Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 V 84



131 V 84

13. Auszug aus dem Urteil i.S. T. gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Glarus

    U 337/04 vom 30. März 2005

Regeste

    Art. 18 Abs. 1 und Art. 118 Abs. 5 UVG: Revision von vor dem 1. Juli
2001 entstandenen Invalidenrenten.

    Die intertemporale Regelung, wonach Invalidenrenten, auf die der
Anspruch vor dem 1. Juli 2001 (In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung
vom 15. Dezember 2000) entstanden ist, nach bisherigem Recht gewährt
werden, bezieht sich auf Renten mit Invaliditätsgraden von weniger als
10 %. Demgegenüber fallen Renten mit höheren Invaliditätsgraden nicht
unter die Übergangsbestimmung. (Erw. 2)

Sachverhalt

    A.- Der 1964 geborene T. war seit dem 7. Mai 1988 bei der Firma
A. AG als Produktionsmitarbeiter angestellt und in dieser Eigenschaft
bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Unfälle
versichert. Am 14. Juli 1997 fiel ihm eine zerbrechende grosse Rinne
auf die adominante linke Hand und zertrümmerte dabei die Grundphalanx
Dig IV, worauf ihm der Ringfinger amputiert werden musste. Die SUVA
anerkannte ihre Leistungspflicht und sprach T. am 17. März 1999 nebst einer
Integritätsentschädigung mit Wirkung ab 1. März 1999 eine Invalidenrente
auf der Basis einer Erwerbseinbusse von 20 % zu.

    Im Rahmen einer periodischen Rentenüberprüfung kam die SUVA am 13.
September 2002 zum Schluss, bei gleich gebliebenem Gesundheitszustand
hätten sich die erwerblichen Auswirkungen des nach wie vor bei der
Firma A. AG arbeitenden T. erheblich verbessert, so dass die bisher
ausgerichtete Invalidenrente mit Wirkung ab 1. November 2002 aufzuheben
sei. Mit Einspracheentscheid vom 6. August 2003 hielt die Anstalt an
dieser Auffassung fest.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Glarus mit Entscheid vom 24. August 2004 ab.

    C.- T. lässt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids und des Einspracheentscheids beantragen. (...)

    Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Stellungnahme verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Die für die Beurteilung eines Leistungsanspruches gegenüber der
Unfallversicherung massgebenden Grundlagen in der vor dem InKraft-Treten
des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts
(ATSG) vom 6. Oktober 2000 auf den 1. Januar 2003 gültig gewesenen Fassung
sind im vorinstanzlichen Entscheid vom 24. August 2004 korrekt aufgezeigt
worden. Insbesondere hat das Gericht auch den in Art. 18 Abs. 1 UVG seit
dem 1. Juli 2001 auf Gesetzesstufe festgeschriebenen generellen Ausschluss
der Gewährung von Renten bei einem unter 10 % liegenden Invaliditätsgrad
(Änderung vom 15. Dezember 2000) erwähnt und mit Art. 118 Abs. 5 UVG die
dazugehörige Übergangsbestimmung zitiert, wonach die Invalidenrenten,
deren Anspruch vor dem In-Kraft-Treten der Änderung vom 15. Dezember 2000
entstanden ist, nach dem bisherigen Recht gewährt werden (AS 2001 1491 f.;
BBl 2000 1320, besonders 1330).

Erwägung 2

    2.  Parteien und Vorinstanz leiten aus Art. 118 Abs. 5 UVG ab, dass
vor dem 1. Juli 2001 entstandene Rentenansprüche in revisionsrechtlicher
Hinsicht nach Massgabe des bisherigen Rechts zu beurteilen sind. Diese
Auffassung ist im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen zu prüfen.

    2.1  In der Tat legt der Wortlaut von Art. 118 Abs. 5 UVG einen
derartigen Schluss nahe (vgl. die Rechtsprechung zur ebenfalls an den
Anspruchsbeginn anknüpfenden Übergangsbestimmung von Art. 118 Abs. 2
lit. c UVG: BGE 111 V 36; RKUV 1988 Nr. U 46 S. 217).

    2.2  Vom Wortlaut ist indessen abzuweichen, wenn triftige Gründe
dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung
wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der
Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern
Vorschriften ergeben (BGE 130 II 71 Erw. 4.2, 130 V 232 Erw. 2.2, 295 Erw.
5.3.1, 428 Erw. 3.2, 475 Erw. 6.5.1, 484 Erw. 5.2, 129 V 284 Erw. 4.2,
je mit Hinweisen).

    Art. 118 Abs. 5 UVG bildet in systematischer Hinsicht die
Übergangsbestimmung zu Art. 18 Abs. 1 UVG in der seit 1. Juli 2001
geltenden Fassung. Beide gehen auf die parlamentarische Initiative
Raggenbass vom 11. Dezember 1996 zurück (BBl 2000 1321). Den Anstoss zu
dieser Initiative gab ein am 19. August 1996 ergangenes, in BGE 122 V 335
publiziertes Urteil. Darin gab das Eidgenössische Versicherungsgericht
seine im Jahre 1944 (EVGE 1944 S. 112) begründete Praxis auf, versicherten
Personen mit einer Invalidität von weniger als 10 % den Anspruch auf eine
Unfallversicherungsrente regelmässig abzusprechen.

    2.2.1  Ziel der parlamentarischen Initiative war es erklärtermassen,
die durch diesen BGE notwendig gewordene Gesetzesgrundlage zur Beibehaltung
der bisherigen Verwaltungspraxis zu schaffen (Bericht der Kommission für
soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats [SGK-N] vom 26. November
1999 zur Parlamentarischen Initiative Invalidität unter 10 % [Raggenbass],
BBl 2000 1321 Ziff. 1.1 und 2.1). Die vom Nationalrat mit der Ausarbeitung
einer Gesetzesvorlage beauftragte SGK-N führte ein Vernehmlassungsverfahren
durch. Die Befürworter des Entwurfs argumentierten, nach dem klaren Willen
des Gesetzgebers solle eine Invalidenrente nur gewährt werden, wenn eine
spürbare erwerbliche Beeinträchtigung eingetreten sei. Frühere Bemühungen,
diesen Grundsatz im Gesetz festzuhalten, seien an der Befürchtung
gescheitert, dass bei Aufnahme einer ausdrücklichen Regelung bei jeder
unfallbedingten Invalidität von über 10 % eine Rente geltend gemacht
würde. Das Eidgenössische Versicherungsgericht habe nach anfänglicher
Zusprechung von Mindestrenten seine Praxis dahin gehend geändert,
dass bei kleinen Einbussen keine Berechtigung zum Bezug einer Rente
anerkannt würde. Diese Rechtsprechung, welche die Aberkennung einer
Rente bei einer Erwerbsunfähigkeit unter 10 % statuierte, habe sich über
ein halbes Jahrhundert gehalten und sei von der massgebenden Doktrin
gebilligt worden. Seit der Inkraftsetzung des UVG werde überdies der
Integritätskomponente, die nach KUVG oft zu kleinen, meist befristeten
Renten geführt hatte, durch das Institut der Integritätsentschädigung
Rechnung getragen (Art. 24 UVG). Es sei fraglich, ob kleinere Einbussen,
die unter 10 % liegen, überhaupt eine dauerhafte Invalidität zur Folge
hätten. Geringfügige Restfolgen eines Unfalles begründeten in der Regel
keine sich praktisch auswirkende Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit. Meist
gewöhne sich der Versicherte bei der Wiederaufnahme der Arbeit an die
anfänglichen Beschwerden, und man könne davon ausgehen, dass er die
wirtschaftlichen Folgen durch eine entsprechende Willensanstrengung
ausgleichen oder auch selbst tragen könne. Die Befürworter verwiesen
weiter auf den Umstand, dass Verunfallte im Vergleich zu den Erkrankten
ohnehin meist besser gestellt seien, so setze etwa eine Invalidenrente nach
IVG einen Invaliditätsgrad von mindestens 40 % voraus. Auch wurde es im
Hinblick darauf, dass das UVG den vollständig erwerbsunfähigen Versicherten
einen Selbstbehalt von 20 % zumutet (d.h., der Unfallversicherer vergütet
nur 80 % des vor dem Unfall verdienten Einkommens; zusammen mit einer Rente
der Invalidenversicherung höchstens 90 % des versicherten Verdienstes;
Art. 20 Abs. 1 und 2 UVG), als vertretbar erachtet, dass auch leicht
Behinderte einen Selbstbehalt von 10 % in Kauf nehmen. Auch sei bei
Kleinstrenten der administrative Aufwand unverhältnismässig hoch, und die
Eigeninitiative, kleine Verdiensteinbussen wettzumachen, würde dadurch
gehemmt (BBl 2000 1324 ff. Ziff. 2.4.1).

    2.2.2  In der Folge beantragte die SGK-N dem Nationalrat, Art. 18
Abs. 1 UVG abzuändern und als Übergangsbestimmung Art. 118 Abs. 5
UVG neu einzufügen. Dabei erläuterte sie die Vorlage dahin gehend, dass
mit der Änderung von Art. 18 Abs. 1 UVG verhindert werden solle, dass
das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 19. August 1996
Präjudizwirkung entfalten könne und in der Praxis der Unfallversicherung
Kleinstrenten eingeführt würden. Zur vorgeschlagenen Übergangsbestimmung
von Art. 118 Abs. 5 UVG hielt der Bericht der SGK-N vom 26. November
1999 erklärend fest, darin werde (lediglich) festgehalten, dass bisher
gewährte Renten unter 10 % von der Neuregelung nicht betroffen sein
sollten; eine Änderung dränge sich nicht auf, da auch vor dem Entscheid des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts Kleinstrenten nur in Ausnahmefällen
gewährt worden seien. Der Bundesrat unterstützte mit Stellungnahme vom
23. Februar 2000 die Vorlage der SGK-N mit ähnlichen Argumenten (BBl 2000
1330-1332). Auch die SGK-S empfahl in ihrem Bericht vom 24. Oktober 2000
an den Ständerat den Entwurf zur Annahme, ohne sich dabei - wie zuvor
ebenso bereits der Bundesrat (BBl 2000 1330) und der Nationalrat bei
der Detailberatung vom 21. März 2000 (Amtl. Bull. 2000 N 366 f.) - zur
vorgeschlagenen Übergangsbestimmung näher zu äussern (Amtl. Bull. 2000
Beilagen S. 13). Der Antrag der SGK-N wurde alsdann sowohl durch den
National- als auch den Ständerat am 15. Dezember 2000 diskussionslos
verabschiedet (Amtl. Bull. 2000 N 1611 und S 877, 941). Dies zeigt,
welche Fälle nach dem Willen des Gesetzgebers von der Übergangsregelung
von Art. 118 Abs. 5 UVG erfasst werden sollten, nämlich lediglich
die bereits unter der Herrschaft des bisherigen Rechts entstandenen
Kleinstrenten. Gegenteiliges würde den mit der Gesetzesänderung verfolgten
Zweck, die durch BGE 122 V 335 notwendig gewordene Gesetzesgrundlage
zur Beibehaltung der bisherigen Verwaltungspraxis zu schaffen, keine
Kleinstrenten zuzusprechen, geradezu vereiteln. Die Legislative wollte
letztlich mit der Gesetzesänderung den status quo ante herbeiführen,
ohne dabei Versicherte zu benachteiligen, deren Rentenanspruch vor dem
In-Kraft-Treten der Änderung vom 15. Dezember 2000 am 1. Juli 2001
entstanden war. Die Versicherten sollten wieder so gestellt werden,
als BGE 122 V 335 noch nicht ergangen war. Vor dieser Änderung der
Rechtsprechung führte ein im Rahmen eines Revisionsverfahrens unter die
Massgeblichkeitsgrenze von 10 % fallender Invaliditätsgrad regelmässig
zur Aufhebung der Rentenleistungen. Dagegen waren Kleinstrenten wegen
der bereits nur sehr geringfügigen erwerblichen Beeinträchtigung von
einer revisionsweisen Aufhebung praktisch ausgenommen, da die hierfür
geforderte wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen nicht
nachzuweisen war.

    2.3  Angesichts des aus der Entstehungsgeschichte eindeutig
hervorgehenden Grundes und Zwecks der jungen Gesetzesänderung wie auch
des hinter dem Verzicht auf Kleinstrenten stehenden Beweggrundes, nur
beachtliche negative Erwerbsfolgen mittels Rente auszugleichen, kann
Art. 118 Abs. 5 UVG trotz des für sich isoliert betrachtet in eine andere
Richtung gehenden Wortlauts vernünftigerweise nur so ausgelegt werden, dass
von der in Art. 18 Abs. 1 UVG getroffenen Neuregelung auf Gesetzesstufe
jene Rentenbezüger ausgeschlossen sind, deren Invaliditätsgrad bereits
zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Änderung auf weniger als 10 %
festgesetzt worden war. Hingegen kann dieser Bestimmung nicht der
Rechtssinn zukommen, auf dem Weg von Rentenrevisionen (Art. 22 UVG [in
Verbindung mit Art. 17 ATSG]) neue Kleinstrentenansprüche zu begründen.

Erwägung 3

    3.  (...)

    Im Vergleich zum Zeitpunkt der erstmaligen Rentenzusprechung
vom 17. März 1999 hat sich die Situation insoweit geändert, als der
Versicherte nach Einschätzung der Arbeitgeberin vom 28. August 2002 in
der leidensangepassten Tätigkeit nunmehr eine volle Leistung zu erbringen
vermag. (...) Nach den verfügbaren Unterlagen spricht nichts für eine
- entgegen der unfallmedizinischen Erfahrungsregel - ausgebliebene
Angewöhnung (Bericht über die Leistungsprüfung vom 29. August 2002). (...)

    Ist eine im Vergleich zur Situation im Jahre 1999 voraussichtlich
dauerhaft erheblich verbesserte Leistungsfähigkeit auszumachen,
ist die Invalidenrente einer Revision mit Wirkung ab November 2002
zugänglich. Denn es genügt, wenn die erwerblichen Auswirkungen wegen
voraussichtlich bleibender oder längere Zeit dauernder erhöhter oder
gesunkener Leistungsfähigkeit nicht mehr die gleichen sind, was bei einer
verbesserten Eingliederung zutrifft. Diesfalls handelt es sich nicht um
eine unter revisionsrechtlichem Gesichtswinkel unerhebliche abweichende
Beurteilung eines im Wesentlichen unveränderten Gesundheitszustandes
(BGE 112 V 372 Erw. 2b mit Hinweisen; SVR 1996 IV Nr. 70 S. 204 Erw. 3a
mit Hinweisen).

Erwägung 4

    4.

    4.2  (...) All dies führt zu einer mutmasslichen Lohneinbusse in den
Jahren 2002 und 2003 von maximal 3 %. (...) Auf jeden Fall ist aber der
Invaliditätsgrad deutlich unter die seit 1. Juli 2001 in Art. 18 Abs. 1
UVG festgeschriebene Massgeblichkeitsgrenze von 10 % gefallen, womit
sich die von der Beschwerdegegnerin auf Anfang November 2002 vorgenommene
Rentenaufhebung nicht beanstanden lässt.