Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 285



Urteilskopf

132 III 285

  35. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. AG gegen Y.
(Berufung)
  4C.1/2005 vom 20. Dezember 2005

Regeste

  Art. 116 IPRG; Zulässigkeit der Rechtswahl.

  Reglemente privatrechtlicher Vereine können nicht Gegenstand einer
Rechtswahl im Sinne von Art. 116 IPRG sein. Sie können nur im Rahmen einer
materiellrechtlichen Verweisung unter Berücksichtigung der zwingenden
Bestimmungen des anwendbaren Sachrechts Vertragsinhalt werden (E. 1).

  Die Vorschrift, wonach Forderungen binnen einer bestimmten Frist
gerichtlich einzuklagen sind, verstösst gegen Art. 129 OR und ist daher
unbeachtlich (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 285

  Die X. AG mit Sitz in St. Gallen (Klägerin), vertreten durch einen
FIFA-Agenten, schloss am 16. August 1999 mit der Y. mit Sitz in A.
(Beklagte), einer griechischen Aktiengesellschaft, einen Vertrag über

den Transfer eines von der Klägerin vertretenen Spielers. Gemäss dieser
Vereinbarung sollte die Klägerin zunächst USD 15'000.-, zahlbar bis 30.
September 1999, erhalten, sodann weitere USD 15'000.-, zahlbar bis 30.
Dezember 1999, sofern der Arbeitsvertrag zwischen der Beklagten und dem
Spieler bis zum 30. Juni 2000 verlängert würde, und schliesslich USD
30'000.-, zahlbar bis 30. Dezember 2000, und nochmals USD 30'000.-, zahlbar
bis 30. Dezember 2001, sofern das Arbeitsverhältnis um weitere zwei Jahre
verlängert würde.

  Am 5. Februar 2003 reichte die Klägerin beim Handelsgericht des Kantons
St. Gallen Klage ein und verlangte von der Beklagten "US$ 15'000.- nebst 5 %
Zins seit 30.09.99", "US$ 15'000.- nebst 5 % Zins seit 30.12.99" und "US$
30'000.- nebst 5 % Zins seit 30.12.00". Die Beklagte beteiligte sich nicht
am Verfahren und reichte keine Klageantwort ein. Das Handelsgericht wies die
Klage ab. Gegen dieses Urteil führt die Klägerin Berufung beim
Bundesgericht. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und hält an
den bereits vor Handelsgericht gestellten Anträgen fest. Die Beklagte hat
keine Berufungsantwort eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  In Art. 3 des Vertrages vom 16. August 1999, auf welchen die Klägerin
ihre Forderung stützt, haben die Parteien bestimmt, ihre Vereinbarung solle
den FIFA-Regeln und dem Schweizer Recht unterstehen ("This agreement is
governed by FIFA rules and Swiss law").

  Die Vorinstanz hat diese Vertragsklausel als kumulative Rechtswahl in dem
Sinne interpretiert, dass die FIFA-Regeln dem nationalen schweizerischen
Recht als lex specialis vorgehen sollten. Sie hat das Reglement angewendet,
das die FIFA speziell für Spielervermittlungen am 10. Dezember 2000 erlassen
hat und das ein Verfahren für Streitigkeiten vorsieht. Danach sind unter
anderem Rechtsvorkehren spätestens zwei Jahre nach den zugrunde liegenden
Vorfällen den zuständigen Organen einzureichen. Die Vorinstanz hat diese
Bestimmung als Verwirkungsfrist interpretiert und die Klage mit der
Begründung abgewiesen, im Zeitpunkt der Klageeinreichung sei die zweijährige
Verwirkungsfrist bereits abgelaufen gewesen.

  Die Klägerin rügt, die Vorinstanz habe Art. 116 Abs. 1 IPRG verletzt, denn
das FIFA-Reglement könne nicht Gegenstand einer Rechtswahl sein.

  1.1  Nach Art. 116 Abs. 1 IPRG untersteht der Vertrag dem gewählten Recht.
Die Rechtswahl als kollisionsrechtliche Verweisung hat zur Folge, dass
sowohl die dispositiven als auch die zwingenden Normen der gewählten
Rechtsordnung zur Anwendung gelangen und die Bestimmungen des ohne
Rechtswahl (im Rahmen einer "objektiven" Anknüpfung nach Art. 117 IPRG)
anwendbaren Vertragsstatuts ersetzen (KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, Zürcher
Kommentar, N. 7 zu Art. 116 IPRG; AMSTUTZ/VOGT/WANG, Basler Kommentar, N. 11
zu Art. 116 IPRG mit Hinweisen). Dagegen lässt die materiellrechtliche
Verweisung die gewählten Normen zum Vertragsinhalt werden. Sie ermöglicht
den Parteien, ihre Rechtsbeziehung in den Schranken des anwendbaren
Sachrechts frei zu gestalten (AMSTUTZ/VOGT/WANG, Basler Kommentar, N. 11 zu
Art. 116 IPRG; KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, Zürcher Kommentar, N. 8 und 83 ff.
zu Art. 116 IPRG).

  1.2  Ob die Parteien im Rahmen von Art. 116 Abs. 1 IPRG nur staatliche
Rechtsordnungen wählen können oder ob auch die Wahl anationaler Normen
zulässig ist, geht aus dem Wortlaut der Bestimmung nicht eindeutig hervor
(BUCHER/BONOMI, Droit international privé, 2. Aufl., Basel/Genf/München
2004, S. 258 f.; VISCHER/ HUBER/OSER, Internationales Vertragsrecht, 2.
Aufl., Bern 2000, S. 69), worauf schon in der Vernehmlassung zum
Gesetzesentwurf hingewiesen wurde (vgl. Bundesgesetz über das internationale
Privatrecht, Darstellung der Stellungnahmen auf Grund des Gesetzesentwurfs
der Expertenkommission und des entsprechenden Begleitberichts, Bundesamt für
Justiz 1980, S. 380 f.). Obwohl in der Botschaft im Vergleich zum
Gesetzesentwurf der Expertenkommission eine minime redaktionelle Änderung
vorgenommen wurde (vgl. BBl 1983 I 498, Art. 113; Eidg. Justizabteilung,
Bundesgesetz über das internationale Privatrecht [IPR-Gesetz],
Gesetzesentwurf der Expertenkommission und Begleitbericht, S. 29, Art. 117),
erfolgte diesbezüglich keine Klarstellung. Die Expertenkommission selbst
ging davon aus, die Wahl nichtstaatlicher Rechte sei ausgeschlossen
(VISCHER, in: Freiburger Kolloquium über den Entwurf zu einem Bundesgesetz
über das internationale Privatrecht, Zürich 1979, S. 49).

  In der Lehre ist die Frage umstritten (zum deutschen Recht vgl.
REITHMANN/MARTINY, Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl., Köln 2004, S. 79
ff.). Ein Teil der Lehre spricht sich generell gegen die Gültigkeit
kollisionsrechtlicher Verweisungen auf anationales Recht

aus (SCHWANDER, Einführung in das internationale Privatrecht, Zweiter Band:
Besonderer Teil, St. Gallen/Lachen 1997, N. 489, S. 227 f.; VINCENT
BRULHART, Le choix de la loi applicable - questions choisies,
Habilitationsschrift St. Gallen 2004, S. 254; KARRER, Basler Kommentar, N.
60 zu Art. 187 IPRG, allerdings unter anderem mit Hinweis auf HEINI, IPRG
Kommentar, N. 7 zu Art. 187 IPRG, der die entsprechende Passage in der neuen
Auflage des Kommentars nicht beibehalten hat, vgl. HEINI, Zürcher Kommentar,
2. Aufl., N. 7 zu Art. 187 IPRG; zweifelnd:
KNOEPFLER/SCHWEIZER/OTHENIN-GIRARD, Droit international privé suisse, 3.
Aufl., Bern 2005, S. 254, N. 499). Andere befürworten die Zulässigkeit
generell (PATOCCHI, Das neue internationale Vertragsrecht der Schweiz, in:
Internationales Privatrecht/Lugano-Abkommen, Zürich 1989, S. 36), in Bezug
auf internationale Handelsbräuche (AMSTUTZ/VOGT/WANG, Basler Kommentar, N.
21 zu Art. 116 IPRG; vgl. auch BUCHER/BONOMI, a.a.O., S. 258) oder zumindest
in Bezug auf bestimmte wissenschaftliche Regelungswerke, die bezüglich
Ausgewogenheit, Anerkennung, und Regelungsdichte mit staatlichen
Rechtsordnungen vergleichbar sind (VISCHER/HUBER/OSER, a.a.O., S. 67 ff.;
VISCHER, Die kollisionsrechtliche Bedeutung der Wahl einer nichtstaatlichen
Ordnung für den staatlichen Richter am Beispiel der Unidroit Principles of
International Commercial Contracts, in: Schwenzer/Hager [Hrsg.], Festschrift
für Peter Schlechtriem zum 70. Geburtstag, Tübingen 2003, S. 445 ff.,
insbesondere S. 451 f.; BERNARD DUTOIT, Droit international privé suisse:
commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 4. Aufl., Basel 2005, N.
12 zu Art. 116 IPRG, S. 384 f.; BUCHER/BONOMI, a.a.O., S. 258;
AMSTUTZ/VOGT/WANG, Basler Kommentar, N. 21 zu Art. 116 IPRG; vgl. auch KURT
SIEHR, Die Parteiautonomie im internationalen Privatrecht, in:
Forstmoser/Giger/ Heini/Schluep [Hrsg.], Festschrift für Max Keller zum 65.
Geburtstag, Zürich 1989, S. 501 f.).

  1.3  Nach der Praxis des Bundesgerichts kommt Regelwerken privater
Organisationen auch dann nicht die Qualität von Rechtsnormen zu, wenn sie
sehr detailliert und ausführlich sind wie beispielsweise die SIA-Normen (BGE
126 III 388 E. 9d S. 391 mit Hinweisen) oder die Verhaltensregeln des
internationalen Skiverbandes (BGE 122 IV 17 E. 2b/aa S. 20; 106 IV 350 E. 3a
S. 352, je mit Hinweisen). Von privaten Verbänden aufgestellte Bestimmungen
stehen vielmehr grundsätzlich zu den staatlichen Gesetzen in einem
Subordinationsverhältnis und können nur Beachtung finden, soweit

das staatliche Recht für eine autonome Regelung Raum lässt (JÉRÔME JAQUIER,
La qualification juridique des règles autonomes des organisations sportives,
Diss. Neuenburg 2004, Rz. 212). Sie bilden kein "Recht" im Sinne von Art.
116 Abs. 1 IPRG und können auch nicht als "lex sportiva transnationalis"
anerkannt werden, wie dies von einer Lehrmeinung befürwortet wird (JÉRÔME
JAQUIER, a.a.O., Rz. 293 ff.). Die Regeln der (internationalen)
Sportverbände können nur im Rahmen einer materiellrechtlichen Verweisung
Anwendung finden und daher nur als Parteiabreden anerkannt werden, denen
zwingende nationalrechtliche Bestimmungen vorgehen (KELLER/KREN KOSTKIEWICZ,
Zürcher Kommentar, N. 84 zu Art. 116 IPRG).

  1.4  Die Vorinstanz hat dem Verweis auf die FIFA-Regeln in Art. 3 des
Vertrages vom 16. August 1999 bundesrechtswidrig die Bedeutung einer
Rechtswahl zuerkannt. Dem Verweis auf das FIFA-Reglement kann nur die
Bedeutung einer materiellrechtlichen Verweisung, d.h. einer (globalen)
Übernahme in den Vertrag der Parteien zukommen. Dies widerspricht übrigens
der Regelungsabsicht der FIFA nicht, weist doch die Präambel des
FIFA-Reglements über die Spielervermittlungen vom 10. Dezember 2000 die
Nationalverbände an, gestützt auf die Richtlinien verbandsinterne Reglemente
zu erstellen (Ziffer 2) und bei deren Ausarbeitung die nationale
Gesetzgebung und die internationalen Staatsverträge zu berücksichtigen
(Ziffer 3). Die FIFA anerkennt damit die Subordination ihrer
Verbandsregelung unter die massgebende nationalstaatliche Rechtsordnung
mitsamt den internationalen Verträgen. Die Bestimmung in Ziffer 3 des
Vertrages der Parteien ist als materiellrechtliche Verweisung zu verstehen,
während die Rechtswahl sich allein auf die schweizerische Rechtsordnung
bezieht, deren zwingende Normen somit Anwendung finden.

Erwägung 2

  2.  Nach herrschender Meinung verbietet Art. 129 OR eine vertragliche
Verkürzung der Verjährungsfrist (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des
schweizerischen Obligationenrechts, 3. Aufl., Zürich 1974, Bd. II, S. 217;
SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs-, und
Fatalfristen, Bern 1975, Bd. 1, S. 867 f.; DÄPPEN, Basler Kommentar, 3.
Aufl., N. 5 zu Art. 129 OR; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse:
Dispositions générales du CO, 2. Aufl., Bern 1997, S. 809; PICHONNAZ,
Commentaire romand, N. 5 zu Art. 129 CO; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/ REY,
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. II,

8. Aufl., Rz. 3566 mit Verweis auf BGE 63 II 180). Dies schliesst zwar nicht
aus, dass eine Forderung von einer Resolutivbedingung abhängig gemacht
werden kann. Allerdings ist eine Bedingung, wonach die Forderung binnen
bestimmter Frist irgendwie gerichtlich einzuklagen sei, der Abkürzung der
Verjährungsfrist gleichzustellen. Indem die Vorinstanz Art. 22 Abs. 3 des
FIFA-Reglements im Ergebnis als Abkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist
(Art. 127 OR) ausgelegt hat, hat sie die zwingende Norm von Art. 129 OR des
schweizerischen Rechts missachtet, das die Parteien in Ziffer 3 des
Vertrages gewählt haben. Der angefochtene Entscheid ist aus diesem Grund
aufzuheben. Da die Vorinstanz keine Feststellungen zur materiellen
Begründetheit der eingeklagten Forderung getroffen hat, ist die Sache zur
Neubeurteilung gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG an die Vorinstanz
zurückzuweisen.