten dem Nachlass
des Angeschuldigten auferlegt werden können. Für einen solchen
Kostenentscheid bei Verfahrenseinstellung infolge Todes des Angeschuldigten
vor der Strafgerichtsverhandlung fehlt die gesetzliche Grundlage (E. 7).

Sachverhalt ab Seite 117

  Y. erhängte sich in der Nacht vom 28./29. August 2004 in der Strafanstalt.
Er war beschuldigt worden, am 28. Februar 2002 seine Ehefrau

und seine beiden Kinder getötet zu haben, und deswegen des mehrfachen Mordes
angeklagt. Die Hauptverhandlung vor dem Kreisgericht VIII Bern-Laupen hätte
am 18. Oktober 2004 beginnen sollen.

  Mit Verfügung vom 22. August 2005 stellte das Kreisgericht das
Strafverfahren ein (Keine-Folge-Gebung) und auferlegte die Kosten der
Voruntersuchung (Fr. 30'260.-) und des Kreisgerichts (Fr. 300.-) dem
Nachlass von Y. sel. Es stellte das Honorar dessen amtlichen Verteidigers
von Fr. 18'214.30 (Anspruch gegenüber dem Kanton Bern im Falle der
Nichterhältlichkeit: Fr. 12'403.90) unter den "Vorbehalt der gesetzlichen
Rück- und Nachzahlungspflichten", d.h. der Pflicht zur Rückzahlung des
Honorars gegenüber dem Kanton und zur Nachzahlung der Differenz zum vollen
Honorar gegenüber dem amtlichen Verteidiger bei wirtschaftlicher
Zumutbarkeit innerhalb von zehn Jahren.

  Das Obergericht des Kantons Bern hiess die Appellation der Schwester und
Alleinerbin des Verstorbenen, X., teilweise gut, indem es die Rück- und
Nachzahlungspflicht für das Honorar des amtlichen Verteidigers aufhob. Im
Übrigen bestätigte es die Verfügung des Kreisgerichts.

  X. führt dagegen staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das
angefochtene Urteil des Obergerichts hinsichtlich der Kostenauflage an den
Nachlass (Kosten der Strafuntersuchung und des Kreisgerichts) sowie der
Kosten- und Entschädigungsfolgen des Verfahrens vor Obergericht aufzuheben
und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Die anwendbaren Bestimmungen des kantonalen Gesetzes vom 15. März
1995 über das Strafverfahren (StrV/BE) lauten:

    Art. 309 Abs. 2 (Inhalt des Urteils)

    Liegen im Zeitpunkt der Beurteilung die Voraussetzungen der
    Strafverfolgung nicht vor oder wird von der Strafverfolgung in Anwendung
    von Artikel 4 abgesehen, ist im Urteil darauf zu erkennen, dass dem
    Verfahren keine weitere Folge gegeben wird.

    Art. 389 (Kostentragung durch den Kanton)

    In den nachstehend genannten Fällen trägt unter Vorbehalt von Artikel
    390 der Kanton die Verfahrenskosten

    1. bei Nichteintreten auf eine Anzeige (Art. 227),

    2. bei Nichteröffnung (Art. 228),

    3. bei Aufhebung der Strafverfolgung (Art. 250 Abs. 2),

    4. bei Freispruch (Art. 309 Abs. 1),

    5. wenn dem Verfahren keine weitere Folge gegeben wird (Art. 309 Abs.
       2).

       Art. 390 Abs. 1 (Anderweitige Kostentragung)

       In Fällen gemäss Artikel 389 können die Verfahrenskosten ganz oder
       teilweise auferlegt werden

    1. der Privatklägerschaft sowie den einen Strafantrag stellenden oder
       eine Anzeige einreichenden Personen, sofern diese mutwillig oder
       grobfahrlässig gehandelt haben;

    2. der angeschuldigten Person, sofern diese in rechtlich vorwerfbarer
       Weise das Verfahren veranlasst oder so dessen Durchführung erschwert
       hat.

  2.2  Das Obergericht verweist im angefochtenen Urteil auf die Begründung
des Kreisgerichts, wonach offenkundige und schwerwiegende Verletzungen
fundamentaler Rechte der Opfer Ursache für die Eröffnung und Durchführung
des Strafverfahrens sind. Wäre der Angeschuldigte am Leben geblieben, hätten
ihm gestützt auf Art. 390 Abs. 1 Ziff. 2 StrV/BE die Verfahrenskosten
auferlegt werden müssen; eine Entschädigung zu seinen Gunsten wäre nie in
Frage gekommen. Die Belastung des Nachlasses mit den erstinstanzlichen
Verfahrenskosten entspreche der für alle Schulden des Erblassers geltenden
Regelung. Sie würden mit wenigen gesetzlichen Ausnahmen zu persönlichen
Schulden der Erben, sofern diese die Erbschaft nicht ausschlagen. Die Erben
seien für Schadenersatzforderungen aus unerlaubter Handlung des Erblassers
haftbar, auch wenn der Schaden erst nach dessen Tod eintrete. Folgerichtig
könne die Kostenauflage ebenfalls zu Lasten des Nachlasses gehen. Die
gesetzliche Regel, wonach bei Verfahrenseinstellung der Kanton die
Verfahrenskosten trägt (Art. 389 Ziff. 5 StrV/BE), lasse Raum für eine
abweichende Auslegung.

  Nach dem Obergericht entsprechen diese Erwägungen der neuen Berner
Gerichtspraxis, die eingeleitet wurde mit den Urteilen des
Wirtschaftsstrafgerichts vom 11. Dezember 2002 und des Kassationshofs vom
18. August 2003 (beide zusammengefasst in: ZBJV 140/2004 S. 762 ff.; im
Folgenden auch: Praxisänderung 2002/03). Entscheidend sei, ob die Kosten des
Strafverfahrens eine Verbindlichkeit des Angeschuldigten wie jede andere zu
dessen Lebzeiten

entstandene Schuld darstellen und damit im Todesfall ein Bestandteil des
Nachlasses würden. Dazu stellt das Obergericht in der Sache aber keine
eigenen Erwägungen an.

Erwägung 3

  3.

  3.1  Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Willkürverbots. Sie
macht überdies geltend, für die Kostenauflage an den Nachlass des
verstorbenen Angeschuldigten fehle eine gesetzliche Grundlage.

  3.2  Das Bundesgericht hat die Frage bisher nicht beurteilt, ob eine
Kostenauflage an den Nachlass des verstorbenen Angeschuldigten ohne
ausdrückliche gesetzliche Regelung das Legalitätsprinzip verletzt.

  3.3  In einem unveröffentlichten Urteil von 1980 hat das Bundesgericht
entschieden, es sei nicht willkürlich, dem Nachlass eines verstorbenen
Angeschuldigten einen Zehntel der Untersuchungskosten aufzuerlegen, auch
wenn für den Fall, dass der Angeschuldigte verstorben ist, eine
ausdrückliche Regelung fehlt (Urteil P.436/1980 vom 5. November 1980). Das
Obergericht des Kantons Basel-Landschaft hatte ausgeführt, die
Kostenforderung sei vor dem Tod des Angeschuldigten entstanden, als die
Tatsachen, die sein prozessuales Verschulden begründeten, eingetreten und
die Untersuchungshandlungen durchgeführt worden seien (Urteil des
Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 6. Mai 1980, in: BJM 1981 S.
267 ff.). Zur Ansicht des Obergerichts, wonach ein deklarativer
Kostenentscheid vorgelegen sei, äusserte sich das Bundesgericht nicht.

  In BGE 109 Ia 160 hob das Bundesgericht eine Kostenauflage zu Lasten des
Nachlasses des Angeschuldigten wegen einer Verletzung der Unschuldsvermutung
auf. Dieses Urteil ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig, da keine
Verletzung der Unschuldsvermutung zu beurteilen ist; zudem sieht das Berner
Recht - anders als das damals beurteilte Luzerner Recht - die Kostenauflage
an den Nachlass nicht ausdrücklich vor.

Erwägung 4

  4.

  4.1  Das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage (Legalitätsprinzip) im
Abgaberecht ist ein selbständiges verfassungsmässiges Recht, dessen
Verletzung unmittelbar gestützt auf Art. 127 Abs. 1 BV geltend gemacht
werden kann (BGE 128 I 317 E. 2.2.1).

  4.2  Bei den Kosten eines Strafverfahrens handelt es sich wie bei den
Gerichtskosten (BGE 120 Ia 171 E. 2a) um Kausalabgaben (Urteil 1P.464/2005
vom 10. November 2005, E. 3.2). Nach der Rechtsprechung bedürfen öffentliche
Abgaben der Grundlage in einem formellen Gesetz. Darin müssen zumindest der
Kreis der Abgabepflichtigen, der Gegenstand und die Bemessungsgrundlagen der
Abgabe festgelegt sein. Bei gewissen Arten von Kausalabgaben hat die
Rechtsprechung diese Vorgaben für die Abgabenbemessung gelockert: Dies gilt
namentlich dort, wo das Mass der Abgabe durch überprüfbare
verfassungsrechtliche Prinzipien (Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip)
begrenzt wird und nicht allein der Gesetzesvorbehalt diese Schutzfunktion
erfüllt (BGE 130 I 113 E. 2.2). Einer solchen Lockerung zugänglich sind
grundsätzlich auch Vorschriften über Verfahrenskosten (BGE 120 Ia 171 E.
2a). Die mögliche Lockerung betrifft in diesen Fällen aber stets nur die
formellgesetzlichen Vorgaben zur Bemessung, nicht die Umschreibung des
Kreises der Abgabepflichtigen und des Gegenstandes der Abgabe (BGE 123 I 248
E. 2; ADRIAN HUNGERBÜHLER, Grundsätze des Kausalabgabenrechts, in: ZBl
104/2003 S. 516).

Erwägung 5

  5.

  5.1  Das Bundesgericht hat entschieden, dass die Regeln über die Anmeldung
von Forderungen gegen eine verstorbene Person für die Aufnahme ins
öffentliche Inventar (Art. 589 und 590 ZGB) sich nicht eo ipso von
Bundesrechts wegen auf Steuerforderungen beziehen, sondern ausschliesslich
zivilrechtliche Verpflichtungen betreffen. Zudem hielt es fest, dass im
Todeszeitpunkt des Steuerpflichtigen rechtskräftig festgesetzte und
vollstreckbare Steuerforderungen nicht aufgrund der zivilrechtlichen
Universalsukzession, sondern kraft öffentlichrechtlich angeordneter
Steuersukzession auf die Erben übergehen (BGE 102 Ia 483 E. 6b/dd S. 491;
ebenso: PETER WEIMAR, Berner Kommentar zum ZGB, Bd. III/1/1, Bern 2000,
Erbrecht - Einleitung, Rz. 9, S. 4; IVO SCHWANDER, Basler Kommentar,
Zivilgesetzbuch II, 2. Aufl., Basel 2003, Rz. 8 Abs. 3 zu Art. 560 ZGB; für
die analoge Anwendung des ZGB: HANS MICHAEL RIEMER, Vererblichkeit und
Unvererblichkeit von Rechten und Pflichten im Privatrecht und im
öffentlichen Recht, in: recht 24/2006 S. 31; ERNST BLUMENSTEIN/PETER
LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., Zürich 2002, S.
74; PETER TUOR/VITO PICENONI, Berner Kommentar, Bd. III/2, 2. Aufl., Bern
1964, Rz. 7a zu Art. 560 ZGB; für eine Lückenfüllung: WALTER FREI,

Die Erbenhaftung für Forderungen aus dem Steuerrechtsverhältnis, Diss.
Zürich 1995, S. 81 f.).

  5.2  Der Berner Kassationshof, auf den sich das Obergericht beruft, hat im
Urteil vom 18. August 2003 ausgeführt, dass die Universalsukzession gemäss
Art. 560 Abs. 2 ZGB für eine Kostenauflage nicht ausreiche, da sie nur den
Übergang, nicht die Entstehung der Schuld und nur privatrechtliche, nicht
öffentlichrechtliche Verbindlichkeiten erfasse. Die Möglichkeit der
Kostenauflage sei aber im Ergebnis zulässig, da sie sich aus dem Bernischen
Strafverfahrensgesetz ergebe (ZBJV 140/2004 S. 766).

Erwägung 6

  6.  Die Lehre äussert sich zur Belastung des Nachlasses bzw. der Erben mit
Kosten bei Verfahrenseinstellung infolge Todes des Angeschuldigten nur
knapp. Im Wesentlichen verweist sie auf kantonale Gesetzesvorschriften oder
Praxis, ohne sich mit dem Problem der Rechtsnachfolge auseinander zu setzen.

  6.1  Nach NIKLAUS SCHMID soll die Kostenauflage im Kanton Zürich möglich
sein, obwohl dies gesetzlich nicht vorgesehen ist. Der Nachlass könne
belastet werden, wenn der Angeschuldigte während der Untersuchung stirbt und
die Einstellung wegen des Todes erfolgt, soweit die Kosten vom
Angeschuldigten verschuldet wurden und er kostenpflichtig gewesen wäre,
sofern er noch leben würde (NIKLAUS SCHMID, in: Andreas Donatsch/Niklaus
Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich, Stand
Januar 1999, § 42 Rz. 35; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl.,
Zürich 2004, Rz. 1210). Der als Beleg aufgeführte Beschluss des
Bezirksgerichts Horgen vom 2. August 1995 (in: ZR 96/1997 S. 160, E. 2e)
geht in der Begründung nicht weiter. Nach dem Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 19. März 1936 (in: ZR 36/1937 S. 151) sei diese
Kostenfolge nicht Nebenfolge der Strafe, sondern habe einen selbständigen
Rechtsgrund (dies allerdings als obiter dictum, weil nicht der mit der
Kostenhälfte belastete Erbe des vor Urteilsfällung verstorbenen Angeklagten,
sondern der im Ehrverletzungsprozess ebenfalls kostenpflichtige Privatkläger
ans Obergericht gelangte).

  Die übrigen Lehrmeinungen orientieren sich an jenen Kantonen, die die
Kostenauflage an den Nachlass gesetzlich ausdrücklich vorschreiben, und sind
daher nicht einschlägig (ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI/KARL HARTMANN,
Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 108 Rz. 29;
NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des

Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, Rz. 1814 zu Art. 262 Abs. 2 [recte
Art. 264] StPO/SG; THOMAS HANSJAKOB, Kostenarten, Kostenträger und
Kostenhöhe im Strafprozess, Diss. St. Gallen 1988, S. 297 ff.).

  6.2  In der Berner Lehre bestand vor der Praxisänderung 2002/03 die
einhellige Meinung, dass bei Erlöschen des staatlichen Strafanspruchs
infolge Todes des Angeschuldigten vor Abschluss des Verfahrens die Pflicht
zur Kostentragung dem Staat obliege (THOMAS MAURER, Das bernische
Strafverfahren, 2. Aufl., Bern 2003, S. 590; JÜRG AESCHLIMANN, Einführung in
das Strafprozessrecht, Bern 1997, Rz. 2043; PETER STAUB, Kommentar zum
Strafverfahren des Kantons Bern, Bern 1992, Art. 199-200 Rz. 15; Entscheid
der Anklagekammer [recte laut Kassationshof: II. Strafkammer] des Kantons
Bern vom 14. Oktober 1977, in: ZBJV 117/1981 S. 395).

  Das auf den 1. Januar 1997 in Kraft getretene neue Strafverfahrensgesetz
brachte in dieser Frage keine Änderung (vgl. Art. 200 Abs. 1 und 3 des
Gesetzes von 1928, abgedruckt bei STAUB, a.a.O., S. 490). Erst die
Praxisänderung 2002/03 ermöglichte eine Kostenauflage an den Nachlass bei
Verfahrenseinstellung, weil der nicht verurteilte Angeschuldigte gestorben
ist und diesem ein Veranlassen oder Erschweren des Strafverfahrens im Sinne
von Art. 390 Abs. 1 Ziff. 2 StrV/BE hätte vorgeworfen werden können.

  6.3  In seinem Urteil vom 11. Dezember 2002 (ZBJV 140/2004 S. 736)
erkannte das Wirtschaftsstrafgericht, die alte Praxis, wonach eine
Kostenauflage im Falle des Todes des Angeschuldigten vor Abschluss des
Strafverfahrens unzulässig sei, gehe auf die Kommentierung von MAX
WAIBLINGER (Das Strafverfahren für den Kanton Bern, Langenthal 1937/1942,
Art. 200 Rz. 3, S. 295 f.) zurück. Dieser hatte Folgendes ausgeführt:

   "Erfolgt die Aufhebung zufolge Todes des Angeschuldigten, so können die
    Verfahrenskosten nicht etwa den Erben auferlegt werden. Die zürch.
    Rechtsprechung (...) hat dies allerdings als möglich erachtet, indem sie
    davon ausgeht, dass die Kostenauflage an den Angeschuldigten, der das
    Verfahren durch schuldhafte Erregung von Verdachtsgründen veranlasst
    habe, keine Straffolge sei, sondern auf einem selbständigen Rechtsgrund
    beruhe; der bezügliche Kostenanspruch des Staates sei schon zu Lebzeiten
    des Angeschuldigten entstanden, durch das Verhalten des Angeschuldigten
    begründet worden, nur seine gerichtliche Feststellung erfolge nach dem
    Tode. Diese Gesetzesauslegung ist gekünstelt und würde eine
    Rechtsnachfolge der Erben in die Prozessstellung des Angeschuldigten
    voraussetzen."

  6.4  Das Wirtschaftsstrafgericht hält dem entgegen, man müsse sich vom
Gedanken lösen, die Kostenpflicht des freigesprochenen oder aus anderen
Gründen (Tod, Verjährung) aus dem Verfahren entlassenen Angeschuldigten habe
irgendwie mit der Haftung für strafrechtliches Verschulden zu tun. Vielmehr
handle es sich dabei um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte
Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet
verliere die Ansicht von WAIBLINGER an Überzeugungskraft, denn die
Kostenauflage an die Erben setze unter diesen Bedingungen keine Nachfolge in
die Prozessstellung des Angeschuldigten voraus, sondern lasse sich mit
erbrechtlichen Überlegungen begründen. Die dem Angeschuldigten wegen
Verletzung zivilrechtlicher Normen aufzuerlegenden Verfahrenskosten gingen
eo ipso auf die Erben über, da sie von der Universalsukzession gemäss Art.
560 ZGB erfasst würden und die Erben des Urhebers einer unerlaubten Handlung
auch dann hafteten, wenn der Schaden erst nach dessen Tod eingetreten sei
(ZBJV 140/2004 S. 765).

Erwägung 7

  7.

  7.1  Nach der Berner Rechtsprechung ergibt sich die neue Kostenpraxis
durch Auslegung des kantonalen Strafverfahrensgesetzes; dieses sehe die
Belastung des Nachlasses weder explizit vor, noch schliesse es sie
ausdrücklich aus. Es ist zu entscheiden, ob dies als gesetzliche Grundlage
ausreicht.

  7.2  Die Darlegungen der Berner Gerichte treffen zu, wonach die
Kostenauflage an einen nicht verurteilten Angeschuldigten mit einem
strafrechtlichen Schuldvorwurf unzulässig sei. Dies würde nach der
Rechtsprechung die Unschuldsvermutung verletzen (BGE 116 Ia 162 E. 2e).
Damit ist allerdings für die Frage nichts gewonnen, ob das Legalitätsprinzip
es zulässt, mit den Vorschriften über die Kostentragung des Angeschuldigten
eine Forderung gegen seinen Nachlass zu begründen. Im unpublizierten Teil
seines Urteils vom 18. August 2003 räumt der Kassationshof ein, eine direkte
Kostenauflage an die Erben (im Gegensatz zur Belastung des Nachlasses) wäre
vom Wortlaut des Strafverfahrensgesetzes nicht gedeckt. Der Kassationshof
begründet nicht, wieso er die Erben und den Nachlass unterschiedlich
behandeln will; möglicherweise beabsichtigt er damit eine Haftungsbegrenzung
auf die Höhe der Erbschaft (HANSJAKOB, a.a.O., S. 301) oder ein Verbot der
Kostenauflage im Falle der Erbausschlagung. Im Ergebnis führt die
Verpflichtung des Nachlasses gleichwohl zu einer Haftung der Erben, weshalb
die Sonderbehandlung des Nachlasses nicht einleuchtet.

  7.3  Die Kostenverfügung erging rund ein Jahr nach dem Tod des
Angeschuldigten. Es fragt sich, ob vor dieser Verfügung, zu Lebzeiten des
Angeschuldigten, eine Forderung des Staates gegenüber dem Angeschuldigten
auf Bezahlung der Strafuntersuchungskosten begründet wurde, die nach den
zitierten Lehrmeinungen (E. 5.1) mit dessen Tod allenfalls auf die
Alleinerbin überging.

  Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Strafverfahrenskosten nicht
gleichmässig entsprechend dem Zeitverlauf wachsen, sondern unter anderem
davon abhängen, welche Untersuchungshandlungen durchgeführt werden; sie
können je nach Gang des Verfahrens unterschiedlich ausfallen. Sodann sieht
das kantonale Gesetz keine automatische Haftung des Angeschuldigten vor;
eine Kostenpflicht entsteht nur im gerichtlich zu beurteilenden
Ausnahmefall. Liegen dafür die Voraussetzungen vor, kann schliesslich das
Gericht den Angeschuldigten allenfalls auch bloss zur Bezahlung eines Teils
der Verfahrenskosten verpflichten (Art. 390 Abs. 1 Ziff. 2 StrV/BE).

  Daraus wird deutlich, dass bis zum gerichtlichen Kostenentscheid weder die
Zahlungspflicht als solche noch der allfällige Forderungsbetrag feststehen.
Die Pflicht zur Kostentragung entsteht somit durch die entsprechende
Verfügung; diese wirkt nicht feststellend, sondern rechtsgestaltend.

  Im Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Angeschuldigten ist keine
Kostenforderung entstanden; als die Kostenverfügung erging, war die
Rechtspersönlichkeit des Angeschuldigten durch Tod bereits untergegangen
(Art. 31 Abs. 1 ZGB). Daher ist ein Rechtsübergang vom Angeschuldigten auf
die Alleinerbin ausgeschlossen. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich die
Zahlungspflicht nicht mit einer allfälligen Analogie zur Steuernachfolge
oder zur erbrechtlichen Universalsukzession begründen.

  7.4  Das Strafverfahrensgesetz des Kantons Bern sieht - im Gegensatz etwa
zu den Gesetzen der Kantone Luzern, Schaffhausen oder St. Gallen (Nachweise
bei HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, a.a.O., § 108 Rz. 29) - eine direkte Belastung
des Nachlasses bzw. der Erben nicht vor. Es nennt als kostenpflichtige
Personen nur den Angeschuldigten sowie die (hier nicht einschlägigen)
Privatkläger, Strafantragsteller oder Anzeiger. Nach der Rechtsprechung zum
Legalitätsprinzip ist eine Lockerung des gesetzlich festgelegten Kreises der
Abgabepflichtigen nicht zulässig (E. 4). Daher kann mangels Parteiwechsels
oder ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage

kein Rechtsübergang stattfinden. Stirbt der Angeschuldigte und wurde über
die Untersuchungskosten noch nicht verfügt, so kommt der Grundsatz der
Kostentragung durch den Staat zur Anwendung. Eine abweichende Anordnung, die
sich nicht auf eine ausdrückliche gesetzliche Norm abstützt, verstösst gegen
das verfassungsrechtliche Legalitätsprinzip (Art. 127 Abs. 1 BV). Das
Vorbringen der Beschwerdeführerin ist begründet.

Erwägung 8

  8.  Die Beschwerde ist gutzuheissen und das angefochtene Urteil
aufzuheben, soweit es die Beschwerdeführerin mit Kosten belastet und ihr
keinen vollen Parteikostenersatz zuspricht.

  Da es sich um sein Vermögensinteresse handelt (Art. 156 Abs. 2 OG; BGE 97
I 329 E. 6), trägt der Kanton Bern als unterliegende Partei die Kosten (Art.
156 Abs. 1 OG). Zudem hat er der obsiegenden Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu
bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).