Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 18



Urteilskopf

132 III 18

  4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. W. gegen X., Y. und
Z. (Berufung)
  5C.39/2005 vom 4. August 2005

Regeste

  Kaufsrecht von Verwandten für ein landwirtschaftliches Gewerbe im Rahmen
der Erbteilung (Art. 25 ff. BGBB); Ausübung des Kaufsrechts und Erhöhung des
Übernahmepreises; massgeblicher Zeitraum für Investitionen.

  Übt ein Verwandter im Rahmen der Erbteilung das Kaufsrecht für ein
landwirtschaftliches Gewerbe aus, so können gemäss Art. 52 BGBB für die
angemessene Erhöhung des Übernahmepreises diejenigen erheblichen
Investitionen berücksichtigt werden, die in den letzten zehn Jahren vor der
Ausübung des Kaufsrechts getätigt worden sind. Ein anschliessendes
rechtliches Verfahren verändert den massgeblichen Zeitraum nicht, kann aber
Einfluss auf die angemessene Berücksichtigung von Investitionen haben (E.
4).

Sachverhalt

  Am 2. August 1995 verstarb Landwirt V. Er hinterliess den
Landwirtschaftsbetrieb L. in M. im Halte von rund 18 Hektaren Kulturland und
etwas Wald. Gesetzliche Erben des Verstorbenen sind seine drei Geschwister
X. und Y. sowie Z. W., der Sohn von Z. und Neffe des Erblassers, verfügt
über einen landwirtschaftlichen Fähigkeitsausweis und ist seit 1995 Pächter
des Betriebs L. Am 27. Oktober 1995 erklärte W. gegenüber den drei
gesetzlichen Erben, das Kaufsrecht im Sinne von Art. 25 des Bundesgesetzes
vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB; SR 211.412.11) am
landwirtschaftlichen Gewerbe L. zum Ertragswert auszuüben.

  Am 14. September 1999 klagte W. gegen X. und Y. sowie Z. auf Übertragung
des Eigentums am landwirtschaftlichen Gewerbe zum Ertragswert. Das
Grundbuchamt A. sei anzuweisen, ihn Zug um Zug mit der Erstattung des
Übernahmepreises als neuen Eigentümer einzutragen. Mit Urteil vom 20.
Februar 2003 übertrug das Bezirksgericht N. das Eigentum am
landwirtschaftlichen Gewerbe L. zu einem Übernahmepreis von Fr. 500'000.-
(Übernahme der bestehenden Grundpfandschulden und Barzahlung des
Restbetrages) auf den Kläger und wies das Grundbuchamt A. an, diesen als
neuen Kläger einzutragen, sobald der Kaufpreis bezahlt sei.

  Beide Parteien erhoben Berufung beim Obergericht des Kantons Thurgau. Der
Kläger verlangte die Festlegung des Übernahmepreises auf Fr. 324'800.-, die
Beklagten X. und Y. verlangten einen Übernahmepreis von Fr. 1'081'673.-. Z.
liess sich nicht vernehmen. Das Obergericht gab den Parteien Gelegenheit,
eine Ertragswertschätzung einzureichen. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2004
reichte der Kläger den mit Rechtskraftbescheinigung versehenen Entscheid des
Landwirtschaftsamtes vom 30. August 2004 betreffend Genehmigung der
Schätzung des Ertragswerts im Sinne von Art. 87 Abs. 2 BGBB ein. Der Kläger
teilte mit, nach dieser Schätzung betrage der massgebliche Ertragswert für
den Landwirtschaftsbetrieb L. ohne Pächterinvestition Fr. 289'600.-. Die
Beklagten verzichteten auf eine Stellungnahme. In seinem Urteil vom 21.
Dezember 2004 ging das Obergericht des Kantons Thurgau von einem Ertragswert
von Fr. 289'600.- aus. Es nahm indessen

besondere Umstände an, die eine Erhöhung des Übernahmepreises rechtfertigen
und gelangte schliesslich in seinem Urteil vom 21. Dezember 2004 zu einem
Preis von Fr. 570'000.-.

  Gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 21. Dezember
2004 erhob der Kläger eidgenössische Berufung mit dem Antrag, der
Übernahmepreis sei auf Fr. 324'800.- festzulegen, eventuell sei die
Streitsache an die Vorinstanz zurückzuweisen. In ihrer Berufungsantwort und
Anschlussberufung beantragen die Beklagten die Abweisung der Berufung und
Festsetzung des Übernahmepreises auf Fr. 1'081'673.-. Der Kläger stellt den
Antrag, die Anschlussberufung sei abzuweisen.

  Umstritten ist unter anderem, welcher Zeitraum für die Berücksichtigung
preiserhöhender Umstände massgebend ist.

  Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Das Obergericht hat verschiedene Umstände als preiserhöhend anerkannt.
Insbesondere hat es verschiedene Investitionen aufgerechnet, die der
Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod getätigt hatte (Art. 18
Abs. 3 BGBB). Der Kläger macht geltend, es seien nur die Investitionen zu
berücksichtigen, die in den letzten zehn Jahren vor der Veräusserung
getätigt worden seien (Art. 52 Abs. 2 BGBB). Da die Veräusserung erst mit
der Rechtskraft des Urteils im vorliegenden Klageverfahren stattfinde, lägen
sämtliche vom Obergericht anerkannten Investitionen, welche
unbestrittenermassen anfangs der 90er-Jahre getätigt worden seien, mehr als
zehn Jahre zurück und seien daher nicht mehr zu berücksichtigen.

  4.1  Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist
der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss
nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller
Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu
Grunde liegenden Wertungen. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm
im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen
Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn triftige Gründe
dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung
wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der
Bestimmung, aus ihrem

Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben
(BGE 130 V 49 E. 3.2.1 S. 50; 129 II 114 E. 3.1 S. 118; 121 III 460 E. 4a/bb
S. 465).

  4.2  Im Rahmen der Erbteilung (1. Kapitel, Art. 11 ff. BGBB) wird das
landwirtschaftliche Gewerbe sowohl dem selbstbewirtschaftenden Erben (Art.
17 BGBB), als auch dem kaufberechtigten Verwandten (Art. 27 i.V.m. Art. 44
BGBB) zum Ertragswert angerechnet. Auch im Rahmen von
Veräusserungsgeschäften (3. Kapitel, Art. 40 ff. BGBB) können die
vorkaufsberechtigten Verwandten das landwirtschaftliche Gewerbe zum
Ertragswert erwerben (Art. 44 BGBB). Sowohl bei der Erbteilung (Art. 18
BGBB), als auch bei den Veräusserungsgeschäften (Art. 52 BGBB) sind Gründe
vorgesehen, welche zu einer angemessenen Erhöhung des Anrechnungswerts, bzw.
des Übernahmepreises führen. Beide Bestimmungen lauten im Wesentlichen
gleich: Sie verlangen für eine Erhöhung besondere Umstände (Art. 18 Abs. 2
und Art. 52 Abs. 1 BGBB). Als besondere Umstände gelten namentlich der
höhere Ankaufswert des Gewerbes sowie alle erheblichen Investitionen der
letzten zehn Jahre (Art. 18 Abs. 3 und Art. 52 Abs. 2 BGBB). Ein
wesentlicher Unterschied der beiden Bestimmungen besteht darin, dass im
Rahmen der Erbteilung die Investitionen angesprochen werden, die der
Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod getätigt hat, während im
Rahmen der Veräusserungsgeschäfte der Veräusserer eine angemessene Erhöhung
für Investitionen verlangen kann, die in den letzten zehn Jahren vor der
Veräusserung getätigt worden sind. Art. 27 Abs. 1 BGBB bestimmt, dass das im
Rahmen der Erbteilung ausgeübte Kaufsrecht unter den Voraussetzungen und zu
den Bedingungen ausgeübt werden kann, die für das Vorkaufsrecht gelten. Die
Bestimmung verweist damit für die Voraussetzungen und Bedingungen klar und
eindeutig auf das Vorkaufsrecht. Auch nach der Botschaft richtet sich eine
Erhöhung des Übernahmepreises nach den vorkaufsrechtlichen Bestimmungen (BBl
1988 III 1007). Aus Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich nichts
anderes. Durch die Gleichstellung von Kaufsrecht und Vorkaufsrecht soll die
identische rechtspolitische Zielsetzung unterstrichen werden (BBl 1988 III
1007). Dies bedeutet, dass Art. 52 BGBB und nicht Art. 18 BGBB die
massgeblichen Regeln über die Erhöhung des Übernahmepreises enthält.

  4.3  Sowohl die Botschaft (BBl 1988 III 1029) als auch die Lehre (REINHOLD
HOTZ, Das bäuerliche Bodenrecht, Kommentar zum BGBB,

N. 4 zu Art. 52 BGBB; YVES DONZALLAZ, Commentaire de la loi fédérale du 4
octobre 1991 sur le nouveau droit foncier rural, N. 472 zu Art. 52 BGBB;
STALDER, in: Koller [Hrsg.], Der Grundstückkauf, 2. Aufl. 2001, § 6 N. 155,
S. 343) gehen ohne weitere Erläuterungen davon aus, dass Art. 52 Abs. 1 und
2 BGBB die Erhöhung des Übernahmepreises gleich regelt wie Art. 18 Abs. 2
und 3 BGBB, und sie übergehen dabei, dass der Fristenlauf anders geordnet
ist. Während bei der Erbteilung, wo es um die Aufteilung der Erbmasse vorab
unter die Erben geht, nur die Investitionen eine Rolle spielen können,
welche der Erblasser zu seinen Lebzeiten bis zu seinem Tod getätigt hat,
können bei den Veräusserungsgeschäften die Investitionen von Bedeutung sein,
die der Veräusserer bis zum Zeitpunkt der Veräusserung getätigt hat. Sowohl
das Vorkaufs- als auch das Kaufsrecht sind Gestaltungsrechte, deren
rechtswirksame Ausübung Rechte und Pflichten wie aus einem gewöhnlichen
Kaufvertrag begründet (BGE 121 III 210 E. 3c S. 212; 109 II 219 E. 2b S.
222). Im Zeitpunkt der Ausübung des Kaufs- bzw. Vorkaufsrechts wird das
Gewerbe veräussert. Der massgebliche Zeitpunkt für die Auslösung der Frist
gemäss Art. 52 Abs. 2 i.V.m. Art. 27 BGBB ist daher der 27. Oktober 1995. Es
können als besondere Umstände für die angemessene Erhöhung des
Übernahmepreises die erheblichen Investitionen berücksichtigt werden, die in
den letzten zehn Jahren vor diesem Datum getätigt worden sind. Diese
Voraussetzung ist bei sämtlichen in Betracht fallenden Investitionen
erfüllt.

  4.4  Dabei wird nicht verkannt, dass bei der Erbteilung für die
Übernahmewerte von Grundstücken der Zeitpunkt der Teilung massgeblich ist,
was bedeutet, dass möglichen Wertveränderungen aufgrund überlanger
Prozessdauern Rechnung zu tragen ist (Urteil 5C.40/ 2001 vom 23. Mai 2001,
E. 3d; ESCHER/ESCHER, Zürcher Kommentar, N. 7 zu Art. 618 ZGB;
SCHAUFELBERGER, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 2. Aufl. 2003, N. 2a
zu Art. 617 ZGB). Ist das Kaufsrecht umstritten, kann sich der Zeitpunkt des
Eigentumsübergangs auch verzögern. Dies ändert jedoch nichts an der Frist
gemäss Art. 52 BGBB, welche auf den Zeitpunkt der Veräusserung, d.h. der
Ausübung des Kaufs- bzw. Vorkaufsrechts abstellt. Andernfalls könnte die
interessierte Partei durch eine Verzögerung des Verfahrens erreichen, dass
erhebliche Investitionen aus der Bewertung fallen. Hinzu kommt, dass beim
Kaufsrecht der Verwandten im Sinne von Art. 25 ff. BGBB der Übernahmepreis

in der Grössenordnung liegen sollte, wie er bei der Erbteilung errechnet
würde, was bedeutet, dass die massgeblichen Zeitpunkte nicht erheblich
auseinander fallen sollten. Bei Art. 52 BGBB endet der massgebliche Zeitraum
mit der Ausübung des Kaufs- bzw. Vorkaufsrechts und wird durch
anschliessende rechtliche Verfahren nicht mehr verändert. Die vom
Veräusserer während des Verfahrens getätigten zusätzlichen Investitionen
können, soweit prozessual zulässig und gerechtfertigt, gleichwohl als
besondere Umstände berücksichtigt werden und die Investitionen innerhalb der
Zehnjahresfrist können je nach den konkreten Verhältnissen durch Zeitablauf
an Bedeutung verlieren, was zur Folge haben kann, dass eine geringere
Berücksichtigung als angemessen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 BGBB erscheint.
Dies bedeutet, dass mit Blick auf den massgeblichen Zeitpunkt (27. Oktober
1995) die anfangs der 90er-Jahre getätigten Investitionen nicht bereits
deswegen aus der Bewertung fallen, weil sie heute mehr als zehn Jahre
zurückliegen.

  4.5  Der in diesem Zusammenhang erhobene neue rechtliche Einwand der
Beklagten, bei dieser Sachlage müsse auch aArt. 26 Abs. 1 lit. c BGBB zur
Anwendung gelangen, wonach das Kaufsrecht nicht geltend gemacht werden
könne, wenn das Gewerbe während 25 Jahren im Eigentum des Verstorbenen war,
ändert nichts an diesem Ergebnis. Der Einwand wurde nur für den Fall
erhoben, dass die zehn Jahre von der Rechtskraft des Urteils zurückberechnet
werden, wie es der Kläger verlangt, was aber grundsätzlich verworfen wird
(E. 4.2). Insoweit ist der Einwand gegenstandslos. Im Übrigen fehlen im
angefochtenen Entscheid die sachverhaltlichen Grundlagen, welche es dem
Bundesgericht erlauben würden, das neue Vorbringen zu überprüfen.
Insbesondere macht der Kläger nicht geltend, das Obergericht habe
festgestellt, wann der Erblasser den Hof erworben hat (Art. 55 Abs. 1 lit. c
OG). Bei dieser Sachlage braucht auch nicht geprüft zu werden, ob und welche
Tragweite dem gesetzgeberisch verunglückten (vgl. STUDER, Das bäuerliche
Bodenrecht, Kommentar zum BGBB, N. 7 ff. zu Art. 26 BGBB) und durch
Bundesgesetz vom 20. Juni 2003 (in Kraft ab 1. Januar 2004; AS 2003 S. 4123)
aufgehobenen aArt. 26 Abs. 1 lit. c BGBB zukommt.