Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 97



Urteilskopf

132 III 97

  13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. K. gegen B.
(Berufung)
  5C.236/2005 vom 22. Dezember 2005

Regeste

  Art. 328 f. ZGB; Verwandtenunterstützung und Sozialhilfe.

  Der kantonale Entscheid über die Unterstützungspflicht von Verwandten
beruht auf Ermessen (E. 1). Die Verwandtenunterstützung geht nicht weiter
als die Sozialhilfe, muss aber mindestens den nach betreibungsrechtlichen
Regeln ermittelten Notbedarf gewährleisten (E. 2). Zur Leistung von
Unterstützung hat der pflichtige Verwandte sein Vermögen anzugreifen, soweit
es nicht längerfristig zur Sicherung seiner weiteren Existenz, namentlich im
Hinblick auf das Alter unangetastet bleiben muss (E. 3).

Sachverhalt

  A.- K. (fortan: Klägerin), Jahrgang 1972, ist alleinerziehende Mutter von
vier Kindern, geboren in den Jahren 1992, 1994, 1995 und 1998. Sie lebt
gerichtlich getrennt von ihrem Ehemann, Jahrgang 1970, pakistanischer
Staatsangehöriger mit derzeitigem Aufenthalt in seiner Heimat. Die
Kinderunterhaltsbeiträge von je Fr. 150.- bezahlt der Ehemann nicht. Im
Alter von achtzehn Jahren erhielt die Klägerin Fr. 800'000.- als
Erbvorbezug. Sie hat das Vermögen aufgebraucht und wird seit Januar 2004 von
der Sozialhilfe unterstützt. Die Klägerin ist die einzige Tochter von B.
(hiernach: Beklagter), Jahrgang 1950. Der Beklagte ist gemäss Art. 370 ZGB
bevormundet. Er lebt vom Ertrag seines Vermögens, einer Liegenschaft mit
einem Wert von rund 3,5 Mio. Franken in der Stadt Zürich. Für die
Sozialhilfeleistungen an die Klägerin von rund Fr. 4'500.- wird gemäss
Vereinbarung zwischen Fürsorge- und Vormundschaftsbehörde im Betrag von
monatlich Fr. 2'250.- auf den Beklagten Rückgriff genommen.

  B.- Im Sommer/Herbst 2004 leitete die Klägerin ein Verfahren auf Leistung
von Verwandtenunterstützung ein. Sie beantragte, den Beklagten gerichtlich
zur Zahlung von monatlich Fr. 5'500.- zu verurteilen. Die Einzelrichterin am
Bezirksgericht Zürich setzte die monatlichen Unterstützungsleistungen des
Beklagten auf Fr. 5'000.- bis zum 31. Dezember 2008 fest. Der Beklagte legte
dagegen Berufung ein und schloss auf Abweisung der Klage, soweit darin mehr
als Fr. 2'250.-, eventualiter mehr als Fr. 2'400.- begehrt würden. Das
Obergericht des Kantons Zürich hiess die Berufung gut und verpflichtete den
Beklagten, der Klägerin Unterstützungsleistungen von Fr. 2'250.- pro Monat
zu bezahlen, zahlbar ab Rechtskraft des Urteils längstens bis zum 31.
Dezember 2008. Im Mehrbetrag wies es die Klage ab.

  C.- Mit eidgenössischer Berufung beantragt die Klägerin zur Hauptsache die
Bestätigung des bezirksgerichtlichen Urteils. Das Obergericht hat auf
Gegenbemerkungen zur Berufung verzichtet. Es ist

keine Berufungsantwort eingeholt worden. Das Bundesgericht weist die
Berufung ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Die sog. Verwandtenunterstützung ist in den Art. 328 f. ZGB geregelt.
Anspruch auf Unterstützung von Verwandten, die "in günstigen Verhältnissen"
leben, hat, wer "ohne diesen Beistand in Not geraten" würde (Art. 328 Abs. 1
ZGB). Der Anspruch geht auf "Leistung, die zum Lebensunterhalt des
Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen
ist" (Art. 329 Abs. 1 ZGB).

  Unterstützungsleistungen setzen "günstige Verhältnisse" auf Seiten des
Pflichtigen und eine "Not" des Berechtigten voraus und sollen "erforderlich"
und "angemessen" sein. Über all diese Fragen hat das Sachgericht - wie bei
der Unterhaltsfestsetzung allgemein - nach Recht und Billigkeit im Sinne von
Art. 4 ZGB zu entscheiden. Es obliegt ihm, sämtliche Umstände des konkreten
Einzelfalls zu berücksichtigen und eine den besonderen Verhältnissen
angepasste Lösung zu finden (vgl. HONSELL, Basler Kommentar, 2002, N. 6 und
N. 8 f. zu Art. 4 ZGB, mit Hinweisen). Derartige Ermessensentscheide
überprüft das Bundesgericht im Berufungsverfahren zwar grundsätzlich frei.
Es übt aber Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz
grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen
ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im
Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt
Umstände ausser Betracht gelassen hat, die zwingend hätten beachtet werden
müssen. Ausserdem greift das Bundesgericht in Ermessensentscheide ein, falls
sich diese als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht
erweisen (BGE 128 III 161 E. 2c/aa S. 162; 131 III 12 E. 4.2 S. 15).

  Strittig ist auf Seiten der Klägerin die Berechnung ihres Bedarfs (E. 2)
und auf Seiten des Beklagten, inwieweit er sein Vermögen angreifen muss (E.
3 hiernach). Das Verwandtschaftsverhältnis als dritte Anspruchsvoraussetzung
ist gegeben zwischen dem Beklagten (Vater) und der Klägerin (Tochter) wie
auch zwischen dem Beklagten (Grossvater) und den vier Kindern der Klägerin
(Enkel).

Erwägung 2

  2.  Zusätzlich zum unbestrittenen Bedarf der Familie hat die Klägerin im
kantonalen Verfahren monatliche Auslagen von Fr. 500.-

behauptet, diesen Betrag aber weder substantiiert noch belegt. Das
Bezirksgericht hat diesen Zuschlag bewilligt, das Obergericht hingegen
nicht. Die Klägerin ficht die Bedarfsrechnung in diesem Punkt an.

  2.1  Das Bezirksgericht ist davon ausgegangen, eine klare Praxis, ob zum -
allenfalls leicht erweiterten - betreibungsrechtlichen Notbedarf ein
Zuschlag von 20 % zu gewähren sei, bestehe zwar nicht. Da jedoch bei einer
fünfköpfigen Familie wohl zwangsläufig mit gelegentlichen Gesundheitskosten
zu rechnen sei und solche Kosten zweifellos zum Notwendigen zu zählen wären,
rechtfertige es sich, zum Bedarf der Familie von Fr. 5'099.- einen Zuschlag
von Fr. 500.- monatlich zu berechnen. Nach Abzug der bevorschussten
Kinderalimente von Fr. 600.- belaufe sich der maximale Unterstützungsbeitrag
zu Gunsten der Klägerin somit auf Fr. 5'000.-. Das Obergericht hat dagegen
angenommen, für den gewährten Zuschlag bleibe im Rahmen der Richtlinien für
die betreibungsrechtliche Notbedarfsrechnung kein Raum. Die Klägerin hätte
allenfalls anfallende Selbstbehalte für Arzt- und Medikamentenkosten -
zumindest anhand früherer Jahre - konkret zu behaupten und zu belegen
gehabt. Die Klägerin wendet ein, nach der allgemeinen Lebenserfahrung fielen
bei einer fünfköpfigen Familie Arzt- und Zahnarztkosten an. Sodann sei nach
der allgemeinen Lebenserfahrung der Bedarf von vier sportlichen und aktiven
Kindern mit dem Grundbetrag von Fr. 1'550.- nicht gedeckt. Eine Erweiterung
des Existenzminimums um Fr. 500.- oder rund 10 % sei auch mit Blick auf
Lehre und Rechtsprechung zur Bedürftigkeit angemessen.

  2.2  Nach der Rechtsprechung befindet sich in einer Notlage, wer sich das
zum Lebensunterhalt Notwendige nicht mehr aus eigener Kraft verschaffen kann
(BGE 121 III 441 E. 3 S. 442). Die Voraussetzung des Unterstützungsanspruchs
"Not" (Art. 328 Abs. 1 ZGB) wird damit gleichsam durch den Umfang des
Unterstützungsanspruchs - was "zum Lebensunterhalt des Bedürftigen
erforderlich" ist (Art. 329 Abs. 1 ZGB) - definiert. Der
Unterstützungsanspruch geht in der Regel auf die Verschaffung von Nahrung,
Kleidung, Wohnung sowie ärztliche Betreuung und Heilmittel bei Krankheit
(BGE 106 II 287 E. 3a S. 292).

  Da die Beurteilung der Not und des zum Lebensunterhalt Erforderlichen
ausgesprochen auf Ermessen beruht, hat sich das Bundesgericht lediglich mit
den Grenzen des jeweilen angelegten Bemessungsmassstabs

zu befassen gehabt. Laut BGE 81 II 427 bestimmt sich die
Unterstützungsleistung unabhängig vom sog. armenrechtlichen Existenzminimum,
d.h. vom Betrag, den die Armenbehörde zum Richtsatz für die Gewährung von
Unterstützung nehmen würde. Den unterstützungspflichtigen Verwandten darf
danach mehr zugemutet werden und wird durch die Vorschrift, dass sie dem
Bedürftigen das für den Lebensunterhalt Erforderliche zu gewähren haben,
mehr zugemutet als nur die Beseitigung einer Notlage, die so krass ist, dass
sie beim Ausbleiben genügender privater Hilfe aus Gründen der öffentlichen
Ordnung mit öffentlichen Mitteln behoben werden muss. Als nicht
bundesrechtswidrig wird in der nicht veröffentlichten E. 5 des Urteils
erklärt, dass die kantonalen Behörden vom betreibungsrechtlichen Notbedarf
ausgegangen sind (zitiert und bestätigt in BGE 83 II 7 E. 1 S. 9). Dabei ist
es geblieben, wobei betont wird, die nach den betreibungsrechtlichen Regeln
ermittelten Beträge stellten ein Minimum dar (BGE 101 II 21 E. 3 S. 23/24;
vgl. BGE 116 V 328 E. 1c S. 331/332).

  Lehre und kantonale Praxis beantworten die Frage unterschiedlich, ob der
betreibungsrechtliche Notbedarf - in Analogie zur Bedürftigkeitsrente
bisherigen Rechts (aArt. 152 ZGB) - zu erweitern und um einen Zuschlag von
bis zu 20 % zu erhöhen sei (vgl. TH. KOLLER, Basler Kommentar, 2002, N. 10
zu Art. 328/329 ZGB; WIDMER, Verhältnis der Verwandtenunterstützungspflicht
zur Sozialhilfe in Theorie und Praxis, Diss. Zürich 2000, S. 46 ff., je mit
Hinweisen).

  2.3  Ob und inwieweit ein bundesrechtlicher Anspruch auf mehr als den
betreibungsrechtlichen Notbedarf besteht, muss zunächst vom System des
Unterhaltsrechts her beantwortet werden. Die Frage hat das Bundesgericht
immer wieder im Zusammenhang mit der Leistungskraft des zu Unterhalts- bzw.
Unterstützungszahlungen Pflichtigen beschäftigt. Für den Berechtigten stellt
sie sich denn auch regelmässig nicht in gleicher Weise. Reichen die Mittel
des Pflichtigen nämlich aus, hat der Berechtigte Anspruch auf Deckung
mindestens des tatsächlich angemessenen oder weitergehend eines der
bisherigen oder früheren Lebenshaltung entsprechenden Bedarfs; in
Mangelfällen hat der Berechtigte Anspruch auf das, was übrig bleibt, und den
Fehlbetrag zu tragen (grundlegend: BGE 123 III 1). Nur die Rente gemäss
aArt. 152 ZGB des Scheidungsrechts von 1907/12 hatte den Zweck, einen
minimalen Bedarf des Berechtigten zu decken. Die "grosse Bedürftigkeit" des
Berechtigten

bildete dabei die obere Grenze des Anspruchs, so dass sich auch besonders
günstige wirtschaftliche Verhältnisse des Pflichtigen nicht erhöhend auf die
Rente auswirken konnten (LÜCHINGER/GEISER, Basler Kommentar, 1996, N. 10
Abs. 1 zu aArt. 152 ZGB). In ihren Voraussetzungen ähnelte diese Rente der
Verwandtenunterstützungspflicht (HINDERLING/STECK, Das schweizerische
Ehescheidungsrecht, 4. Aufl., Zürich 1995, S. 296).

  Die Bedürftigkeitsrente beruhte auf dem Gedanken der nachehelichen
Solidarität (BGE 121 I 150 E. 1c/bb S. 153; 119 II 12 E. 2c/bb S. 15). Die
Rechtsprechung ging davon aus, die grosse Bedürftigkeit dürfe nicht einfach
anhand der Richtlinien für die Bemessung der Sozialhilfe - d.h. der
Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) bzw. für
öffentliche Fürsorge (SKöF) - bestimmt werden, die im Gegensatz zum
betreibungsrechtlichen Notbedarf verschiedene weitere Ausgaben
berücksichtigten. Von Bedürftigkeit im Sinne von aArt. 152 ZGB sei
grundsätzlich dann zu sprechen, wenn das Einkommen des betreffenden
Ehegatten nicht mehr als 20 % über dem - um die laufende Steuerlast
erweiterten - betreibungsrechtlichen Notbedarf liege (BGE 121 III 49).
Nacheheliche Solidarität geht nun aber weiter als verwandtschaftliche
Solidarität, so dass es sich rechtfertigt, an die Verpflichtung zu
Unterstützungsleistungen einen strengeren Massstab anzulegen als an die
Verpflichtung zur Leistung von nachehelichem Unterhalt (vgl.
HAUSHEER/BRUNNER, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, N. 07.24 S. 399
f.). Auf dieser Überlegung beruht auch die Rechtsprechung, dass dem
Unterstützungsberechtigten mit Kinderbetreuungspflichten viel eher die
Aufnahme einer eigenen Erwerbstätigkeit zugemutet wird als dem geschiedenen
Ehegatten in der gleichen Situation (BGE 121 III 441 E. 3b/aa S. 443 f.).
Noch weitergehend abgeschwächt ist der Solidaritätsgedanke im Verhältnis
zwischen Eltern und mündigem Kind, wo er nur mehr - unter beschränkten
Voraussetzungen - als Ausbildungsunterhalt zum Ausdruck kommt (Art. 277 Abs.
2 ZGB).

  Unter diesem Blickwinkel ist die eingangs gestellte Frage zu verneinen. Es
kann keinen Ermessensfehler bedeuten, dass das Obergericht den verlangten
Prozentzuschlag auf dem Notbedarf nicht zugelassen hat.

  2.4  Das Ergebnis wird durch die ZGB-Revision von 1998/2000 gestützt. Der
Gesetzgeber hat die Unterstützungspflicht der Geschwister in Art. 328 ZGB
abgeschafft und nur mehr diejenige der

Verwandten in gerader - auf- und absteigender - Linie beibehalten.
Vereinzelt wurde das Institut der Verwandtenunterstützung im
Vernehmlassungsverfahren allerdings als solches in Frage gestellt
(Botschaft, BBl 1996 I 1, S. 166 f. Ziff. 245). In der nationalrätlichen
Beratung äusserten auch Vertreter der Mehrheit gewisse Bedenken gegen die
Verwandtenunterstützungspflicht (Berichterstatter Jutzet, AB 1997 N 2741).
Ein Streichungsantrag der Minderheit (Votum von Felten, AB 1997 N 2740 f.)
wurde letztendlich mit 79 Stimmen für den Antrag der Mehrheit gegen 33
Stimmen für den Antrag der Minderheit abgelehnt (AB 1997 N 2743). Im
Schrifttum wird die Berechtigung der Verwandtenunterstützungspflicht aus
verschiedenen Gründen hinterfragt und teilweise deren weitergehende
Einschränkung oder gar Aufhebung gefordert. Die Haupteinwände betreffen die
Veränderung der soziodemographischen Verhältnisse, insbesondere die höhere
Lebenserwartung mit entsprechendem Pflegefallrisiko und daherigen Kosten im
Alter, sowie das veränderte familiäre Umfeld, namentlich die Auflösung der
Grossfamilie und die Lockerung des familiären Zusammenhalts in der modernen
Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, dann aber auch die offenbar
rechtsungleiche Handhabung der Verwandtenunterstützung in den Kantonen (vgl.
TH. KOLLER, a.a.O., N. 3 ff. zu Art. 328/329 ZGB; WIDMER, a.a.O., S. 33 f.,
je mit Hinweisen).

  Der Entscheid des Gesetzgebers, an der Unterstützungspflicht wenigstens
für Verwandte in auf- und absteigender Linie festzuhalten, ist zu beachten.
Gleichwohl darf den Bedenken gegen das Institut der Verwandtenunterstützung
Rechnung getragen werden. Auch mit Blick auf den Ausbau des
Sozialversicherungssystems kann es sich nicht rechtfertigen, Leistungen der
Verwandten an weniger strenge Voraussetzungen zu knüpfen als Leistungen der
Sozialhilfe. Es ist - wie dies das Obergericht zu Recht hervorgehoben hat -
nicht ersichtlich, weshalb sich der zu Unterstützungszahlungen gemäss Art.
328 ZGB Verpflichtete einen höheren Bedarf des Berechtigten anrechnen lassen
muss als das Gemeinwesen. An der - jedenfalls vom Wortlaut her -
abweichenden Rechtsprechung gemäss BGE 81 II 427, wonach die
Verwandtenunterstützung weiter geht als die Sozialhilfe, kann insoweit nicht
festgehalten werden. Die Richtlinien für die Bemessung der Sozialhilfe sind
für die Zivilgerichte dabei nicht etwa verbindlich oder im Bereich der
Verwandtenunterstützung unmittelbar anwendbar, dürfen jedoch in der
Rechtsanwendung berücksichtigt und im konkreten Einzelfall herangezogen

werden (vgl. dazu HAUSHEER/BRUNNER, a.a.O., N. 07.22 S. 399). Die kantonalen
Sachgerichte verletzen das ihnen zustehende Ermessen somit nicht, wenn sie
auf einen Bedarf abstellen, der anhand der Kriterien für die Gewährung von
Sozialhilfe berechnet worden ist und - damit in der Regel (WIDMER, a.a.O.,
S. 14 ff.) - über dem als Minimum gewährleisteten betreibungsrechtlichen
Existenzminimum liegt.

  Nach den Feststellungen des Obergerichts werden im Rahmen der
Sozialhilfegesetzgebung einzig die konkreten finanziellen Bedürfnisse des
Berechtigten berücksichtigt. Es kann deshalb keinen Ermessensfehler
bedeuten, dass das Obergericht einen Zuschlag für behauptete, aber nicht
belegte Auslagen verweigert hat.

  2.5  Aus den dargelegten Gründen muss die Berufung abgewiesen werden,
soweit sie die Erhöhung des Notbedarfs um pauschal Fr. 500.- bzw. 10 %
betrifft.

Erwägung 3

  3.  In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der Beklagte praktisch
ausschliesslich vom Ertrag seiner Liegenschaft in Zürich lebt und mit seinem
Einkommen die von der Klägerin geforderten Unterstützungsleistungen von
monatlich Fr. 5'500.- nicht bezahlen kann. Strittig ist, in welchem Umfang
der Beklagte sein Vermögen angreifen muss, um Verwandtenunterstützung
leisten zu können.

  3.1  Das Bezirksgericht hat dafürgehalten, in Anbetracht des Verkehrswerts
seiner Liegenschaft von rund 3,5 Mio. Franken könne der Beklagte die
bestehenden Hypotheken von gut 1 Mio. Franken um Fr. 200'000.- erhöhen.
Dieses Barvermögen erlaube es ihm, ohne Schmälerung seiner eigenen
Lebenshaltung die Klägerin zumindest für eine beschränkte Zeit - bis zum 31.
Dezember 2008 - zu unterstützen. Das Obergericht ist davon ausgegangen, ein
Vermögensverzehr sei dem Beklagten nicht zumutbar. Der Verbrauch von
Vermögen tangiere nicht nur fortlaufend die Substanz, sondern auch den
Ertrag und führe insoweit stetig zu geringeren Einkünften. Der Beklagte sei
offenkundig nicht erwerbstätig, erziele neben dem Liegenschaftsertrag kein
weiteres Einkommen und habe entsprechend keine Möglichkeit der beruflichen
Altersvorsorge. Er sei daher nebst der AHV auf eine private Altersvorsorge
angewiesen, die nur gewährleistet sei, wenn er seine Vermögenswerte auch in
Zukunft erhalten könne. Eine höhere Schuldverpflichtung führe bei ihm
langfristig und über die Dauer der Unterstützungspflicht hinaus zu
geringeren Einkünften. Ein derartiger Eingriff tangiere

seinen Anspruch, trotz Unterstützungsverpflichtung keine Einbusse des
bisherigen und auch künftigen finanziellen Lebensstils hinnehmen zu müssen.
Die Klägerin wendet ein, der Vermögensverzehr sei insbesondere zumutbar,
weil das Vermögen des Beklagten dadurch nicht gefährdet werde, weil die in
der Auslegung heranzuziehenden SKOS-Richtlinien die Anzehrung des Vermögens
ausdrücklich vorsähen und weil sie als Alleinerbin des Beklagten die
Liegenschaft dereinst ohnehin erhalten werde.

  3.2  Die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen bestimmt den Umfang der
geschuldeten Unterstützung (Art. 329 Abs. 1 ZGB: "den Verhältnissen des
Pflichtigen angemessen"), ist aber auch Anspruchsvoraussetzung (Art. 328
Abs. 1 ZGB: "Wer in günstigen Verhältnissen lebt ..."). Das Erfordernis der
günstigen Verhältnisse wurde mit der ZGB-Revision von 1998/2000 neu
eingeführt. Im bisherigen Recht hing lediglich die Unterstützungspflicht der
Geschwister davon ab, dass sie sich in günstigen Verhältnissen befinden
(aArt. 328 Abs. 2 ZGB). Wie die Neuerung im Einzelnen zu verstehen ist, kann
dahingestellt bleiben, da der Beklagte seine Unterstützungspflicht im
Grundsatz anerkannt hat und für die Klägerin monatlich Fr. 2'250.- an die
Sozialhilfe bezahlt (vgl. zu diesem Streitpunkt: die Voten im Ständerat von
Berichterstatter Küchler, Bundesrat Koller und Ständerat Wicki, AB 1998 S
329 f.; zu den verschiedenen Lehrmeinungen: TH. KOLLER, a.a.O., N. 15-15c zu
Art. 328/329 ZGB, mit Hinweisen).

  Der Beklagte ist bevormundet und benötigt zur Deckung seines Bedarfs
monatlich rund Fr. 8'600.- (einschliesslich Taschengeld von Fr. 1'600.- und
Feriengeld von Fr. 200.-). Mit seinem durchschnittlichen Einkommen von - je
nach Parteistandpunkt - Fr. 10'200.- (Beklagter) bzw. Fr. 11'500.-
(Klägerin) vermag er die geforderten Unterstützungsleistungen von monatlich
Fr. 5'500.- nicht zu bezahlen. Nach seiner Darstellung muss er selbst für
die von ihm anerkannten Unterstützungsleistungen von Fr. 2'250.- pro Monat
auf sein Vermögen zurückgreifen. Sein steuerbares Vermögen hat er in der
Steuererklärung 2004 mit rund 2,4 Mio. Franken angegeben.

  Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts beurteilt sich die
Leistungsfähigkeit des Pflichtigen nicht nur auf Grund seines Einkommens,
sondern auch des Vermögens. Ein Anspruch auf ungeschmälerte Erhaltung des
Vermögens besteht nur dann, wenn die

Unterstützung das eigene Auskommen des Pflichtigen "schon in naher Zukunft
gefährdet" (BGE 59 II 1 E. 2 S. 2 und E. 3c S. 4 sowie 410 S. 411; 58 II 328
E. 2 und 3 S. 330 f.; zuletzt: Urteil 5C.209/ 1999 vom 6. Januar 2000, E.
5a, wobei die Zumutbarkeit, Vermögen anzugreifen, gemäss E. 5c nicht
bestritten war). Da das Bundesgericht den weiten Beurteilungsspielraum der
kantonalen Sachgerichte in der Frage, welche Leistung den Verhältnissen des
Pflichtigen angemessen ist, beachtet, hat es sich in den zitierten Urteilen
lediglich mit dem Grundsätzlichen des Vermögensverzehrs und den Grenzen des
jeweilen angelegten Bemessungsmassstabs zu befassen gehabt. Lehre und
kantonale Praxis sind wenig konkreter. Während selbstgeäufnetes Vermögen
nicht bzw. nur mit grosser Zurückhaltung berücksichtigt werden soll, mag bei
ererbtem Vermögen weniger Zurückhaltung angezeigt sein (so TH. KOLLER,
a.a.O., N. 15c zu Art. 328/329 ZGB). Kantonal wird auf die Bestimmungen des
Bundesgesetzes vom 19. März 1965 über Ergänzungsleistungen zur Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG; SR 831.30) oder auf die
Richtlinien für die Gewährung von Sozialhilfe abgestellt oder auf die
Berücksichtigung von Vermögen verzichtet (vgl. WIDMER, a.a.O., S. 237 ff.).
Die SKOS-Richtlinien empfehlen vom steuerbaren Vermögen einen Freibetrag
abzuziehen (Fr. 100'000.- bei Alleinstehenden; Fr. 150'000.- bei
Verheirateten und Fr. 20'000.- pro Kind) und berechnen vom Restbetrag den
jährlichen Vermögensverzehr, der mit steigendem Alter des
Unterstützungspflichtigen zunimmt (1/60 für die Altersgruppe der 18 bis 30
Jahre alten Verwandten bis zu 1/20 für Verwandte ab 61 Jahren). Für den
geschiedenen Beklagten mit Jahrgang 1950 beträgt der jährliche
Vermögensverzehr danach 1/30 von rund 2,3 Mio. Franken oder rund Fr.
77'000.- (vgl. WIDMER, a.a.O., S. 241; Schweizerische Konferenz für
Sozialhilfe, Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der
Sozialhilfe, 4. Aufl., Bern April 2005, Kapitel H.4).

  3.3  Im Rahmen der - hier zum Vergleich geeigneten - Bedürftigkeitsrente
gemäss aArt. 152 ZGB nahm das Bundesgericht regelmässig an, dass der
Pflichtige sein Vermögen zur Bezahlung einer Rente nur einsetzen muss,
soweit es nicht zur Sicherung seiner weiteren Existenz intakt bleiben muss
(Urteil 5C.39/2000 vom 30. März 2000, E. 4 Abs. 3, mit Hinweis auf
HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 303/304 bei/in Anm. 12a). Zu beachten ist auch
in diesem Zusammenhang, dass vom Verwandten, dessen Unterstützungspflicht
der Verpflichtung zur Zahlung einer Bedürftigkeitsrente

oder von Mündigenunterhalt nachgeht (E. 2.3 Abs. 2 hiervor), keinesfalls
mehr, sondern eher weniger abverlangt werden darf (vgl. HAUSHEER/BRUNNER,
a.a.O., N. 07.62 S. 411 f.).

  Auf Grund der gewandelten Anschauungen und der geänderten Verhältnisse,
namentlich der Lebensdauer (E. 2.4 Abs. 1 hiervor) muss insbesondere die
wirtschaftliche Sicherheit des Pflichtigen im Alter berücksichtigt werden
(TH. KOLLER, a.a.O., N. 16 zu Art. 328/ 329 ZGB). An die Stelle einer
kurzfristigen Betrachtung tritt damit eine Beurteilung auf längere Sicht.
Insoweit kann an der Rechtsprechung nur eingeschränkt festgehalten werden,
wonach Unterstützungsleistungen nur dann ausgeschlossen sein sollten, wenn
deren Bezahlung das Auskommen des Pflichtigen schon in naher Zukunft
gefährdet (E. 3.2 Abs. 3 soeben).

  Die SKOS-Richtlinien, die das Zivilgericht im Rahmen seiner
Ermessensausübung heranziehen darf (E. 2.4 Abs. 2 hiervor), erlauben dem
veränderten Umfeld angepasste Lösungen. Danach wird allgemein empfohlen, auf
die Verwertung von Grundeigentum zu verzichten, wenn der Immobilienbesitz
(bei selbstständig Erwerbenden ohne berufliche Vorsorge) einer nötigen
Alterssicherung gleichkommt (Kapitel E.2-4). In diesem Sinne sind spezielle
Vereinbarungen zu treffen (Fälligkeit des Betrages nach Verkauf der
Vermögenswerte oder nach Ableben des Pflichtigen, gegebenenfalls mit
grundpfandrechtlicher Sicherstellung), wenn unterstützungspflichtige
Verwandte in erheblichem Umfang Grundeigentum oder andere Vermögenswerte
haben, deren (teilweise) Verwertung im Moment nicht möglich oder zumutbar
ist (Kapitel F.4-3).

  3.4  Das Obergericht hat die massgebenden Kriterien für die Beurteilung
der Leistungsfähigkeit des Beklagten richtig wiedergegeben, indem es
entscheidend auf dessen wirtschaftliche Sicherheit im Alter abgestellt hat.
Das Einkommen des Beklagten besteht - abgesehen (Art. 64 Abs. 2 OG) von
einem geringfügigen Wertschriftenertrag (knapp Fr. 500.- im Jahr) - aus dem
Ertrag, den sein Mehrfamilienhaus in Zürich abwirft. Er ist nicht
erwerbstätig und verfügt über keine berufliche Vorsorge. Zusätzlich zu den
Leistungen der AHV wird er somit auch im Alter auf den Vermögensertrag
angewiesen sein. Der Ertrag wird zudem einseitig aus einem einzigen
Vermögensgegenstand erwirtschaftet. Zu dessen Erhaltung rechtfertigen sich
deshalb besondere Vorkehren. Es genügt nicht, dass der laufende Unterhalt
gedeckt werden kann, wie das

die Klägerin meint. Es müssen Rückstellungen gebildet werden, die die Kosten
für grössere Erneuerungs- oder Wiederherstellungsarbeiten decken. Derartige
Kosten können nicht ohne zeitliche Verzögerung auf Mieter überwälzt werden.
Die Klägerin übersieht insoweit, dass der Beklagte auf einen dauernden und
stetigen Ertrag zur Bestreitung seiner Lebenshaltung angewiesen ist. Es geht
auch nicht "bloss" um die Erhöhung der bestehenden Hypothek von gut 1 Mio.
Franken um den Betrag der Verwandtenunterstützung. Diesen Einwand hat das
Obergericht ohne Weiterungen ablehnen dürfen. Erfahrungsgemäss wäre es um
den doppelten bis dreifachen Betrag gegangen, der hätte aufgenommen werden
müssen, um wegen der mit der Erhöhung der Belastung einhergehenden höheren
Schuldzinsen und zusätzlichen Amortisationszahlungen den bisherigen Ertrag
zu gewährleisten.

  Entgegen ihrer Darstellung kann die Klägerin aus den SKOS-Richtlinien
nichts zu ihren Gunsten ableiten. In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass
die zuständigen Behörden in ihrer Vereinbarung über den Rückgriff auf den
Beklagten für Sozialhilfeleistungen an die Klägerin nur auf das Einkommen
des Beklagten gemäss SKOS-Richtlinien, hingegen nicht auf sein Vermögen
abgestellt haben. Es kann weiter ergänzt werden (Art. 64 Abs. 2 OG), dass
die zuständigen Behörden der künftigen Erbschaft der Klägerin Rechnung
getragen und ihr bezogen darauf eine Schuldanerkennung für erbrachte
Leistungen gemäss § 27 des Sozialhilfegesetzes - Rückerstattungspflicht bei
Erbschaft - zur Unterzeichnung vorgelegt haben. Die Lösung gestattet, den
künftigen Erbanfall auf Seiten der Klägerin einzubeziehen und gleichzeitig
die Bedürfnisse des Beklagten nach einem gleichbleibenden und gesicherten
Vermögensertrag bis zu seinem Tod zu gewährleisten.

  Insgesamt vermag die Klägerin mit ihren Vorbringen keinen Ermessensfehler
des Obergerichts darzutun. Eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu
Unterhaltspflichtigen, deren Vermögen nicht einseitig aus Immobilien
besteht, liegt nicht vor. Im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens hatte das
Obergericht vielmehr sämtliche Umstände des konkreten Einzelfalls zu
berücksichtigen und eine den besonderen Verhältnissen angepasste Lösung zu
finden (E. 1 hiervor).

  3.5  Aus den dargelegten Gründen muss die Berufung abgewiesen werden,
soweit sie die Frage des Vermögensverzehrs zur Bezahlung von
Unterstützungsleistungen betrifft.