Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 II 284



Urteilskopf

132 II 284

  25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S.
Swisscom Fixnet AG gegen Verizon Switzerland AG sowie Eidgenössische
Kommunikationskommission (ComCom) (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  2A.451/2005 vom 21. April 2006

Regeste

  Art. 11 FMG; behördliche Festlegung von Interkonnektionsbedingungen.

  Kompetenz der Kommunikationskommission zur Anordnung von Nebenpflichten im
Interkonnektionsverfahren sowie Bundesrechtmässigkeit derselben (E. 6).

Sachverhalt

  Am 20. April 2000 reichte die MCI WorldCom AG bei der Eidgenössischen
Kommunikationskommission ein Gesuch ein, mit dem sie die Festlegung der
Bedingungen für bestimmte Interkonnektionsleistungen im Verhältnis zur
Swisscom AG beantragte. Mit Verfügung vom 6. November 2003 gab die
Kommunikationskommission diesem Interkonnektionsgesuch statt. Insbesondere
verpflichtete sie die Swisscom AG, mit Wirkung ab dem 1. Januar 2000 einzeln
definierte Interkonnektionsleistungen zu genau festgelegten Preisen für die
Jahre 2000 bis 2003 anzubieten bzw. abzurechnen. Darüber hinaus traf sie
ergänzende Anordnungen im Rahmen der Bedingungen der Interkonnektion.

  Dagegen führten sowohl die Swisscom AG als auch die MCI WorldCom AG
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Dieses vereinigte die
beiden Beschwerdeverfahren und hiess am 1. Oktober 2004 beide
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gut, hob die Verfügung der
Kommunikationskommission vom 6. November 2003 auf und wies die Sache an
diese zurück zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen (Verfahren
2A.587/2003 und 2A.588/2003).

  In der Folge traf die Kommunikationskommission am 10. Juni 2005 eine
erneute Verfügung zu den Bedingungen und namentlich den Preisen der
Interkonnektion zwischen der - inzwischen anstelle der Swisscom AG in das
Verfahren eingetretenen - Swisscom Fixnet AG und der MCI WorldCom AG.

  Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht vom 13. Juli 2005
stellt die Swisscom Fixnet AG im Wesentlichen die folgenden Anträge:

   "I. Hauptanträge

    1. Ziff. 2 des Dispositivs der Verfügung sei aufzuheben und die Preise
       für die Interkonnektionsdienste der Beschwerdeführerin seien für die
       Jahre 2000-2003 gemäss dem dieser Beschwerde beigefügten Anhang 1
       festzulegen.

    2. Die Ziffern 4.2 und 4.5 des Dispositivs der Verfügung seien
       aufzuheben und die preisunabhängigen Interkonnektionsbedingungen
       seien, soweit in diesem Verfahren darüber entschieden werden kann,
       wie folgt festzulegen:

       (Ziff. 3.2.3 Vertragsentwurf 4.1)

    'Sollte die zuständige Behörde in einem ordentlichen Verfahren auf
    Begehren eines Dritten in einem rechtskräftigen Endentscheid die Preise
    bezüglich einer oder mehrerer von diesem Vertrag betroffenen
    Dienstleistungen neu festsetzen, so werden die entsprechenden
    Dienstleistungen reziprok zu den neuen Preisen ab dem Zeitpunkt der
    Rechtskraft des Endentscheides erbracht.'

    (Ziff. 10.2 der Geschäftsbedingungen)

    'Werden verbindliche Termine nicht eingehalten, so ist in jedem Fall
    eine angemessene Nachfrist zur nachträglichen Erfüllung anzusetzen.
    Dabei haften die Parteien für Schaden, sofern sie nicht beweisen, dass
    sie kein Verschulden trifft. Sie haften für jedes Verschulden und
    höchstens für den entstandenen Schaden, wobei die Haftung auf maximal
    CHF 50'000 je Schadenfall beschränkt wird. Ausgeschlossen ist in jedem
    Fall die Haftung für entgangenen Gewinn.'

    3. Ansonsten sei das Interkonnektionsgesuch der Beschwerdegegnerin
       abzuweisen.

       (...)"

  Die MCI WorldCom AG änderte in der Folge ihre Firma in MCI Communications
Switzerland AG. Unter diesem Namen schliesst sie auf Abweisung der
Beschwerde. Die Kommunikationskommission beantragt die teilweise Gutheissung
der Beschwerde und die Aufhebung der Dispositivziffer 3 (richtig: 2) ihrer
Verfügung; im Übrigen stellt sie Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Mit
ergänzender Stellungnahme schliesst sich die MCI Communications Switzerland
AG dem Antrag der Kommunikationskommission an.

  Mit Wirkung ab dem 1. März 2006 änderte die MCI Communications Switzerland
AG ihre Firma erneut; sie heisst nunmehr Verizon Switzerland AG.

  Das Bundesgericht heisst die Beschwerde hinsichtlich der von der
Kommunikationskommission festgelegten Preise teilweise gut, weist sie im
Übrigen jedoch ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

  6.

  6.1  Die Beschwerdeführerin behauptet, die Kommunikationskommission sei im
Interkonnektionsverfahren einzig für vertragliche Hauptleistungspflichten
wie die eigentliche Gewährung des Netzzuganges sowie die Festlegung des
Interkonnektionspreises zuständig. Sie habe jedoch gestützt auf Art. 11 des
Fernmeldegesetzes vom

30. April 1997 (FMG; SR 784.10) keine Kompetenz, auch
Nebenleistungspflichten und Nebenpflichten anzuordnen, zu denen
administrative, technische und rechtliche Fragen untergeordneter Bedeutung
gehörten. Komme über vorbehaltene Nebenpunkte keine Einigung zustande, habe
gemäss Art. 2 Abs. 1 OR der Richter über diese nach der Natur des Geschäfts
zu entscheiden, wobei nach Art. 11 Abs. 4 zweiter Satz FMG solche
Streitigkeiten unter die Zivilgerichtsbarkeit fielen. Konkret ficht die
Swisscom Fixnet AG ausdrücklich an, dass die Vorinstanz nicht angeordnet
hat, Preisanpassungen bei Behördenentscheiden auf Begehren eines Dritten
würden erst ab Rechtskraft der Verfügung gelten (Dispositivziffer 4.2); die
Beschwerdeführerin stösst sich überdies daran, dass die
Kommunikationskommission den Haftungsausschluss für entgangenen Gewinn nicht
in die Interkonnektionsbedingungen aufgenommen hat (Dispositivziffer 4.5).

  6.2  Zunächst erscheint der Standpunkt der Beschwerdeführerin
widersprüchlich. Einerseits spricht sie der Vorinstanz die Zuständigkeit für
die Regelung so genannter Nebenpunkte im Interkonnektionsverfahren ab;
andererseits ficht sie diese Regelung nicht gesamthaft, sondern nur
teilweise an und verlangt sogar die Aufnahme ergänzender Anordnungen in die
Interkonnektionsverfügung, für die nach ihrer Ansicht doch gar nicht die
Interkonnektionsbehörde, sondern der Zivilrichter zuständig sein soll. Diese
Auffassung der Beschwerdeführerin geht jedoch ohnehin fehl. Art. 11 Abs. 3
FMG ist (bewusst) sehr offen formuliert. Die Kommunikationskommission ist
zuständig, die Bedingungen für die Interkonnektion zu verfügen. Eine
Einschränkung auf die Hauptpunkte besteht nicht. Zu den fraglichen
Bedingungen zählen vielmehr sämtliche Punkte, die in einem sachlichen
Zusammenhang zur Interkonnektion stehen. Dass dazu neben technischen
Regelungen auch Bestimmungen zur Abwicklung des Vertragsverhältnisses (etwa
zur Gewährleistung oder Haftung) gehören, ist in diesem Sinne sachlich
begründet. Art. 11 Abs. 3 FMG geht insofern Art. 2 OR vor, bzw. die Regeln
des allgemeinen Vertragsrechts greifen im Bereich der behördlich verfügten
Interkonnektionsbedingungen nicht bzw. lediglich subsidiär. Damit wird das
in Art. 11 Abs. 3 FMG vorgesehene Verhandlungsprimat nicht desavouiert und
auch nicht eine behördliche ex-ante-Regulierung eingeführt, wie die
Beschwerdeführerin behauptet. Vielmehr bleibt es dabei, dass die
Interkonnektionspartner zunächst dreimonatige Verhandlungen - auch zu den
Nebenpunkten der Interkonnektion -

zu führen haben, bevor die Kommunikationskommission ex post und lediglich
auf Gesuch hin tätig werden kann. Für die Nebenbestimmungen ist auch nicht
der Zivilrichter zuständig. Seine Kompetenz für die Beurteilung von
Streitigkeiten aus Interkonnektionsvereinbarungen und -entscheiden erstreckt
sich lediglich auf die Frage der Auslegung und Durchsetzung gültig
vereinbarter Bestimmungen bzw. rechtskräftiger Entscheide (vgl. BBl 1996 III
1427; PETER R. FISCHER/OLIVER SIDLER, B. Fernmelderecht, in: Koller/
Müller/Rhinow/Zimmerli [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd.
V, Rolf H. Weber [Hrsg.], Informations- und Kommunikationsrecht, Teil 1, 2.
Aufl., Basel/Genf/München 2003, S. 165, Rz. 179). Eine parallele
Zuständigkeit der Interkonnektionsbehörde für die Hauptpunkte und der
Zivilgerichte für die Nebenpunkte erschiene im Übrigen ohnehin nicht
sinnvoll und höchst unpraktikabel und würde die Interkonnektion übermässig
erschweren. Die Zuständigkeit der Kommunikationskommission für die hier
strittigen Nebenpunkte der Interkonnektion erweist sich damit als gegeben.
Dabei verfügt die Regulierungsbehörde über ein erhebliches Ermessen, sind
doch der Rechtsordnung - noch weniger als bei der Preisgestaltung, wo das
Gesetz immerhin die Kostenorientierung vorschreibt und die Verordnung dies
teilweise konkretisiert - praktisch keine Vorgaben für die Nebenpunkte der
Interkonnektion zu entnehmen, ausser dass sich ihre Festlegung (in Anwendung
von Art. 11 Abs. 3 FMG) an den Grundsätzen der Markt- und Branchenüblichkeit
auszurichten hat. Gesetz- und Verordnungsgeber haben hier der
Kommunikationskommission einen grossen Entscheidungsspielraum eingeräumt,
den das Bundesgericht entsprechend zu respektieren hat.

  6.3  Angesichts dieses Spielraumes ist nicht zu beanstanden, wenn die
Vorinstanz für die Beurteilung der Markt- und Branchenüblichkeit der
Nebenbestimmungen nicht lediglich auf die Häufigkeit bzw. Beständigkeit
einer bestimmten Regelung, sondern auch auf deren sachliche Rechtfertigung
und Praktikabilität abstellt. Darüber hinaus erscheint es zulässig, eine
gewisse Vertragsgerechtigkeit anzustreben, sofern damit der Ausgleich der
Marktbeherrschung bzw. eine Regelung bezweckt wird, wie sie unter
Vertragspartnern mit gleicher oder zumindest ähnlicher Verhandlungsmacht zu
erwarten ist. Ein solcher Ausgleich entspricht dem Gesetzeszweck von Art. 11
Abs. 1 FMG. Die Kommunikationskommission hat sich an diese Grundsätze
gehalten, weshalb ihre Würdigung der Markt- und

Branchenüblichkeit bei den Nebenbedingungen der Interkonnektion
grundsätzlich vor dem Bundesrecht standhält.

  6.4  Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass Preisanpassungen,
die von der Regulierungsbehörde auf Begehren eines Dritten verfügt werden,
rückwirkend auf den Beginn der Interkonnektionsbedingungen und nicht erst ab
Rechtskraft der fraglichen Verfügung gelten sollen. Eine solche
Rückwirkungsklausel entspricht indessen durchaus dem Gesetz und liegt im
öffentlichen Interesse. Aufgrund des Gebots der Nichtdiskriminierung gemäss
Art. 11 Abs. 1 FMG ist die marktbeherrschende Anbieterin verpflichtet, allen
Konkurrentinnen dieselben Interkonnektionsbedingungen zu gewähren. Kleinere
Interkonnektionspartner sind nicht ohne weiteres in der Lage, selbst ein
aufwendiges Interkonnektionsverfahren zu führen, und darauf angewiesen, sich
zeitgerecht dem Ergebnis der Interkonnektionsstreitigkeiten grösserer
Konkurrenten anschliessen zu können. Gleichzeitig verringert eine
Rückwirkungsklausel den Anreiz, Interkonnektionsverfahren aus finanziellen
bzw. wettbewerbspolitischen Gründen zu verzögern. Wird die
Rückwirkungsklausel im Sinne der Nichtdiskriminierung allen
Interkonnektionspartnern einer marktbeherrschenden Anbieterin gewährt, wird
damit für eine möglichst zeitige Umsetzung des Prinzips des funktionierenden
Wettbewerbs unter vergleichbaren Bedingungen für alle Marktteilnehmer
gesorgt. Dies entspricht der Zwecksetzung der Rechtsordnung, was auch die
damit verbundene (indirekte) Drittwirkung des Interkonnektionsentscheides
auf andere Interkonnektionsverhältnisse rechtfertigt. Erneut ist nicht
ersichtlich, weshalb dadurch das Verhandlungsprimat nach Art. 11 Abs. 3 FMG
in Frage gestellt sein bzw. inwiefern dadurch eine ex-ante-Regulierung
eingeführt werden sollte, bringt die strittige Rückwirkungsklausel doch
keine (prozessualen) Abweichungen von den entsprechenden
Verfahrensbestimmungen mit sich.

  6.5  Was sodann den von der Vorinstanz verfügten Verzicht auf einen
Haftungsausschluss für entgangenen Gewinn betrifft, so verweist die
Beschwerdeführerin auf die Häufigkeit bzw. Verbreitung von entsprechenden
Klauseln in der Telekommunikationsbranche. Die Kommunikationskommission hat
dies im angefochtenen Entscheid freilich durchaus berücksichtigt. Der
Verzicht auf den Haftungsausschluss beruht jedoch auf einem anderen Grund:
In der Regel hat vor allem die marktbeherrschende Anbieterin ein Interesse
an einer Haftungsausschlussklausel, da sie versucht sein könnte,

wesentliche Interkonnektionsbedingungen nicht strikt zu beachten,
insbesondere entsprechende Termine nur verzögert einzuhalten, um möglichst
lange (in ungerechtfertigter Weise) vom bestehenden Wettbewerbsvorteil zu
profitieren. Das Risiko einer Haftung aus entgangenem Gewinn wirkt einem
allfälligen solchen Verhalten entgegen, weshalb der Verzicht auf die von der
Beschwerdeführerin verlangte Haftungsausschlussklausel mit dem Zweck von
Art. 11 Abs. 1 FMG in Einklang steht, den ungerechtfertigten
Wettbewerbsvorteil der marktbeherrschenden Anbieterin effizient und
zeitgerecht zu beseitigen.

  6.6  Die von der Beschwerdeführerin angefochtenen Nebenbedingungen der
Interkonnektion sind demnach mit dem Bundesrecht vereinbar.