Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 432



Urteilskopf

132 III 432

  48. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S.
Erbschaftskonkursmasse X. gegen Y. AG (Berufung)
  5C.297/2005 vom 7. Februar 2006

Regeste

  Tilgung einer vor Konkurseröffnung entstandenen Forderung, bevor ein
rechtskräftiger Kollokationsplan vorliegt; Forderung der Konkursmasse aus
ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 62 OR).

  Begleicht die Konkursverwaltung oder deren Hilfsperson eine vor
Konkurseröffnung entstandene Forderung, bevor ein rechtskräftiger
Kollokationsplan vorliegt, hat die Konkursmasse keinen Anspruch aus
ungerechtfertigter Bereicherung gegenüber dem befriedigten Gläubiger. Ein
solcher Anspruch entsteht erst, wenn aufgrund des rechtskräftigen
Kollokationsplanes und der Verteilungsliste feststeht, ob und in welchem
Umfang der Gläubiger durch die verfrühte Zahlung bereichert ist (E.
2.1-2.6).

Sachverhalt

  A.- Die Erbschaftskonkursmasse X. (Klägerin) klagte mit dem Begehren, die
Y. AG (Beklagte) sei zu verpflichten, ihr einen Betrag von Fr. 35'383.50
nebst Zins zu 5 % seit dem 15. Juli 2003 zu bezahlen. Zur Begründung führte
die Klägerin aus, über die Erbschaft des X. sel. sei der Konkurs eröffnet
worden. Der Erblasser habe vor seinem Tod eine Zahnarztpraxis betrieben, in
welcher u.a. auch A. angestellt gewesen sei. Diese habe die Zahnarztpraxis
auch nach dem Tod des Erblassers und vor der Konkurseröffnung weitergeführt.
Der zuständige Konkursbeamte habe nach der Konkurseröffnung entschieden,
dass die Zahnarztpraxis einstweilen weiter geführt werde. A. sei ermächtigt
worden, die Betriebsweiterführung finanziell zu organisieren und zu leiten.
Sie sei vom Konkursbeamten mündlich angewiesen worden, nur die für die
Weiterführung des Betriebs notwendigen Zahlungen zu veranlassen und
keinesfalls Forderungen zu bezahlen, die vor der Konkurseröffnung entstanden
seien. A. habe der Beklagten in der Folge gleichwohl Zahlungen in der Höhe
von Fr. 35'383.50 für Dienstleistungen erbracht, welche von der Beklagten
vor der Konkurseröffnung geleistet worden seien. Der Beklagten habe somit im
Zeitpunkt der Zahlungen keine Forderung gegenüber der Konkursmasse des
Erblassers zugestanden. Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage.

  Das Bezirksgericht Aarau hiess die Klage gut. Demgegenüber gab das
Obergericht des Kantons Aargau einer Appellation der Beklagten

statt und wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus,
mit den Zahlungen an die Beklagte sei keine Nichtschuld beglichen worden,
weshalb der Klägerin kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung
zustehe.

  B.- Gegen dieses Urteil hat die Klägerin eidgenössische Berufung eingelegt
mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und das erstinstanzliche
Urteil zu bestätigen. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern
bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten (Art. 62 Abs.
1 OR). Insbesondere tritt diese Verbindlichkeit dann ein, wenn jemand ohne
jeden gültigen Grund (sine causa) oder aus einem nicht verwirklichten (causa
non secuta) oder nachträglich weggefallenen Grund (causa finita) eine
Zuwendung erhalten hat (Art. 62 Abs. 2 OR; dazu zuletzt BGE 129 III 646).
Aufgrund der allgemeinen Beweislastregel von Art. 8 ZGB hat die Klägerin die
Voraussetzungen ihrer Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung zu
beweisen (BGE 106 II 29 E. 2 S. 31).

  2.2  Vor Eintritt des Konkurses bestand für die Zahlung des umstrittenen
Betrags ein Rechtsgrund: Gestützt auf die für das Bundesgericht
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat A. Forderungen beglichen,
welche die Beklagte bereits vor der Eröffnung des Konkurses in Rechnung
gestellt hat. Es ist erstellt, dass die Beklagte bereits zu Lebzeiten des
Erblassers das Büro der Zahnarztpraxis gemacht hat und damit zwischen dem
Erblasser und der Beklagten ein Auftragsverhältnis bestanden hat, in dessen
Rahmen die Beklagte dem Erblasser regelmässig Rechnungen für erbrachte
Dienstleistungen zugestellt hat. Dass dieses Auftragsverhältnis zwischen dem
Erblasser und der Beklagten im Zeitpunkt, in welchem die geltend gemachten
Dienstleistungen erbracht worden sind, aus anderen Gründen nicht mehr
Bestand gehabt hätte, ist gemäss den verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz von der Klägerin nicht substanziiert dargelegt worden. Nach den
unbestrittenen Schlussfolgerungen des Obergerichts ist davon auszugehen,
dass die Forderung vor Eintritt des Konkurses tatsächlich in der angegebenen
Höhe bestanden hat.

  2.3  Es stellt sich die Frage, ob der Eintritt des Konkurses an dieser
Rechtslage etwas geändert hat, d.h. ob der Grund der Zuwendung mit dem
Konkurs nachträglich weggefallen ist. Die Eröffnung des Konkurses ändert die
materielle Rechtslage zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger grundsätzlich
nicht. Der Konkurs bewirkt keine Sukzession der Masse in die Rechte des
Schuldners. Im Gegensatz zu den Masseverbindlichkeiten, die erst im Laufe
des Konkursverfahrens entstehen und für welche die Masse als Sondervermögen
gegenüber den Gläubigern haftet, bleibt der Konkursit in voller Höhe
Schuldner der Konkursforderungen, welche bereits vor dem Konkurs entstanden
sind, was sich unter anderem darin zeigt, dass diese in ihrem bisherigen
Bestand und ihrer bisherigen Höhe geschuldet sind, wenn der Konkurs
widerrufen wird (Art. 195 Abs. 1 SchKG). Es kann daher nicht gesagt werden,
mit dem Konkurs würden Konkursforderungen ohne weiteres ihre causa
verlieren.

  2.4  Der Konkurs ändert vor allem die Rechtslage des Schuldners. Er bleibt
zwar auch nach der Konkurseröffnung Rechtsträger seines Vermögens,
insbesondere also Eigentümer seiner Sachen und Gläubiger seiner Forderungen.
Der Schuldner verliert aber grundsätzlich das Recht, über sein Vermögen zu
verfügen (BGE 114 III 60 E. 2b S. 61). Verfügungen, die der Schuldner nach
der Konkurseröffnung vornimmt, sind deshalb den Konkursgläubigern gegenüber
ungültig (Art. 204 Abs. 1 SchKG). Hätte also der konkursite Schuldner selber
die bestehende Schuld bezahlt, dann hätte die Konkursverwaltung darüber
hinweggehen können, wie wenn die Zahlung nicht geschehen wäre und die
entäusserten Werte hätten ohne weiteres mit Rückforderungsklage wieder
beigebracht werden können (AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, 7. Aufl. 2003, § 41 N. 8 S. 327).

  2.5  Hier aber hat die von der Konkursverwaltung beauftragte Hilfsperson
die Zahlung vorgenommen. Die Konkursverwaltung als ausführendes Organ im
Konkursverfahren und deren Hilfspersonen können gültig für den Konkursiten
Zahlung leisten und es gibt keine Vorschrift, wonach Zahlungen, die den
Vorschriften des SchKG nicht entsprechen, ohne weiteres ungültig sind.

  2.6  Allerdings zeitigt der Konkurs für das betreffende Konkursverfahren
gleichwohl Wirkungen auf die Forderungen der Gläubiger (Art. 208 ff. SchKG).
So werden die Forderungen mit Konkurseröffnung fällig gestellt (Art. 208
SchKG), der Zinsenlauf hört auf

(Art. 209 SchKG), Realforderungen werden in Geldforderungen umgewandelt
(Art. 211 SchKG) und die Verrechnungsmöglichkeiten werden beschränkt (Art.
213 f. SchKG). Weiter - und hier von Bedeutung - stellt das SchKG eine
Rangordnung der Forderungen auf, wenn der Erlös der Konkursmasse für deren
Deckung nicht ausreicht (Art. 219 SchKG) und es verlangt die
Gleichbehandlung der Gläubiger der nämlichen Klasse (Art. 220 SchKG). Ob die
Gläubiger in einem bestimmten Konkursverfahren ganz, teilweise oder gar
nicht befriedigt werden können, ist nicht von Anfang an bekannt, sondern
ergibt sich erst im Verlaufe des Verfahrens. Die Gläubiger haben auf den
Schuldenruf der Konkursverwaltung hin ihre Forderungen anzumelden (Art. 232
SchKG), welche nach Prüfung (Art. 244 SchKG) in den Kollokationsplan
aufgenommen werden (Art. 247 ff. SchKG). Wenn der Kollokationsplan in
Rechtskraft erwachsen ist, stellt die Konkursverwaltung die Verteilungsliste
und die Schlussrechnung auf (Art. 261 SchKG). Danach stehen die Ansprüche
der einzelnen Gläubiger aus dem Konkursverfahren fest. Da die Forderungen
zivilrechtlich gleichwohl in ihrer vollen Höhe
weiter bestehen, erhalten die Gläubiger für den nicht gedeckten Teil
Verlustscheine (Art. 265 SchKG). Ist das konkursrechtlich relevante Ergebnis
absehbar, können bereits vorzeitig Abschlagsverteilungen durchgeführt werden
(Art. 266 SchKG). "Verfrühte" Zahlungen werden daher vom SchKG unter engen
Voraussetzungen zugelassen. Es kann dabei vorkommen, dass zu viel verteilt
wird. Es stellt sich daher in diesen Fällen - wie vorliegend - die Frage,
wie vorgegangen wird, wenn bei der Endabrechnung zu wenig Mittel zur
Verfügung stehen. Stellt sich heraus, dass zu viel verteilt worden ist, so
hat die Konkursverwaltung nach der Lehre und Rechtsprechung den zu viel
bezahlten Betrag zurückzufordern und allenfalls eine Bereicherungsklage
einzureichen (Urteil des Bundesgerichts 7B.20/2005 vom 14. September 2005,
E. 1.1 nicht publ. in BGE 131 III 652; BGE 123 III 335 E. 1 S. 336;
JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs,
4. Aufl. 1997/1999, N. 4 zu Art. 266 SchKG; STAEHELIN, Kommentar zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. III 1998, N. 5 zu Art.
266 SchKG; JEANDIN, Commentaire romand, Basel 2005, N. 9 zu Art. 266 SchKG).
Dies bedeutet, dass im Rahmen des Konkursverfahrens eine Forderung aus
ungerechtfertigter Bereicherung entsteht, wenn feststeht, in welcher Höhe
ein Ausfall besteht (vgl. BGE 61 III 36 S. 39). Dies entspricht dem
Grundsatz, dass, wer mehr geleistet hat

als geschuldet, den Differenzbetrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung
zurückfordern kann (BGE 107 II 220 E. 3a S. 221 mit Hinweisen auf die
Lehre). Diese konkursrechtliche Folge hat nichts mit dem materiellen Bestand
der Forderung zu tun, für welche wie ausgeführt im Umfang des Ausfalls ein
Verlustschein ausgestellt wird. Gegenwärtig ist noch nicht bekannt, ob und
in welchem Umfang die Beklagte durch die verfrühte Zahlung bereichert ist,
weil unbestrittenermassen noch kein Kollokationsplan und keine
Verteilungsliste vorliegt. Die Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung
ist daher noch nicht entstanden, so dass die Berufung gegen die Abweisung
der Klage unbegründet ist.