Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 549



Urteilskopf

132 III 549

  65. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. AG gegen Bank D.
(Berufung)
  4C.109/2006 vom 30. Juni 2006

Regeste

  Formerfordernis bei Immobilien-Leasingverträgen (Art. 216 OR und Art. 657
ZGB).

  Begriff des Immobilien-Leasingvertrages (E. 1).

  Der Immobilien-Leasingvertrag ist kein Vertrag auf Eigentumsübertragung,
welcher gemäss Art. 216 Abs. 1 OR und Art. 657 Abs. 1 ZGB der öffentlichen
Beurkundung bedürfte (E. 2.1). Insbesondere sind auch die Vertragsklauseln,
welche die Rechtslage nach Ablauf der Leasingdauer regeln, nicht
formbedürftig; eine Ausnahme besteht nur insoweit, als dem Leasingnehmer ein
Kaufsrecht im Sinn von Art. 216 Abs. 2 OR eingeräumt wird, das Leasingobjekt
zu einem voraus bestimmten Preis zu Eigentum zu übernehmen (E. 2.2).

Sachverhalt

  A.- Am 30. Juli 1993 schlossen die A. AG und die X. AG einen schriftlichen
Immobilien-Leasingvertrag über eine Stockwerkeigentumseinheit in einem
Gewerbehaus in Frauenfeld ab. Darin wurde der X. AG das Recht zur Nutzung
der erwähnten Stockwerkeigentumseinheit gegen Bezahlung eines Leasingzinses
von Fr. 18'570.- pro Quartal eingeräumt. Gemäss Ziff. 3.2. des
Leasingvertrages wurde der Vertrag auf den 1. August 1993 in Kraft gesetzt
und auf eine feste Dauer von 40 Quartalen abgeschlossen. Unter dem Titel
"Vertragsbeendigung" trafen die Parteien in Ziff. 12 des Leasingvertrages
folgende Vereinbarung:

   "12.1 Der Leasingvertrag endet mit Ablauf der vereinbarten festen
         Vertragsdauer.

    12.2 Macht der Leasingnehmer von den nachstehend genannten
         Optionsmöglichkeiten keinen Gebrauch, so hat er das Leasingobjekt
         auf den Zeitpunkt des Vertragsablaufes hin zu räumen und fachgemäss
         instandgestellt, einwandfrei gereinigt und mit allen Schlüsseln
         versehen der Leasinggesellschaft zu übergeben. Das Leasingobjekt
         wird daraufhin von der Leasinggesellschaft verwertet (verkauft oder
         verleast). Als Basis gilt ein Restwert des Leasingobjektes von Fr.
         720'000.-.

    12.3 Ist der Nettoerlös aus der Verwertung (Bruttoerlös abzüglich aller
         mit der Verwertung verbundenen Steuern, Gebühren und Auslagen
         inklusive einer allfälligen Grundstück- oder Vermögensgewinnsteuer)
         des Leasingobjektes höher als der festgesetzte Restwert, so
         partizipiert der Leasingnehmer an diesem Mehrwert mit 75 %, sofern
         er seinen Verpflichtungen aus dem Leasingvertrag ordnungsgemäss
         nachgekommen ist. Ist der Nettoerlös aber geringer als der Restwert
         gemäss Art. 12.2, so hat der Leasingnehmer die Differenz gemäss
         Abrechnung der Leasinggesellschaft zu bezahlen.

    12.4 Hat der Leasingnehmer den Leasingvertrag in allen Teilen erfüllt,
         so kann er bis spätestens sechs Monate vor dem ordentlichen Ablauf
         des Leasingvertrages bei der Leasinggesellschaft folgende Optionen
         schriftlich geltend machen:

         - Abschluss eines Anschluss-Leasingvertrages auf der Basis des
           Restwertes, dessen Dauer und Zinsbedingungen dannzumal festzulegen
           sind

           oder

         - Erwerb des Leasingobjektes zum Restwert gemäss Art. 12.2 unter
           Übernahme sämtlicher damit verbundenen Gebühren,

           Steuern, Kosten inklusive einer allfälligen Grundstückgewinn- oder
           Vermögensgewinnsteuer. Auf Wunsch des Leasingnehmers wird dieses Recht
           auf seine Kosten im Grundbuch vorgemerkt.

         Für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung über den
         vorliegenden Immobilien-Leasingvertrag stellen die Parteien heute
         schon fest, dass sie trotz allfälliger Nichtigkeiterkärung des
         Kaufrechts am eigentlichen Immobilien-Leasingvertrag (ohne Kaufrecht)
         festhalten werden (Art. 20 Abs. II OR)."

  B.- Mit Schreiben vom 16. Januar 2003 teilte die Bank D. (Klägerin),
welche die A. AG in der Zwischenzeit übernommen hatte, der X. AG (Beklagte)
mit, der Immobilien-Leasingvertrag laufe per 31. Juli 2003 aus; der
Leasingnehmerin stünden die Optionen Kauf, Rückgabe oder Verlängerung des
Leasingvertrages zu neuen Konditionen mit einer Frist zur Ausübung des
Wahlrechts bis 28. Februar 2003 offen. Am 21. März 2003 teilte die Beklagte
mit, sie habe sich für die Rückgabe des Leasingobjektes entschieden. In der
Folge verlängerten die Parteien den Leasingvertrag bis Ende September 2003
und legten den Restwert des Leasingobjektes auf Fr. 716'130.- fest. Am 20.
Oktober 2003 veräusserte die Klägerin das Objekt rückwirkend per 1. Oktober
2003 zu einem Preis von Fr. 575'000.-.

  C.- Am 18. Februar 2004 belangte die Klägerin die Beklagte beim
Bezirksgericht Weinfelden auf Bezahlung von Fr. 145'496.85 nebst 5 % Zins
seit 6. November 2003. Bei diesem Betrag handelt es sich um die Differenz
zwischen dem Restwert von Fr. 716'130.- und dem Nettoverkaufserlös von Fr.
570'633.15 (Verkaufspreis von Fr. 575'000.- abzüglich Grundbuchgebühren und
Handänderungssteuern von Fr. 4'366.85). Mit Urteil vom 18. März 2005
(versandt am 23. März 2005) schützte das Bezirksgericht Weinfelden die Klage
im Betrag von Fr. 145'496.85 nebst 5 % Zins seit 21. November 2003.

  Gegen dieses Urteil gelangte die Beklagte mit Berufung ans Obergericht des
Kantons Thurgau und beantragte im Wesentlichen, die Klage sei abzuweisen.
Mit Urteil vom 29. November 2005 (versandt am 15. Februar 2006) schützte das
Obergericht des Kantons Thurgau die Klage und verpflichtete die Beklagte,
der Klägerin Fr. 145'496.85 zuzüglich 5 % Zins seit 21. November 2005 zu
bezahlen.

  Mit Berufung vom 20. März 2006 beantragt die Beklagte dem Bundesgericht im
Wesentlichen, das Urteil des Obergerichts des

Kantons Thurgau vom 29. November 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei; eventualiter sei die Streitsache zum
Neuentscheid ans Obergericht zurückzuweisen. Das Bundesgericht hat die
Berufung abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Die Parteien haben einen Immobilien-Leasingvertrag abgeschlossen. Bei
den normalerweise verwendeten Immobilien-Leasingverträgen erwirbt die
Leasinggesellschaft nach den Wünschen und Bedürfnissen des Leasingnehmers
eine gewerblich oder industriell nutzbare Immobilie, um diese dem
Leasingnehmer anschliessend langfristig gegen einen periodisch zu
entrichtenden, einen an den steuerlichen Abschreibungssätzen orientierten
Amortisationsanteil enthaltenden und ungeachtet der Gebrauchsfähigkeit des
Leasingobjektes zu zahlenden Leasingzins zu Nutzung und Gebrauch zu
überlassen, wobei der Leasingnehmer das Leasingobjekt am Ende der
ordentlichen Leasingdauer zum Preis der nicht amortisierten
Investitionskosten kaufen, auf dieser Basis weiterleasen oder zurückgeben
kann (MARKUS HESS, Immobilien-Leasing in der Schweiz, Diss. Zürich 1989, S.
83; WALTER LÜEM, La pratique du leasing en Suisse, in: Le leasing
industriel, commercial et immobilier, publication CEDIDAC, Lausanne 1985, S.
22). Das Bundesgericht hat in einem unpublizierten Entscheid diese
Umschreibung übernommen (Urteil 4P.14/1997 vom 10. Juli 1997). Der hier zu
beurteilende Leasingvertrag entspricht in Bezug auf die umstrittene Regelung
nach Ablauf der ordentlichen Leasingdauer den normalerweise verwendeten
Verträgen. Auch der vorliegende Vertrag stellt dem Leasingnehmer nach Ablauf
der ordentlichen Leasingdauer drei Optionen zur Verfügung, nämlich den
Abschluss eines Anschlussvertrages (Ziffer 12.4), die Übernahme des
Leasingobjektes gestützt auf ein Kaufsrecht (Ziffer 12.4) oder die Rückgabe
des Leasingobjektes gegen Ausgleich der Differenz zwischen Nettoerlös und
Restwert (Ziffern 12.2 und 12.3).

Erwägung 2

  2.  Im vorliegenden Fall hat sich die Beklagte nach Ablauf der
Leasingdauer für die Rückgabe des Leasingobjektes gegen Ausgleich der
Differenz zwischen Nettoerlös und Restwert entsprechend den erwähnten
Ziffern 12.2 und 12.3 des Immobilien-Leasingvertrages entschieden. Die
Beklagte macht nun geltend, sowohl der Immobilien-Leasingvertrag als Ganzes
als auch die fraglichen Vertragsklauseln in den Ziffern 12.2 und 12.3,
welche die Klägerin als

Grundlage für den von ihr geltend gemachten Anspruch anruft, seien
formbedürftig im Sinn von Art. 216 OR. Da diese Formvorschrift nicht
beachtet worden sei, sei die von der Klägerin geltend gemachte
Anspruchsgrundlage nichtig.

  2.1  Zunächst stellt sich die Frage, ob der Immobilien-Leasingvertrag als
Ganzes öffentlich hätte beurkundet werden müssen. Die Beklagte begründet
diese Auffassung im Wesentlichen damit, dass dem Leasinggeber mit dem
Abschluss des Vertrages nur das "nackte Eigentum" verbleibe und der
Leasingnehmer faktisch Eigentümerstellung erlange.

  2.1.1  Gemäss Art. 11 Abs. 1 OR bedürfen Verträge zu ihrer Gültigkeit nur
dann einer besonderen Form, wenn das Gesetz eine solche vorschreibt. Das
Gesetz geht von Formfreiheit aus. Formzwang besteht nur, wenn eine
Gesetzesbestimmung die Formfreiheit beschränkt. Auch Innominatverträge
unterliegen - wie alle anderen Verträge - nur dann einem Formzwang, wenn ein
formelles Bundesgesetz diesen begründet.

  2.1.2  Im vorliegenden Fall vermag die Beklagte keine Gesetzesbestimmung
anzugeben, die darauf schliessen liesse, dass ein Immobilien-Leasingvertrag
als solcher öffentlich beurkundet werden müsste. Insbesondere kann der
Immobilien-Leasingvertrag nicht als Vertrag auf Eigentumsübertragung
bezeichnet werden, welcher gemäss Art. 216 Abs. 1 OR und Art. 657 Abs. 1 ZGB
der öffentlichen Beurkundung bedürfte. Der Leasingvertrag beinhaltet das
Recht auf die Nutzung und den Gebrauch des Leasingobjektes während der
Leasingdauer gegen Bezahlung eines Leasingzinses durch den Leasingnehmer.
Mit einem Grundstückkaufvertrag, der die Eigentumsübertragung gegen
Bezahlung eines Kaufpreises zum Inhalt hat, hat der
Immobilien-Leasingvertrag nichts zu tun. Nach Ablauf der Leasingdauer ist
der Leasingnehmer nicht Eigentümer des Leasingobjektes. Insbesondere besteht
auch kein wirtschaftlicher Zwang zum Kauf des Leasingobjektes. Vielmehr
stehen dem Leasingnehmer in der Regel - und auch im vorliegenden Fall - drei
Optionen offen, nämlich der Abschluss eines Anschlussvertrages bzw. die
Rückgabe oder Übernahme des Leasingobjektes. Nur die Übernahme des
Leasingobjektes zu einem vorher bestimmten Restkaufpreis führt zum Übergang
des Eigentums. Insofern enthält der Immobilien-Leasingvertrag zwar ein
Kaufsrecht, welches dem Formzwang der öffentlichen Beurkundung untersteht
(Art. 216 Abs. 2 OR). Allerdings

ist dieses Kaufsrecht nur Teil eines wesentlich umfassenderen Wahlrechts des
Leasingnehmers (MARKUS HESS, Immobilien-Leasing und Formzwang, ZBGR 72/1991
S. 18).

  2.1.3  Aus diesen Gründen kann der Immobilien-Leasingvertrag als Ganzes
nicht als Vertrag auf Eigentumsübertragung im Sinn von Art. 216 Abs. 1 OR in
Verbindung mit Art. 657 Abs. 1 ZGB qualifiziert werden. Entgegen der
Auffassung der Beklagten kann daher keine Rede davon sein, dass der Vertrag
als solcher formungültig sei.

  2.2  Damit ist weiter zu prüfen, ob die in Frage stehenden
Vertragsklauseln Ziffer 12.2 und 12.3, auf welche Bestimmungen die Klägerin
ihren Anspruch abstützt, hätten öffentlich beurkundet werden müssen.

  2.2.1  Die Beklagte begründet ihre Auffassung, dass für die erwähnten
Bestimmungen ein Formzwang bestehe, im Wesentlichen damit, dass sie aufgrund
der umstrittenen Vereinbarung keine andere Wahl hatte, als den Kaufpreis für
das Leasingobjekt zu bezahlen, sei es direkt durch Übernahme desselben, sei
es indirekt durch die Verpflichtung, für das Erreichen des vereinbarten
Restkaufpreises einstehen zu müssen.

  2.2.2  Diese Begründung ist nicht überzeugend. Die Option des
Leasingnehmers, das Leasingobjekt nach Ablauf der Leasingdauer zu einem
voraus bestimmten Betrag zu übernehmen, ist klar abzugrenzen von der
Möglichkeit, das Leasingobjekt nach Ablauf der Vertragsdauer - unter
Ausgleich der Differenz zwischen dem Erlös aus dem Verkauf an einen Dritten
und dem Restwert - zurückzugeben. Die Möglichkeit der Übernahme des
Leasingobjektes zu einem voraus bestimmten "Restwert" ist als Kaufsrecht zu
qualifizieren. Die Wahl dieser Option führt zur Eigentumsübertragung. Diese
Klausel ist nach Art. 216 Abs. 2 OR öffentlich zu beurkunden, was im
vorliegenden Fall nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz auch
geschehen ist. Anders verhält es sich mit der Möglichkeit des
Leasingnehmers, nach Ablauf der Vertragsdauer das Leasingobjekt
zurückzugeben. Bei der Wahl dieser Option resultiert keine Übertragung des
Eigentums auf den Leasingnehmer. Vielmehr hat die Leasinggesellschaft gemäss
Ziff. 12.2 die Wahl, entweder das Objekt nach Ablauf der Leasingdauer weiter
zu verleasen oder das Leasingobjekt an einen Dritten zu verkaufen. Der
Umstand, dass der Leasingnehmer im zuletzt genannten

Fall die Differenz zwischen dem Nettoerlös und dem Restwert zu tragen hat,
läuft nicht auf eine Kaufpreiszahlung hinaus. Der Kaufpreis wird vom
Dritterwerber entrichtet. Der Leasingnehmer hat nur die genannte Differenz
auszugleichen. Die Option, für welche sich die Parteien im vorliegenden Fall
entschieden haben, hat somit keinerlei Gemeinsamkeiten mit einem
Grundstückkaufvertrag, der öffentlich zu beurkunden ist (Art. 216 Abs. 1 OR
und Art. 657 Abs. 1 ZGB), bzw. mit einem Kaufsrecht, das dem gleichen
Formzwang untersteht (Art. 216 Abs. 2 OR).

  2.2.3  Aus all diesen Gründen kann keine Rede davon sein, dass für die
umstrittenen Ziffern 12.2 und 12.3 von einem Formzwang auszugehen ist. Wie
die Verpflichtung der Beklagten, die Differenz zwischen dem
Nettoverkaufserlös und dem Restwert auszugleichen, zu qualifizieren ist -
die Vorinstanz geht von einem formlos gültigen Garantievertrag im Sinn von
Art. 111 OR aus -, kann dahingestellt bleiben. Allein entscheidend ist, dass
die von der Klägerin angerufene Anspruchsgrundlage entgegen der Darstellung
der Beklagten formgültig ist.

  2.3  Wenn aber weder für den Immobilien-Leasingvertrag als Ganzes (vgl.
dazu E. 2.1) noch für die umstrittenen Ziffern 12.2 und 12.3 im Besonderen
(vgl. dazu E. 2.2) eine öffentliche Beurkundung erforderlich ist, ist der in
der Form der einfachen Schriftlichkeit abgefasste Vertrag formgültig.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann sich die Klägerin somit auf die
Ziff. 12.2 und 12.3 als Grundlage für die von ihr geltend gemachte Forderung
stützen.