Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 V 472



Urteilskopf

131 V 472

  61. Urteil i.S. Regionales Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Rapperswil,
vertreten durch das Amt für Arbeit, St. Gallen, gegen F. und
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
  C 192/04 vom 14. September 2005

Regeste

  Art. 27 Abs. 2 ATSG: Beratungspflicht der Versicherungsträger.

  Der Versicherungsträger hat die versicherte Person darauf aufmerksam zu
machen, dass ihr Verhalten eine der Voraussetzungen des Leistungsanspruches
gefährden kann. (Erw. 4)
  Folgen der Verletzung der Beratungspflicht. (Erw. 5)

Sachverhalt ab Seite 472

  A.- Der 1982 geborene F. meldete sich am 21. November 2003 bei der
Arbeitslosenversicherung zur Stellenvermittlung und am 10. Dezember 2003 zum
Bezug von Arbeitslosenentschädigung (mit Wirkung ab 27. Oktober 2003) an. Im
Antragsformular erklärte er, dass er bereit und in der Lage sei, eine
Vollzeittätigkeit anzunehmen, und seit 24. November 2003 stundenweise als
PC/LAN-Supporter für die von ihm neu gegründete Firma X. tätig sei, ohne
indessen ein Einkommen zu erzielen.

  Anlässlich des Erstgespräches vom 18. Dezember 2003 gab F. an, dass er
beabsichtige, im Februar 2004 einen fünfmonatigen Sprachaufenthalt in Z.
anzutreten, was er in einem an das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum
(RAV) Rapperswil gerichteten Schreiben vom 19. Januar 2004 bestätigte. Das
von der Arbeitslosenkasse um Prüfung der Vermittlungsfähigkeit angefragte
RAV eröffnete dem Versicherten mit Verfügung vom 20. Januar 2004, er sei ab
Antragstellung (d.h. ab 21. November 2003) nicht vermittlungsfähig gewesen.
Zur Begründung gab es im Wesentlichen an, dass die nur gerade zweieinhalb
Monate betragende Zeit zwischen der Antragstellung und dem Beginn des
Sprachaufenthaltes zu kurz sei, um die Vermittlungsfähigkeit zu bejahen, und
dass eine

versicherte Person grundsätzlich in der Lage sein müsse, eine Dauerstelle
anzunehmen. An diesem Standpunkt hielt das RAV auf Einsprache des
Versicherten hin fest (Entscheid vom 12. Februar 2004).

  B.- Die vom Versicherten, vertreten durch seine Eltern, hiegegen erhobene
Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit
Entscheid vom 2. August 2004 gut, hob den Einspracheentscheid auf und wies
die Angelegenheit zur Prüfung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen an das
RAV zurück.

  C.- Das RAV, vertreten durch das Amt für Arbeit des Kantons St. Gallen,
erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des
kantonalen Entscheides.

  F. schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

  1.  Es steht fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner wegen
des beabsichtigten fünfmonatigen Auslandaufenthalts (ab 6. Februar 2004) in
den zweieinhalb Monaten, die ihm zwischen Antragstellung und Abreise zur
Verfügung standen, nicht vermittlungsfähig (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG in
Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG; BGE 126 V 522 Erw. 3a mit Hinweisen)
war. Streitig und zu prüfen ist, ob das RAV seine Beratungspflicht gemäss
Art. 27 Abs. 2 ATSG verletzt hat, wenn es den Versicherten nicht bereits
anlässlich des Erstgespräches vom 18. Dezember 2003 auf die möglicherweise
fehlende Vermittlungsfähigkeit aufmerksam gemacht hat. Ist dies zu bejahen,
stellt sich weiter die (im angefochtenen Entscheid ebenfalls bejahte) Frage,
ob dies zur Folge hat, dass der Versicherte gestützt auf
vertrauensschutzrechtliche Grundsätze so zu stellen ist, wie wenn seine
Vermittlungsfähigkeit gegeben wäre.

Erwägung 2

  2.  Gemäss Art. 27 des - im vorliegenden Fall anwendbaren - Bundesgesetzes
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6.
Oktober 2000 sind die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der
einzelnen Sozialversicherungen verpflichtet, im Rahmen ihres
Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und
Pflichten aufzuklären (Abs. 1). Jede Person hat Anspruch auf grundsätzlich
unentgeltliche

Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Dafür zuständig sind die
Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die
Pflichten zu erfüllen sind. Für Beratungen, die aufwändige Nachforschungen
erfordern, kann der Bundesrat die Erhebung von Gebühren vorsehen und den
Gebührentarif festlegen (Abs. 2). Stellt ein Versicherungsträger fest, dass
eine versicherte Person oder ihre Angehörigen Leistungen anderer
Sozialversicherungen beanspruchen können, so gibt er ihnen unverzüglich
davon Kenntnis (Abs. 3).

  Nach der gleichzeitig mit dem ATSG am 1. Januar 2003 in Kraft gesetzten
Ausführungsbestimmung des Artikels 19a AVIV klären die in Artikel 76 Absatz
1 Buchstaben a-d AVIG genannten Durchführungsstellen die Versicherten über
ihre Rechte und Pflichten auf, insbesondere über das Verfahren der Anmeldung
und über die Pflicht, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und zu verkürzen (Abs.
1). Die Kassen klären die Versicherten über die Rechte und Pflichten auf,
die sich aus dem Aufgabenbereich der Kassen (Art. 81 AVIG) ergeben (Abs. 2).
Die kantonalen Amtsstellen und die regionalen Arbeitsvermittlungszentren
(RAV) klären die Versicherten über die Rechte und Pflichten auf, die sich
aus den jeweiligen Aufgabenbereichen (Art. 85 und 85b AVIG) ergeben (Abs.
3).

  Der Aufgabenbereich der von den Kantonen zu errichtenden (Art. 85b Abs. 1
Satz 1 AVIG) RAV ist im AVIG nicht näher umschrieben. In Art. 85b Abs. 1
Satz 2 und 3 AVIG wird lediglich festgehalten, dass die Kantone den RAV
Aufgaben der kantonalen Amtsstelle übertragen und ihnen die Durchführung der
Anmeldung zur Arbeitsvermittlung übertragen können. Im Kanton St. Gallen
schreibt Art. 6 der Verordnung über regionale Arbeitsvermittlungszentren vom
13. November 1995 und 19. März 1996 vor, dass die RAV eine Auskunftsstelle
der kantonalen Arbeitslosenkasse betreiben (Abs. 1 lit. h), dass sie die
Vermittlungsfähigkeit von Arbeitslosen überprüfen (Abs. 1 lit. i [in Kraft
seit 1. März 2001]) und dass sie Fälle entscheiden, die der kantonalen
Amtsstelle von den Kassen unterbreitet werden (Abs. 1 lit. k [in Kraft seit
1. März 2001]).

Erwägung 3

  3.

  3.1  Nach Auffassung der Vorinstanz hätte das RAV den Versicherten
gestützt auf Art. 27 Abs. 2 ATSG am 18. Dezember 2003, als er anlässlich des
Beratungsgesprächs seine Pläne betreffend Auslandaufenthalt (ab Februar
2004) bekanntgegeben hatte, auf

die fehlende Vermittlungsfähigkeit hinweisen müssen. Die Unterlassung dieses
Hinweises habe dazu geführt, dass der Versicherte insofern nicht ohne
Nachteil wieder rückgängig zu machende Dispositionen getroffen habe, als er
im Fall der Verschiebung des Sprachaufenthalts (gegen welche Möglichkeit am
18. Dezember 2003 keine Anhaltspunkte vorgelegen hätten), z.B. auf Ende
2004, vermittlungsfähig und dementsprechend - unter Vorbehalt der Prüfung
der weiteren Anspruchsvoraussetzungen - anspruchsberechtigt gewesen wäre. Da
die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes erfüllt seien, sei der
Versicherte so zu stellen, wie wenn er anlässlich des Gesprächs vom 18.
Dezember 2003 auf die fehlende Vermittlungsfähigkeit hingewiesen worden wäre
und er in der Folge den Sprachaufenthalt verschoben hätte. Ein Anspruch
könne demgemäss nicht mit der Begründung, der Versicherte sei nicht
vermittlungsfähig, verneint werden.

  3.2  Das Beschwerde führende RAV vertritt demgegenüber den Standpunkt,
weder der RAV-Personalberater noch ein anderes Vollzugsorgan sei
verpflichtet gewesen, den Versicherten auf die möglicherweise fehlende
Vermittlungsfähigkeit hinzuweisen. Die Beratungspflicht sei auf Handlungen
zu beschränken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geltendmachung und
Erhaltung des Leistungsanspruchs und der Schadenminderungspflicht ständen.
Hätte der Beschwerdegegner - wie die Vorinstanz annehme - durch Beratung in
die Lage versetzt werden sollen, seine geplante Reise rechtzeitig zu
verschieben, um in den Genuss von Arbeitslosenentschädigung zu kommen, hätte
diesem im Ergebnis nahe gelegt werden müssen, seine Arbeitslosigkeit zu
verlängern und damit die Schadenminderungspflicht zu verletzen. Sodann habe
die Vorinstanz aufgrund einer blossen Parteibehauptung angenommen, dass der
Versicherte ohne weiteres in der Lage und bereit gewesen wäre, den
Sprachaufenthalt z.B. auf Ende 2004 zu verschieben, was angesichts der
langfristigen Zukunftsplanung und des beabsichtigten Studiums aufgrund der
allgemeinen Lebenserfahrung als gewagt bezeichnet werden dürfe, dies
namentlich in Anbetracht des Umstandes, dass der Versicherte seinen
fünfmonatigen Sprachaufenthalt als wichtig für das Studium erachtet habe,
womit eine Verschiebung desselben auf Ende 2004 notgedrungen eine
Verzögerung des Studienbeginns um ein Jahr zur Folge gehabt hätte. Die
fehlende frühzeitige Information des Versicherten sei damit nicht kausal für
die unterlassene Rückgängigmachung

der nachteiligen Disposition. Im Weitern setze sich die Vorinstanz, wenn sie
den RAV-Personalberater verpflichte, sich gegenüber einem Versicherten klar
und unmissverständlich zur Vermittlungsfähigkeit zu äussern, über die im
vierten Titel des AVIG (Art. 76 ff. AVIG) festgelegte Kompetenzausscheidung
und Aufgabenteilung der Vollzugsorgane hinweg. Ein Personalberater sei im
Übrigen gar nicht in der Lage, in der kurzen Zeit anlässlich des
Erstgespräches die für die Beurteilung der Vermittlungsfähigkeit
massgebenden konkreten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.

Erwägung 4

  4.

  4.1  Der im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter interessierende Abs. 1
des Art. 27 ATSG stipuliert eine allgemeine und permanente
Aufklärungspflicht der Versicherungsträger und Durchführungsorgane, die
nicht erst auf persönliches Verlangen der interessierten Personen zu
erfolgen hat, und hauptsächlich durch die Abgabe von Informationsbroschüren,
Merkblättern und Wegleitungen erfüllt wird. Der im hier zu beurteilenden
Fall relevante Abs. 2 derselben Bestimmung beschlägt dagegen ein
individuelles Recht auf Beratung durch den zuständigen Versicherungsträger.
Jede versicherte Person kann vom Versicherungsträger im konkreten Einzelfall
eine unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten verlangen. Abs.
3 konkretisiert die in Abs. 2 umschriebene Beratungspflicht und weitet sie
zugleich gegenüber dem letztgenannten Absatz aus (vgl. dazu Bericht der
Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26.
März 1999, BBl 1999 4582 f.; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, S. 315 ff.;
JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER, La partie générale du droit des assurances
sociales, Colloque de Lausanne 2002, Lausanne 2003, S. 74 ff.; IMHOF/ZÜND,
ATSG und Arbeitslosenversicherung, in: SZS 2003 S. 291 ff., S. 306 f. und
315 ff.; ANDREAS FREIVOGEL, Zu den Verfahrensbestimmungen des ATSG, in:
SCHAFFHAUSER/KIESER [Hrsg.], Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts [ATSG], St. Gallen 2003, S. 89 ff., S. 94 f.;
SPIRA, Du droit d'être renseigné et conseillé par les assureurs et les
organes d'exécution des assurances sociales [art. 27 LPGA], in: SZS 2001 S.
524 ff.; THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl.,
Bern 2003, S. 430 ff.).

  Mit der Einführung dieser allgemeinen Aufklärungs- und Beratungspflicht
der Sozialversicherer auf den 1. Januar 2003 wurde in

der Arbeitslosenversicherung die Bestimmung des Art. 20 Abs. 4 AVIV (in der
ab 1. Januar 1997 gültig gewesenen Fassung) aufgehoben, wonach die
zuständige Amtsstelle den Versicherten auf seine Pflichten nach Art. 17 AVIG
aufmerksam machte, insbesondere auf seine Pflicht, sich um Arbeit zu
bemühen.

  4.2  Im Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit
und Gesundheit vom 26. März 1999 (BBl 1999 4523 ff.) wird in Bezug auf den
Anpassungsbedarf von Einzelgesetzen im Zusammenhang mit der Einführung einer
allgemeinen Aufklärungs- und Beratungspflicht der Sozialversicherer durch
das ATSG festgehalten, dass nur gerade das KVG in Artikel 16 eine Art. 35
Entwurf ATSG (heutiger Art. 27 ATSG) entsprechende Norm kenne, welche (mit
In-Kraft-Treten des ATSG) aufgehoben werden könne, und sich in den übrigen
Zweigen - auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe - Vorschriften fänden, die als
Konkretisierungen von Teilen der an sich umfassenden Aufklärungs- und
Beratungspflicht nach ATSG verstanden werden könnten (BBl 1999 4583 unten).
An anderer Stelle (BBl 1999 4583 oben) wird ausgeführt, dass die in Abs. 2
stipulierte Beratungspflicht eine Kodifizierung der bisherigen Praxis
darstelle (vgl. auch Votum RECHSTEINER, Amtl. Bull. N 1999 1243 f.).

  Nach der vor In-Kraft-Treten des ATSG ergangenen (und mithin für die dem
ATSG unterstehenden Sozialversicherungszweige heute überholten)
Rechtsprechung (BGE 124 V 220 Erw. 2b; ARV 2002 S. 113, 2000 Nr. 20 S. 98
Erw. 2b) bestand indessen keine umfassende Auskunfts-, Beratungs- und
Belehrungspflicht der Behörden (unter Vorbehalt von Art. 16 KVG in der bis
31. Dezember 2002 geltenden Fassung), namentlich auch nicht gestützt auf den
verfassungsmässigen Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. auch
RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband,
Basel 1990, Nr. 74 B/Vb S. 229). Unter der damals herrschenden Rechtslage
brauchten die Organe der Arbeitslosenversicherung daher - vorbehältlich des
vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Art. 20 Abs. 4
AVIV (bis Ende 1996 Art. 19 Abs. 4 AVIV) - nicht von sich aus - spontan,
ohne vom Versicherten angefragt worden zu sein - Auskünfte zu erteilen oder
auf drohende Rechtsnachteile aufmerksam zu machen. Dies galt auch für
drohende Verluste sozialversicherungsrechtlicher Leistungen. Eine in ihrer
Tragweite beschränkte Abweichung davon ergab sich aus Art. 20 Abs. 4 AVIV
(in der bis

31. Dezember 2002 geltenden Fassung), welche Bestimmung den den
Arbeitsämtern gesetzlich zugewiesenen Informationsauftrag klar umriss. Die
Anwendung dieser Grundsätze führte beispielsweise dazu, dass die Verwaltung
den Versicherten nach einer mit Vermittlungsunfähigkeit begründeten
Ablehnungsverfügung nicht von sich aus auf die Notwendigkeit, sich den
Kontrollvorschriften zu unterziehen, hinzuweisen hatte, wenn für sie der
Rechtsirrtum des Versicherten, er sei mangels feststehender
Anspruchsberechtigung nicht befugt, sich den Kontrollvorschriften zu
unterziehen, nicht erkennbar war (unveröffentlichtes Urteil W. vom 10.
Dezember 1996, C 31/96), ebenso wenig wie die ALV-Durchführungsstelle den
Versicherten von sich aus über die Folgen der Aufnahme einer
Zwischenverdiensttätigkeit (unveröffentlichtes Urteil L. vom 4. Juli 1997, C
181/96), namentlich der Aufnahme einer Zwischenverdiensttätigkeit, bei
welcher ein unter dem orts- und berufsüblichen liegender Lohn erzielt wurde
(ARV 2000 Nr. 20 S. 95), zu informieren hatte oder bei einer einmaligen
Vorsprache von sich aus auf die Notwendigkeit der Stempelkontrolle und die
Möglichkeit des Bezuges von Arbeitslosenentschädigung aufmerksam zu machen
hatte (ARV 1979 Nr. 13 S. 82, 1976 Nr. 13 S. 85).

  4.3  In der Lehre wird - anders als im Bericht der Kommission des
Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999 -
einhellig die Auffassung vertreten, dass mit Art. 27 ATSG eine wesentlich
weiter gehende Beratungspflicht (welche namentlich auch Leistungsansprüche
gegenüber anderen Sozialversicherungen umfassen kann; Abs. 3) stipuliert
wird und die Bestimmung eine bedeutende Neuerung darstellt (vgl. KIESER,
a.a.O., S. 323 unten f.; IMHOF/ZÜND, a.a.O., S. 306 unten f.; SPIRA, a.a.O.,
S. 527 unten f.; LOCHER, a.a.O., S. 430 f.). Nach der Literatur bezweckt die
Beratung, die betreffende Person in die Lage zu versetzen, sich so zu
verhalten, dass eine den gesetzgeberischen Zielen des betreffenden Erlasses
entsprechende Rechtsfolge eintritt. Dabei sei die zu beratende Person über
die für die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten massgebenden Umstände
rechtlicher oder tatsächlicher Art zu informieren, wobei gegebenenfalls ein
Rat bzw. eine Empfehlung für das weitere Vorgehen abzugeben sei (KIESER,
a.a.O., S. 319; SCHNEIDER, a.a.O., S. 80 ff.; vgl. auch zur Bestimmung des
bis 31. Dezember 2002 in Kraft gewesenen Art. 16 KVG: GEBHARD EUGSTER,
Krankenversicherung,

in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz
405).

  Die Norm des Art. 27 Abs. 2 ATSG ist § 14 des deutschen Sozialgesetzbuches
(SGB) nachgebildet (vgl. SPIRA, a.a.O., S. 525 f.), gemäss welcher
Bestimmung jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach
diesem Gesetzbuch hat (Satz 1) und zuständig für die Beratung die
Leistungsträger sind, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die
Pflichten zu erfüllen sind (Satz 2). Dabei wird unter Beratung das
individuelle Gespräch mit dem Einzelnen zur gezielten und umfassenden
Unterrichtung über seine Rechte und Pflichten nach dem SGB verstanden
(BURDENSKI/VON MAYDELL/SCHELLHORN, Kommentar zum Sozialgesetzbuch,
Allgemeiner Teil, Darmstadt 1976, S. 121, N 11 zu § 14). Sie dient dazu, dem
Berechtigten positiv den Weg aufzuzeigen, auf dem er zu der gesetzlich
vorgesehenen Leistung gelangt (PETER MROZYNSKI, Sozialgesetzbuch,
Allgemeiner Teil [SGB I], Kommentar, 2. Aufl., München 1995, S. 119, N 13 zu
§ 14). Der Umfang der Beratung richtet sich in erster Linie nach der
Kompliziertheit des jeweiligen Normenkomplexes und sodann nach dem Grad der
Angewiesenheit des Sozialleistungsberechtigten auf beratende Hilfe
(MROZYNSKI, a.a.O., S. 117, N 8 zu § 14). Nach dem Kommentar von
BURDENSKI/VON MAYDELL/SCHELLHORN (a.a.O., S. 121, N 12 zu § 14) hat der
Leistungsträger die ihm aus dem Gesprächszusammenhang ersichtliche Situation
des Ratsuchenden im Blick auf den in Frage stehenden besonderen Teil des SGB
möglichst erschöpfend zu klären und gegebenenfalls durch eigene Fragen den
Ausgangssachverhalt weiter aufzuklären. Im von BLEY et al. herausgegebenen
Gesamtkommentar zum Sozialgesetzbuch (Band 1, Erstes Buch, Allgemeiner Teil,
S. 192/1) wird sodann unter Hinweis auf Rechtsprechung und Lehre ausgeführt,
dass der Versicherungsträger den Versicherten bei jeder gebotenen Befassung
mit dessen Versicherungsangelegenheit auf Befugnisse zur Gestaltung seines
Versicherungsverhältnisses, die offen zutage liegen und von jedem
Versicherten verständigerweise ausgeübt würden, von Amts wegen hinzuweisen
habe, selbst wenn fraglich sei, ob der Versicherte die
Gestaltungsmöglichkeit tatsächlich nutzen könne und werde (vgl. auch
MROZYNSKI, a.a.O., S. 117, N 8 zu § 14).

  Wo die Grenzen der in Art. 27 Abs. 2 ATSG statuierten Beratungspflicht in
generell-abstrakter Weise zu ziehen sind, braucht

vorliegend nicht entschieden zu werden. Aufgrund des Wortlautes ("Jede
Person hat Anspruch auf [...] Beratung über ihre Rechte und Pflichten.";
"Chacun a le droit d'être conseillé [...] sur ses droits et obligations.";
"Ognuno ha diritto [...] alla consulenza in merito ai propri diritti e
obblighi.") sowie des Sinnes und Zwecks der Norm (Ermöglichung eines
Verhaltens, welches zum Eintritt einer den gesetzgeberischen Zielen des
betreffenden Erlasses entsprechenden Rechtsfolge führt) steht mit Blick auf
den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt fest, dass es auf jeden Fall zum
Kern der Beratungspflicht gehört, die versicherte Person darauf aufmerksam
zu machen, dass ihr Verhalten (vorliegend: der Antritt eines
Auslandaufenthaltes im Februar 2004) eine der Voraussetzungen des
Leistungsanspruches (vorliegend: die Anspruchsvoraussetzung der
Vermittlungsfähigkeit) gefährden kann.

Erwägung 5

  5.  Unterbleibt eine Auskunft entgegen gesetzlicher Vorschrift oder obwohl
sie nach den im Einzelfall gegebenen Umständen geboten war, hat die
Rechtsprechung dies der Erteilung einer unrichtigen Auskunft gleichgestellt
(BGE 124 V 221 Erw. 2b, 113 V 71 Erw. 2, 112 V 120 Erw. 3b; ARV 2003 S. 127
Erw. 3b, 2002 S. 115 Erw. 2c, 2000 S. 98 Erw. 2b; vgl. auch MEYER-BLASER,
Die Bedeutung von Art. 4 Bundesverfassung für das Sozialversicherungsrecht,
in: ZSR 1992 2. Halbbd., S. 299 ff., S. 412 f.). Abgeleitet aus dem
Grundsatz von Treu und Glauben, welcher den Bürger in seinem berechtigten
Vertrauen auf behördliches Verhalten schützt, können falsche Auskünfte von
Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen
Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten. Gemäss
Rechtsprechung und Doktrin ist dies der Fall, 1. wenn die Behörde in einer
konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat; 2. wenn
sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn die
rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig
betrachten durfte; 3. wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht
ohne weiteres erkennen konnte; 4. wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit
der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig
gemacht werden können, und 5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der
Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 127 I 36 Erw. 3a, 126 II
387 Erw. 3a; RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene,
weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen). In
analoger

Anwendung dieser Grundsätze (wobei die dritte Voraussetzung diesfalls
lautet: wenn die Person den Inhalt der unterbliebenen Auskunft nicht kannte
oder deren Inhalt so selbstverständlich war, dass sie mit einer anderen
Auskunft nicht hätte rechnen müssen) wurde in Fällen unterbliebener
Auskunftserteilung unter anderem entschieden, dass es einer versicherten
Person nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn die Verwaltung sie nicht auf
die Pflicht, sich möglichst frühzeitig, spätestens jedoch am ersten Tag, für
den sie Arbeitslosenentschädigung beansprucht, zur Arbeitsvermittlung zu
melden und die Kontrollvorschriften zu erfüllen, hinweist (Urteil A. vom 13.
August 2003, C 113/02) oder wenn ihr das Arbeitsamt entgegen gesetzlicher
Vorschrift anlässlich der Anmeldung keine Stempelkarte abgibt, weil dies
einer unterbliebenen mündlichen Belehrung gleichkommt (nicht
veröffentlichtes Urteil Z. vom 21. August 1995, C 94/95).

  Es sind keine Gründe ersichtlich, diese Gleichstellung von pflichtwidrig
unterbliebener Beratung und unrichtiger Auskunftserteilung nach der
Kodifizierung einer umfassenden Beratungspflicht im ATSG aufzugeben, dies um
so weniger als diese Folgen einer Verletzung der Beratungspflicht in den
Sitzungen der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 8. Mai
(Protokoll S. 9) und 11./12. September 1995 (Protokoll S. 12) diskutiert
worden sind. Im Übrigen wird auch in der Lehre die Auffassung vertreten,
dass eine ungenügende oder fehlende Wahrnehmung der Beratungspflicht gemäss
Art. 27 Abs. 2 ATSG einer falsch erteilten Auskunft des Versicherungsträgers
gleichkommt und dieser in Nachachtung des Vertrauensprinzips hiefür
einzustehen hat (KIESER, a.a.O., S. 320, N 17 zu Art. 27; IMHOF/ZÜND,
a.a.O., S. 317; FREIVOGEL, a.a.O., S. 96; zu alt Art. 16 KVG: EUGSTER,
a.a.O., Rz 406 und FN 1031).

Erwägung 6

  6.  Nach dem in Erw. 4 hievor Ausgeführten steht fest, dass das RAV (in
dessen Zuständigkeit im Übrigen nach Art. 6 Abs. 1 lit. i der kantonalen
Verordnung über regionale Arbeitsvermittlungszentren vom 13. November 1995
und 19. März 1996 gerade auch die Beurteilung der Vermittlungsfähigkeit
fällt) den Beschwerdegegner am 18. Dezember 2003, als er seine Pläne
betreffend Auslandaufenthalt bekannt gab, darauf hätte hinweisen müssen,
dass sein Verhalten die Anspruchsvoraussetzung der Vermittlungsfähigkeit
gefährden kann.

  Bevor indessen die von der Vorinstanz ohne weiteres zur Anwendung
gebrachten vertrauensschutzrechtlichen Grundsätze greifen, bleibt zu prüfen,
ob sich die Unterlassung dieser Information zum Zeitpunkt des Erstgespräches
für den Versicherten nachteilig ausgewirkt hat. Es ist aufgrund der Akten
nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
(BGE 126 V 360 Erw. 5b, 125 V 195 Erw. 2, je mit Hinweisen) erstellt, dass
hinsichtlich der Möglichkeit, den Auslandaufenthalt zu verschieben, in der
Zeit zwischen dem 18. Dezember 2003 (Termin des Erstgespräches) und der
Zustellung der Verfügung vom 20. Januar 2004 (mit welcher die
Vermittlungsfähigkeit verneint wurde) eine Änderung zu Ungunsten des
Versicherten eingetreten ist. Vielmehr finden sich in den Akten hiezu nur
die Darstellungen des Versicherten, wonach er bezüglich des Zeitpunktes des
Auslandaufenthaltes flexibel gewesen wäre (Einsprache vom 31. Januar 2004)
bzw. den Auslandaufenthalt entsprechend den Bedürfnissen eines potentiellen
(temporären) Arbeitgebers hinausgeschoben hätte (Beschwerde vom 24. Februar
2004), und die Behauptung, dass die Möglichkeit der Verschiebung bis Ende
Dezember 2004 bestanden hätte (Replik vom 27. Mai 2004). In diesem Sinne
beanstandet das RAV in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht, dass die
Vorinstanz aufgrund der blossen Parteibehauptung ohne weitere Prüfung
beispielsweise der Stornierungsbedingungen angenommen hat, dass der
Versicherte bei rechtzeitiger Information ohne weiteres in der Lage gewesen
wäre, den Sprachaufenthalt (z.B. auf Ende 2004) zu verschieben. Die Sache
wird daher an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie den Beschwerdegegner
auffordere, den Nachweis für die in der Zeit zwischen dem 18. Dezember 2003
und der Zustellung der Verfügung vom 20. Januar 2004 eingetretene Änderung
in der Möglichkeit, den Auslandaufenthalt zu verschieben, zu erbringen. Ist
der Versicherte dazu nicht in der Lage, hätte er, der aus der unbewiesen
gebliebenen Tatsache Rechte ableiten wollte, die Folgen der Beweislosigkeit
zu tragen (vgl. BGE 115 V 142 Erw. 8a) und könnte die Verwaltung nicht
verpflichtet werden, nach den Regeln des Vertrauensschutzes für die am 18.
Dezember 2003 unterbliebene Auskunftserteilung einzustehen. Kann hingegen
der erforderliche Nachweis erbracht werden, wird die Vorinstanz der Frage
nachzugehen haben, ob der

Versicherte, wäre er im Dezember 2003 über die möglicherweise fehlende
Vermittlungsunfähigkeit aufgeklärt worden, mit Blick auf den geplanten
Studienbeginn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereit gewesen wäre, mit
dem Sprachaufenthalt zuzuwarten, nachdem dies - wie das RAV zu Recht geltend
macht - unter Umständen eine Verschiebung des Studienbeginns um ein Jahr zur
Folge gehabt hätte.

Erwägung 7

  7.  (Gerichtskosten und Parteientschädigung)