Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 IV 97



Urteilskopf

132 IV 97

  13. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen B. und
Untersuchungsrichteramt sowie Obergericht des Kantons Zug (Staatsrechtliche
Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde)
  6P.24/2006 / 6S.48/2006 vom 23. November 2006

Regeste

  Unteilbarkeit des Strafantragsrückzugs (Art. 31 Abs. 3 StGB).

  Wird der Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurückgezogen, so gilt
dieser Rückzug für alle Beschuldigten. Dieses Unteilbarkeitsprinzip gilt
auch, wenn der selektive Rückzug einzig wegen der Immunität eines
Tatbeteiligten erfolgte. In der früheren Rechtsprechung (BGE 80 IV 209 E. 3)
erwogene Ausnahmen von der Unteilbarkeit werden verworfen (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 97

  Am 6. Januar 2005 liess X. durch seinen Anwalt Strafklage wegen
Ehrverletzung gegen den Zuger Regierungsrat A., gegen den Rechtsvertreter
der Zuger Sicherheitsdirektion, Rechtsanwalt lic. iur. B., sowie gegen
Unbekannt einreichen. Mit Schreiben des Untersuchungsrichteramts des Kantons
Zug vom 25. Januar 2005 wurde X. darüber in Kenntnis gesetzt, dass
Regierungsrat A. gemäss § 19bis der Verfassung

des Kantons Zug Immunität geniesse. Am 19. Mai 2005 liess X. dem
Friedensrichteramt Zug mitteilen, dass er auf die Einleitung eines
Strafverfahrens gegenüber Regierungsrat A. "verzichte". Nach der
Sühneverhandlung ersuchte er das Untersuchungsrichteramt Zug, das
Strafverfahren gegen die noch verbleibenden B. und Unbekannt weiterzuführen,
nachdem der Strafantrag gegen A. "zurückgezogen" worden sei. In der Folge
wies ihn das Untersuchungsrichteramt Zug auf die Unteilbarkeit des
Strafantrags und auf die Wirkungen des Rückzugs nach Art. 31 Abs. 3 StGB hin
und forderte ihn zur Stellungnahme auf. Der Beschwerdeführer stellte sich
auf den Standpunkt, lediglich wegen der voraussichtlich unaufhebbaren
Immunität A.s auf die Weiterführung des Strafverfahrens gegen diesen
"verzichtet" zu haben. Am 14. September 2005 stellte der
Untersuchungsrichter die Untersuchung ein unter Verweis auf die
Unteilbarkeit des Strafantrags gemäss Art. 31 Abs. 3 StGB.

  Mit Urteil vom 22. Dezember 2005 wies die Justizkommission des
Obergerichts des Kantons Zug den von X. gegen die Einstellungsverfügung
erhobenen Rekurs ab.

  Dagegen führt X. staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und
die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

  Die Justizkommission des Obergerichts schliesst auf Abweisung der
Beschwerden unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil. Das
Untersuchungsrichteramt des Kantons Zug verzichtet auf Gegenbemerkungen. B.
beantragt auf Vernehmlassung hin die Abweisung der Beschwerden.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  II. Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde

  3.

  3.1  Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, Art. 31 Abs. 3 StGB
verletzt zu haben, indem sie im Rückzug des Strafantrags gegenüber
Regierungsrat A. zugleich den Rückzug des Strafantrags gegenüber allen
Beschuldigten erblickte. Diese Bestimmung komme nicht zur Anwendung, wenn
ernsthafte sachliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Person,
gegenüber der der Strafantrag zurückgezogen werde, entweder nicht an der Tat
beteiligt gewesen oder offensichtlich unschuldig sei. Im Unterschied zu
offensichtlich Unschuldigen

könne bei Personen, die Immunität geniessen, ein Strafverfahren gar nicht
erst durchgeführt werden, weshalb eine Ausnahme vom Grundsatz der
Unteilbarkeit des Strafantrags erst recht zuzulassen sei. Der
Beschwerdeführer habe einzig wegen der Immunitätsproblematik Abstand vom
Strafverfahren gegen Regierungsrat A. genommen.

  3.2  Die Vorinstanz gelangt zum Schluss, dass keine Ausnahme vom Grundsatz
der Unteilbarkeit des Strafantrags angenommen werden könne. Der
Beschwerdegegner stellt sich auf den Standpunkt, dass dem anwaltlich
vertretenen Beschwerdeführer die Konsequenzen eines Rückzugs klar gewesen
sein müssten. Art. 31 Abs. 3 StGB sei insoweit unmissverständlich, und für
eine Ausnahme von der gesetzlichen Unteilbarkeitsregel bestünde kein Raum.

  3.3
  3.3.1  Stellt ein Antragsberechtigter gegen einen an der Tat Beteiligten
Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen (Art. 30 StGB). Mit dem
in Art. 30 StGB statuierten Grundsatz der Unteilbarkeit des Strafantrags
soll verhindert werden, dass der Verletzte nach seinem Belieben nur einen
einzelnen am Antragsdelikt Beteiligten herausgreift und unter Ausschluss der
anderen bestrafen lässt (BGE 121 IV 150 E. 3a/aa). Zieht der Berechtigte
seinen Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug
für alle Beschuldigten (Art. 31 Abs. 3 StGB). Der Unteilbarkeitsgrundsatz
von Art. 30 StGB soll nicht dadurch umgangen werden können, dass zwar Antrag
gegen alle Beteiligten gestellt, dieser dann aber in Bezug auf einzelne
wieder zurückgezogen wird. Es gilt somit grundsätzlich auch die
Unteilbarkeit des Rückzugs (BGE 80 IV 209 E. 1; CHRISTOF RIEDO, Der
Strafantrag, Diss. Freiburg 2004, S. 617 f.). Wer seinen Strafantrag
zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen (Art. 31 Abs. 2 StGB).
Beim Rückzug handelt es sich somit um eine grundsätzlich unwiderrufliche
Willenserklärung.

  3.3.2  Im erwähnten Entscheid aus dem Jahr 1954 warf das Bundesgericht die
Frage auf, ob der Rückzug der Privatstrafklage gegen den einen Beklagten die
Weiterverfolgung der anderen nicht ausschliesse, wenn ernsthafte
Anhaltspunkte bestehen, dass der Beklagte, gegen den die Klage zurückgezogen
wird, in Wirklichkeit nicht tatbeteiligt war, und der Rückzug mit dieser
Erkenntnis begründet wurde. Denn es erscheine als stossend, dass der Kläger,
nur um das Recht zur Weiterverfolgung der anderen nicht zu verlieren,
genötigt

sein sollte, das Privatstrafklageverfahren gegen jemanden fortzusetzen, den
er selbst mit guten Gründen für unschuldig hält (BGE 80 IV 209 E. 3).

  3.3.3  Dieses obiter dictum wurde von der Lehre zustimmend aufgenommen.
Nach MAX WAIBLINGER (ZBJV 92/1956 S. 214) sollten Ausnahmen vom
Unteilbarkeitsgrundsatz möglich sein. Nach vielen kantonalen Prozessgesetzen
bestehe ein Kostenrisiko für den Strafantragsteller, wenn diesem nicht durch
ein Rückzugsrecht die Möglichkeit eingeräumt werde, die Weiterverfolgung
nicht Tatbeteiligter zu unterbinden. MARTIN SCHUBARTH (ZStrR 112/1994 S.
222) stellt die Unteilbarkeit des Strafantrags in Frage unter Hinweis auf
den zivilprozessualen Charakter des Privatstrafklageverfahrens. Mit Blick
auf das Kostenrisiko sei fraglich, ob der Privatstrafkläger verpflichtet
sein könne, auch (bloss) möglicherweise Beteiligte ins Recht zu ziehen, auf
die Gefahr hin, deren Tatbeteiligung nicht nachweisen zu können. In weiteren
Stellungnahmen aus dem Schrifttum wird die Frage nach allfälligen Ausnahmen
vom Unteilbarkeitsprinzip bereits als entschieden unterstellt. Der
Privatstrafkläger könne den Strafantrag zurückziehen gegenüber einem
Beschuldigten, von dessen Unschuld er aufgrund ernstlicher Anhaltspunkte
überzeugt sei, ohne dass sich dieser Rückzug auf andere Beschuldigte
auswirke. Der Unteilbarkeitsgrundsatz schliesse nur den Rückzug gegenüber
"Beschuldigten" aus. Ein Rückzug gegenüber unbeteiligten Beschuldigten soll
deshalb zulässig sein (HANS SCHULTZ/ALFRED WILHELM/M. ROTH-WILLENER, ZBJV
101/1965 S. 272 f.; HANS MAHNIG, Die Unteilbarkeit des Strafantrags bei
prinzipalen Privatstrafklagen, SJZ 57/1961 S. 20 f.; JÖRG REHBERG, Der
Strafantrag, ZStrR 85/1969 S. 285; WALTER HUBER, Die allgemeinen Regeln über
den Strafantrag [...], Diss. Zürich 1967, S. 68; i.d.S. zum künftigen Art.
33 Abs. 3 StGB auch ANDREAS DONATSCH [ebenfalls Hrsg.], in: StGB, 17. Aufl.,
Zürich 2006, S. 87). Gegen die herrschende Lehre wurde von CHRISTOF RIEDO
(Basler Kommentar, StGB I, Art. 31 StGB N. 33) zu Recht eingewendet, dass es
Sache des Gerichts sei, über Schuld oder Unschuld eines Verdächtigten zu
entscheiden, weshalb eine entsprechende Überzeugung des Antragstellers oder
eine unklare Beweislage kein Rückzugsrecht begründen könne. Ausnahmen vom
Unteilbarkeitsgrundsatz mögen rechtspolitisch wünschbar sein, mit dem
Gesetzeswortlaut lassen sie sich nicht vereinbaren (so bereits ARTHUR
GRAWEHR-BUTTY, Rechtsfragen auf dem Gebiete des Strafantrags [...], Diss.
Freiburg 1959, S. 68). Zieht der Berechtigte seinen

Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so
gilt der Rückzug für alle Beschuldigten (Art. 31 Abs. 3 StGB). Trotz der
Kritik in der Lehre wurde denn auch bei der Totalrevision des Allgemeinen
Teils des Strafgesetzbuchs an der Unteilbarkeit des Strafantrags
festgehalten (Art. 33 Abs. 3 revStGB [AS 2006 S. 3468]). Die vom
Bundesgericht 1954 aufgeworfene und offen gelassene Frage nach möglichen
Ausnahmen vom Unteilbarkeitsgrundsatz ist somit zu verneinen. Kommt der
Strafantragsteller indessen im Laufe des Strafverfahrens zum Schluss, die
Voraussetzungen der strafrechtlichen Verfolgung seien gegenüber einem ins
Recht gefassten Beschuldigten nicht oder nicht mehr gegeben, so kann er in
Bezug auf diesen bei den Strafverfolgungsbehörden die Einstellung des
Strafverfahrens verlangen. Dieses strafprozessuale Einstellungsbegehren darf
nicht in einen Rückzug des Strafantrags uminterpretiert werden.

  3.3.4  Der Beschwerdeführer liess dem Friedensrichteramt Zug mitteilen,
dass er an den Strafklagen gegen B. und Unbekannt festhalte und auf die
Einleitung eines Strafverfahrens gegenüber Regierungsrat A. "verzichte". Dem
Untersuchungsrichteramt gegenüber erklärte er, dass die Strafanzeige gegen
A. "zurückgezogen" worden sei, und beantragte im Übrigen die Fortführung des
Strafverfahrens. Er hielt an diesem Antrag auch noch fest, nachdem er vom
Untersuchungsrichter auf die Unteilbarkeit des Strafantrags hingewiesen
worden war. In der Folge stellte der Untersuchungsrichter das Verfahren ein
unter Verweis auf Art. 31 Abs. 3 StGB. Unter diesen Umständen verlangt der
Beschwerdeführer vergeblich, dass eine Ausnahme von der Unteilbarkeit des
Strafantragsrückzugs hätte angenommen werden sollen. Die Vorinstanz hielt
sich zu Recht an den Wortlaut von Art. 31 Abs. 3 StGB. Die Beschwerde ist
demnach abzuweisen.