Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 707



Urteilskopf

132 III 707

  84. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. AG gegen B.C. und
C.C. (Berufung)
  4C.165/2006 vom 3. August 2006

Regeste

  Wahl eines Prozessbeistandes für die Gesellschaft im Hinblick auf die
Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage gegen Gesellschaftsorgane.
  Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR ist nicht nur für die Beschlussfassung der
Generalversammlung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage, sondern
auch für die Wahl des Prozessbeistandes anwendbar (E. 3).

Sachverhalt

  Die A. AG (Beklagte) ist eine Aktiengesellschaft, an der vier Aktionäre -
allesamt Geschwister - beteiligt sind. Die beiden Aktionäre D.C. und E.C.
sind exekutiv tätig. Sie verfügen aufgrund ihrer Stimmrechtsaktien über die
Stimmenmehrheit, nicht aber über die Kapitalmehrheit. Die Kapitalmehrheit
wird von den zwei nicht operativ tätigen Aktionären B.C. (Klägerin) und C.C.
(Kläger) gehalten. Die Verwaltungsratsmitglieder der Beklagten sind C.C.,
D.C., E.C. und Rechtsanwalt X.

  Die Generalversammlung der Beklagten beschloss im Dezember 2001 mit der
Kapitalmehrheit, aber ohne Stimmenmehrheit, gegen die
Verwaltungsratsmitglieder D.C. und E.C. Verantwortlichkeitsklage zu erheben.
Am 10. April 2003 wurde von der ausserordentlichen Generalversammlung mit
Kapitalmehrheit beschlossen, gegen sämtliche Mitglieder des Verwaltungsrates
eine Verantwortlichkeitsklage anzustrengen. Als Grund wurde angegeben, die
Beklagte sei durch Vermögensverschiebungen zugunsten von D.C. und E.C. sowie
durch die Kosten eines Schiedsverfahrens geschädigt worden.

  In der Folge beschloss die Versammlung über die Bestellung eines
Prozessbeistandes bzw. unabhängigen Vertreters zur Führung der
Verantwortlichkeitsprozesse. Der Antrag, Rechtsanwältin Y. als Beistand zu
wählen, wurde von der Kapitalmehrheit gutgeheissen, von der Stimmenmehrheit
jedoch abgelehnt. Der die Versammlung leitende Verwaltungsratspräsident
vertrat die Ansicht, dass für diesen Beschluss die Stimmenmehrheit
massgeblich sei. Daraufhin bestimmte die Generalversammlung mit
Stimmenmehrheit Rechtsanwalt Z. als Prozessbeistand der Beklagten zu deren
Vertretung in den Verantwortlichkeitsprozessen.

  Gegen diesen Beschluss gelangten die Kläger an das Handelsgericht des
Kantons Aargau und beantragten im Wesentlichen, die Wahl von Rechtsanwalt Z.
sei aufzuheben und es sei die Wahl von Rechtsanwältin Y. als Beistand zur
Führung des Verantwortlichkeitsprozesses festzustellen bzw. zu bestätigen.
Mit Urteil vom 15. März 2006 hiess das Handelsgericht die Klage teilweise
gut und hob die Generalversammlungsbeschlüsse insoweit auf, als Rechtsanwalt
Z. als Prozessbeistand zur Führung der Verantwortlichkeitsprozesse gegen die
Mitglieder des Verwaltungsrates bestimmt wurde. Insoweit die Kläger mehr
oder etwas anderes verlangt hatten, wurde die Klage abgewiesen.

  Gegen dieses Urteil erhob die Beklagte Berufung ans Bundesgericht. Das
Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Die Parteien sind sich einig, dass es im vorliegenden Verfahren einzig
um die Auslegung von Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR geht, nämlich um die Frage,
ob diese Ausnahmebestimmung, welche das Stimmrechtsprivileg der
Stimmrechtsaktionäre beim Beschluss über die Anhebung einer
Verantwortlichkeitsklage aufhebt, auch für die nachfolgende Wahl des
Prozessbeistandes anzuwenden ist.

  1.1  Die Vorinstanz hat diese Frage bejaht. Der Gesetzgeber habe bewusst
ein Kontrollinstrument der Stammaktionäre geschaffen, welches durch die
Stimmrechtsaktionäre nicht vereitelt werden dürfe. Eine solche
Vereitelungsmöglichkeit bestehe mit der Wahl eines ihnen genehmen
Prozessbeistandes. Um dies zu verhindern, müsse für dessen Wahl das gleiche
Quorum gelten, wie für den Beschluss über die Anhebung der
Verantwortlichkeitsklage. Folglich sei für die Wahl des Prozessbeistandes
Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR ebenfalls anwendbar.

  1.2  Im Einzelnen hielt das Handelsgericht fest, dass die Führung einer
Verantwortlichkeitsklage eine Geschäftsführungsaufgabe und damit
grundsätzlich Aufgabe des Verwaltungsrates sei. Für den Fall, dass sich die
Verantwortlichkeitsklage gegen alle Verwaltungsratsmitglieder richte,
bestünden erhebliche Interessenkonflikte. Der Verwaltungsrat habe kein
Interesse eine Klage durchzuführen, welche seine Mitglieder belangen solle.
Daher sei es wenig wahrscheinlich, dass der Verwaltungsrat der von der
Generalversammlung beschlossenen Verantwortlichkeitsklage genügend
Nachachtung verschaffe. Im vorliegenden Fall liege eine Interessenkollision
in diesem Sinne vor, dass die Generalversammlung dank der Kapitalmehrheit
der Kläger aufgrund von Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR beschlossen habe, gegen
sämtliche Verwaltungsratsmitglieder eine Verantwortlichkeitsklage zu
erheben. Die Abberufung des alten Verwaltungsrates mit anschliessenden
Neuwahlen komme aus den verschiedensten Gründen nicht in Betracht, so dass
nach anderen Lösungen gesucht werden müsse, um die vorliegende
Interessenkollision zu vermeiden. Die Bestellung eines Prozessbeistandes,
wie es die beiden Generalversammlungsbeschlüsse vom 10. April 2003 und 22.
Juni 2004 vorgesehen hätten, sei gemäss einhelliger Lehre ein geeignetes
Mittel, um Interessenkonflikte der obgenannten Art zu vermeiden.

  1.3  Diese Auffassung der Vorinstanz über die Zulässigkeit der Wahl eines
besonderen Prozessvertreters durch die Generalversammlung wird von der
Beklagten und Berufungsklägerin zu Recht ausdrücklich nicht bestritten.
Keine der Parteien beruft sich zudem auf Art. 695 Abs. 1 OR (vgl. dazu BGE
128 III 142 E. 3b; 118 II 496 E. 5a). Die Beklagte wendet jedoch gegen die
Begründung der Vorinstanz ein, dass Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR als
Ausnahmebestimmung eng auszulegen sei. Diese Bestimmung sei ausschliesslich
auf die Beschlussfassung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage -
nicht aber auf die Ernennung eines Prozessvertreters für die Führung der
Verantwortlichkeitsklage - anwendbar. Entgegen der im Rechtsgutachten der
Kläger vertretenen Ansicht sei das Gesetz in Bezug auf die hier zu
beurteilende Frage auch nicht lückenhaft. Vielmehr sei von einem
qualifizierten Schweigen des Gesetzgebers auszugehen. Der Richter könne
einen Prozessvertreter bestimmen, weshalb der Aktionärsschutz gewährleistet
sei. Es mache keinen Sinn, für die Wahl des Prozessvertreters ein höheres
Quorum zu verlangen als für die Wahl eines Verwaltungsrates selbst, da
letzterer viel weitere Kompetenzen übertragen erhalte als ein blosser
Prozessvertreter. Die Vorinstanz irre in ihrer Annahme, dass die Gefahr der
Instrumentalisierung nur bei der Wahl des Prozessvertreters durch die
Stimmrechtsaktionäre drohe. Vielmehr drohe diese Gefahr, falls die Wahl
durch die Stammaktionäre erfolge, was sich gerade im vorliegenden Fall
zeige. Die Führung eines Verantwortlichkeitsprozesses für die Gesellschaft
und Aktionäre bedürfe eines hohen Masses an Unabhängigkeit. Die Auslegung
von Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR führe also zum Ergebnis, dass diese
Ausnahmebestimmung einzig für die Beschlussfassung der Generalversammlung
zur Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage gelte. Für die Wahl des
Prozessvertreters hingegen sei gemäss Art. 693 Abs. 1 und Art. 703 OR die
absolute Mehrheit der an der Generalversammlung vertretenen Aktienstimmen
erforderlich, wobei das Privileg der Stimmrechtsaktien zu berücksichtigen
sei.

Erwägung 2

  2.  Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst
nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen
auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die
Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon
der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten
verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige
Entscheidung

im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio
legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen
Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen
Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen.
Es können auch die Gesetzesmaterialien beigezogen werden, wenn sie auf die
streitige Frage eine klare Antwort geben und dem Richter damit weiterhelfen
(BGE 131 III 33 E. 2 S. 35 mit Hinweisen).

  Eine echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der
Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und
dem Gesetz weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung
ermittelten Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann. Von einer unechten
oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar
eine Antwort, aber keine befriedigende, zu entnehmen ist, namentlich wenn
die vom klaren Wortlaut geforderte Subsumtion eines Sachverhaltes in der
Rechtsanwendung teleologisch als unhaltbar erscheint. Echte Lücken zu
füllen, ist dem Richter aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm nach
traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt, es sei denn, die Berufung
auf den als massgeblich erachteten Wortsinn der Norm stelle einen
Rechtsmissbrauch dar. Zu beachten ist indessen, dass mit dem Lückenbegriff
in seiner heutigen schillernden Bedeutungsvielfalt leicht die Grenze
zwischen zulässiger richterlicher Rechtsfindung gegen den Wortlaut, aber
nach der ratio legis, und grundsätzlich unzulässiger richterlicher
Gesetzeskorrektur verwischt wird (BGE 128 I 34 E. 3b S. 42; 121 III 219 E.
1d/aa S. 225 f.).

Erwägung 3

  3.  Art. 693 Abs. 3 OR zählt vier Anwendungsfälle auf, bei welchen die
Bemessung des Stimmrechts nach der Zahl der Aktien nicht anwendbar ist.
Neben der Wahl der Revisionsstelle (Ziff. 1), der Ernennung von
Sachverständigen zur Prüfung der Geschäftsführung oder einzelner Teile
(Ziff. 2) und der Beschlussfassung über die Einleitung einer Sonderprüfung
(Ziff. 3) wird in dieser Bestimmung auch die "Beschlussfassung über die
Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage" erwähnt (Ziff. 4). Entscheidend
sind somit nicht die Stimmrechtsaktien (Art. 693 OR), sondern die
Stammaktien (Art. 692 OR). Mit dieser zwingenden Gesetzesbestimmung soll
eine wirksame Kontrolle der Verwaltung im Interesse der nicht privilegierten
Aktionäre sichergestellt und die Position der Stammaktionäre bei
Beschlüssen, die unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes

besonders empfindlich sind, gestärkt werden. Es soll verhindert werden, dass
die Stimmrechtsaktionäre durch den Einsatz ihrer erhöhten Stimmkraft die
Kontrolle und Verantwortlichkeit vereiteln können (HERMANN BÜRGI, Zürcher
Kommentar, Zürich 1957, N. 43 zu Art. 693 OR; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NObel,
Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 24 Rz. 114; BERNARD CORBOZ, La
responsabilité des organes en droit des sociétés, Basel 2005, N. 4 zu Art.
756 OR; ANDREAS LÄNZLINGER, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2003, N. 10 zu
Art. 693 OR; GUHL/DRUEY, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl.,
Zürich 2000, § 67 Rz. 22; WATTER/DUBS, Der Déchargebeschluss, AJP 2001 S.
916; MAX GERSTER, Stimmrechtsaktien, Diss. Zürich 1997, S. 160 f.).
Ausgehend von dieser unbestrittenen Absicht des Gesetzgebers ist mit der
Vorinstanz die Frage zu entscheiden, ob dieses Kontrollinstrument zu Gunsten
der minorisierten Stammaktionäre eng zu interpretieren ist und sich auf die
eigentliche Beschlussfassung über die Anhebung einer
Verantwortlichkeitsklage beschränkt, oder ob diese Kontrollmöglichkeit in
einem weiteren Sinn zu verstehen ist und sich auch auf die Ernennung eines
Vertreters für die Führung des Verantwortlichkeitsprozesses erstreckt.

  3.1  Soweit sich die Lehre darüber ausgesprochen hat, wird für die Wahl
des Prozessbeistandes mehrheitlich auf das Stimmrechtsprivileg abgestellt
und damit die Anwendung von Art. 693 Abs. 3 OR ausgeschlossen, allerdings
ohne nähere Begründung (LUKAS GLANZMANN, Die Verantwortlichkeitsklage unter
Corporate-Governance-Aspekten, ZSR 119/2000 II S. 171; PETER FORSTMOSER, Die
aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl., Zürich 1987, S. 39 Rz. 15;
BÜRGI/NORDMANN, Zürcher Kommentar, Zürich 1979, N. 101 zu Art. 753/754 OR).
Für den Ausschluss des Stimmrechtsprivilegs hat sich dagegen LUKAS HANDSCHIN
ausgesprochen (Die Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates ausserhalb des
Konkurses seiner Gesellschaft, Festschrift 100 Jahre Aargauischer
Anwaltsverband, Zürich/Basel/Genf 2005, S. 246). Noch weiter gehend halten
WATTER/DUBS dafür, dass auch die Déchargeerteilung an den Verwaltungsrat
unter die Beschlussfassung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage
zu subsumieren ist. Zur Begründung wird ausgeführt, die Verweigerung der
Décharge bzw. die Beschlussfassung über die Décharge sei als Teilaspekt der
Beschlussfassung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage zu
verstehen. Mit der Déchargeerteilung werde gleichzeitig eine
Verantwortlichkeitsklage ausgeschlossen.

Insofern sei die Verweigerung der Décharge eine Bedingung für die Anhebung
einer Verantwortlichkeitsklage (a.a.O., S. 917). LUKAS GLANZMANN
schliesslich vertritt zwar - ebenfalls ohne weitere Begründung - die
Auffassung, Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR komme für die Wahl eines Vertreters
nicht zum Zuge. Er schlägt jedoch vor, Art. 706a Abs. 2 OR analog
anzuwenden. Dabei wäre der Vertreter auf Antrag der gleichen Aktionäre zu
bestimmen, die einen Prozess führen wollen (a.a.O., S. 171 f.).

  3.2  Es ist offensichtlich, dass der Beschluss, mit dem eine
Verantwortlichkeitsklage angehoben werden soll, und die Wahl des dazu
nötigen Prozessbeistandes sachlich eng zusammenhängen. Hat sich die
Generalversammlung - mit der Kapitalmehrheit - entschieden, den
Verwaltungsrat gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen, so bedeutet dies,
dass die Gesellschaft den folgenden Prozess als Klägerin zu führen hat. Sie
ist dabei darauf angewiesen, dass ihr Prozessvertreter alle Obliegenheiten
erfüllt, welche in einem von der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime
beherrschten Zivilprozess anfallen. Der Prozessvertreter hat sich
uneingeschränkt für die Interessen seines Auftraggebers einzusetzen. Weshalb
er dabei von den Stammaktionären instrumentalisiert werden kann, wie von der
Beklagten eingewendet wird, ist nicht nachvollziehbar. Kommt es aufgrund
seines Einsatzes zu einem Urteil gegen den Verwaltungsrat, so ist dies zum
Vorteil der Gesellschaft. Erfüllt der Prozessvertreter seinen Auftrag
dagegen ungenügend und wird die Klage deshalb abgewiesen, so sind die
Stimmrechtsaktionäre nicht benachteiligt, weil das Ergebnis ihrer bei der
Wahl vertretenen Auffassung entspricht. Würde der Prozessvertreter dagegen
durch diejenigen Stimmrechtsaktionäre gewählt, die gegen eine
Verantwortlichkeitsklage waren, läge die Möglichkeit einer
Instrumentalisierung auf der Hand. In diesem Fall bestünde die Gefahr, dass
die von der Kapitalmehrheit angestrebte Verurteilung des Verwaltungsrates
verhindert oder zumindest erschwert würde, indem sich der Prozessvertreter
an den Interessen der Stimmrechtsaktionäre, die ihn ernannt haben,
ausrichtet. Damit könnte der Beschluss der Generalversammlung, eine
Verantwortlichkeitsklage zu erheben, unterlaufen und letztlich das vom
Gesetzgeber der Kapitalmehrheit zugewiesene Recht, über die rechtliche
Kontrolle und Verantwortlichkeit der Gesellschaft zu entscheiden, in Frage
gestellt werden. Das würde dem Sinn und Zweck der Bestimmung von Art. 693
Abs. 3 Ziff. 4 OR widersprechen. Wenn der Gesetzgeber von der
"Beschlussfassung über die Anhebung

einer Verantwortlichkeitsklage" spricht, so ging es ihm offensichtlich
darum, den Stammaktionären die Möglichkeit zu geben, einen ihrer Meinung
nach haftbaren Verwaltungsrat gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen. Dazu
bedarf es im vorliegenden Fall wie erwähnt zwingend eines - gesetzlich nicht
vorgesehenen - Prozessvertreters. Es steht mit der Absicht des Gesetzgebers
in Einklang, wenn der Prozessvertreter von der gleichen Mehrheit gewählt
wird, welche für den Grundsatzentscheid über die Anhebung einer
Verantwortlichkeitsklage zuständig ist. Diese Auffassung widerspricht auch
nicht der gesetzlichen Formulierung des Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR. Wenn von
"Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage" die Rede ist, wird nicht
ausgeschlossen, dies in einem weiteren Sinne zu verstehen. Es geht nicht nur
um die Frage, ob eine Klage zu erheben ist, sondern auch darum, diese
tatsächlich einzureichen, ansonsten der Generalversammlungsbeschluss keinen
Sinn machen würde. Dass es sich dabei um zwei verschiedene Rechtsakte
handeln kann, ist nicht von Bedeutung. Jedenfalls darf von einem eindeutigen
und unmissverständlichen Wortlaut, der eine Interpretation ausschliessen
würde, nicht gesprochen werden. Sowohl der Zweck und Sinn der fraglichen
Gesetzesbestimmung, aber auch die ihr zu Grunde liegende Wertung lassen eine
ausdehnende Interpretation zu. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich
ebenfalls nichts anderes, da die hier zu entscheidende Frage in den
parlamentarischen Beratungen nicht thematisiert wurde (Sten.Bull. 1934 N S.
304 ff.; Sten.Bull. 1931 S S. 408). Wenn sich aber durch Auslegung der
Inhalt von Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR ermitteln lässt, liegt keine
Gesetzeslücke vor. Auf die von der Beklagten thematisierte Frage der
Lückenfüllung ist damit nicht weiter einzugehen.

  3.3  Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass die Vorinstanz
mit ihrer Auffassung kein Bundesrecht verletzt hat, dass Art. 693 Abs. 3
Ziff. 4 OR nicht nur für die Beschlussfassung über die Anhebung einer
Verantwortlichkeitsklage, sondern auch für die Wahl des Prozessbeistandes
anwendbar ist. Bei diesem Ergebnis ist nicht weiter auf die Frage
einzugehen, ob nötigenfalls wegen des Interessenkonfliktes der Vertreter vom
Richter bestimmt werden könnte. Im Übrigen wäre auch in diesem Fall zu
entscheiden, welches Mehr für den Beschluss, den Richter um Bestellung eines
Vertreters anzugehen, erforderlich wäre.