Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 305



Urteilskopf

132 III 305

  37. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. B. gegen K.
(Berufung)
  5C.121/2005 vom 6. Februar 2006

Regeste

  Art. 540 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB; Erbunwürdigkeit; Hinderung am Widerruf bzw.
Errichten einer Verfügung von Todes wegen durch Unterlassen.

  Die von den kantonalen Gerichten angenommene Erbschleicherei ist
gesetzlich nicht erfasst, kann aber in schweren Fällen Erbunwürdigkeit
begründen (E. 2). Es verletzt kein Bundesrecht, Erbunwürdigkeit auf Grund
sämtlicher Umstände im konkreten Einzelfall zu bejahen, wenn der
testamentarisch eingesetzte Alleinerbe durch Verletzung seiner
Aufklärungspflicht die Erblasserin daran hindert, die Erbeinsetzung zu
widerrufen bzw. neu und anders von Todes wegen zu verfügen (E. 3-6).

Sachverhalt

  E. wurde am 7. Februar 1907 geboren. Sie heiratete einen Industriellen aus
Dresden. Die Ehe blieb kinderlos. Wenige Jahre nach dem Tod ihres Ehemannes
liess sich E. in Basel nieder. Sie lebte in einer eigenen Wohnung,
selbstständig und ohne pflegerische Unterstützung. Am 8. oder 9. Dezember
1993 stürzte sie in ihrer Wohnung schwer und blieb eine Zeit lang unversorgt
liegen. Notfallmässig wurde sie in das Bürgerspital eingeliefert und am 10.
Dezember 1993 in das private Alters- und Pflegeheim P. in Basel verlegt.
Daselbst starb E. (im Folgenden: Erblasserin) am 9. Juli 1995.

  K. (fortan: Kläger) stammt aus einer Familie, die zum Freundes- oder
Bekanntenkreis der Erblasserin gehörte. Gemäss einem Testament vom 31.
August 1987 setzte die Erblasserin ihn als Alleinerben ein. In einem
Nachtrag zu diesem Testament bestätigte die Erblasserin am 10. März 1991 die
Erbeinsetzung des Klägers.

  B. (hiernach: Beklagter) war ab 1991 für die Erblasserin als Rechtsanwalt
tätig. In einem eigenhändigen Testament vom 16. November 1992 oder 1993
setzte die Erblasserin den Beklagten als ihren Alleinerben und
Willensvollstrecker ein mit der Anweisung, dem Kläger ein Vermächtnis
auszurichten. Sie bestätigte mit Testament vom 2. Dezember 1993 die
Einsetzung des Beklagten als Alleinerben und Willensvollstrecker, hingegen
nicht das Vermächtnis zu Gunsten des Klägers. Schliesslich widerrief die
Erblasserin in einem Schreiben an den Beklagten vom 25. Februar 1995 alle
früheren Vollmachten und Verfügungen mit Ausnahme jener zu Gunsten des
Beklagten.

  Der Kläger focht die Einsetzung des Beklagten als Alleinerben und
Willensvollstrecker der Erblasserin an und erhob - unter anderem - Klage mit
den Begehren, die auf den 2. Dezember 1993 datierte letztwillige Verfügung
ungültig zu erklären, eventualiter festzustellen, dass der Beklagte
erbunwürdig und damit auch unfähig sei, Willensvollstrecker zu sein. Das
Zivilgericht Basel-Stadt hiess das Hauptklagebegehren gut und erklärte die
letztwillige Verfügung vom 2. Dezember 1993 für ungültig. Das von beiden
Parteien angerufene Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt verneinte
die Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung vom 2. Dezember 1993. Es hiess
das Eventualklagebegehren gut und stellte fest, dass der Beklagte gegenüber
der Erblasserin erbunwürdig und unfähig sei, das Amt des
Willensvollstreckers auszuüben.

  Der Beklagte beantragt mit seiner Berufung (5C.121/2005) zur Hauptsache,
das Eventualklagebegehren sei abzuweisen und es sei

festzustellen, dass er gegenüber der Erblasserin erbwürdig sowie fähig sei,
das Amt des Willensvollstreckers auszuüben. Das Appellationsgericht hat auf
Gegenbemerkungen verzichtet unter Hinweis auf sein Urteil. Der Kläger
schliesst auf Abweisung.

  Das Bundesgericht hat die gleichzeitig gegen das nämliche Urteil erhobene
staatsrechtliche Beschwerde des Beklagten abgewiesen, soweit darauf
eingetreten werden konnte (5P.161/2005). Es weist die Berufung ab, soweit es
darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Die beiden kantonalen Urteile stehen vor dem Hintergrund der
Erbschleicherei. Das Zivilgericht hat Sittenwidrigkeit bejaht und das
Testament vom 2. Dezember 1993 für ungültig erklärt, weil es durch
offensichtliche Erbschleicherei zustande gekommen sei, und das
Appellationsgericht ist gestützt auf dieselben Tatsachenfeststellungen von
Erbunwürdigkeit des Beklagten ausgegangen.

  Wer auf unredliche oder unmoralische Weise zu einer Erbschaft zu gelangen
versucht, wird gemeinhin als "Erbschleicher" bezeichnet (vgl. zum Stichwort:
METZGER, Schweizerisches juristisches Wörterbuch, Basel 2005, S. 178). Das
Gesetz erfasst "Erbschleicherei" weder als eigenen Ungültigkeitsgrund im
Sinne von Art. 519 ZGB noch ausdrücklich als Erbunwürdigkeitsgrund gemäss
Art. 540 ZGB. Es wird vertreten, dass in ganz schweren Fällen der
Erbschleicherei etwa eine strenge Beurteilung der Testierfähigkeit, die
Annahme eines Willensmangels, der Erbunwürdigkeit nach Art. 540 Abs. 1 Ziff.
3 ZGB oder sogar der Unsittlichkeit helfen könne (SPIRO, Certum debet esse
consilium testantis?, Festschrift Druey, Zürich 2002, S. 259 ff., 261).

  Unwürdig, Erbe zu sein oder aus einer Verfügung von Todes wegen
irgendetwas zu erwerben, ist gemäss Art. 540 Abs. 1 ZGB, wer vorsätzlich und
rechtswidrig den Tod des Erblassers herbeigeführt oder herbeizuführen
versucht hat (Ziff. 1), wer den Erblasser vorsätzlich und rechtswidrig in
einen Zustand bleibender Verfügungsunfähigkeit gebracht hat (Ziff. 2), wer
den Erblasser durch Arglist, Zwang oder Drohung dazu gebracht oder daran
verhindert hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder zu
widerrufen (Ziff. 3), oder wer eine Verfügung von Todes wegen vorsätzlich
und rechtswidrig unter Umständen, die dem Erblasser deren Erneuerung nicht
mehr ermöglichten, beseitigt oder ungültig gemacht

hat (Ziff. 4). Gemäss Art. 540 Abs. 2 ZGB wird die Erbunwürdigkeit durch
Verzeihung des Erblassers aufgehoben.

Erwägung 3

  3.  Das Appellationsgericht hat dem Beklagten vorgehalten, er habe die ihn
unter den gegebenen Umständen treffende Aufklärungspflicht gegenüber der
Erblasserin nicht erfüllt und sie etwas tun lassen, das er hätte verhindern
können und müssen. Es ist davon ausgegangen, der Beklagte habe die
Erblasserin arglistig daran gehindert, eine neue, anders lautende Verfügung
von Todes wegen zu errichten bzw. diejenige vom 2. Dezember 1993 zu
widerrufen. Nach Auffassung des Appellationsgerichts hat damit der
Erbunwürdigkeitsgrund im Sinne von Art. 540 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB vorgelegen,
und zwar in der Variante des Verhinderns und nicht des Bewirkens der
Errichtung oder des Widerrufs einer Verfügung von Todes wegen. In
rechtlicher Hinsicht ist Folgendes vorauszuschicken:

  3.1  Entgegen der Darstellung des Beklagten besteht zwischen der Abweisung
der Ungültigkeitsklage und der Annahme des erwähnten Erbunwürdigkeitsgrundes
kein innerer Widerspruch. Die verneinten Ungültigkeitsgründe betreffen die
Phase der Errichtung bzw. des Zustandekommens des Testaments vom 2. Dezember
1993, während der bejahte Erbunwürdigkeitsgrund zeitlich daran anschliesst,
indem verhindert worden sein soll, dass die Erblasserin das Testament vom 2.
Dezember 1993 widerrufen oder neu und anders verfügt hat. Der
Erbunwürdigkeitsgrund des arglistigen Verhinderns im Sinne von Art. 540 Abs.
1 Ziff. 3 ZGB ergänzt in diesem Bereich die Ungültigkeitsklage (z.B. aus der
kantonalen Praxis: ZR 77/1978 S. 45 f. E. VII).

  3.2  Erbunwürdig macht das Verhindern am Errichten oder Widerrufen einer
Verfügung von Todes wegen. Die Verhinderung muss dauernd sein. Sie setzt
nicht die tatsächliche Unmöglichkeit, letztwillig zu verfügen, voraus. Es
genügt, dass der Erblasser subjektiv eine andere Verfügungsmöglichkeit nicht
kannte, obwohl sie objektiv vielleicht bestand (vgl. TUOR/PICENONI, Berner
Kommentar, 1964, N. 24 zu Art. 540/541 ZGB). Die Verhinderung ist durch
physische Gewalt möglich, kann aber auch - im Falle der Arglist wohl stets -
durch geistige Beeinflussung stattfinden, die dann freilich bis zum Tod des
Erblassers aufrechterhalten bleiben muss (vgl. ESCHER, Zürcher Kommentar,
1960, N. 11 zu Art. 540 ZGB). Entgegen der Darstellung des Beklagten muss
die Verhinderung nicht in einem "aktiven Hinwirken" bestehen. Das Verhindern
kann, wie

es das Appellationsgericht angenommen hat, in einem Unterlassen bestehen,
z.B. im Ausnützen einer beim Erblasser vorhandenen Fehlvorstellung, die der
Erbunwürdige korrigieren könnte und müsste (vgl. SCHWANDER, Basler
Kommentar, 2003, N. 15 zu Art. 540 ZGB). Dass "verhindert" (Art. 540 Abs. 1
Ziff. 3 ZGB), wer untätig bleibt, obwohl er handeln könnte und müsste, ist
Hauptanwendungsfall der vorstellbaren Beispiele von Erbunwürdigkeit (vgl.
etwa ESCHER, a.a.O., N. 11 a.E, und in der ersten Auflage von 1912, N.
6c/bb, je zu Art. 540 ZGB).

  3.3  Erbunwürdigkeit setzt "Arglist" voraus. Der Begriff der Arglist
stimmt mit dem Begriff "arglistiger Täuschung" in Art. 469 ZGB überein
(TUOR/PICENONI, a.a.O., N. 26 zu Art. 540/541 ZGB; ESCHER, a.a.O., N. 12,
und SCHWANDER, a.a.O., N. 14, je zu Art. 540 ZGB; zuletzt: STEINAUER, Le
droit des successions, Bern 2006, N. 938 S. 456). Arglist kann in der
Erregung oder der Benutzung einer schon vorhandenen falschen Vorstellung
beim Erblasser bestehen (ESCHER, Zürcher Kommentar, 1959, N. 10, und TUOR,
Berner Kommentar, 1952, N. 24, je zu Art. 469 ZGB; STEINAUER, a.a.O., N. 342
S. 195). Seine gegenteilige Auffassung stützt der Beklagte auf die
Lehrmeinung von PIOTET. Danach soll die Erbunwürdigkeit in den Fällen nicht
zugelassen werden, wo die Enterbung gemäss Art. 477 ZGB unmöglich ist (in:
SJK 774/1983, Ziff. III/C S. 4), und der Begriff der Arglist derart
einschränkend ausgelegt werden, dass Art. 540 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB nur dann
Anwendung findet, wenn die Arglist entweder einem Verbrechen oder einer
Verletzung familienrechtlicher Pflichten im Sinne von Art. 477 ZGB
entspricht (in: Erbrecht, Schweizerisches Privatrecht IV/2, Basel 1981, §
73/II/D S. 566 f.).

  Die Erbunwürdigkeit ist unter dem Titel "Die Eröffnung des Erbganges"
eingeordnet (Art. 537 ff. ZGB). Sie betrifft somit weder die
Verfügungsfähigkeit (Art. 467-469 ZGB) noch die Verfügungsfreiheit (Art.
470-480 ZGB) des Erblassers, sondern die Voraussetzungen auf Seiten des
Erben, Erbe zu sein und aus Verfügungen von Todes wegen zu erwerben (Art.
539 ff. ZGB). Die Erbunwürdigkeit hat in den Fällen der Ziff. 1 und 2 zwar
Gemeinsamkeiten mit der Enterbung gemäss Art. 477 ZGB ("schwere Straftat").
Im Fall der Ziff. 3 aber, dem - anders als im Entwurf von 1895 (Art. 432) -
kein Enterbungsgrund entspricht, stimmt sie praktisch wörtlich mit dem
Ungültigkeitsgrund gemäss Art. 519 Abs. 1 Ziff. 2 i.V.m. Art. 469 ZGB
("Willensmangel") überein. Die Erbunwürdigkeit bezweckt

deshalb sowohl, dort den erbrechtlichen Erwerb zu verhindern, wo der
Erblasser nicht imstande ist, eine Enterbung anzuordnen (vgl. ESCHER,
a.a.O., 1960, N. 6 zu Art. 540 ZGB), als auch den erblasserischen Willen und
Willensausdruck gegen jeden Angriff von aussen zu sichern (vgl.
TUOR/PICENONI, a.a.O., N. 10 zu Art. 540/ 541 ZGB). Von ihrem Zweck her darf
nicht verallgemeinernd gefolgert werden, Erbunwürdigkeit setze
begriffsnotwendig die Erfüllung eines Straftatbestands im Sinne der
Enterbung voraus.

  Wesentlich sind indessen nicht die Gemeinsamkeiten. Entscheidend ist
vielmehr der Hauptunterschied zwischen den Rechtsinstituten. Er liegt vorab
darin, dass Erbunwürdigkeit - im Gegensatz zur Enterbung auf Anordnung des
Erblassers (Art. 477 ZGB) und zur Ungültigerklärung auf Klage (Art. 519 Abs.
1 ZGB) - von Gesetzes wegen eintritt und durch Behörden und Gerichte von
Amtes wegen zu berücksichtigen ist (vgl. SCHWANDER, a.a.O., N. 22 Abs. 4 und
N. 24 zu Art. 540 ZGB). An der Erbunwürdigkeit besteht insoweit ein
allgemeines Interesse. Es ist deshalb nicht der Begriff der Arglist im Sinne
von Art. 540 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eng auszulegen. Arglist kann auch hier im
Bewirken oder Ausnützen einer schon vorhandenen falschen Vorstellung beim
Erblasser bestehen. Zusätzlich muss dieses Bewirken oder Ausnützen auf Grund
sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls eine schwere Verfehlung gegen
den Erblasser bedeuten, die nach dem Empfinden der Allgemeinheit als
unerträglich erscheint und zu missbilligen ist. Dass das Verhalten des Erben
einen Straftatbestand erfüllt, mag einen Anhaltspunkt für die Schwere der
Einflussnahme auf den erblasserischen Willen abgeben, ist aber nicht
notwendig.

  3.4  Im Gegensatz zu den anderen Erbunwürdigkeitsgründen gemäss Art. 540
Abs. 1 ZGB wird in Ziff. 3 Vorsatz und Rechtswidrigkeit des Handelns bzw.
Unterlassens nicht ausdrücklich erwähnt. Die beiden Voraussetzungen sind
indessen regelmässig erfüllt, wenn durch Arglist, Zwang oder Drohung die
Errichtung oder der Widerruf einer Verfügung von Todes wegen bewirkt oder
verhindert wird (vgl. ESCHER, a.a.O., 1960, N. 7 zu Art. 540 ZGB). Einer
gesonderten Prüfung namentlich des Vorsatzes bedarf es diesfalls - entgegen
der Darstellung des Beklagten - nicht.

  3.5  Die Verhinderung im Sinne von Art. 540 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB muss kausal
dafür sein, dass der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen nicht
errichtet oder nicht widerrufen hat (ESCHER, a.a.O., 1960,

N. 11 zu Art. 540 ZGB; TUOR/PICENONI, a.a.O., N. 26 zu Art. 540/ 541 ZGB).
Besteht das Verhindern in einer Unterlassung, bestimmt sich der
Kausalzusammenhang danach, ob der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen
errichtet oder widerrufen hätte, wenn die unterlassene Handlung vorgenommen
worden wäre. Es geht um einen hypothetischen Kausalverlauf, für den nach den
Erfahrungen des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine überwiegende
Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Wird die hypothetische Kausalität
ausschliesslich gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung ermittelt und
nicht gestützt auf Beweismittel, unterliegt sie der Überprüfung im
Berufungsverfahren (allgemein: BGE 115 II 440 E. 5b S. 448 f.; für einen
Fall unterlassener Aufklärung: BGE 124 III 155 E. 3d S. 165 f.).

Erwägung 4

  4.  Nach Abweisung der Willkürbeschwerde, die der Beklagte gegen die
Beweiswürdigung erhoben hat, muss vom folgenden, verbindlich festgestellten
Sachverhalt ausgegangen werden:

  4.1  Der Beklagte ist ab 1991 der Anwalt der Erblasserin gewesen und hat
mit ihr auch erbrechtliche Fragen besprochen. Bei der Frage nach ihren
Nachlasswünschen soll die Erblasserin zu ihm gesagt haben: "Das sind Sie".
Im April 1994 hat der Beklagte vom Testament und von seiner Einsetzung als
Alleinerbe Kenntnis erhalten und das Testament vom 2. Dezember 1993
mitgenommen.

  4.2  Über die ihm als mandatiertem Anwalt zukommende Vertrauensstellung
hinaus hat der Beklagte grossen Einfluss auf die Erblasserin gehabt und
ausgeübt. Die Erblasserin ist zu ihm nicht bloss in einem
Vertrauensverhältnis gestanden, sondern weitergehend in einem eigentlichen
Abhängigkeitsverhältnis. Mit ständigen Geschenken hat sie die Freundschaft
und Zuneigung des Beklagten erwerben und erhalten wollen. Der Beklagte war
beinahe die einzige Bezugsperson der Erblasserin. Er hat sich bemüht, seine
Einflussmöglichkeiten und die Bindung der Erblasserin, die in dieser
Intensität zu keiner anderen Person als ihm bestanden hat, sicherzustellen
und von Seiten Dritter nicht stören zu lassen.

  4.3  Die Erblasserin ist davon ausgegangen, die Zuwendung des Beklagten
ihr gegenüber entspringe echter Freundschaft und Zuneigung, und in diesem
Zusammenhang steht die Einsetzung des Beklagten als Alleinerben. Der
Beklagte hingegen hat nicht aus Freundschaft gehandelt, sondern sich
bereichern wollen. Seine wahren Absichten sind der Erblasserin verborgen
geblieben.

Erwägung 5

  5.  Das Appellationsgericht hat - seine Gesamtwürdigung zusammenfassend -
angenommen, der Beklagte habe die Erblasserin angesichts gezielter
Ausnützung des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses, durch Unterlassen
jeglicher Aufklärung sowie unter Mitnahme des Testaments daran gehindert,
eine neue, anders lautende Verfügung von Todes wegen zu errichten bzw.
diejenige vom 2. Dezember 1993 zu widerrufen, auch wenn es der Erblasserin
theoretisch möglich gewesen wäre, das Testament vom 2. Dezember 1993
nachträglich wieder aufzuheben und anders zu verfügen. Viele einzelne
Elemente - wie z.B. auch die Mitnahme des Testaments im April 1994 - haben
in der Beurteilung des Appellationsgerichts ein Gesamtbild über das
Verhalten des Beklagten und dessen Verhältnis zur Erblasserin ergeben und
die Annahme von Erbunwürdigkeit begründet. Zur Hauptsache hat das
Appellationsgericht das Verhindern im Sinne von Art. 540 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
aber darin gesehen, dass der Beklagte die ihn treffende Pflicht zur
Aufklärung unterlassen hat und dass er die Erblasserin etwas hat tun lassen,
das er hätte verhindern können und müssen.

  Worüber der Beklagte hätte aufklären müssen, lässt sich dem angefochtenen
Urteil - entgegen der Darstellung des Beklagten - entnehmen. Danach hatte
der Beklagte die Pflicht, die Erblasserin von der Unzulässigkeit und
Unzweckmässigkeit der getroffenen Nachlassregelung zu überzeugen und ihr
andere Lösungen aufzuzeigen. Zumindest hätte er sie auf seinen
Interessenkonflikt hinweisen und sie zu einem anderen, unabhängigen Berater
schicken müssen. Wie der Beklagte mit Grund geltend macht, steht die Frage
der Kausalität der Unterlassung im Vordergrund, d.h. die Frage, ob die
Erblasserin ihr Testament vom 2. Dezember 1993 widerrufen oder neu und
anders letztwillig verfügt hätte, wenn sie vom Beklagten zumindest über
seinen Interessenkonflikt aufgeklärt und zu einem unabhängigen Berater
geschickt worden wäre (vgl. E. 3.5 hiervor).

  Gemäss den verbindlichen Feststellungen des Appellationsgerichts steht die
Erbeinsetzung im Zusammenhang mit der Annahme der Erblasserin, "die
Zuwendung des Beklagten ihr gegenüber entspringe echter Freundschaft und
Zuneigung" (vgl. E. 4.3 hiervor). In Anbetracht dessen erscheint es nach
allgemeiner Lebenserfahrung als eher fraglich, ob die unterlassene
Aufklärung über eine Interessenkollision oder die fehlende Beratung durch
einen Dritten adäquat kausal dafür war, dass die Erblasserin ihr Testament
vom 2. Dezember 1993 nicht widerrufen bzw. danach nicht anders verfügt hat.

Die Frage kann aus nachstehendem Grund offen bleiben (E. 6 sogleich).
Ausgangspunkt und entscheidend ist die erwähnte Fehlvorstellung der
Erblasserin über ihr Verhältnis zum Beklagten und dessen Verhalten ab April
1994 der Erblasserin gegenüber.

Erwägung 6

  6.  Es bleibt zu prüfen, ob eine Erbunwürdigkeit darin begründet liegt,
dass der Beklagte die Erblasserin als seine Klientin in der Fehlvorstellung
belassen hat, seine Bemühungen beruhten auf echter Freundschaft und
Zuneigung, und ihr nicht klargelegt hat, dass es sich dabei um seine
Gegenleistung für die Bezahlung des von ihm in Rechnung gestellten
Anwaltshonorars handle.

  6.1  Nach dem Gesagten ist ein Verhindern im Sinne des Art. 540 Abs. 1
Ziff. 3 ZGB auch durch blosses Unterlassen möglich, namentlich durch
unterlassene Aufklärung, wo hätte aufgeklärt werden können und müssen (E.
3.2 hiervor). Eine Pflicht zur Aufklärung hat das Appellationsgericht aus
Auftrags- und Berufsrecht abgeleitet und im Hinblick auf die Rolle des
Beklagten als Anwalt der Erblasserin bejaht. Selbstständige
Mitteilungspflichten können sich aus dem Gebot ergeben, nach Treu und
Glauben zu handeln (MERZ, Berner Kommentar, 1962/66, N. 262 f. zu Art. 2
ZGB). Wann dies zutrifft, ist im konkreten Einzelfall zu bestimmen.
Massgebende Kriterien sind unter anderem das Vorliegen eines besonderen
Vertrauensverhältnisses oder eines Dauerschuldverhältnisses, der Grad der
Erkennbarkeit und die Schwere des Mangels (HAUSHEER/ JAUN, Die
Einleitungsartikel des ZGB, Bern 2003, N. 61 zu Art. 2 ZGB, bei Anm. 95;
vgl. HONSELL, Basler Kommentar, 2002, N. 16 zu Art. 2 ZGB).

  Eine Pflicht des Beklagten zur Aufklärung muss auf Grund der verbindlichen
Feststellungen des Appellationsgerichts bejaht werden. Danach hat zwischen
dem Beklagten und der Erblasserin ein Vertrauensverhältnis von rund vier
Jahren - ab 1991 bis zum Tod der Erblasserin am 9. Juli 1995 - Dauer
bestanden. Der Beklagte war in dieser Zeit beinahe die einzige Bezugsperson
der Erblasserin. Aus der Sicht der Erblasserin ist es dabei nicht bloss um
eine Arbeitsbeziehung zwischen ihr als Klientin und ihm als Anwalt gegangen.
Sie hat dem Verhältnis eine weitergehende Bedeutung beigemessen und ihr
Verständnis durch grosszügige Schenkungen an den Beklagten offenbart. Er
selber hat ebenfalls Freundschaft behauptet, sich gemäss den verbindlichen
Feststellungen des Appellationsgerichts aber bereichern wollen.

  Unter diesen Umständen wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, die
Erblasserin über sein tatsächliches Verhältnis zu ihr aufzuklären. Er hat
seine Pflicht verletzt, und zwar dauernd, zumal die Fehlvorstellung der
Erblasserin über ihr Verhältnis zum Beklagten bis zum Tod bestanden hat.
Dass sie die theoretische Möglichkeit gehabt hätte, auch anders zu verfügen,
ist rechtlich belanglos. Entscheidend ist, dass durch unterlassene
Aufklärung ihre falsche Vorstellung über das Verhalten des Beklagten ihr
gegenüber bis zum Schluss aufrechterhalten geblieben ist, wie das im Übrigen
durch ihr Schreiben vom 25. Februar 1995 belegt wird, in dem sie alle
früheren Vollmachten und Verfügungen mit Ausnahme jener zu Gunsten des
Beklagten widerrufen hat.

  6.2  Arglist gemäss Art. 540 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB kann im Ausnützen einer
schon vorhandenen falschen Vorstellung beim Erblasser bestehen, soweit
dieses Ausnützen auf Grund sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls
eine schwere Verfehlung gegen den Erblasser bedeutet (E. 3.3 hiervor).
Gemäss den Feststellungen des Appellationsgerichts ist der Beklagte seiner
Aufklärungspflicht auch dann nicht nachgekommen, als er im April 1994 von
seiner testamentarischen Einsetzung als Alleinerbe Kenntnis erhalten hat. In
Anbetracht des mehrjährigen Vertrauensverhältnisses, der Schenkungen - neben
der Bezahlung des Anwaltshonorars - an den Beklagten von Seiten der
Erblasserin und deren festgestellten Abhängigkeit von ihm erscheint die
unterlassene Aufklärung verbunden mit Bereicherungsabsicht als schwere
Verfehlung des Beklagten, welche als unerträglich erscheint und zu
missbilligen ist.

  6.3  Die Voraussetzung des Vorsatzes (E. 3.4 hiervor) ist erfüllt, zumal
der Beklagte als Grundlage seiner Beziehung zur Erblasserin -
übereinstimmend mit ihr - "Freundschaft" behauptet hat, sich in Wirklichkeit
aber hat bereichern wollen. Es genügt das Bewusstsein, dass die Erblasserin
ihr Testament vom 2. Dezember 1993 nicht widerrufen oder anders und neu
verfügen würde, solange ihre Vorstellung über ihr Verhältnis zum Beklagten
erhalten bleibt.

  6.4  Vor dem Hintergrund des Verhältnisses zwischen dem Beklagten und der
Erblasserin ist nach allgemeiner Lebenserfahrung anzunehmen, die
unterlassene Aufklärung sei kausal dafür gewesen, dass die Erblasserin ihr
Testament vom 2. Dezember 1993 nicht widerrufen und nicht neu und anders
verfügt hat (vgl. E. 3.5 hiervor).

  6.5  Aus den dargelegten Gründen verletzt es kein Bundesrecht, dass das
Appellationsgericht festgestellt hat, der Beklagte sei erbunwürdig. Bei
diesem Ergebnis ist nicht bestritten, dass der Beklagte das Amt des
Willensvollstreckers nicht ausüben kann, und auf weitere Vorbringen des
Beklagten ist nicht mehr einzugehen. Die Berufung muss insgesamt abgewiesen
werden, soweit darauf eingetreten werden kann. Entgegen der Annahme des
Beklagten steht die Bejahung der Erbunwürdigkeit im vorliegenden Fall nicht
ausserhalb jeglicher Rechtsordnung. Die Beispiele, die sich in Lehre und
Praxis zum schweizerischen Recht finden lassen, mögen zwar spärlich sein.
Auch in ausländischen Rechtsordnungen wird jedoch die rechtswidrige
Beeinträchtigung des freien erblasserischen Willens als
Erbunwürdigkeitsgrund erfasst (z.B. in § 2339 des deutschen BGB, in § 542
des österreichischen ABGB und in Art. 463 des italienischen CC, nicht
hingegen in den Art. 727 ff. des französischen CC). In der Lehre wird der
mit dem vorliegenden ähnliche Fall erörtert, wo gerichtlich auf
Erbunwürdigkeit erkannt wurde, weil eine Ehefrau ihr fortdauerndes
ehewidriges Verhältnis in Kenntnis der Tatsache verschwieg, dass ihr Ehemann
im Vertrauen auf ihre eheliche Treue eine Verfügung von Todes wegen zu ihren
Gunsten errichtet hat (vgl. LANGE/KUCHINKE, Lehrbuch des Erbrechts, 4.
Aufl., München 1995, S. 145 Anm. 32, mit Hinweisen, zuletzt: HELMS,
Münchener Kommentar, 2004, N. 25 zu § 2339 BGB; ähnlich für Österreich:
KRALIK, Das Erbrecht, Wien 1983, S. 38 f.; für Italien: PALAZZO, Le
successioni, I, Milano 1996, S. 217, und CIAN/TRABUCCHI, Commentario breve
al Codice civile, Padova 2005, N. V/1 zu Art. 463 CC, je mit Hinweisen auch
zum Fall der Erbschleicherei).