Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 II 117



Urteilskopf

132 II 117

  9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Kanton Zürich sowie Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  1A.181/2005 vom 19. Januar 2006

Regeste

  Art. 12 Abs. 2 OHG; Bemessung und Verzinsung eines opferhilferechtlichen
Genugtuungsanspruchs.

  Kriterien der Genugtuungsbemessung im Opferhilferecht; sinngemässe
Anwendung zivilrechtlicher Grundsätze; Heranziehung der
Integritätsentschädigung nach UVG als Anhaltspunkt zur Bewertung der
objektiven Schwere der immateriellen Beeinträchtigung; keine
Berücksichtigung täterbezogener Bemessungskriterien (Bestätigung der
Rechtsprechung; E. 2).

  Im Opferhilferecht hat die Verzinsung eines Genugtuungsanspruchs die
Bedeutung eines Bemessungsfaktors (E. 3).

Sachverhalt

  X., geboren (...), erlitt am (...) während (...) eine Schussverletzung im
Unterleib. Am 30. Januar 2002 reichte er bei der Direktion der Justiz und
des Innern des Kantons Zürich, Kantonale Opferhilfestelle, ein Gesuch um
Ausrichtung einer Genugtuung ein. Die Opferhilfestelle verfügte vorerst die
Sistierung des Verfahrens bis zum Abschluss des Strafprozesses.

  Im Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 18.
August 2003 wurde davon Vormerk genommen, dass der Täter die
Genugtuungsforderung des Geschädigten im Betrag von Fr. 30'000.- zuzüglich
Zins zu 5 % seit (...) [Tag des Schadensereignisses] anerkannt hatte. Sodann
wurde dem Grundsatz nach entschieden, dass der Täter für die Deliktsfolgen
haftpflichtig ist, und der Geschädigte bezüglich der Höhe des
Schadenersatzes und einer allfälligen zusätzlichen Genugtuung auf den
Zivilweg verwiesen.

  Am 19. Juli 2004 bezifferte X. gegenüber der Opferhilfestelle seine
Genugtuungsforderung auf Fr. 140'000.-, abzüglich einer nach
Unfallversicherungsgesetz ausgerichteten Integritätsentschädigung, zuzüglich
Zins zu 5 % auf Fr. 140'000.- seit (...) [Tag des Schadensereignisses]. Die
Opferhilfestelle sistierte daraufhin das Verfahren bis zum Abschluss des
Unfallversicherungsverfahrens. Mit Verfügung vom 12. November 2004 sprach
die Unfallversicherung X. eine Integritätsentschädigung in der Höhe von 50 %
des Höchstbetrags des versicherten Verdienstes von Fr. 106'800.-, somit
einen Betrag von Fr. 53'400.- zu. Mit Verfügung vom 8. Februar 2005 hiess
die Opferhilfestelle das Gesuch um Ausrichtung einer zusätzlichen
opferhilferechtlichen Genugtuung im Umfang von Fr. 16'600.- gut und wies es
im Mehrbetrag ab.

  Gegen diese Verfügung erhob X. unter Wiederholung seiner Anträge
Beschwerde, welche das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit
Urteil vom 31. Mai 2005 abwies.

  X. hat gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingelegt. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Der Beschwerdeführer beanstandet die Bemessung der Genugtuung. Als
erstes bringt er vor, bei korrekter Ermittlung der Genugtuung, welche das
Sozialversicherungsgericht nach der Zweiphasenmethode

von HÜTTE und DUCKSCH (vgl. KLAUS HÜTTE/PETRA DUCKSCH/KAYUM GUERRERO, Die
Genugtuung, 3. Aufl., Stand August 2005, I/21, N. 4.3) vornehme, hätte es
nicht nur den Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit, sondern auch die Störung
der Sexualfunktion bei der Berechnung der "Basisgenugtuung" beachten müssen.
Des Weitern macht der Beschwerdeführer geltend, das Gericht habe nicht alle
die Genugtuung erhöhenden Faktoren berücksichtigt.

  2.2
  2.2.1  Nach Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die
Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5) ist jede
Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder
psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, dazu
berechtigt, die im Gesetz vorgesehene Hilfe zu beanspruchen. Art. 12 Abs. 2
OHG sieht vor, dass dem Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG unabhängig von
seinem Einkommen eine Genugtuung ausgerichtet werden kann, wenn es schwer
betroffen ist und besondere Umstände es rechtfertigen. Das Opferhilfegesetz
enthält keine Bestimmungen über die Bemessung der Genugtuung. Nach der
Rechtsprechung sind die von den Zivilgerichten entwickelten
Bemessungsgrundsätze zu Art. 47 und 49 OR sinngemäss heranzuziehen (BGE 128
II 49 E. 4.1 S. 53 mit Hinweisen).

  2.2.2  Art. 47 OR bestimmt, dass der Richter bei Tötung eines Menschen
oder Körperverletzung dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten
unter Würdigung der besonderen Umstände eine angemessene Geldsumme als
Genugtuung zusprechen kann. Die Genugtuung bezweckt den Ausgleich für
erlittene Unbill, indem das Wohlbefinden anderweitig gesteigert oder die
Beeinträchtigung erträglicher gemacht wird (BGE 123 III 10 E. 4c/bb S. 15,
306 E. 9b S. 315). Bemessungskriterien sind vor allem die Art und Schwere
der Verletzung, die Intensität und Dauer der Auswirkungen auf die
Persönlichkeit des Betroffenen, der Grad des Verschuldens des
Haftpflichtigen (BGE 125 III 412 E. 2a S. 417), ein allfälliges
Selbstverschulden des Geschädigten (BGE 124 III 182 E. 4d S. 186) sowie die
Aussicht auf Linderung des Schmerzes durch die Zahlung eines Geldbetrags
(BGE 118 II 410 E. 2a S. 413). Die Höhe der Summe, die als Abgeltung
erlittener Unbill in Frage kommt, lässt sich naturgemäss nicht errechnen,
sondern nur schätzen (BGE 117 II 50 E. 4a/aa S. 60).

  2.2.3  Die Festsetzung der Höhe der Genugtuung ist eine Entscheidung nach
Billigkeit. Das Bundesgericht hat es daher abgelehnt, dass sich die
Bemessung der Genugtuung nach schematischen Massstäben richten soll. Die
Genugtuungssumme darf nicht nach festen Tarifen festgesetzt, sondern muss
dem Einzelfall angepasst werden (BGE 127 IV 215 E. 2e S. 219).

  Dies schliesst nicht aus, die Bewertung der immateriellen Beeinträchtigung
in zwei Phasen vorzunehmen: in einer objektiven Berechnungsphase mit einem
Basisbetrag als Orientierungspunkt und einer nachfolgenden Phase, in der die
Besonderheiten des Einzelfalles (Haftungsgrundlage, [Selbst-]Verschulden,
individuelle Lebenssituation des Geschädigten) berücksichtigt werden
(Urteile des Bundesgerichts 1A.203/2000 vom 13. Oktober 2000, E. 2b; 1A.235/
2000 vom 21. Februar 2001, E. 5b/aa).

  Ebenso hat es das Bundesgericht als mit Art. 47 OR vereinbar erachtet, zur
Bewertung der objektiven Schwere der Beeinträchtigung auf die
Integritätsentschädigung, welche nach der Skala über die Integritätseinbusse
im Anhang 3 der Verordnung vom 20. Dezember 1982 über die Unfallversicherung
(UVV; SR 832.202) bemessen wird und im Regelfall dem angegebenen Prozentsatz
des Höchstbetrags des versicherten Verdienstes von Fr. 106'800.- im Jahr
(vgl. Art. 22 Abs. 1 UVV) entspricht, im Sinne eines Richtwerts (Basiswert)
zurückzugreifen. Die Integritätsentschädigung der Unfallversicherung bietet
- gleich wie Präjudizien - einen sachlichen Anhaltspunkt zur Beurteilung der
objektiven Schwere der Beeinträchtigung (Urteil des Bundesgerichts
4C.123/1996 vom 21. Oktober 1997, E. 3b/aa).

  Dabei ist jedoch im Auge zu behalten, dass die Integritätsentschädigung
nur ein Richtwert ist, der im Verhältnis zu anderen massgeblichen
Bemessungskriterien (Haftungsgrundlage, Verschulden, Lebensumstände)
unterschiedlich gewichtet werden kann (vgl. die Hinweise auf die
verschiedenen Lehrmeinungen und die kantonale Rechtsprechung im Urteil des
Bundesgerichts 4C.123/1996 vom 21. Oktober 1997, E. 3a). Ausserdem sind
nicht sämtliche möglichen Integritätsschädigungen von der
Integritätsentschädigung abgedeckt. Die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) hat deshalb in Weiterentwicklung der
bundesrätlichen Skala weitere Bemessungsgrundlagen in tabellarischer Form
(sog. Feinraster) erarbeitet. Diese Tabellen stellen zwar keine Rechtssätze
dar und

sind für die Gerichte nicht verbindlich (vgl. BGE 116 V 156 E. 3a S. 157).
Sie können aber bei der Bewertung der objektiven Schwere der immateriellen
Unbill ebenfalls ein Orientierungspunkt sein.

  2.2.4  Im Unterschied zum Zivilrecht besteht bei der Bemessung einer
Genugtuung nach Opferhilferecht die Besonderheit, dass es sich bei dieser
nicht um eine Leistung aus Verantwortlichkeit, sondern um eine staatliche
Hilfeleistung handelt. Gemäss Rechtsprechung erreicht sie deshalb nicht
automatisch die gleiche Höhe wie die zivilrechtliche, sondern kann unter
Umständen davon abweichen oder gar wegfallen (BGE 128 II 49 E. 4.3 S. 55;
125 II 169 E. 2b/bb und 2c S. 174 f.). Insbesondere kann berücksichtigt
werden, dass die Genugtuung nicht vom Täter, sondern von der Allgemeinheit
bezahlt wird. Dies kann namentlich dann eine Reduktion gegenüber der
zivilrechtlichen Genugtuung rechtfertigen, wenn diese aufgrund von
subjektiven, täterbezogenen Merkmalen (z.B. besonders skrupellose Art der
Begehung der Straftat) erhöht worden ist (Urteile des Bundesgerichts
1A.235/2000 vom 21. Februar 2001, E. 3a; 1A.80/ 1998 vom 5. März 1999, E.
3c/cc).

  2.2.5  Den kantonalen Behörden steht bei der Festsetzung der Höhe der
Genugtuung ein weiter Ermessensspielraum zu, in den das Bundesgericht nur
eingreift, wenn grundlos von den in Lehre und Rechtsprechung entwickelten
Grundsätzen abgewichen wird, wenn Tatsachen berücksichtigt werden, die für
den Entscheid im Einzelfall keine Rolle spielen dürfen oder wenn umgekehrt
Umstände ausser Betracht geblieben sind, die hätten beachtet werden müssen,
oder wenn sich der Entscheid als offensichtlich ungerecht erweist (Art. 104
lit. a OG; BGE 125 III 412 E. 2a S. 417 f. mit Hinweisen).

  2.3
  2.3.1  Das Sozialversicherungsgericht erachtet eine Genugtuung von
insgesamt Fr. 70'000.- (Leistung der Unfallversicherung im Betrag von Fr.
53'400.-, welche gemäss Art. 14 Abs. 1 OHG auf die opferhilferechtliche
Genugtuung angerechnet wird, plus Leistung der Opferhilfestelle im Betrag
von Fr. 16'600.-) als angemessen. Bei der Bemessung der Genugtuung ging es
in zwei Etappen vor: es ermittelte zuerst einen Basiswert und
berücksichtigte dann die Besonderheiten des vorliegenden Falls. Bezüglich
des Basiswerts orientierte sich das Gericht an der Skala im Anhang 3 der UVV
und an den SUVA-Tabellen. Hierzu stellte es fest, dass eine bleibende

Schädigung im Rückenwirbelbereich und der Verlust der
Fortpflanzungsfähigkeit auszumachen sei. Die Integritätseinbusse für die
Verletzung im Wirbelsäulenbereich werde gemäss Unfallversicherung und
SUVA-Tabelle 7.2 mit 10 %, diejenige für den Verlust der
Fortpflanzungsfähigkeit gemäss Anhang 3 UVV und SUVA-Tabelle 22 mit 40 %
gewichtet. Damit sei von einer Integritätsentschädigung von insgesamt 50 %
des Höchstbetrags des versicherten Jahresverdienstes auszugehen.

  2.3.2  Der Beschwerdeführer lässt den Basiswert für die
Wirbelsäulenverletzung unangefochten. Dagegen beanstandet er, dass bei der
Festsetzung des Basiswerts für den Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit die
infolge der Durchtrennung der Nervenbahnen gestörte Sexualfunktion nicht
berücksichtigt worden sei. Die Verletzung der Nervenbahnen werde durch die
Integritätsentschädigung für den Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit nicht
abgegolten. Für die Unterleibsverletzung sei daher nicht von einem Basiswert
von 40 %, sondern von 80 % des Höchstbetrags des versicherten
Jahresverdienstes auszugehen. Das Gericht habe die Störung der
Sexualfunktion, die damit verbundene Beeinträchtigung der mitmenschlichen
Beziehungen und das junge Alter des Beschwerdeführers zu Unrecht nicht bei
der Festsetzung der Basisgenugtuung, sondern nur als genugtuungserhöhende
Faktoren berücksichtigt.

  2.3.3  Wie oben (E. 2.2.3) ausgeführt, hat das Sozialversicherungsgericht
kein Bundesrecht verletzt, wenn es bei der Bewertung der objektiven Schwere
der immateriellen Beeinträchtigung im Sinne eines zulässigen, aber nicht
zwingend zu berücksichtigenden Anhaltspunkts auf die
Integritätsentschädigung gemäss Anhang 3 UVV und auf die SUVA-Tabellen
abstellte. Sowohl nach der Skala im Anhang 3 UVV als auch nach Tabelle 22
der SUVA wird beim Verlust der Geschlechtsorgane oder der
Fortpflanzungsfähigkeit eine Integritätsentschädigung von 40 % des
Höchstbetrags des versicherten Jahresverdienstes ausgerichtet. Beim Verlust
der Fortpflanzungsfähigkeit ist die Gebrauchsunfähigkeit des noch
vorhandenen Geschlechtsorgans (erektile Impotenz) dem Verlust des Organs
gleichgestellt, während bei einer erektilen Dysfunktion minderen Grades eine
Integritätsentschädigung von weniger als 40 % ausgerichtet werden kann (vgl.
dazu ERICH BÄR, Integritätsschaden bei Verlust der Geschlechtsorgane oder
der Fortpflanzungsfähigkeit, in: Medizinische Mitteilungen 74/2003 S. 68).
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers trifft somit nicht zu, dass
der durch

die Störung der Sexualfunktion hervorgerufene Integritätsschaden von der
Entschädigung der Unfallversicherung für den Verlust der
Fortpflanzungsfähigkeit nicht abgedeckt wäre.

  Wie das Sozialversicherungsgericht zu Recht ausführte, kann der
Beschwerdeführer bezüglich der objektiven Schwere der Beeinträchtigung aus
dem Bundesgerichtsurteil 4C.103/2002 vom 16. Juli 2002 nichts zu seinen
Gunsten ableiten. In jenem Fall ging es um die Genugtuungsbemessung bei
vollständiger Paraplegie und einer neurogenen Blasen-, Darm- und
Sexualfunktionsstörung, somit einem weit gravierenderen Integritätsschaden,
für den nach der Skala im Anhang 3 UVV eine Entschädigung von 90 % des
versicherten Jahreslohns festgesetzt ist. Vorliegend liegt jedenfalls kein
Grund vor, weshalb die objektive Schwere der Beeinträchtigung zwingend höher
bewertet werden müsste, als es im Anhang 3 UVV vorgesehen ist.

  Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat das
Sozialversicherungsgericht auch insoweit kein Bundesrecht verletzt, als es
die mit der Störung der Sexualfunktion einhergehende Beeinträchtigung des
Sexuallebens und damit der Persönlichkeitssphäre sowie das Alter des
Beschwerdeführers nicht schon bei der Festsetzung des Basiswerts, sondern
als diesen erhöhende Umstände berücksichtigte. Alter und Sexualleben sind
medizinisch nicht objektivierbar, sondern gehören zu den individuellen
Lebensumständen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1A.135/2002 vom 29. Oktober
2002, E. 3.4).

  2.4
  2.4.1  Gemäss dem angefochtenen Urteil hat die Kantonale Opferhilfestelle
sämtlichen Umständen des Einzelfalles angemessen Rechnung getragen.
Genugtuungserhöhend wirke der Einfluss der Störung der sexuellen Funktion
auf die Sexualität und auf die Beziehung zu Mitmenschen, das junge Alter,
die durchgestandene Lebensgefahr, die lange andauernden, teilweise heute
noch auftretenden Schmerzen, die Operationen sowie die vorübergehend
reduzierten Karrierechancen. Insgesamt sei es gerechtfertigt, den Basiswert
von Fr. 53'400.- um Fr. 16'600.- zu erhöhen, das Opferhilfe-Gesuch im
Mehrbetrag aber abzuweisen.

  2.4.2  Der Beschwerdeführer vertritt den Standpunkt, das
Sozialversicherungsgericht hätte auch die Brutalität und Rücksichtslosigkeit

des Täters sowie die Sinnlosigkeit der Tat als genugtuungserhöhende Faktoren
berücksichtigen sollen.

  2.4.3  Wie oben ausgeführt (E. 2.2.4), sind bei der Festsetzung einer
Genugtuung nach OHG die subjektiven, täterbezogenen Faktoren nicht zu
berücksichtigen. Dazu gehört die Art der Tatbegehung (Brutalität,
Rücksichtslosigkeit) ebenso wie das Motiv, welches den Täter zur Begehung
der Straftat bewog. Das Sozialversicherungsgericht hat somit auch insoweit
kein Bundesrecht verletzt, als es die vom Beschwerdeführer genannten
Bemessungskriterien (Brutalität, Rücksichtslosigkeit, Sinnlosigkeit der Tat)
nicht als genugtuungserhöhend erachtete.

  2.5  Somit ergibt sich, dass die zuerkannte Genugtuung in der Höhe von Fr.
16'600.- unter Aufrechnung der von der Unfallversicherung ausgerichteten
Integritätsentschädigung von Fr. 53'400.- (vgl. Art. 14 Abs. 1 OHG) den von
Lehre und Rechtsprechung aufgestellten Bemessungsgrundsätzen Rechnung trägt.
Darin ist in bundesrechtskonformer Weise die Schwere der gesundheitlichen
Beeinträchtigungen und die damit verbundene Störung der sozialen und
beruflichen Beziehungen berücksichtigt, während die übrigen vom
Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände nicht genugtuungserhöhend
wirken. Ein Vergleich mit Präjudizien ergibt, dass die dem Beschwerdeführer
ausgerichtete Summe von insgesamt Fr. 70'000.- als eher hoch einzustufen
ist. Schwere Schädigungen gaben in der jüngeren bundesgerichtlichen
Rechtsprechung Anspruch auf folgende Genugtuungssummen: Bei vollständiger
Paraplegie und einer neurogenen Blasen-, Darm- und Sexualfunktionsstörung,
beruflicher Umschulung und einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit Fr. 120'000.-
(Urteil 4C.103/2002 vom 16. Juli 2002, E. 5); bei irreparabler
Querschnittlähmung Fr. 60'000.- (Urteil 4C.94/1995 vom 27. Dezember 1995, E.
4c nicht publ. in BGE 122 III 5); bei äusserst schweren Kopfverletzungen
einer einundzwanzigjährigen Frau, langer Bewusstlosigkeit und
Behandlungsdauer, Persönlichkeitsveränderung und vollständiger
Arbeitsunfähigkeit Fr. 100'000.- (Urteil 4C.379/1994 vom 21. August 1995, E.
7); bei unvollständiger Tetraplegie eines Jugendlichen mit einer Invalidität
von 50-75 % und einem Selbstverschulden von 20 % Fr. 96'000.- (BGE 123 III
306 E. 9b S. 316). In Anbetracht des weiten Ermessensspielraums, über den
das Sozialversicherungsgericht verfügt, hat das Bundesgericht vorliegend
aber keinen Grund, die Genugtuungsbemessung in Frage zu stellen (Art. 104
lit. a OG).

Erwägung 3

  3.

  3.1  Sodann macht der Beschwerdeführer geltend, die ihm zugesprochene
Genugtuung sei ab dem Verletzungstag zu verzinsen.

  3.2  Gemäss dem angefochtenen Urteil ist in der zuerkannten Genugtuung
berücksichtigt, dass seit dem Schadensereignis am (...) bis zum Urteilstag
rund (...) Jahre vergangen sind. Das Sozialversicherungsgericht nimmt Bezug
auf eine Lehrmeinung, wonach entweder die nach den Bemessungskriterien am
Verletzungstag geschätzte Genugtuungssumme zu verzinsen oder die Genugtuung
nach den Verhältnissen im Urteilszeitpunkt ohne Zins zuzusprechen sei (vgl.
ROLAND BREHM, Berner Kommentar, Bern 1990, N. 94 zu Art. 47 OR). Vorliegend
sei das letztgenannte Vorgehen gewählt worden, weshalb kein Zinsanspruch
bestehe.

  3.3
  3.3.1  In BGE 131 II 217 E. 4 hat das Bundesgericht entschieden, dass die
opferhilferechtliche Entschädigung auch den Schadenszins deckt. Ob eine
opferhilferechtliche Genugtuung in gleicher Weise zu verzinsen wäre, liess
es ausdrücklich offen.

  3.3.2  In seiner älteren Rechtsprechung zur haftpflichtrechtlich
geschuldeten Genugtuung infolge Körperverletzung stützte sich das
Bundesgericht bei der Genugtuungsbemessung auf die im Zeitpunkt der
Verletzung gültigen Bemessungskriterien (Urteil des Bundesgerichts vom 9.
Mai 1972, teilweise publ. in BGE 98 II 129) und sprach vom Tag des
Schadensereignisses an einen Schadenszins auf der Genugtuung zu (BGE 81 II
512 E. 6 S. 519). In der Lehre stiess diese Rechtsprechung auf Kritik, da
den Geschädigten der Nachteil der inzwischen aufgelaufenen Teuerung treffe
(vgl. BREHM, a.a.O., N. 92 zu Art. 47 OR).

  In BGE 116 II 295 E. 5b zog das Bundesgericht den - auf BREHM (a.a.O., N.
94 zu Art. 47 OR) zurückgehenden und in casu vom Sozialversicherungsgericht
herangezogenen - Vorschlag in Betracht, entweder zusätzlich zur nach den
Ansätzen am Verletzungstag bemessenen Summe einen Zins zuzusprechen oder
eine Genugtuung nach den Ansätzen am Urteilstag ohne Zins festzulegen. Es
liess die Frage aber schliesslich offen, da die Genugtuungssumme in jenem
Fall dem Geschädigten bereits kurz nach dem Schadensereignis zur Verfügung
gestanden hatte.

  In einem neueren Entscheid 129 IV 149 E. 4.2 sprach sich das Bundesgericht
nun aber gegen die in Erwägung gezogene Alternative

aus. Als Begründung führte es an, dass wegen des weiten Ermessens bei der
Festlegung der Genugtuung fragwürdig erscheint, von "Ansätzen" zu sprechen,
und dass bei einer generellen Veränderung in der Grössenordnung der
zugesprochenen Summen sämtliche noch nicht entschiedenen Fälle nach der
neuen Gerichtspraxis zu beurteilen sind. Daher entschied das Bundesgericht,
dass die Genugtuung im Urteilszeitpunkt (unter Berücksichtigung der seit dem
Schadensereignis ergangenen Präjudizien) zu bemessen ist und zusätzlich ein
ab dem Schadensereignis laufender Schadenszins (Genugtuungszins) als
Ausgleich für die vorenthaltene Nutzung des Kapitals zwischen dem
Verletzungs- und dem Urteilstag zugesprochen werden muss (vgl. ebenso ALFRED
KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl., Bern 1998, S. 131;
KARL OFTINGER/ EMIL W. STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, 5.
Aufl., Zürich 1995, S. 433 und 257; offenbar auch HEINRICH HONSELL,
Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl., Zürich 2005, S. 115). Im
genannten Urteil 129 IV 149 E. 4.2 stand der Auffassung, dass im Falle der
Genugtuungsbemessung im Urteilszeitpunkt kein Zins geschuldet sei, im
Übrigen der Umstand entgegen, dass die Höhe der zugesprochenen Genugtuung im
massgebenden Zeitraum keine grundlegende Änderung erfahren hatte, die
zuerkannte Summe sich in diesem Rahmen hielt und nicht derart an der oberen
Grenze lag, dass der Zins als enthalten gelten konnte.

  3.3.3  Ob die oben aufgezeigte, für das Haftpflichtrecht geltende
Rechtsprechung auf opferhilferechtliche Genugtuungsleistungen übertragen
werden kann, erscheint fraglich. Zu bedenken ist, dass der Rechtsgrund bzw.
die rechtliche Natur von Leistungen nach Opferhilferecht mit derjenigen
haftpflichtrechtlicher Ansprüche nicht identisch ist. Daraus können sich
Unterschiede in den Entschädigungssystemen ergeben (BGE 121 II 369 E. 3c/aa
S. 373). Wie in E. 2.2.4 bereits gesagt, ist vor allem dem Umstand Rechnung
zu tragen, dass Genugtuungsleistungen nach OHG auf der Idee einer
staatlichen Unterstützung beruhen und nicht aufgrund einer staatlichen
Verantwortlichkeit geschuldet sind (BGE 128 II 49 E. 4.1 S. 53); der Staat
zahlt anstelle des unbekannten oder zahlungsunfähigen Täters, um das
Wohlbefinden des Opfers zu steigern bzw. die erlittene Beeinträchtigung
erträglicher zu machen (KLAUS HÜTTE, Anleitung zur Ermittlung angemessener
Genugtuungsleistungen im Zivil- und Opferhilferecht, in: Personen - Schaden
- Forum 2005, Zürich 2005, S. 146). Eine Hauptfunktion der

opferhilferechtlichen Genugtuung liegt dementsprechend in ihrer wichtigen
symbolischen Rolle begründet, denn mit ihr anerkennt das Gemeinwesen die
schwierige Situation des Opfers (Botschaft des Bundesrates vom 9. November
2005 zur Totalrevision des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von
Straftaten, BBl 2005 S. 7223; ferner JEAN GUINAND, Révision de la LAVI - Les
travaux de la commission d'experts, in: Bundesamt für Justiz [Hrsg.],
Opferhilfe in der Schweiz, Bern 2004, S. 370). Die kantonalen
Opferhilfestellen sprechen im Allgemeinen eine ex aequo et bono bemessene
Pauschalsumme als Genugtuung zu, welche auch die Nebenrechte abdeckt. Mit
der Anerkennung eines Zinsanspruchs über diese Pauschalsumme hinaus würde
unter Umständen in den Ermessensspielraum der kantonalen Behörden
eingegriffen, ohne dass die Voraussetzungen von Art. 104 lit. a OG erfüllt
wären. Es rechtfertigt sich daher ohne weiteres, der Verzinsung einer
Genugtuungsforderung im Opferhilferecht die Bedeutung eines
Bemessungsfaktors einzuräumen.

  3.4  Im angefochtenen Urteil vertritt das Sozialversicherungsgericht den
Standpunkt, dass dem Zeitablauf seit dem Schadensereignis Rechnung getragen
und die Genugtuung nach den Bemessungskriterien im Urteilszeitpunkt bemessen
wurde, weshalb kein Zins geschuldet sei. Diese Erwägung ist an sich
widersprüchlich; daraus geht nicht klar hervor, ob mit der Formulierung, der
Zeitablauf sei berücksichtigt worden, lediglich die seit dem
Schadensereignis aufgelaufene Teuerung gemeint ist oder ob ein ab diesem Tag
laufender Zinsanspruch anerkannt und aufgerechnet worden ist.

  Nach dem oben Gesagten (E. 2.5) ist die dem Beschwerdeführer zugesprochene
Summe von insgesamt Fr. 70'000.- als eher hoch einzustufen. Selbst wenn das
Sozialversicherungsgericht davon ausgehen würde, dass in dieser Summe ein
Schadenszins von 5 % seit (...) [Tag des Schadensereignisses] inbegriffen
wäre, hätte das Bundesgericht deshalb keinen Anlass, in die
Genugtuungsbemessung der kantonalen Instanz einzugreifen (Art. 104 lit. a
OG). Da der Schadenszins im Bereich des Opferhilferechts zu den
Bemessungsfaktoren gehört, hat das Sozialversicherungsgericht in Anbetracht
der Höhe der zuerkannten Genugtuungssumme keine bundesrechtlichen
Bemessungsgrundsätze verletzt, wenn es über den Betrag von Fr. 70'000.-
hinaus einen weitergehenden Genugtuungsanspruch (Zins) verneinte.