Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 455



Urteilskopf

132 III 455

  51. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A., als
Willensvollstrecker im Nachlass von B. gegen C. (Berufung)
  4C.386/2005 vom 3. Februar 2006

Regeste

  Schenkungsvertrag; Sittenwidrigkeit einer Schenkung.

  Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit einer Schenkung zugunsten des
Liegenschaftsverwalters des Schenkers (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 455

  A.- A. (Kläger und Berufungskläger) ist als Willensvollstrecker im
Nachlass seines Bruders B. eingesetzt, der am 20. Juni 2002 verstarb. B.
hatte im Jahre 1955 die mit einem Mehrfamilienhaus (10 Mietwohnungen sowie
Nebenräume und Garagen) überbaute Liegenschaft X. in Bern erworben. Die
Verwaltung und Bewirtschaftung der Mietwohnungen besorgte B. in der Folge
selber.

  A.a Am 16. Oktober 2001 verkaufte B. die Liegenschaft X. in Bern an C.
(Beklagter und Berufungsbeklagter). Der Kaufpreis wurde auf Fr. 1'600'000.-
festgesetzt und vom Beklagten durch Übernahme einer aufhaftenden Hypothek
von Fr. 60'000.- sowie durch eine

Kaufpreisanzahlung von Fr. 740'000.- im Umfang von Fr. 800'000.- getilgt. In
einem gleichentags unterzeichneten Darlehensvertrag vereinbarten B. und der
Beklagte, dass die verbleibende Kaufpreisschuld von Fr. 800'000.- als
verzinsliches Darlehen mit einer Laufzeit von mindestens sieben Jahren fest
für den Darlehensnehmer stehen gelassen werde. Der Darlehenszins wurde auf 4
% festgesetzt, halbjährlich zahlbar jeweils am 30. Juni und 31. Dezember.
Als Sicherheiten dienten zwei Schuldbriefe im 1. und 4. Rang auf der
Liegenschaft X. zu nominal Fr. 440'000.- und Fr. 360'000.-.

  Am 28. Januar 2002 gelangte der Beklagte mit einem Schreiben an die Mieter
der Liegenschaft und teilte ihnen mit, dass er als neuer Eigentümer die
monatlichen Mietzinsen (von zwischen Fr. 590.- und Fr. 930.-) angesichts des
marktüblichen Niveaus von Fr. 2'000.- in zwei Schritten auf Fr. 1'590.- bzw.
auf Fr. 1'560.- erhöhen werde. Die Erhöhung kündigte er auf den 1. Mai 2005
an. In einem Schreiben vom 12. Februar 2002 orientierte der Beklagte die
Mieter der Liegenschaft, dass er mit B. in Verhandlungen sei, um den Zins
des ihm beim Kauf der Liegenschaft gewährten Darlehens herabzusetzen, so
dass die Mietzinse nicht so stark wie angekündigt erhöht werden müssten.

  A.b Am 6. März 2002 schlossen B. und der Beklagte einen schriftlichen
Schenkungsvertrag mit Auflagen. B. erliess dem Beklagten die Darlehensschuld
unter anderem mit der Auflage, dass die Mietzinse und Nebenkosten nur
geringfügig erhöht und wertvermehrende Investitionen nur mit Zustimmung von
B. vorgenommen werden dürften. Die Auflagen wurden zeitlich auf 20 Jahre
befristet. Am 12. März 2002 teilte der Beklagte den Mietern der Liegenschaft
mit, dass B. ihm in äusserst grosszügiger Weise entgegengekommen sei und die
monatlichen Mietzinsen nur in geringfügigem Umfang (um Fr. 100.- bis Fr.
200.-) angehoben würden.

  B. teilte am 24. April 2002 in einem an Notar D. gerichteten Schreiben
mit, er widerrufe sein Schenkungsversprechen. Er begründete dies damit, dass
er über seine solidarische Haftung für die Schenkungssteuern nicht
informiert worden sei und diese mögliche Haftung als grosses
Gefahrenpotenzial erachte. Eine Kopie dieses Schreibens liess B. dem
Beklagten zukommen.

  Am 31. Mai 2002 schrieb B. dem Beklagten, er sei nach wie vor der Meinung,
die Errichtung eines Sperrkontos sei der tauglichste Weg, die Gefahr der
solidarischen Haftung des Schenkers zu vermeiden.

Mit Schreiben vom 3. Juni 2002 antwortete der Beklagte, dass er den
mutmasslichen Schenkungssteuerbetrag von Fr. 236'000.- sicherstellen werde.
Er versicherte, dass ein Hinweis im Schenkungsvertrag auf die solidarische
Haftung für die Schenkungssteuer nicht aus bösem Willen unterlassen worden
sei.

  Am 5. Juni 2002 bestätigte die Bank Z. dem Beklagten, dass der Betrag von
Fr. 236'000.- für die Bezahlung der Schenkungssteuer aus dem
Schenkungsvertrag mit B. bereitgestellt sei. Eine Kopie dieses Schreibens
wurde B. zugesandt.

  B.- Am 20. Juni 2003 gelangte der Kläger an das Gerichtspräsidium des
Gerichtskreises VIII Bern-Laupen mit den Begehren, es sei festzustellen,
dass der Schenkungsvertrag vom 6. März 2002 ungültig sei und seitens des
Beklagten eine Darlehensschuld von Fr. 800'000.- bestehe; der Beklagte sei
zu verurteilen, dem Kläger zu Handen der Erben des B. den Betrag von Fr.
700'000.- zu bezahlen.

  Zur Begründung machte der Kläger geltend, der Schenkungsvertrag sei
ungültig, weshalb die Darlehensforderung gemäss Vertrag vom 16. Oktober 2001
noch immer bestehe. Die Forderung von Fr. 700'000.- betrifft Schadenersatz,
den der Kläger aus vertraglicher Haftung, eventuell aus culpa in
contrahendo, mit der Begründung verlangt, die Liegenschaft X., Bern, habe
einen wesentlich höheren Marktwert aufgewiesen als die im Kaufvertrag vom
16. Oktober 2001 vereinbarten Fr. 1'600'000.-.

  Die Gerichtspräsidentin des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen wies die
Klage am 8. Oktober 2004 ab.

  C.- Mit Urteil vom 21. September 2005 wies das Obergericht des Kantons
Bern die Klage auf Appellation des Klägers ebenfalls ab. Das Gericht kam in
Übereinstimmung mit der ersten Instanz zum Schluss, dass der
Schenkungsvertrag vom 6. März 2002 formgültig sei und weder wegen
Übervorteilung noch wegen eines Willensmangels unverbindlich oder
sittenwidrig sei. Das Gericht verneinte sodann die vom Kläger geltend
gemachte Aufklärungspflicht des Beklagten über den Wert der Liegenschaft,
aus dessen Verletzung er das Schadenersatzbegehren ableitete. Das
Obergericht kam mit der ersten Instanz zum Schluss, es habe tatsächlich kein
entsprechendes Auftragsverhältnis zwischen dem Beklagten und B. bestanden
und auch eine vorvertragliche Aufklärungspflicht zu verneinen sei.

  D.- Der Kläger hat gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom
21. September 2005 sowohl staatsrechtliche Beschwerde wie auch
eidgenössische Berufung eingereicht.

  Der Kläger rügt, die Vorinstanz habe die Formungültigkeit des
Schenkungsvertrags vom 6. März 2002 bundesrechtswidrig verneint; eventuell
macht er eine Übervorteilung geltend und bringt vor, dass die
Schenkung/Preisreduktion sittenwidrig sei.

  Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Der Kläger rügt sodann, die Vorinstanz habe bundesrechtswidrig die
Sittenwidrigkeit der Schenkung vom 6. März 2002 verneint.

  4.1  Sittenwidrig sind Verträge, die gegen die herrschende Moral, d.h.
gegen das allgemeine Anstandsgefühl oder die der Gesamtrechtsordnung
immanenten ethischen Prinzipien und Wertmassstäbe verstossen (BGE 129 III
604 E. 5.3; 123 III 101 E. 2 S. 102; 115 II 232 E. 4a, je mit Hinweisen).
Als möglichen Verstoss gegen sozialethische Wertungen hat die Vorinstanz mit
Hinweis auf eine Lehrmeinung Verträge erachtet, die berufs- und
standesrechtlichen Grundsätzen widersprechen, wenn an der korrekten
Berufsausübung ein erhebliches öffentliches Interesse besteht, was sich
regelmässig daraus ergebe, dass solche Berufe nur aufgrund eines besonderen
staatlichen Befähigungsausweises ausgeübt werden können. Die Vorinstanz ist
davon ausgegangen, dass eine Vertrauensperson mit der Annahme einer
Schenkung regelmässig berufsethischen Maximen zuwiderhandle, welche die
gerichtliche Überprüfung der Sittenwidrigkeit veranlassen müsse. Nach der
von der Vorinstanz zitierten Lehrmeinung sind bestimmte Berufsträger -
namentlich Ärzte, Psychologen, Anwälte, Geistliche, Notare oder
Sozialarbeiter, aber auch Haushalthilfen oder Heimleiter, Bankiers,
Treuhänder, Finanzberater usw. - in besonders sensiblen Bereichen tätig, da
ihnen ihre Tätigkeit unweigerlich tiefe Einblicke in die persönlichen und
wirtschaftlichen Belange der betreuten Person verschafft. Daher drängt sich
fallweise die Beurteilung auf, ob eine Verfügung zugunsten einer solchen
Vertrauensperson auf einem selbstbestimmten Entscheid beruht oder ob der
Berufsträger den aus dem Vertrauensverhältnis sich ergebenden Einfluss in
unlauterer Weise ausgenützt hat (DANIEL ABT, Probleme um die unentgeltlichen
lebzeitigen Zuwendungen an Vertrauenspersonen, AJP 2004 S. 1225 f.).
Sittenwidrigkeit

kann sich danach einerseits daraus ergeben, dass die freie
Willensentscheidung des Verfügenden durch die Vertrauensperson
beeinträchtigt worden ist (ABT, a.a.O., S. 1230); oder anderseits daraus,
dass die Vertrauensperson gegen besonders wichtige Standesregeln verstossen
hat, wozu auch das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gehört,
welche die Unabhängigkeit der Vertrauensperson gewährleisten soll (ABT,
a.a.O., S. 1232; zu den entsprechenden Voraussetzungen der Erbunwürdigkeit
der Vertrauensperson vgl. auch BGE 132 III 305 E. 4.2 f. S. 311 und E. 6.1
S. 313).

  4.2  Der Kläger geht mit der Vorinstanz davon aus, dass es stossend wäre
und den Schutzbedürfnissen der Bürger widersprechen würde, wenn sich
Fachpersonen wie Ärzte, Anwälte, Liegenschafts- oder Steuertreuhänder in
Ausnützung ihrer Vertrauensstellung in erheblichem Umfang Schenkungen
einräumen lassen könnten. Der Kläger verkennt jedoch die differenzierte
Lehrmeinung, auf welche er sich stützt, wenn er (sinngemäss) die Auffassung
vertritt, Schenkungen reicher, alleinstehender älterer und kranker Personen
müssten bei einem Vertrauensverhältnis irgendwelcher Art vorbehaltlos und
allgemein ungültig erklärt werden; denn damit würde im Ergebnis bei
gegebener Urteilsfähigkeit dem selbstbestimmten Entscheid einer Person die
Rechtswirkung abgesprochen, welche die Rechtsordnung unter diesen
Voraussetzungen vorsieht. Als Verstoss gegen die guten Sitten kann entgegen
der Ansicht des Klägers nicht jede Zuwendung unter Lebenden qualifiziert
werden, wenn sie an eine Person erfolgt, die durch ihre berufliche Tätigkeit
im Umfeld der verfügenden Person deren Vertrauen gewonnen hat. Es bedarf
vielmehr einer unlauteren Beeinflussung oder eines Verstosses gegen
elementare Standesregeln, deren Zweck gerade darin besteht, von vornherein
Interessenkonflikte und Zweifel über mögliche unerwünschte Beeinflussungen
zu verhindern.

  4.3  Nach den Feststellungen der Vorinstanz bestand zwischen B. und dem
Beklagten keine nähere persönliche bzw. private Beziehung, die über die
beruflichen Tätigkeiten hinausgegangen wäre. Die beruflichen Tätigkeiten des
Beklagten für B. beschränkten sich nach den verbindlichen Feststellungen im
angefochtenen Entscheid darauf, dass der Beklagte die Verwaltung einer
andern Liegenschaft im Eigentum von B. besorgte, die Heiz- und
Nebenkostenabrechnung der Liegenschaft X. erstellte und die Steuererklärung
ausfüllte. Insbesondere war der Beklagte auch nicht an der Ausarbeitung

der Auflagen des Schenkungsvertrages (zwischen dem Notar D. und B.)
beteiligt. Wenn die Vorinstanz daraus schloss, dass der Beklagte von B. für
bestimmte, begrenzte Tätigkeiten beigezogen wurde, ohne dass sich daraus ein
persönliches Vertrauensverhältnis ergab, so hat sie jedenfalls keine
Bundesrechtsnormen verletzt. Der Schluss im angefochtenen Entscheid, dass
der Beklagte nicht Treuhänder von B. war und dass er daher auch nicht die
Standesregeln für diesen Beruf verletzte, ist bundesrechtlich nicht zu
beanstanden. Die Ansicht des Klägers, wonach sich aus konkret begrenzten
Aufträgen ohne weiteres das besondere Vertrauensverhältnis ergibt, aus dem
er die Unsittlichkeit der Schenkung an den Beauftragten ableitet, vermag
nicht zu überzeugen. Dass sich aus der Übernahme bestimmter Mandate
insbesondere im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit ein Interessenkonflikt für
die Erledigung andere Mandate ergeben kann, ist als Begründung im
vorliegenden Fall unbehelflich.

  4.4  Der Kläger setzt sich sodann über die verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz hinweg, wenn er vorbringt, der Beklagte habe die freie
Willensentscheidung von B. in Ausnutzung seiner "Vertrauensstellung"
beeinträchtigt. Abgesehen davon, dass er seine Begründung auch hier auf ein
angeblich umfassendes Vertrauensverhältnis stützt, geht er im Gegensatz zu
den vorinstanzlichen Feststellungen tatsächlich davon aus, dass B. den Wert
der Liegenschaft X. nicht gekannt habe und der Beklagte B. mit der
Ankündigung von Mietzinserhöhungen in einen Gewissenskonflikt gestürzt habe.
Inwiefern der Beklagte aufgrund der verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz die Entscheidungsfreiheit von B. hätte unzulässig beeinflussen
können, ist der Begründung der Berufung dagegen nicht zu entnehmen. Die
Ausführungen des Klägers erschöpfen sich auch in diesem Zusammenhang in
einer unzulässigen Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung.