Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 II 65



Urteilskopf

132 II 65

  5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
und Y. gegen Regierungsrat sowie Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  2A.395/2005 vom 22. November 2005

Regeste

  Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG; Art. 4, 6, 8 Abs. 1 und 3 ANAG; Art. 14
Abs. 1, 3 und 4 ANAV; Niederlassungs- und Handelsvertrag vom 26./ 14.
Dezember 1872 zwischen der Schweiz und Russland; Ableitung eines Anspruchs
auf Kantonswechsel aus einem Niederlassungsvertrag; Sukzession der Ukraine
in bilaterale Verträge der Sowjetunion bzw. des zaristischen Russlands.

  Prüfung im Rahmen der Eintretensvoraussetzungen, ob ein in der Schweiz
niedergelassener Ausländer grundsätzlich Anspruch auf Kantonswechsel aus
einem Niederlassungsvertrag hat (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung;
E. 1 und 2).

  Auswirkungen der Wandlung des Zarenreichs zur Sowjetunion auf bilaterale
Verträge (E. 3.3). Sukzession der Ukraine in die zwischen der Schweiz und
der Sowjetunion geltenden bilateralen Vereinbarungen (E. 3.4 und 3.5).

  Folgen der Kündigung des Niederlassungs- und Handelsvertrag vom 26./ 14.
Dezember 1872 zwischen der Schweiz und Russland durch eine provisorische
russische Regierung im Jahre 1917 (E. 4).

Sachverhalt

  Die ukrainische Staatsangehörige X. (geb. 1970) heiratete 1996 einen in
der Schweiz lebenden Türken. Aus dieser Ehe ging der Sohn Y. (geb. 2000)
hervor, welcher in die Niederlassungsbewilligung des Vaters für den Kanton
St. Gallen einbezogen wurde und die Staatsangehörigkeit der Mutter erhielt.
X. ist seit Mai 2003 ebenfalls im Besitz der Niederlassungsbewilligung für
den Kanton St. Gallen. Wegen ehelicher Probleme begab sich X. im Sommer 2003
in ein Frauenhaus im Kanton Zürich. Anfang 2004 wurde der Sohn Y.
eheschutzrichterlich unter ihre Obhut gestellt.

  Die Direktion für Soziales und Sicherheit des Kantons Zürich lehnte es in
der Folge jedoch ab, X. und Y. eine Niederlassungsbewilligung für den Kanton
Zürich zu erteilen, und forderte sie auf, das Kantonsgebiet zu verlassen.
Den hiergegen gerichteten Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons Zürich
am 8. September 2004 ab. Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 11. Mai 2005 nicht
ein.

  X. und Y. haben am 17. Juni 2005 beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Sie beantragen, den Entscheid

des Verwaltungsgerichts aufzuheben und den Kantonswechsel zu bewilligen.

  Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Die beim Bundesgericht eingereichte Rechtsschrift richtet sich gegen
den Entscheid einer nach Art. 98a OG zuständigen kantonalen Gerichtsinstanz,
welche aufgrund einer Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG entsprechenden
kantonalen Zugangsregelung auf das bei ihr erhobene Rechtsmittel nicht
eingetreten ist, da sie einen Rechtsanspruch auf die streitige
fremdenpolizeiliche Bewilligung verneint hat. Soweit die Beschwerdeführer
geltend machen, es bestehe ein Rechtsanspruch auf den Kantonswechsel bzw.
auf die anbegehrte Niederlassungsbewilligung für den Kanton Zürich, weswegen
das Verwaltungsgericht zu Unrecht auf das (anspruchsabhängige) kantonale
Rechtsmittel nicht eingetreten sei, ist ihre Eingabe als
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln (BGE 127 II 161 E. 3a S. 167). Da
die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels gemäss Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3
OG vom grundsätzlichen Vorhandensein eines Rechtsanspruches abhängt (BGE 127
II 60 E. 1a S. 62 f., 161 E. 1a S. 164, je mit Hinweisen), ist diese Frage
im Rahmen der Eintretenserwägungen zu prüfen (BGE 127 II 161 E. 1b S. 165;
Urteil 2A.471/2001 vom 29. Januar 2002, E. 2 Ingress).

Erwägung 2

  2.

  2.1  Die unbefristete Niederlassungsbewilligung (Art. 6 des Bundesgesetzes
vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG; SR
142.20]) gilt wie die Aufenthaltsbewilligung nur für den Kanton, der sie
ausgestellt hat (Art. 8 Abs. 1 ANAG). Will ein Ausländer mit
Niederlassungsbewilligung den Kanton wechseln, benötigt er dazu eine neue
Bewilligung, deren Erteilung grundsätzlich im freien Ermessen (Art. 4 ANAG)
der Behörde des Kantons steht, in den er neu zuziehen will (Art. 8 Abs. 1
und 3 ANAG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom
1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer [ANAV; SR 142.201]). Einen Anspruch auf Kantonswechsel verschafft
die Niederlassungsbewilligung als solche nicht (BGE 127 II 177 E. 2a S. 179
f.; 123 II 145 E. 2a S. 149; 116 Ib 1 E. 1c S. 4).

  Allerdings kann sich ein Anspruch auf Kantonswechsel ergeben, wenn der
Ausländer aus einem Land stammt, mit dem die Schweiz einen
Niederlassungsvertrag abgeschlossen hat. Gemäss Art. 14 Abs. 4 ANAV kann bei
einem Kantonswechsel die Bewilligung im neuen Kanton dem niedergelassenen
Ausländer, der heimatliche Ausweispapiere eines Staates besitzt, mit dem ein
Niederlassungsvertrag besteht, nur verweigert werden, wenn ein Widerrufs-
oder Erlöschensgrund gemäss Art. 9 Abs. 3 und 4 ANAG besteht (BGE 127 II 177
E. 2b S. 180; 123 II 145 E. 2b S. 149).

  2.2  Die Beschwerdeführer berufen sich auf einen zwischen Russland und der
Schweiz am 26./14. Dezember 1872 abgeschlossenen Niederlassungs- und
Handelsvertrag (abgedruckt in AS XI [1872-1874] 376 und BBl 1873 III 91; im
Folgenden: Niederlassungsvertrag). Dieser enthält in seinem Art. 1 folgende
Regelung:

   "(1) Zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem russischen
        Kaiserreich soll gegenseitige Niederlassungs- und Handelsfreiheit
        bestehen. Die Schweizerbürger dürfen auf dem Gebiete des russischen
        Kaiserreichs unter den nämlichen Bedingungen und auf dem nämlichen
        Fusse sich aufhalten, wie die russischen Staatsangehörigen; ebenso
        dürfen die Unterthanen Seiner Majestät des Kaisers aller Reussen
        sich in jedem schweizerischen Kanton unter den nämlichen Bedingungen
        und auf dem nämlichen Fusse aufhalten wie die Bürger der andern
        schweizerischen Kantone.

    (2) Infolge dessen können die Bürger und die Unterthanen jedes der
        beiden kontrahirenden Staaten, sowie ihre Familien, wenn sie den
        Gesezen des Landes nachkommen, in jedem Theile des Staatsgebietes
        des Andern frei eintreten, sich aufhalten, wohnen und sich
        niederlassen. (...)

    (3) Dabei bleibt indessen verstanden, dass die vorstehenden Bestimmungen
        den in jedem der beiden Staaten bestehenden besondern Gesezen,
        Verfügungen und Reglementen über Handel, Industrie und Polizei, die
        auf alle Fremden überhaupt ihre Anwendung finden, keinen Eintrag
        thun."

  Die obigen Grundsätze entsprechen denjenigen, welche die Schweiz damals in
gleichartigen Verträgen mit anderen europäischen Staaten vereinbarte (vgl.
Botschaft vom 10. Juli 1873 zum erwähnten Vertrag, in: BBl 1873 III 89).

  2.3  Seit dem Ersten Weltkrieg werden diese Vertragsbestimmungen
grundsätzlich, und meist ohne dass dies in zusätzlichen Abkommen festgelegt
wurde, in stillschweigendem gegenseitigen Einverständnis restriktiv
ausgelegt. Sie werden nur noch auf diejenigen

Staatsangehörigen der Vertragspartner angewandt, die eine
Niederlassungsbewilligung besitzen, was hier der Fall ist. Für alle anderen
ausländischen Staatsangehörigen gelten die alten Staatsverträge nur unter
dem Vorbehalt entgegenstehenden Landesrechts (BGE 119 IV 65 E. 1 S. 67 ff.;
111 Ib 169 E. 2 S. 171 f.; 110 Ib 63 E. 2a S. 66; 108 Ib 125 E. 2b S. 128;
106 Ib 125 E. 2b S. 128, mit Hinweisen; vgl. auch WALTER A. STOFFEL, Die
völkervertraglichen Gleichbehandlungsverpflichtungen der Schweiz gegenüber
den Ausländern, Diss. Freiburg 1978/1979, S. 122 ff. und 253 ff.; HELEN
KELLER, Rezeption des Völkerrechts, Berlin etc. 2003, S. 671 f.; BBl 1924 II
495 ff.; Postulat Stähelin vom 27. September 2004, Ziff. 04.3464, und
Antwort des Bundesrates vom 17. November 2004, in: AB 2004 S 879 sowie
Beilagen der Wintersession 2004 S. 42 f.). Trotz eingeschränkter Tragweite
könnten die Beschwerdeführer, die bereits über eine
Niederlassungsbewilligung für den Kanton St. Gallen verfügen, demnach einen
Anspruch auf Kantonswechsel aus diesem Abkommen ableiten.

Erwägung 3

  3.

  3.1  Das Verwaltungsgericht geht indessen sinngemäss davon aus, dass der
Niederlassungsvertrag aktuell in Bezug auf die Ukraine und ihre
Staatsangehörigen keine Anwendung finde. Daher gelangt es zum Schluss, dass
die Beschwerdeführer keine Anspruchsbasis für einen Kantonswechsel haben. Zu
prüfen ist somit, ob der Vertrag heute - entgegen der Ansicht des
Verwaltungsgerichts - für das Begehren der Beschwerdeführer noch Geltung
beanspruchen kann.

  3.2  Das Verwaltungsgericht verweist darauf, dass Weissrussland, die
Ukraine und Russland zwar am 8. Dezember 1991 im Minsker Abkommen über die
Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) erklärt hätten, deren
Teilnehmer würden das Einhalten der internationalen Verpflichtungen
gewährleisten, die für sie aus den Verträgen der früheren Sowjetunion
flössen. In der Deklaration von Alma-Ata vom 21. Dezember 1991, anlässlich
derer sich auch zentralasiatische Staaten der GUS anschlossen, sei diese
Erklärung um den Passus "in Übereinstimmung mit ihren Verfassungsprozeduren"
ergänzt worden (französische Übersetzungen der Erklärungen von Minsk und
Alma-Ata in: ROMAIN YAKEMTCHOUK, L'indépendance de l'Ukraine, Studia
Diplomatica Bd. 46, Brüssel 1993, S. 366 und 375 f.). Am 20. März 1992
hätten die Staatschefs der GUS (ausser jenem Turkmenistans) anerkannt, deren
Mitglieder

seien Rechte- und Pflichtennachfolger der ehemaligen Sowjetunion; sie hätten
eine Kommission zwecks Durchführung von Verhandlungen sowie Vorbereitung von
Vorschlägen eingesetzt, um Fragen der Rechtsnachfolge zu entscheiden (hierzu
THEODOR SCHWEISFURTH, Vom Einheitsstaat [UdSSR] zum Staatenbund [GUS], in:
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 52,
Heidelberg 1992, S. 673 f.). Daraus schliesst das Verwaltungsgericht unter
Berufung auf zwei Bundesgerichtsentscheide (BGE 123 II 511 E. 5d S. 518 f.;
Urteil 1A.54/2000 vom 3. Mai 2000, E. 6f/bb), dass es einer speziellen
Annahme der Verträge durch die Nachfolgestaaten nach Einholung der
verfassungsrechtlich notwendigen Zustimmung bedürfe. Eine entsprechende
Anfrage beim Bundesamt für Migration sei hierzu ergebnislos verlaufen. Daher
sei davon auszugehen, dass "die Ukraine den Niederlassungsvertrag mit
Russland - wenn er denn überhaupt noch besteht - nicht sonst wie
ausdrücklich oder stillschweigend übernehmen" wolle.

  3.3  Wie das Verwaltungsgericht zunächst richtig angenommen hat, hat der
Niederlassungsvertrag nicht bereits infolge der revolutionären Wandlung des
Zarenreichs zur Sowjetunion seine Gültigkeit verloren. Veränderungen in der
Regierungsform und inneren Organisation eines Staates haben grundsätzlich
keinen Einfluss auf seine völkerrechtlichen Rechte und Pflichten und heben
die Rechte und Pflichten aus von ihm abgeschlossenen Staatsverträgen nicht
auf; sie geben dem anderen Vertragsstaat allenfalls ein Recht zum Rücktritt
(vgl. BGE 49 I 188 E. 3 S. 194 f.; JÖRG PAUL MÜLLER/LUZIUS WILDHABER, Praxis
des Völkerrechts, 3. Aufl., Bern 2001, S. 244 f.; MICHAEL SILAGI,
Staatsuntergang und Staatennachfolge, Habilitationsschrift Göttingen 1996,
S. 59; HEINZ KLARER, Die schweizerische Praxis der völkerrechtlichen
Anerkennung, Diss. Zürich 1980, S. 353; IGNAZ SEIDL-HOHENVELDERN,
Völkerrecht, 9. Aufl., Köln 1997, S. 142 N. 674; NGUYEN QUOC DINH/PATRICK
DAILLIER/ALAIN PELLET, Droit international public, 7. Aufl., Paris 2002, S.
417 N. 273; Anmerkung von GEORGES DROZ, in: Revue critique de droit
international privé 1967 S. 78).

  3.4
  3.4.1  Das Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der
Verträge (SR 0.111), das für die Schweiz am 6. Juni 1990 und für die Ukraine
am 13. Juni 1986 in Kraft getreten ist, lässt gemäss seinem Art. 73 Fragen
unberührt, die sich hinsichtlich eines Vertrages aus der Nachfolge von
Staaten ergeben können. In BGE

105 Ib 286 E. 1c S. 291 hat das Bundesgericht festgehalten, es könne nicht
auf eine gewohnheitsrechtliche Regel geschlossen werden, wonach Verträge,
die ein Gebietsvorgänger abgeschlossen hat, ohne weiteres im Verhältnis
zwischen einem neu entstandenen Staat und der Gegenpartei des
Gebietsvorgängers Gültigkeit behalten. Ein bilateraler Vertrag behalte seine
Gültigkeit nur, wenn der neu entstandene Staat und die Gegenpartei
übereinkommen, den Vertrag aufrechtzuerhalten; dies könne ausdrücklich oder
durch konkludentes Handeln erfolgen (ebenso BGE 111 Ib 52 E. 2a S. 53, 138
E. 2 S. 141; 120 Ib 120 E. 1b S. 123, 189 E. 2b S. 190; anders noch in BGE
78 I 124 E. 4 S. 131). Inzwischen ist am 6. November 1996 die Wiener
Konvention vom 22. August 1978 über die Staatennachfolge in Verträge in
Kraft getreten. Die Ukraine gehört zu den Unterzeichnerstaaten, die Schweiz
hat sich diesem Übereinkommen hingegen bislang nicht angeschlossen. Dieses
Übereinkommen enthält in Art. 24 eine der zuvor zitierten Praxis des
Bundesgerichts vergleichbare Regelung (vgl. BGE 120 Ib 189 E. 2b S. 190 f.).
Bei Staatennachfolge infolge der Teilung eines Staates sieht Art. 34 dieses
Übereinkommens hingegen grundsätzlich ein automatisches Eintreten in die
bereits bestehenden Verträge vor.

  3.4.2  In Bezug auf die Ukraine hatte das Bundesgericht in einem Urteil
vom 16. Januar 1996 (1A.249/1995, E. 2) ausgeführt, der um die Auslieferung
ersuchende Staat (die Ukraine) habe sich nicht auf den am 17. November 1873
zwischen der Schweiz und Russland abgeschlossene Auslieferungsvertrag (SR
0.353.977.2; BS 12 S. 251) berufen. Da die Fortgeltung dieses Abkommens für
das Gebiet der Ukraine bisher weder ausdrücklich noch konkludent bestätigt
worden sei, sei davon auszugehen, dass das Abkommen bezüglich dieses Staates
nicht mehr gelte (Urteilserwägung publiziert bei LUCIUS CAFLISCH, La
pratique suisse en matière de droit international public 1996, SZIER 1997 S.
685; vgl. zu dieser Praxis im Auslieferungsrecht bei Staatennachfolge: BGE
111 Ib 138 E. 2 S. 141; 105 Ib 286 E. 1d S. 291). Diese Rechtsprechung zum
Auslieferungsrecht kann allerdings nicht vorbehaltlos auf den vorliegenden
Fall übertragen werden. In Auslieferungsverfahren treten Landesbehörden
beider Vertragsstaaten auf, hier hingegen nicht, so dass nur auf das
Verhalten des anderen Staates ausserhalb des zu beurteilenden Verfahrens
abgestellt werden kann.

  3.5  Ob die in Erwägung 3.3 erwähnten Erklärungen der Ukraine für eine
Nachfolge in die bilateralen Verträge mit der Schweiz genügen,

was das Verwaltungsgericht verneint hat, braucht hier nicht abschliessend
beurteilt zu werden (vgl. die nicht einheitliche Literatur dazu: ANDREAS
ZIMMERMANN, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge,
Habilitationsschrift Heidelberg 1999, Berlin etc. 2000, S. 372 ff., insbes.
S. 376, 378 f. und 421 f.; THEODOR SCHWEISFURTH, Vom Einheitsstaat [UdSSR]
zum Staatenbund [GUS], a.a.O., S. 675; ders., Ausgewählte Fragen der
Staatensukzession im Kontext der Auflösung der UdSSR, in: Archiv des
Völkerrechts 32/1994 S. 99 ff., insbes. S. 113; ders., Das Recht der
Staatensukzession, Die Staatenpraxis der Nachfolge in völkerrechtliche
Verträge, Staatsvermögen, Staatsschulden und Archive in den Teilungsfällen
Sowjetunion, Tschechoslowakei und Jugoslawien, in: Ulrich Fastenrath et al.
[Hrsg.], Das Recht der Staatensukzession, Berichte der Deutschen
Gesellschaft für Völkerrecht, Heidelberg 1996, S. 63-66; BRIGITTE STERN, La
succession d'Etats, in: Recueil des cours de l'Académie de droit
international de La Haye, Bd. 262, Den Haag 1996, S. 242-244 und 252-255;
CLAUDIA WILLERSHAUSEN, Zerfall der Sowjetunion, Diss. Marburg 2002, S. 324
ff.; PHOTINI PAZARTZIS, La succession d'Etats aux traités multilatéraux,
Paris 2002, S. 78 ff. und 215 ff.; vgl. Urteil 1A.54/2000 vom 3. Mai 2000,
E. 6f nicht publ. in BGE 126 II 212). Offenbar sind die Europäische
Gemeinschaft, Deutschland, die USA, Grossbritannien, Italien, die Slowakei,
Tschechien und Österreich in der Praxis von einer (zumindest
vorübergehenden) Weitergeltung bilateraler Verträge der Sowjetunion für
GUS-Staaten ausgegangen, während Frankreich eher dem Prinzip der tabula rasa
zuneigt und verlangt, dass der neue Staat und Frankreich zunächst
Erklärungen zur Übernahme der bilateralen Verträge abgeben müssen (vgl.
MICHAEL SILAGI, a.a.O., S. 89 ff., insbes. S. 93 f.; BRIGITTE STERN, a.a.O.,
S. 314-321; ANDREAS ZIMMERMANN, a.a.O., S. 400 ff.). Das Verwaltungsgericht
hat jedenfalls Folgendes in seine Ausführungen nicht einbezogen:
  3.5.1  Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat die Schweiz die Ukraine am 23.
Dezember 1991 anerkannt (CHARLES-EDOUARD HELD, Quelques réflexions relatives
à la pratique récente de la Suisse concernant la reconnaissance de nouveaux
Etats, SZIER 1994 S. 232). Das Parlament der Ukraine hat bereits zuvor am
22. September 1991 ein "Gesetz über die Nachfolge der Ukraine" erlassen
(französische Übersetzung in: ROMAIN YAKEMTCHOUK, a.a.O., S. 354 f.). Nach
Art. VII dieses Gesetzes ist die Ukraine in Bezug auf die Rechte und
Pflichten aus internationalen Abkommen, die

von der Sowjetunion abgeschlossen worden sind, Rechtsnachfolgerin, soweit
sie nicht im Widerspruch zur Verfassung der Ukraine und zu den Interessen
der Republik stehen. Das hielt das ukrainische Parlament auch nochmals in
einem "offenen Brief an die Parlamente und Völker der Erde" vom 5. Dezember
1991 fest (ROMAIN YAKEMTCHOUK, a.a.O., S. 164).

  3.5.2  In einem Dokument der Direktion für Völkerrecht des Eidgenössischen
Departements für auswärtige Angelegenheiten vom 30. März 1992 wurde unter
anderem in Bezug auf die Ukraine (und die übrigen GUS-Staaten sowie
Georgien, Slowenien und Kroatien) festgehalten, dass auf dem Gebiet der
Sukzession von Staaten in Abkommen keine weltweit allgemein anerkannten
Rechtsgrundsätze bestünden; ebenso wenig würden Nachfolgestaaten automatisch
in die Rechte und Pflichten des ursprünglichen Staates treten. Für jedes
Abkommen müsse geprüft werden, ob die Übernahme der Rechte und Pflichten des
ursprünglichen Staates durch den neu gebildeten Staat den Bedürfnissen der
beiden Vertragsstaaten entspreche. Diese Prüfung beanspruche oftmals einige
Zeit. Während dessen sollten die betreffenden Abkommen weniger aus
juristischen als vielmehr aus praktischen Gründen provisorisch weiterhin zur
Anwendung gelangen (Dokument in französischer Sprache auszugsweise
publiziert in: LUCIUS CAFLISCH, La pratique suisse en matière de droit
international public 1992, SZIER 1993 S. 709 f.). In einer weiteren Note vom
20. Januar 1994 wurde erklärt, dass es zwar nicht zu einer automatischen
Fortgeltung komme. Die betroffenen Staaten könnten aber jederzeit eine
Sukzessionserklärung abgeben oder aber ihre Absicht erklären, an den
fraglichen Vertrag nicht gebunden sein zu wollen (auszugsweise abgedruckt
in: LUCIUS CAFLISCH, La pratique suisse en matière de droit international
public 1993, SZIER 1994 S. 611; ähnlich die weitere Note vom 4. April 1995,
auszugsweise abgedruckt in: LUCIUS CAFLISCH, La pratique suisse en matière
de droit international public 1995, SZIER 1996 S. 619; vgl. auch THEODOR
SCHWEISFURTH, Das Recht der Staatensukzession, Die Staatenpraxis der
Nachfolge in völkerrechtliche Verträge, Staatsvermögen, Staatsschulden und
Archive in den Teilungsfällen Sowjetunion, Tschechoslowakei und Jugoslawien,
a.a.O., S. 88 ff., insbes. S. 97 f. bezüglich der Schweiz; ANDREAS
ZIMMERMANN, a.a.O., S. 416 f.).

  Ohne hierauf ausdrücklich Bezug zu nehmen, äusserte sich das Bundesamt für
Migration in seiner Stellungnahme vom 20. Januar

2005 gegenüber dem Verwaltungsgericht noch ähnlich: Es könnten hinsichtlich
der heutigen Geltung des Niederlassungsvertrages mit Russland zwar
Vorbehalte angebracht werden; diese rechtfertigten es zum heutigen Zeitpunkt
jedoch nicht, die Gültigkeit bzw. Anwendbarkeit dieses Vertrages
auszuschliessen; der Niederlassungsvertrag gelte dabei auch für die
Folgestaaten, so also insbesondere auch für die Ukraine.

  3.5.3  Alsdann haben die Schweiz und die Ukraine am 31. Juli und 4. August
1997 - nach dem erwähnten Urteil 1A.249/1995 vom 16. Januar 1996 (vgl. oben
E. 3.4.2) - Noten ausgetauscht (Titel französisch: Echange de notes entre la
Suisse et l'Ukraine confirmant le maintien en vigueur et l'application de
certains accords bilatéraux conclus entre la Suisse et l'URSS). In der Note
der Schweiz vom 31. Juli 1997 (Nr. 013/58-488), in welcher auch seitens der
Schweiz ausdrücklich festgehalten wird, die Ukraine sei ein Nachfolgestaat
der Sowjetunion (UdSSR), heisst es:

   "Le Département fédéral des affaires étrangères présente ses compliments
    à l'Ambassade de l'Ukraine et, considérant qu'à la suite de la
    disparition de l'Union des Républiques Socialistes Soviétiques l'Ukraine
    est un Etat successeur de l'ex-URSS, se réfère aux entretiens d'experts
    qui ont eu lieu à Berne, le 21 mai 1997 au sujet de la succession aux
    traités bilatéraux conclus entre la Suisse et l'Union des Républiques
    Socialistes Soviétiques et a l'honneur de lui proposer que les accords
    suivants demeurent en vigueur dans le cadre des relations bilatérales
    entre la Suisse et l'Ukraine:

    1.-3. (...)

    [Unter den Ziff. 1 bis 3 sowie 5 bis 7 werden verschiedene zwischen der
    Schweiz und der Sowjetunion von 1966 bis 1990 getroffene Vereinbarungen
    aufgeführt.]

    4. Echange de lettres du 1er décembre 1990 relatif à l'édition d'un
       recueil commun de documents en Suisse et en Union des Républiques
       Socialistes Soviétiques sur le développement des relations
       bilatérales entre 1815 et 1955, entré en vigueur le 1er décembre
       1990.

       5.-7. (...)"

  Die Botschaft der Ukraine in Bern antwortete dem Eidgenössischen
Department für Auswärtige Angelegenheiten hierzu am 4. August 1997:

   "L'Ambassade de l'Ukraine a l'honneur de notifier au Département que ce
    qui précède rencontre l'agrément des autorités ukrainiennes, et que la
    Note du Département ainsi que la présente réponse constituent la
    confirmation du maintien en vigueur des Accords susmentionnés dans les
    relations entre l'Ukraine et la Suisse."

  Im erwähnten Notenaustausch vom 1. Dezember 1990 zwischen der Schweiz und
der Sowjetunion war Folgendes festgehalten worden (an den damaligen
sowjetischen Aussenminister Schewardnadse gerichtetes Schreiben):

   "Suite à l'échange de vues entre divers représentants de nos pays
    respectifs sur la possibilité de l'édition d'un recueil commun de
    documents en Suisse et en URSS, concernant les rapports entre nos deux
    pays, j'ai l'honneur de communiquer à Votre Excellence ce qui suit:

    I. Le Département fédéral des affaires étrangères de la Confédération
       Suisse, en étroite collaboration avec le Département fédéral de
       l'intérieur, et le Ministère des affaires étrangères de l'Union des
       Républiques Socialistes Soviétiques en étroite collaboration avec la
       Direction principale des archives auprès du Conseil des Ministres de
       l'URSS, conviennent de préparer en commun un recueil de documents sur
       le développement de leurs relations bilatérales et de le publier en
       Suisse et en URSS. La période couverte par cette publication s'étend
       de 1815 à 1955.

    II. (...) Les documents qui se trouvent dans les archives des deux pays
        seront étudiés et sélectionnés par les autorités compétentes et par
        les chercheurs des deux pays respectifs. Les deux parties
        s'efforceront de proposer pour le recueil non seulement des
        documents déjà publiés, mais en premier lieu des documents inédits.

    III. - V. (...)"
  3.5.4  Nach dem Gesagten - vor allem mit Blick auf das ukrainische Gesetz
vom 22. September 1991 (vgl. E. 3.5.1 zuvor) - will die Ukraine entgegen der
Ansicht des Verwaltungsgerichts prinzipiell in die zwischen der Schweiz und
der Sowjetunion geltenden bilateralen Vereinbarungen eintreten. Zwar ist die
Sammlung von Dokumenten über die Entwicklung der bilateralen Beziehungen
zwischen 1815 (also auch in Bezug auf das russische Zarenreich) und 1955,
wie sie im erwähnten Notenaustausch vom 31. Juli/4. August 1997 vorgesehen
ist (vgl. E. 3.5.3 zuvor), bisher nicht erstellt und publiziert worden; es
liesse sich insofern im Übrigen fragen, welche Art von Dokumente gesammelt
werden sollen und welche Wirkungen ihrer anschliessenden Publikation oder
Nicht-Publikation zukommen würde. Trotzdem lässt sich daraus entnehmen, dass
beide Länder davon ausgehen, dass nicht nur seit Gründung der Sowjetunion
neu geschlossene Abkommen weiter gelten sollen, sondern gegebenenfalls
ebenso frühere (seit 1815) zustande gekommene Vereinbarungen, sofern sie bei
Auflösung der Sowjetunion noch existierten. Ergänzend sei bemerkt, dass sich
hier keine Fragen zum territorialen Geltungsbereich stellen, da die
Beschwerdeführerin aus

Kiew stammt und sich diese Stadt bereits bei Inkrafttreten des
Niederlassungsvertrages im Herrschaftsgebiet des russischen Zarenreichs
befand.

Erwägung 4

  4.  In seiner Vernehmlassung an das Bundesgericht hält das Bundesamt für
Migration ohne weitere Ausführungen fest, es fänden sich keine Hinweise,
wonach der in der Systematischen Rechtssammlung des Bundesrechts nicht
publizierte Niederlassungsvertrag mit Russland noch gültig sei.

  4.1  Seitens der Schweiz wurde der Niederlassungsvertrag mit Russland
bisher nicht gekündigt. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend bemerkt hat,
ist es für die Weitergeltung von Staatsverträgen unerheblich, ob sie in die
Systematische Sammlung des Bundesrechts (SR) oder zuvor in die Bereinigte
Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen von 1848-1947 (BS) aufgenommen
worden sind. Beiden Sammlungen ist für Staatsverträge (anders als für
Bundesgesetze) zu keinem Zeitpunkt eine so genannte negative Rechtskraft in
dem Sinne zugekommen, dass dort nicht enthaltene Staatsverträge als
aufgehoben gelten (vgl. BGE 81 II 319 E. 4 S. 330; BS 1 S. VI und BS 11 S.
VIII; Ergänzungsbotschaft zum Rechtskraftgesetz, BBl 1948 I 800; AS 1951 S.
1151 f.; Botschaft über die Veröffentlichung einer neuen Bereinigten
Sammlung der Gesetze und Verordnungen des Bundes, BBl 1965 I 320 f.; AS 1967
S. 17 f.; Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Gesetzessammlungen und
das Bundesblatt, BBl 1983 III 444; Vorwort zur SR des Bundeskanzlers Huber
vom November 1974).

  4.2
  4.2.1  Gemäss in der Amtlichen Sammlung von 1917 (AS XXXIII [1917] S. 954
f.) abgedruckter Mitteilung der Schweizerischen Bundeskanzlei wurde der
Niederlassungsvertrag durch Note der russischen Gesandtschaft in Bern vom 2.
November 1917 gekündigt; demnach würde der Vertrag gemäss seinem Art. 12
nach Ablauf eines Jahres erlöschen, falls inzwischen keine Verlängerung
erfolge. Im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die
Geschäftsführung im Jahre 1917 wurde alsdann festgehalten, durch eine Note
vom 11./24. Oktober 1917 habe die russische Regierung den Vertrag gekündigt
(BBl 1918 II 3). Im Bericht des Bundesrates für das Folgejahr wurde
ausgeführt, der Vertrag mit Russland, den Kerensky gekündigt habe, sei
dieses Jahr abgelaufen; die vom Eidgenössischen Politischen Departement zum

Zwecke einer Verlängerung angebahnten Unterhandlungen seien durch die
politischen Ereignisse in Russland unterbrochen worden (BBl 1919 II 242;
vgl. dort auch S. 690 f.). Im Registerband der Bereinigten Sammlung der
Bundesgesetze und Verordnungen 1848-1947 wurde unter den Rechtsakten des
Jahres 1872 der Niederlassungsvertrag zwar noch genannt, jedoch mit dem
Hinweis auf die in der AS XXXIII S. 954 erwähnte Note vom 2. November 1917
(BS 15 S. 99).

  4.2.2  In einer internen Mitteilung vom 6. Januar 1920 hatte das
Eidgenössische Politische Departement gegenüber dem Eidgenössischen Justiz-
und Polizeidepartement allerdings erklärt, die von der Regierung Kerensky
ausgesprochene Kündigung des Niederlassungsvertrages werde als nichtig
betrachtet, da sie von einer von der Schweiz nicht anerkannten Regierung
stamme. Der Vertrag könne in Bezug auf die sowjetische Regierung als
suspendiert gelten, keineswegs aber als aufgehoben (abgedruckt in: PAUL
GUGGENHEIM et al., Répertoire suisse de droit international public, Basel
1975, Bd. 1, S. 160 Rz. 1.77).

  4.2.3  Es fragt sich demnach, ob die Kündigung aus dem Jahre 1917 zum
Erlöschen des Niederlassungsvertrages geführt hat. Zwar sind die politischen
Behörden allein zuständig, einen Staatsvertrag zu kündigen (BGE 49 I 188 E.
3 S. 194 f.). Die Gerichte entscheiden hingegen selbständig über die
Rechtsfrage, ob ein Staatsvertrag noch gilt (BGE 81 II 319 E. 4 S. 330; 78 I
124 E. 3 S. 130).

  In einem Urteil vom 10. Dezember 1924 hatte das Bundesgericht ausgeführt,
die Nichtanerkennung der sowjetischen Regierung habe zur Folge, dass dieser
Regierung auf internationaler Ebene nicht die Handlungsfähigkeit zukomme,
Russland gegenüber der Schweiz zu vertreten (BGE 50 II 507 S. 512). Demnach
werden Akte nicht anerkannter ausländischer Regierungen gegenüber der
Schweiz als nichtig behandelt (vgl. EDUARD ZELLWEGER, Die völkerrechtliche
Anerkennung nach schweizerischer Staatenpraxis, in: Schweizerisches Jahrbuch
für internationales Recht Bd. 11/1954, S. 24; anders in Bezug auf die
Wirkungen der sowjetrussischen Gesetzgebung: BGE 51 II 259; 52 I 218; 54 II
225; 60 I 67; vgl. auch PETER STIERLIN, Die Rechtsstellung der
nichtanerkannten Regierung im Völkerrecht, Diss. Zürich 1940, S. 91 ff.).

  4.2.4  Unter dem Druck der so genannten Februarrevolution vom 12. März
1917 (27. Februar nach dem russischen Kalender) verzichtete

der damalige russische Zar am 15. März 1917 auf den Thron. In der Folge
wurde eine provisorische Regierung unter Ministerpräsident Georgi Fürst Lwow
gebildet, die über ihren Geschäftsträger in der Schweiz das Eidgenössische
Politische Departement mit Note vom 19. März 1917 entsprechend informierte.
Hierauf befasste sich der Bundesrat in seiner Sitzung vom 24. März 1917
erstmals mit der Frage der Anerkennung der neuen revolutionären Regierung in
Russland (bei PAUL GUGGENHEIM et al., a.a.O., S. 468 Rz. 3.62, und HEINZ
KLARER, a.a.O., S. 104 f. auszugsweise wiedergegebenes Dokument). Er
beschloss, geschäftliche Beziehungen zur provisorischen Regierung
aufzunehmen. Von einer formellen Anerkennung nahm er damals "im Hinblick auf
die provisorischen Verhältnisse" aber ausdrücklich Abstand.

  4.2.5  Auch wenn die Schweiz "geschäftliche" Beziehungen zur ersten
provisorischen Regierung aufgenommen hatte, ging sie zunächst davon aus,
dass sie die Letztere nicht formell bzw. de iure anerkannt hatte. Wegen der
provisorischen Verhältnisse wollte sie mit einer formellen Anerkennung
zuwarten. Dementsprechend erkannte sie auch nie offiziell den neuen
Vertreter in Bern an, den die provisorische Regierung Ende März 1917 zur
Ablösung des bisherigen russischen Geschäftsträgers entsandt hatte (DIETRICH
DREYER, Schweizer Kreuz und Sowjetstern, 1989, S. 14 f.). Es erwies sich in
der Folge, dass die erste provisorische Regierung keine feste Grundlage zu
schaffen vermochte, die Gewähr für ihre Dauerhaftigkeit bot; sie konnte sich
weder effektiv noch endgültig durchsetzen. Im Juli 1917 wurde Alexander
Kerensky neuer Ministerpräsident der provisorischen Regierung in Petrograd;
im September 1917 proklamierte er die Republik Russland. In der Zwischenzeit
hatte sich eine Doppelherrschaft der provisorischen Regierung und des
Petrograder Arbeiter- und Soldatensowjets etabliert. Die provisorische
Regierung verlor immer mehr an Ansehen und Autorität. Schliesslich nahmen
die Bolschewiken anlässlich der so genannten Oktoberrevolution am 7.
November 1917 (25. Oktober nach dem russischen Kalender) alle wichtigen
Zentren Petrograds ein und setzten die Mitglieder der provisorischen
Regierung ab. Hierauf wurde ein Rat der Volkskommissare unter Vorsitz Lenins
(als neue provisorische Arbeiter- und Bauernregierung) eingesetzt. Kerensky
tauchte unter und floh 1918 ins Ausland.

  4.2.6  Damit waren die Voraussetzungen für eine formelle Anerkennung der
ab Juli 1917 von Alexander Kerensky geführten Regierung

nicht gegeben (vgl. allgemein: EDUARD ZELLWEGER, a.a.O., S. 12; GEORG
DAHM/JOST DELBRÜCK/RÜDIGER WOLFRUM, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., Berlin
1989, S. 190 und 195; KNUT IPSEN, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S.
263 f. Rz. 13-17 und S. 273 f. Rz. 39-43). Nach dem Gesagten erscheint die
Schlussfolgerung des Eidgenössischen Politischen Departements in der
Mitteilung vom 6. Januar 1920 (vgl. E. 4.2.2 hiervor) als verständlich (vgl.
auch EDUARD ZELLWEGER, a.a.O., S. 25 lit. g). In eine ähnliche Richtung mag
auch der Bericht des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements aus dem
Jahre 1919 stossen, wonach eine klare Bestätigung der Kündigung von den
späteren Regierungen nicht erlangt werden konnte (vgl. BBl 1919 II 690 f.,
aber mit einer E. 3.2 hievor widersprechenden Schlussfolgerung).

  Allerdings ist es während der gesamten Sowjetzeit zu keiner Aktualisierung
des Niederlassungsvertrags gekommen. Ende 1918 wurden gar die (damals
ohnehin schon prekären) Kontakte zwischen der Schweiz und der
Sowjetregierung abgebrochen, als der Bundesrat im Zusammenhang mit Unruhen
im Lande die Sowjetmission in Bern zum Verlassen des Landes aufforderte
(vgl. WALTHER BURCKHARDT, Schweizerisches Bundesrecht, Bd. 1, Frauenfeld
1930, S. 191 f., N. 81; PAUL GUGGENHEIM et al., a.a.O., S. 472 ff. Rz. 3.66
und 3.67). Doch auch als sich die diplomatischen Beziehungen später wieder
normalisierten und die Schweiz die Sowjetunion sowie ihre Regierung
anerkannt hatte (vor allem ab 1946; vgl. HEINZ KLARER, a.a.O., S. 105 ff.;
EDGAR BONJOUR, Geschichte der schweizerischen Neutralität, Basel 1965 ff.,
Bd. 2 S. 686-707, Bd. 3 S. 360-376, Bd. 5 S. 373-425, Bd. 9 S. 324-370),
berief sich keiner der beiden Staaten je gegenüber dem anderen auf den
Niederlassungsvertrag von 1872. Dementsprechend wird er im Gegensatz zum
Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Russland vom 17. November 1873
auch im Notenaustausch vom 2. September 1993 zwischen Russland und der
Schweiz betreffend die mit der Sowjetunion abgeschlossenen bilateralen
Verträge nicht namentlich erwähnt. Ausserdem wurde der Niederlassungsvertrag
im 1955 erschienenen Registerband der Bereinigten Sammlung der Bundesgesetze
und Verordnungen für die Jahre 1848-1947 (BS 15 S. 99) zusammen mit dem
Hinweis (in AS XXXIII [1917] S. 954) auf die Note der russischen
Gesandtschaft vom 2. November 1917, mit welcher die Kündigung ausgesprochen
worden war, aufgeführt. Eine spätere Klarstellung im Sinne der erwähnten
internen Mitteilung

des Eidgenössischen Politischen Departements vom 6. Januar 1920 erfolgte
nicht. Ebenso wenig ist eine Verständigung mit der sowjetischen Regierung
hierzu bekannt geworden. Vielmehr wurde der Niederlassungsvertrag mit
Russland in den Verzeichnissen der in Kraft stehenden bzw. nach Art. 14 ANAV
zu berücksichtigenden Niederlassungsverträge in der Folge nicht mehr
aufgeführt (Vertrag noch erwähnt bei PAUL MARX, Systematisches Register zu
den geltenden Staatsverträgen der schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Kantone mit dem Ausland, Zürich 1918, S. 368; sodann nicht mehr erwähnt
unter anderem bei: WALTHER BURCKHARDT, Schweizerisches Bundesrecht, Bd. 4,
Frauenfeld 1931, S. 365 f., N. 1859; MAX RUTH, Das Fremdenpolizeirecht der
Schweiz, Zürich 1934, S. 156; PETER KOTTUSCH, Die Niederlassungsbewilligung
gemäss Art. 6 ANAG, ZBl 87/1986 S. 553; Bundesamt für Migration, Weisungen
und Erläuterungen über Einreise, Aufenthalt und Arbeitsmarkt
[ANAG-Weisungen], Anhang 0/1, letzte Änderung der Liste am 8. Juli 2003).

  4.2.7  Demzufolge hat der Niederlassungsvertrag zumindest als weiterhin
suspendiert zu gelten, wenn er nicht sogar als erloschen zu betrachten ist
(etwa durch nachträgliche Anerkennung der Regierung Kerensky und ihrer
Akte). Darüber werden sich die zuständigen Stellen Klarheit zu verschaffen
haben (vgl. in diese Richtung zum Teil auch das vom Ständerat angenommene
Postulat Stähelin vom 27. September 2004, Ziff. 04.3464, und Antwort des
Bundesrates vom 17. November 2004, in: AB 2004 S 879 sowie Beilagen der
Wintersession 2004 S. 42 f., und Ziff. 4 des erwähnten Notenaustauschs vom
31. Juli/4. August 1997, siehe oben E. 3.5.3). Nach dem Gesagten können sich
die Beschwerdeführer derzeit jedenfalls nicht auf den mit Russland
geschlossenen Niederlassungsvertrag von 1872 berufen und haben somit keinen
Rechtsanspruch auf den Kantonswechsel. Mit Blick auf das oben in Erwägung 1
Ausgeführte tritt das Bundesgericht auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
demnach nicht ein. Etwaige im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde zu
behandelnde Rügen wurden nicht erhoben (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE
114 Ia 307 E. 3c S. 312 f.; 127 II 161 E. 3b S. 167).