Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 89



Urteilskopf

132 III 89

  12. Auszug aus dem Beschluss der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen B. sowie
Obergericht des Kantons Thurgau (Berufung)
  4C.180/2005 vom 18. November 2005

Regeste

  Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG, Zivilrechtsstreitigkeit (Art. 46
OG); Auswirkungen des Konkurses des Klägers auf das Klageverfahren (Art.
204, 206 und 207 SchKG).

  Eine Klage nach Art. 85a SchKG ist eine materiellrechtliche
Feststellungsklage, welche eine vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeit
begründet. Ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid über eine solche
Klage kann daher mit eidgenössischer Berufung angefochten werden, wenn der
erforderliche Streitwert erreicht ist (E. 1.1 und 1.2).

  Fällt der Kläger in Konkurs, so verliert er das Prozessführungsrecht über
die Klage nach Art. 85a SchKG und die ihr zu Grunde liegende Betreibung wird
aufgehoben, sofern der Konkurs nicht mangels Aktiven eingestellt wird (E.
1.3 und 1.4).

  Nach dem Konkurs des Klägers ist das Klageverfahren nach Art. 85a SchKG zu
sistieren, bis feststeht, ob es durch die Konkursmasse oder einzelne
Gläubiger oder bei der Einstellung des Konkurses mangels Aktiven vom Kläger
weitergeführt wird (E. 1.5 und 1.6).

  Hat ein kantonales Gericht über eine Klage nach Art. 85a SchKG einen
Entscheid gefällt, obwohl es das Verfahren auf Grund des Konkurses des
Klägers hätte sistieren müssen, so ist der Entscheid dennoch gültig (E. 2).

Sachverhalt

  A.- B., der gewerbsmässig Papageien züchtet, kaufte am 30. Juni 2000 von
A. sechs Mülleramazonen-Papageien. Diese erkrankten und starben beim Käufer,
worauf fast sein gesamter Zuchtbestand erkrankte. Gestützt auf Gutachten kam
der Käufer zum Ergebnis, einer der erworbenen Papageien sei mit dem
Pacheco-Virus infiziert gewesen, das sich auf den Zuchtbestand übertragen
habe. In der Folge verlangte der Käufer die Rückerstattung des Kaufpreises
zuzüglich Schadenersatz und liess den Verkäufer mit Zahlungsbefehl Nr. x des
Betreibungsamts Bulle vom 11. September 2003 über Fr. 2'000'000.- nebst 5 %
Zins seit 2. August 2000 betreiben. Der Verkäufer erhob keinen
Rechtsvorschlag.

  B.- Mit Weisung vom 5. November 2003 klagte der Verkäufer (nachstehend:
Kläger) beim Bezirksgericht Arbon nach Art. 85a

SchKG auf Feststellung, dass die vom Käufer (nachstehend: Beklagter) in
Betreibung gesetzte Forderung von Fr. 2'000'000.- nebst 5 % Zins seit 2.
August 2000 nicht bestehe. Zudem verlangte der Kläger die vorläufige
Einstellung der Betreibung.

  Mit Urteil vom 4. März/9. August 2004 hiess das Bezirksgericht die Klage
weitgehend gut und stellte fest, die in Betreibung gesetzte Forderung
bestehe nur im Betrag von Fr. 6'975.10 nebst 5 % Zins seit 2. August 2000.

  Am 9. August 2004 wurde über den Kläger der Konkurs ausgesprochen.

  Auf Berufung des Beklagten hin hob das Obergericht des Kantons Thurgau, in
Unkenntnis des Konkurses des Klägers, das erstinstanzliche Urteil am 10.
Februar 2005 auf und wies die Klage weitgehend ab, indem es feststellte, die
in Betreibung gesetzte Forderung bestehe im Fr. 1'990'925.10 nebst 5 % Zins
seit 2. August 2000 übersteigenden Betrag nicht. In diesem Umfang stellte
das Obergericht die Betreibung ein.

  C.- Der Kläger erhob am 13. Mai 2005 eidgenössische Berufung mit den
Anträgen, das Urteil des Obergerichts vom 10. Februar 2005 sei aufzuheben
und es sei festzustellen, dass die in Betreibung gesetzte Forderung im Fr.
6'975.10 nebst Zins zu 5 % seit 2. August 2000 übersteigenden Betrag nicht
bestehe. In diesem Umfang sei die Betreibung einzustellen.

  Mit Antwort vom 11. Juli 2005 schloss der Beklagte auf Abweisung der
Berufung.

  Mit Schreiben vom 29. Juli 2005 teilte das Kantonale Konkursamt des
Kantons Freiburg dem Bundesgericht mit, dass der Gerichtspräsident des
Greyerzbezirks mit Urteil vom 9. August 2004 über den Kläger den Konkurs
ausgesprochen hatte. Weiter führte das Konkursamt sinngemäss aus, es sei
fraglich, ob die beim Bundesgericht eingereichte Berufung zu behandeln sei.
Mit dem Konkurs des Klägers sei die im vorliegenden Verfahren umstrittene
Betreibung nach Art. 206 SchKG aufgehoben, weshalb die Klage nach Art. 85a
SchKG insgesamt als gegenstandslos zu betrachten sei. Da es sich bei dieser
Klage nicht um einen Zivilprozess handle, komme Art. 207 SchKG nicht zur
Anwendung. Der Käufer habe zudem am 11. März 2005 eine entsprechende
Forderungseingabe über Fr. 2'000'000.- im laufenden Konkursverfahren
eingegeben.

  Mit Verfügung vom 8. August 2005 lud der Instruktionsrichter der I.
Zivilabteilung die Parteien ein, zum Schreiben des Kantonalen Konkursamtes
vom 29. Juli 2005 bzw. zu den Auswirkungen des Konkurses des Klägers auf das
vorliegende Verfahren Stellung zu nehmen. Der Kläger wurde zudem
aufgefordert, seine Prozessführungsbefugnis nachzuweisen.

  Der Kläger stellt sich in seiner Vernehmlassung vom 23. August 2005 auf
den Standpunkt, da die Klage gemäss Art. 85a SchKG sowohl eine
materiellrechtliche als auch eine betreibungsrechtliche Seite habe, komme
nicht Art. 206 SchKG zur Anwendung. Vielmehr sei das Verfahren gemäss Art.
207 SchKG einzustellen. Richtig sei, dass die Prozessführungsbefugnis einer
Partei nach ihrem Konkurs auf die Konkursmasse übergehe. Prozesshandlungen
einer Partei könnten jedoch nachträglich genehmigt werden. Die
Konkursverwaltung resp. die Konkursgläubiger hätten sodann zu entscheiden,
ob sie das Rechtsmittel genehmigen wollten.

  Der Beklagte führte in seiner Vernehmlassung vom 21. September 2005 aus,
Art. 206 SchKG komme nicht zur Anwendung, weil mit der Konkurseröffnung nur
die vorher erfolgten Betreibungen, nicht aber die darauf beruhenden
Aberkennungsverfahren bzw. negativen Feststellungsklagen dahinfallen würden
und deshalb die strittige Forderung wie eine andere im Prozess liegende
Forderung zu behandeln sei. Eine Einstellung sei nur gerechtfertigt, wenn
der Gläubiger auf seinen Anspruch verzichte, was vorliegend nicht der Fall
sei. Das Verfahren sei jedoch direkt weiterzuführen, weil negative
Feststellungsklagen gemäss Art. 85a SchKG im beschleunigten Verfahren
durchgeführt würden und damit als dringlich zu qualifizieren seien, weshalb
sie unter die Ausnahmebestimmung von Art. 207 Abs. 1 SchKG fallen würden. Da
gemäss Informationen des Beklagten im Konkurs alle Gläubiger vollständig
befriedigt werden könnten, sei zudem davon auszugehen, dass der vorliegende
Prozess den Bestand der Konkursmasse nicht berühre und deshalb das Verfahren
nicht gemäss Art. 207 SchKG zu sistieren sei.

  Das Bundesgericht sistierte das Verfahren gemäss Art. 207 Abs. 1 SchKG.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.

  1.1  Gemäss Art. 85a SchKG kann der Betriebene jederzeit vom Gericht des
Betreibungsorts feststellen lassen, dass die Schuld nicht

oder nicht mehr besteht oder gestundet ist (Abs. 1). Erscheint dem Gericht
die Klage als sehr wahrscheinlich begründet, so stellt es die Betreibung
vorläufig ein (Abs. 2). Heisst das Gericht die Klage gut, so hebt es die
Betreibung auf oder stellt sie ein (Abs. 3). Der Prozess wird im
beschleunigten Verfahren geführt (Abs. 4). Die Klage nach Art. 85a SchKG
weist eine Doppelnatur auf. Wie die Aberkennungsklage bezweckt sie
einerseits als materiellrechtliche Klage die Feststellung der Nichtschuld
bzw. der Stundung; anderseits hat sie aber auch betreibungsrechtliche
Wirkung, indem der Richter mit ihrer Gutheissung die Betreibung aufhebt oder
einstellt (BGE 125 III 149 E. 2c S. 151; vgl. zur Rechtsnatur der
Aberkennungsklage: BGE 128 III 44 E. 4a und b S. 46 f.).

  1.2  Der angefochtene Entscheid ist berufungsfähig, weil damit
materiellrechtlich über die negative Feststellungsklage des Klägers
entschieden wurde, welche eine Zivilrechtsstreitigkeit mit einem Streitwert
von über Fr. 8'000.- betrifft (BERNHARD BODMER, Basler Kommentar, N. 28 zu
Art. 85a SchKG). Zu prüfen ist jedoch, welche Auswirkung der Konkurs des
Klägers auf das vorliegende Verfahren hat.

  1.3  Mit dem Konkurs verliert der Konkursit das Prozessführungsrecht in
Prozessen über das Konkursvermögen (Art. 204 SchKG;
JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs,
4. Aufl., N. 8 zu Art. 204 SchKG). Ein Rechtsmittel, das der Gemeinschuldner
nach Eröffnung des Konkurses eingelegt hat, ist jedoch nicht zum vornherein
ungültig, sondern kann von der Konkursverwaltung bzw. den Konkursgläubigern
genehmigt werden (BGE 116 V 284 E. 3e S. 289).

  1.4  Der Konkurs des Schuldners führt gemäss Art. 206 Abs. 1 SchKG dazu,
dass grundsätzlich alle gegen ihn hängigen Betreibungen aufgehoben sind.
Diese leben jedoch nach Art. 230 Abs. 4 SchKG wieder auf, wenn das
Konkursverfahren mangels Aktiven eingestellt wird.

  Weiter bewirkt der Konkurs nach Art. 207 Abs. 1 SchKG, dass Zivilprozesse,
in denen der Schuldner Partei ist und die den Bestand der Konkursmasse
berühren, mit Ausnahme dringlicher Fälle eingestellt werden. Die Prozesse
können nach Art. 207 Abs. 2 SchKG im ordentlichen Konkursverfahren
frühestens zehn Tage nach der zweiten Gläubigerversammlung, im summarischen
Konkursverfahren frühestens 20 Tage nach der Auflegung des
Kollokationsplanes

wieder aufgenommen werden. Art. 63 der Verordnung vom 13. Juli 1911 über die
Geschäftsführung der Konkursämter (KOV; SR 281.32) sieht ergänzend vor, dass
streitige Forderungen, welche im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits
Gegenstand eines Prozesses bilden, im Kollokationsplan zunächst ohne
Verfügung der Konkursverwaltung lediglich pro memoria vorzumerken sind (Abs.
1). Wird der Prozess weder von der Masse noch von einzelnen Gläubigern nach
Art. 260 SchKG fortgeführt, so gilt die Forderung als anerkannt, und die
Gläubiger haben kein Recht mehr, ihre Kollokation nach Art. 250 SchKG
anzufechten (Abs. 2). Wird der Prozess dagegen fortgeführt, so erfolgt je
nach dessen Ausgang die Streichung der Forderung oder ihre definitive
Kollokation, welche von den Gläubigern ebenfalls nicht mehr angefochten
werden kann (Abs. 3). Damit wird der Prozess im Ergebnis zum
Kollokationsprozess, wobei den Konkursgläubigern erspart wird, im Anschluss
an die Auflegung des Kollokationsplans einen bereits teilweise instruierten
Prozess von neuem anzufangen (BGE 130 III 769 E. 3.2 und 3.2.3 S. 772 ff.).

  1.5  Mit dem Konkurs des Klägers ist gemäss Art. 206 Abs. 1 SchKG die
Betreibung, gegen die sich seine Klage nach Art. 85a SchKG richtete,
weggefallen. Damit liegt nach dem Konkurs des Betriebenen eine zur
Aberkennungsklage gemäss Art. 83 Abs. 2 SchKG analoge Situation vor. In
beiden Fällen ist eine materiellrechtliche negative Feststellungsklage zu
beurteilen, welche auf Grund eines Betreibungsverfahrens eingereicht wurde,
das mit dem Konkurs des Betriebenen aufgehoben wurde. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Aberkennungsklagen nach dem Konkurs
des Klägers gemäss Art. 207 SchKG zu sistieren, was zur Anwendung von Art.
63 KOV führt (BGE 118 III 40 E. 5a S. 41 f.). Analog sind auch Klagen nach
Art. 85a SchKG beim Konkurs des Betriebenen nach Art. 207 SchKG zu sistieren
(vgl. Botschaft über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung
und Konkurs vom 8. Mai 1991, BBl 1991 III 71; JÜRGEN BRÖNNIMANN, Zur Klage
nach Art. 85a SchKG, "Negative Feststellungsklage", AJP 1996 S. 1394 ff.,
1398; DANIEL STAEHELIN, Neuerungen im Bereiche des Zahlungsbefehls, des
Rechtsvorschlags, der Rechtsöffnung und der Einstellung der Betreibung, in:
Revidiertes Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz [SchKG]; Tagung vom 4.
April 1995 im Casino Luzern, St. Gallen 1995, S. 13; a.M. HANS ULRICH
WALDER, Rechtsbehelfe im schweizerischen Bundesgesetz über Schuldbetreibung

und Konkurs, in: Festschrift für Hideo Nakamura zum 70. Geburtstag, Tokyo
1996, S. 639 ff., 649 f.).

  1.6  Der Beklagte geht zutreffend von der Anwendung von Art. 207 SchKG
aus, macht jedoch geltend, der Prozess sei ausnahmsweise direkt
weiterzuführen, weil die Klage nach Art. 85a SchKG im beschleunigten
Verfahren zu behandeln sei und damit ein dringlicher Fall im Sinne von Art.
207 SchKG vorliege. Der Beklagte lässt dabei ausser Acht, dass sich die
Dringlichkeit der Klage gemäss Art. 85a SchKG aus der Verbindung zur
Betreibung ergibt, welche mit dem Konkurs des Schuldners weggefallen ist
(JAEGER/WALDER/KULL/ KOTTMANN, a.a.O., N. 11 zu Art. 207 SchKG; BRÖNNIMANN,
a.a.O., S. 1398 Fn. 52). Weiter macht der Beklagte geltend, der Prozess sei
unmittelbar weiterzuführen, weil er den Bestand der Konkursmasse nicht
berühre, da voraussichtlich alle Gläubigerforderungen gedeckt seien. Dieser
Einwand ist unbegründet, weil der Vermögenswert der Masse vom Prozessausgang
abhängt und damit der Prozess die Konkursmasse berührt (vgl.
JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, a.a.O., N. 2 f. zu Art. 207 SchKG).

Erwägung 2

  2.  Gemäss der vorstehenden Erwägung hätte die Vorinstanz das
Klageverfahren, wenn sie vom Konkurs des Klägers Kenntnis gehabt hätte,
gemäss Art. 207 SchKG von Amtes wegen sistieren müssen (vgl. BGE 118 III 40
E. 5b S. 42 mit Hinweisen).

  Ordnet ein Gericht, das vom Konkurs keine Kenntnis erlangt hat, dennoch
verfahrensleitende Massnahmen an, oder fällt es, wie hier, sogar einen
Entscheid, liegt indessen nicht ein Mangel vor, der zu rechtfertigen
vermöchte, die Vorkehren als nichtig zu betrachten: Nichtigkeit fällt nur
bei schwersten Fehlern in Betracht, etwa dann, wenn das Gericht, das
entschieden hat, absolut unzuständig war, mit andern Worten die Schranken
seines rechtlichen Könnens überschritten hat und es stossend wäre, dem von
ihm gefällten Entscheid Bestand zuzusprechen (Urteil des Bundesgerichts
7B.136/ 2002 vom 23. Oktober 2002, E. 2.3.1). Demnach ist trotz des
Konkurses des Klägers von einem gültigen Urteil der Vorinstanz auszugehen.