Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 II 298



Urteilskopf

132 II 298

  27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
AG gegen Schweizerisches Heilmittelinstitut Swissmedic sowie Eidgenössische
Rekurskommission für Heilmittel (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  2A.677/2005 vom 10. Mai 2006

Regeste

  Art. 9 Abs. 1 und 2 lit. a HMG; Inverkehrbringen von Arzneimitteln ohne
Zulassung; nach ärztlicher Verschreibung hergestellte Arzneimittel (sog.
Magistralrezepturen).

  Voraussetzungen für das zulassungsfreie Inverkehrbringen von Arzneimitteln
gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG (Formula magistralis). Serienmässig im
Voraus und auf Vorrat - mithin nicht erst im Bedarfsfalle auf ärztliche
Verschreibung hin - hergestellte Arzneimittel können nicht gestützt auf
diese Bestimmung zulassungsfrei in Verkehr gebracht werden (E. 4).

Sachverhalt

  Am 6. April 2004 führte das Regionale Heilmittelinspektorat der
Nordwestschweiz im Auftrag des Schweizerischen Heilmittelinstituts
(Swissmedic; im Folgenden: Institut) eine unangemeldete Inspektion in den
gemeinsamen Betriebsräumlichkeiten der X. AG und der Y. AG in A. durch. Am
2. November 2004 erliess das Institut eine Verfügung, mit welcher es der X.
AG unter anderem per sofort den Vertrieb von 31 Präparaten verbot, weil
diese nicht über die nach dem Heilmittelrecht erforderliche Zulassung des
Instituts verfügten.

  Hiergegen erhob die X. AG Beschwerde bei der Eidgenössischen
Rekurskommission für Heilmittel (im Folgenden: Rekurskommission). Zuletzt
waren im Beschwerdeverfahren elf Präparate der X. AG streitig geblieben. Mit
Urteil vom 20. Oktober 2005 wies die Rekurskommission für Heilmittel die
Beschwerde ab (unter anderem) in Bezug auf folgende Präparate:
- Inhalationslösung A 100 ml mit Spritze 5 ml
- Inhalationslösung B 100 ml mit Spritze 5 ml
- Inhalationslösung B forte 100 ml mit Spritze 5 ml
- Inhalationslösung C 100 ml mit Spritze 5 ml
- Morphinum HCl 5 % 50 ml 1 StAmp.

  Mit Postaufgabe vom 21. November 2005 hat die X. AG beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht (Verfahren 2A.677/2005). Sie
beantragt, das Urteil der Rekurskommission sei bezüglich des
Vertriebsverbotes für die erwähnten Arzneimittel aufzuheben. Eventuell sei
das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen.

  Das Bundesgericht weist die Beschwerde insoweit ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  In Bezug auf die erwähnten vier Inhalationslösungen sowie das Präparat
Morphinum HCl 5 % 50 ml 1 StAmp. macht die X. AG geltend, dass für diese als
so genannte Magistralrezepturen gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. a des
Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte
(Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) eine Zulassung entbehrlich sei.

  4.1  Gemäss dieser Bestimmung brauchen Arzneimittel keine Zulassung,

   "die in einer öffentlichen Apotheke, in einer Spitalapotheke oder, in
    deren Auftrag, in einem anderen Betrieb, der über eine
    Herstellungsbewilligung verfügt, nach ärztlicher Verschreibung für eine
    bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis oder für ein
    bestimmtes Tier oder einen bestimmten Tierbestand hergestellt werden
    (Formula magistralis)".

  4.2  Die Rekurskommission hat aus der gesetzlichen Regelung geschlossen,
dass der Arzt dem Apotheker ein Rezept vorlegen müsse, welches eine
detaillierte Anweisung zur Arzneimittelanfertigung enthält und nicht bloss
den generellen Auftrag zur Arzneimittelausgabe, wie dies bei der
Verschreibung von zulassungspflichtigen Präparaten der Fall sei. Ausserdem
müsse die Zubereitung aufgrund der in der ärztlichen Verschreibung
verlangten Zusammensetzung speziell für die Erfüllung des ärztlichen
Auftrages hergestellt und dürfe nicht serienmässig auf Vorrat produziert
werden. Die Lagerhaltung auch kleiner Mengen sei ausgeschlossen.

  Die Rekurskommission ist der Ansicht, dass es sich bei den hier
interessierenden Präparaten nicht um derartige Einzelzubereitungen nach
ärztlicher Verschreibung handle. Sie hat festgestellt, dass die Präparate
wie zulassungspflichtige Medikamente aus einem von der X. AG vorgegebenen
Sortiment vorproduzierter Waren ausgewählt werden. Die X. AG stelle für eine
Vielzahl von Patienten einheitliche Präparate her, die in keiner Weise
individualisiert, sondern geeignet seien, bei unbestimmt vielen Personen
eingesetzt zu werden. Die Zubereitung erfolge nicht einzelfallweise, zur
Erfüllung eines bestimmten ärztlichen Rezeptes, sondern serienmässig. Für
diese Arzneimittel sei die in Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG vorgesehene Ausnahme
daher nicht anwendbar.

  4.3  Demgegenüber ist die X. AG der Auffassung, Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG
umfasse auch in einem gewissen Umfange serienmässig auf Vorrat hergestellte
Präparate, wobei sowohl der Apotheke als auch dem Herstellungsbetrieb die
Lagerhaltung geringer Mengen erlaubt sei.

  4.4  Das Bundesgericht hat bereits festgehalten, dass die in Art. 9 Abs. 2
HMG vorgesehenen Ausnahmen von der Zulassungspflicht restriktiv auszulegen
sind (BGE 132 II 200 E. 1.7.1 S. 203).

  4.4.1  Wie die X. AG zwar zu Recht bemerkt, hat der Gesetzgeber den
ursprünglichen Entwurf des Bundesrates, der lediglich die Zubereitung

durch öffentliche Apotheken und Spitalapotheken vorsah, insoweit ergänzt und
damit etwas erweitert, als zusätzlich die Möglichkeit der Delegation der
Produktion an einen nach dem Heilmittelgesetz herstellungsberechtigten
Betrieb vorgesehen wurde. Das Gleiche gilt, soweit zulassungsfreie
Magistralrezepturen nicht nur - gemäss Botschaftsentwurf - für eine
bestimmte Einzelperson, sondern auch für einen "bestimmten Personenkreis" in
Betracht kommen (vgl. BBl 1999 S. 3495 und 3621). Wohl finden sich in den
Materialien keine weiteren Ausführungen hierzu, nachdem das Parlament die
vorgeschlagenen Ergänzungen diskussionslos angenommen hatte (vgl. AB 2000 N
86 und S 594). Mit diesen Ergänzungen wurde der wesentliche Inhalt des Art.
9 Abs. 2 lit. a HMG indes nicht geändert: Als Magistralrezepturen sollten
nach dem insofern unveränderten, klaren Wortlaut sowohl der deutschen als
auch der französischen und der italienischen Fassung nur solche Arzneimittel
von der Zulassungspflicht ausgenommen sein, die "nach ärztlicher
Verschreibung" für bestimmte Adressaten "hergestellt werden" (frz.:
"préparés sur ordonnance médicale"; ital.: "fabbricati [...] su prescrizione
medica"). Damit sind also weiterhin Medikamente gemeint, die laut Botschaft
"auf ärztliche Verschreibung hin" "im Bedarfsfalle einzeln zubereitet"
werden, weil das Arzneimittel etwa in der benötigten "Zusammensetzung oder
Dosierung nicht auf dem Markt erhältlich ist" (BBl 1999 S. 3495 zu Art. 9
Abs. 2 lit. a HMG).

  Die erwähnte Bedarfslage kann nicht nur für eine bestimmte Einzelperson,
sondern auch für "einen bestimmten Personenkreis" zutreffen, weshalb die
entsprechende Ergänzung des Gesetzestextes durchaus Sinn machte. Damit war
jedoch nicht eine serienmässige Produktion auf Vorrat gemeint, die
stattfindet, bevor ärztliche Rezepte den konkreten Bedarf für die
Medikamente überhaupt festgestellt haben. Dem stünde nicht nur der klare
Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG entgegen. Die Sichtweise der X. AG
würde die grundsätzliche Zulassungspflicht nach Art. 9 Abs. 1 HMG letztlich
in weiten Teilen aus den Angeln heben, was nicht dem Willen des Gesetzgebers
entspräche. Es bestünde insbesondere ein Widerspruch zu Sinn und Zweck des
Gesetzes, das darauf ausgerichtet ist, im Zulassungsverfahren Qualität,
Sicherheit und Wirksamkeit umfassend zu belegen (vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. a
HMG), um damit den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier bestmöglich zu
gewährleisten (vgl. Art. 1 HMG). Für besondere Gefahrenlagen
(lebensbedrohende

Krankheiten) besteht im Übrigen die Ausnahmebestimmung in Art. 9 Abs. 4 HMG
(vgl. dazu Urteil 2A.469/2003 vom 6. September 2004, E. 3.3), auf die sich
die X. AG hier jedoch nicht berufen kann.

  Zu keinem anderen Schluss führt die Möglichkeit der Delegation der
Zubereitung an einen Dritten mit Herstellungsbewilligung. Damit sollte nur
der Kreis der Herstellungsbetriebe erweitert werden, weil erkannt wurde,
dass die Beschränkung auf die genannten Apotheken zu eng ist; das
entsprechende Fachwissen und die notwendigen Garantien sind bei Dritten mit
Herstellungsbewilligung ebenso gut gewährleistet. Eine darüber hinausgehende
Erweiterung der Ausnahmebestimmung konnte damit jedoch nicht gemeint sein.

  4.4.2  Der X. AG schweben als Abgrenzungskriterium zwischen den nach Art.
9 Abs. 1 HMG zulassungspflichtigen Arzneimitteln einerseits und den
zulassungsfreien Magistralrezepturen anderseits die mengenmässigen
Beschränkungen vor, die in Art. 9 Abs. 2 lit. b und c HMG erwähnt sind.
Insoweit ist ihr indes vor allem entgegenzuhalten, dass die beiden
letztgenannten Ausnahmeregelungen die Beschränkung auf "kleine Mengen"
ausdrücklich vorsehen. Das ist für Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG aus dem
offensichtlichen Grund nicht der Fall, weil diese Bestimmung nur
Arzneimittel erfassen soll, die auf eine ärztliche Verschreibung hin für die
betroffenen Personen, Tiere oder Tierbestände hergestellt werden. Das
schliesst eine serienmässige Produktion im Voraus und auf Vorrat aus.

  4.4.3  Demzufolge ist Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG so zu verstehen, dass
Arzneimittel nur dann zulassungsfrei in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn
sie zeitlich nach einer ärztlichen Verordnung sowie gestützt auf diese für
die von ihr erfassten Personen oder Tiere hergestellt werden. Das trifft für
die hier interessierenden Präparate nach den verbindlichen - und insoweit
nicht bestrittenen - Feststellungen der Rekurskommission (vgl. Art. 105 Abs.
2 OG) nicht zu. Die X. AG kann sich somit nicht auf Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG
berufen. Welchen Inhalt die Verschreibungen nach dieser Bestimmung
mindestens haben müssen, braucht vorliegend nicht geprüft zu werden.

  4.4.4  Die X. AG macht einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht
geltend (vgl. dazu BGE 122 II 446 E. 4a S. 451 f.; 125 II 152 E. 5 S. 166,
je mit Hinweisen). Entgegen ihrer Meinung ist jedoch

nicht ersichtlich, dass das Institut in Bezug auf Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG
ständig vom Gesetz abweicht und zu erkennen gegeben hat, dass es auch in
Zukunft nicht gesetzeskonform zu entscheiden gedenke. Aus den vom Institut
eingereichten Unterlagen ist namentlich nicht zu entnehmen, dass es
betreffend die Spitalapotheke eines bestimmten Kantonsspitals die genannte
Bestimmung anders auslegt bzw. insoweit untätig bleibt.